Gibt es eine Dominanz der deutsch(-österreichisch)en Musik, und wenn ja, was sind ihre Ursachen?

  • In einem Thielmann-Thread ist unlängst als off-topic Nebengleis die Frage aufgetaucht, ob es eine Dominaz der deutschen Musik (inkludiert ab jetzt die österreichische) gibt, oder nicht? Anders formuliert: haben Deutsche die beste Musik geschrieben? Das Thema ist, denke ich, sehr interessant aber auch sehr kontroversiell. Was meint ihr dazu?
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    Meine Meinung:


    Eine Dominanz der deutschen Musik, worunter ich einen überproportionalen Anteil Deutscher unter den besten Komponisten verstehe, empfinde ich in der Zeit von 1720 (Händel und Bach - letzterer aber natürlich nur im Nachhinein) bis etwa 1900 als Debussy und Stravinsky die Ära der Moderne zusammen mit der zweiten Wiener Schule einläuteten. Sowohl vorher, als auch nachher ist die deutsche Musik meiner Meinung nach nicht mehr überproportional vertreten. Was könnte der Grund für die Dominaz der deutschen Musik (vielleicht genauer "mitteleuropäischen Musik") in jener Zeit sein? Ich behaupte, die Zersplitterung Deutschlands mit seinen zahllosen Fürstenhöfen, die miteinander in Konkurrenz standen, hat diese große Blüte ermöglicht, da es einfach ungleich mehr Beschäftigungsmöglichkeiten für Berufsmusiker gab als im übrigen Europa. Wichtig war auch der Aufstieg der lutheranischen Städte nach der Katastrophe des 30-jährigen Kriegs und die damit verbundene Blüte geistlicher Musik.


  • Das können meines Wissens nur die Moderatoren.


    Ach so, ich dachte, du wärest einer! Vielleicht sollte man den Threatitel auch auf einen gewissen Zeitraum beschränken, denn ich denke schon, wir reden hier von der Zeit zwischen Bach und Mahler bzw. der Zweiten Wiener Schule.

  • wollte Arnold Schönberg mit seiner Zwölftontechnik 1921. Das ist bald hundert Jahre her.


    Wie steht es um jene Vorherrschaft? Wann begann sie? Dauert sie an? Gibt es Probleme der Abgrenzung (etwa seit Etablierung einer "österreichischen Nation")?


    Dass vor allem deutschsprachige Komponisten die Zeit von Bach bis Mahler bestimmen, scheint mir Konsens zu sein. Und im Klassikbetrieb dominiert genau diese Zeitspanne, sodass entgegen Schönbergs Vorstellung die "Vorherrschaft der deutschen Musik" eher wegen eines Wandels von einem Uraufführungsbetrieb zu einem Museumsbetrieb "klassische Musik" gesichert wurde.


    Aber man muss das ja nicht so sehen.
    :hello:

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  • Das ist aus heutiger Sicht wohl kolossal gescheitert. Seit spätestens dem Ende des Zweiten Weltkrieges dominiert eindeutig die englischsprachige Musik die Welt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • In der klassischen Musik sehe ich im Bereich der "Avantgarde" immer noch eine Zentralisierung auf Deutschland (+Frankreich), was wohl an staatlicher Förderung dieser sehr publikumsschwachen Spielart liegt. Es ist auch auffällig, wieviele Komponisten, die aus anderen Ländern stammen, in diesen beiden Ländern wirken und in den letzten Jahrzehnten gewirkt haben. Kürzlich konnte ich in einem Interview mit einem Komponisten, der nach dem Studium den USA den Rücken gekehrt hat, um in Deutschland Fuß zu fassen, hören, dass die Lage für "Neue Musik" in Amerika viel schlechter sei als in Deutschland. Das passt auch zu der Aussage von John Adams, dass ihm der typisch europäische Elfenbeinturm-Zugang zum Komponieren fremd sei, und er immer auch ans Publikum denkt.


    D.h., dass wahrscheinlich die von Schönberg angenommene Vorherrschaft für sein Segment (der "Neuen Musik") dank der Kulturpolitik in Mitteleuropa aufrechterhalten werden konnte - auch wenn die Zwölftontechnik dort keine große Rolle mehr spielt. Allerdings stellt sich die Frage, wie diese Elfenbeinturmrichtung die nächsten Sparpakete überstehen wird, und wie sehr die postmodernen Durchmischungen die "reine Lehre" marginalisieren werden, wie sehr die Adams-Welt mit der Donaueschingens zusammenwachsen wird können.

  • Das ist aus heutiger Sicht wohl kolossal gescheitert. Seit spätestens dem Ende des Zweiten Weltkrieges dominiert eindeutig die englischsprachige Musik die Welt.


    Gemeint war die "klassische Musik" und nicht Jazz oder Pop. Und im Bereich kann ich, trotz gestiegener Bedeutung der USA, nicht unbedingt eine Dominanz erkennen, oder? Im 20.ten Jahrhundert ist schon die stilistische Vielfalt ein Stolperstein für eine solche Debatte, es lassen sich aber wohl vier Zentren erkennen: Deutschland/Österreich, Frankreich, GB/USA und Russland/Sowjetunion.

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  • Gemeint war die "klassische Musik" und nicht Jazz oder Pop. Und im Bereich kann ich, trotz gestiegener Bedeutung der USA, nicht unbedingt eine Dominanz erkennen, oder? Im 20.ten Jahrhundert ist schon die stilistische Vielfalt ein Stolperstein für eine solche Debatte, es lassen sich aber wohl vier Zentren erkennen: Deutschland/Österreich, Frankreich, GB/USA und Russland/Sowjetunion.


    Allerdings sprach Schönberg nicht explizit von der "klassischen Musik", oder? Er meinte ja sogar, dass künftige Generationen seine Melodien pfeifen würden.

  • Allerdings sprach Schönberg nicht explizit von der "klassischen Musik", oder? Er meinte ja sogar, dass künftige Generationen seine Melodien pfeifen würden.

    Eine gewisse Naivität kann man Schönberg wohl nicht absprechen, aber wurzelte geistig halt stark in der Aufbruchs/Umbruchs-Philosophie jener Epoche. Es ist schon irgendwie witzig, dass Schönberg in einer Zeit, in der die Dominaz der deutschen Musik für alle erkennbar zurückwich, von einer weiteren hundertjährigen Vorherrschaft fantasierte. Das erinnert mich ein bisschen an die Beschwörungen US-amerikanischer Politiker, die meinen auch das 21.te wird ein amerikanisches Jahrhundert sein (was es bereits jetzt nicht mehr ist).
    Was aber sicherlich nicht vergessen werden darf, ist, dass Klassik und Jazz gerade in jener Zeit zueinander recht durchlässig waren. Davon scheint man jetzt wieder sehr weit entfernt zu sein (kenne mich bei Jazz allerdings schlecht aus).

  • Ich habe mir deshalb nochmal die Mühe gemacht und die Stelle herausgesucht, man kann sie jetzt hier Uwe Tellkamp "Der Turm" - Endzeitroman der DDR und Roman der Musik nachlesen, im Kontext des Romans und auch prinzipiell dürften daraus keinerlei Irritationen entstehen. Wenn ich für mich überlege, wer meine Lieblingskomponisten sind; so ist tatsächlich mehr als das erste Dutzend mit "Deutschen" besetzt: Schütz, J.S. Bach, C.P.E. Bach, Gluck, Händel, Telemann, Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert, Mendelssohn-Bartholdy, Wagner, Bruckner, Brahms, Reger etc. Erst dann kommen, teilweise verschränkt mit den letzten Plätzen der Vorgängerliste, Palestrina, Monteverdi, Vivaldi, Scarlatti, Albinoni, Purcell, Grieg, Sibelius, Nielsen, Dvorak; von den Russen gar nur Tschaikowski, die anderen sind mir oft fremd, auch wenn mir einzelne Werke gefallen. Dieses mein rein persönliches Ranking glaube ich aber bei vielen meiner persönlichen Freunde wiederzuerkennenn und auch hier im Forum wird der eine oder andere sicher zustimmend nicken. Den entscheidenden Beitrag deutscher Komponisten zur klassischen Musik aber, denke ich, wird niemand ernsthaft ganz abtun wollen.

  • Fairerweise muss man allerdings auch sagen, dass vor dem 18. Jhd. deutschsprachige Komponisten selbst mit Größen wie Schütz (in Italien ausgebildet) und Buxtehude kaum zentrale Rollen innehatten; sie sind also eher unterproportional vertreten, was sich für das 17. Jhd. vielleicht mit dem dreißigjährigen Krieg erklären lässt, aber für das 15. u. 16.?
    Historisch wurde der größere Teil des 18. Jhds. noch von italienischer Musik dominiert (bzw. von Komponisten, die wie Händel, Hasse, J. Chr. Bach u.a. in einem weitgehend italienisch beeinflussten Stil komponierten). So etwas wie eine Dominanz deutsch-östereichischen Komponisten in der Instrumentalmusik ergibt sich erst langsam in der zweiten Jahrhunderthälfte mit CPE Bach, Haydn, der Mannheimer Schule u.a. Die Oper war immer noch italienisch-französisch. Selbst mit Wagner hat die deutsche Oper vielleicht mit der italienischen gleichgezogen, aber auch im späten 19./frühen 20. Jhd. kann man wohl kaum davon sprechen, dass sie das Repertoire dominiert.


    Die Idee mit den vielen Duodezfürsten in Deutschland (bzw. vorher den wohlhabenden Patriziern und Handelsstädten in Italien) ist reizvoll, allerdings betrifft das eigentlich nur die Entstehung dieser "Dominanz" Mitte des 18. Jhds. Es ist einleuchtend, dass ein zentralistischer Staat mit einem noch so prachtvollen Hof wie in Frankreich (oder gar in einem Land mit puritanischen Tendenzen wie England) kaum so eine Vielfalt und so viele Möglichkeiten für Talente sich zu entwickeln bieten wird wie dutzende von kleinen Höfen mit pracht- und kulturliebenden Fürsten (und wenn das Geld nicht langt, werden halt ein paar Burschen als Söldner verkauft, wenn zB England und Frankreich in Amerika sich bekriegen).
    Für Beethoven, Mendelssohn, Schumann, Wagner, Brahms usw. war diese Infrastruktur nicht mehr allzu relevant, oder? Vielleicht hatte sie aber dazu geführt, dass nun relativ (verglichen mit ein paar Hofschranzen) breite Schichten Musikinteresse besaßen.
    Ein anderer wichtiger Punkt, der wohl im anderen thread auch schon angeführt wurde, ist gewiss die Tatsache, dass im lutherischen Protestantismus Kirchenmusik mindestens so wichtig war wie im katholischen Bereich; was das Musizieren von Laien betrifft, eher noch wichtiger.
    Interessant wäre freilich auch die umgekehrte Frage: Warum kommt aus den Ländern/Musikkulturen, die bis ins 18. Jhd. auch die Instrumentalmusik stark beeinflussten wie Italien und Frankreich, danach erst einmal fast nur noch Oper? Hätte der Stil der Wiener Klassik nicht ebenso im Lande von Corelli, Vivaldi, später Tartini, Sammartini u.a. zur Reife kommen können? Sind dann letztlich doch einzelne geniale Musiker, die Einflüsse in einzigartiger Weise bündeln entscheidend?

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zentralismus versus viele kleine Zentren - weiß nicht, ob man damit weit kommt.


    Im 19. Jahrhundert dominiert die deutsche Musik und die französische Malerei (Ingres, Delacroix, Courbet, Barbizon-Schule, Manet, Degas, Cezanne, Monet, Renoir, Gaugin, Seurat).

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  • Malerei verlangt nur, dass ein paar wohlhabende Leute daran interessiert sind, nicht annähernd so eine umfangreiche und teure Infrastruktur und Verbreitung von musikalischen Fähigkeiten in einer Gesellschaft. (Malerei ist diesbezüglich eher so wie Musik im Zeitalter der technischen Reproduzierbarkeit.) Ein Bild bezahle ich einmal und meine Enkel können damit noch angeben, ihr Heim schmücken oder es als Wertanlage verwenden.
    Um Musik zu machen, zu hören (und tendenziell auch, um anspruchsvolle Musik zu schätzen) muss ich Mittel für Ausbildung und Bezahlung von Musikern, teure Instrumente, Sänger usw. aufwenden. Und nicht nur einmal, sondern durchgängig, wenn ich regelmäßig Musik genießen will. Natürlich wurde auch in England und anderswo Hausmusik betrieben usw. Aber die Anzahl der kleineren musikalischen Zentren und die Stellung der Musik im lutheranischen Protestantismus sorgten sicher für eine viel breitere "musikalische Infrastruktur".
    (Ich glaube allerdings auch nicht, dass das eine vollständige Erklärung ist.)


    Hier versuchte sich ebenfalls jemand an einer Erklärung:
    "http://www.thevalve.org/go/valve/article/why_are_the_greatest_composers_all_german


    (ziemlich schräg, der erste Kommentar geht eher in die richtige Richtung)

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  • Zentralismus versus viele kleine Zentren - weiß nicht, ob man damit weit kommt.


    Im 19. Jahrhundert dominiert die deutsche Musik und die französische Malerei (Ingres, Delacroix, Courbet, Barbizon-Schule, Manet, Degas, Cezanne, Monet, Renoir, Gaugin, Seurat).

    Meiner Meinung nach hat Johannes hier eigentlich ausreichend geantwortet. Sicherlich trifft alles, was er schreibt, auf die Malerei des 19.ten Jhds., welche mehr oder weniger von Einzelpersonen geleistet wurde, zu. Wenn wir uns die italienische Malerei aus der Renaissance und die niederländische Malerei im 17. Jahrhundert ansehen, treffen wir auf ähnliche Umstände wie in der Musik im Deutschland des 18.ten Jahrhunderts: viele reiche, im Falle der Niederlanden eher bürgerliche, Mäzene finanzierten eine große Zahl an Künstlern und Malerwerkstätten (siehe Michelangelo oder Rembrandt). Die Musik in Italien um 1700, Opern wie auch Instrumentalmusik, wurde ebenfalls von einer großen Gruppe von Gönnern unterstützt.



    Für Beethoven, Mendelssohn, Schumann, Wagner, Brahms usw. war diese Infrastruktur nicht mehr allzu relevant, oder? Vielleicht hatte sie aber dazu geführt, dass nun relativ (verglichen mit ein paar Hofschranzen) breite Schichten Musikinteresse besaßen.

    Erstens war zu diesem Zeitpunkt, wie du richtig schreibst, die nötige Infrastruktur in Deutschland ganz einfach bereits verankert (und trug Früchte) und zweitens erfuhren noch sowohl Mendelssohn als auch Wagner tatkräftige Unterstützung von deutschen Fürsten (natürlich nicht mehr Duodezfürsten): Mendelssohn vom sächsischen und preußischen König (ersterer finanzierte das Konservatorium in Leipzig, nicht die Bürgerschaft) und Wagner wiederum vom sächsischen König und dem bayrischen König. Beethoven wurde, wie du sicher weißt, von adeligen Gönnern, durchfinanziert. Ähnliches gilt auch für Hummel.



    Hätte der Stil der Wiener Klassik nicht ebenso im Lande von Corelli, Vivaldi, später Tartini, Sammartini u.a. zur Reife kommen können? Sind dann letztlich doch einzelne geniale Musiker, die Einflüsse in einzigartiger Weise bündeln entscheidend?

    Sicherlich, ganz auf die "marxistische Tour" wird man das Phänomen nicht erklären können, und es waren ja eigentlich nur drei dominante Figuren, die deutsch waren: Haydn, Mozart, Beethoven. Dahinter kam ein Heer an Tschechen und Italienern. Diese wiederum arbeiteten sehr oft in Deutschland: Salieri, Kozeluch, Wranitzky, usw. Im 18.ten Jahrhundert und noch dem frühen 19.ten Jahrhundert war Instrumentalmusik "Adelssache". Und in Mitteleuropa, d.h. Deutschland im weitesten Sinne (mit Böhmen und Ungarn), gab es verdammt viele geltungsüchtige Adelige.

  • haben Deutsche die beste Musik geschrieben?


    Wenn gleich sorgfältig formuliert würde, gäbe es - wie auch im zum Vergleich herangezogenen Thread - keine Missverständnisse - Musik umfasst eben mehr und nicht nur klassische, westliche Musik.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Warum kommt aus den Ländern/Musikkulturen, die bis ins 18. Jhd. auch die Instrumentalmusik stark beeinflussten wie Italien und Frankreich, danach erst einmal fast nur noch Oper?


    Also ich weiß nicht - ich empfinde den Dilettantismus bei Wagner ebeno wie - man verzeihe mir - bei Bruckner. Und das erinnert mich an die literarische Produktion in deutschen Landen mit ihren Velleitäten. Mein Argument gegen den Tenor dieses Threads lautet: Rossini, Donizetti, Bellini, Verdi, Chopin, Dvorák usw. Französische Malerei vs.deutsche Musik suggeriert Pendants, die ich nicht erblicke. Wo hört man Délacroix, verdeutscht in Tönen? Was soll Manet sein, oder gar Degas oder Caillebotte? Nicht einmal Fontane hat ein musikalisches quidproquo. Die deutsche Poesie, wie die deutsche Musik, krankt an einem Ausblenden gesellschaftlicher Realitäten zugunsten artefizieller Scheinwelten, von Spitzweg bis Mörike, von Stifter bis Pfitzner. Wir haben Böcklin, Frankreich hat Debussy - da nützt uns der Reger auch nix. Am Ende kriegt jede Nation die Musik, die sie verdient.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Warum kommt aus den Ländern/Musikkulturen, die bis ins 18. Jhd. auch die Instrumentalmusik stark beeinflussten wie Italien und Frankreich, danach erst einmal fast nur noch Oper?
    Also ich weiß nicht - ich empfinde den Dilettantismus bei Wagner ebeno wie - man verzeihe mir - bei Bruckner. Und das erinnert mich an die literarische Produktion in deutschen Landen mit ihren Velleitäten. Mein Argument gegen den Tenor dieses Threads lautet: Rossini, Donizetti, Bellini, Verdi, Chopin, Dvorák usw.

    Vier Opernkomponisten und einer wie Dvorak, der ziemlich klar zur deutsch-österreichischen Tradition gehört, sind wohl kaum ein Gegenbeispiel gegen die These der Dominanz dieser Tradition in der Instrumentalmusik des 19. Jhds. Es geht ja nicht um das persönliche Empfinden, sondern darum, welche Musik das internationale Repertoire dominiert.



    Zitat

    Französische Malerei vs.deutsche Musik suggeriert Pendants, die ich nicht erblicke.

    Meinem Verständnis nach ging es nicht um gleichzeitige Pendants, sondern um "Blüten" zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Ländern. Es wird doch auch niemand ernsthaft bestreiten, dass die Impulse der bildenden Kunst im 14. bis 16. Jahrhundert beinahe alle von Italien ausgingen, ebenso wie die Barockmusik 100 Jahre lang im wesentlichen italienisch dominiert war. (Der französische Stil blieb stärker auf Frankreich beschränkt und war überdies von dem aus Italien stammenden Lully geprägt worden.)

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  • Wenn gleich sorgfältig formuliert würde, gäbe es - wie auch im zum Vergleich herangezogenen Thread - keine Missverständnisse - Musik umfasst eben mehr und nicht nur klassische, westliche Musik.


    zweiterbass


    Ganz genau genommen war die Formulierung sorgfältig genug, da nur in der klassischen Musik "geschrieben" wird. Aber sei's drum....

  • Die deutsche Poesie, wie die deutsche Musik, krankt an einem Ausblenden gesellschaftlicher Realitäten zugunsten artefizieller Scheinwelten, von Spitzweg bis Mörike, von Stifter bis Pfitzner. Wir haben Böcklin, Frankreich hat Debussy - da nützt uns der Reger auch nix. Am Ende kriegt jede Nation die Musik, die sie verdient.


    Dieser Befund ist nicht völlig von der Hand zu weisen, aber weshalb hier gerade die französische Kunst einen Gegenentwurf darstellen soll, erschließt sich mir nicht ganz.

  • die These der Dominanz dieser Tradition in der Instrumentalmusik des 19. Jhds.


    davon war aber beim Threadstart noch nicht die Rede (ich meine die thematische Einengung). Und es bleibt z.B. immer noch Chopin als ein Faustpfand für meine Auffassung. Auch Heine ging ja aus u.a. politischen Gründen nach Frankreich ins Exil und schrieb europäische Kunst. Und Stifter strich aus der Urfassung des "Hagestolz" die Eisenbahnreise und verlegte alles in eine Kutsche. Das ist deutsch-österreichisch.


    @ Felix Meritis: die Pointe war so gemeint, daß wir Böcklins "Im Spiel der Wellen" z.B. haben, die Franzosen dafür Debussys "Jeux de vagues". Das ist für mich schon ein Unterschied.


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  • Der Threadtitel war bewusst als Frage formuliert. Du bist eben der Ansicht, es gäbe keine dominante Stellung er deutschen Musik, wobei ich betonen möchte, dass "Dominanz" ja nicht Ausschließlichkeit bedeutet sondern "Übergewicht". Und hier stehen nun einmal in der ersten Hälfte des 19.ten Jahrhundert dem Polen Chopin, dem Franzosen Berlioz und den Italienern Rossini und Bellini, die Deutschen Beethoven, Schubert, Wagner, Mendelssohn und Schumann gegenüber. Liszt zählen wir fairerweise irgendwo dazu. In der klassischen Periode, wiederum, gibt es wohl keinen Komponisten, der mit Mozart und Haydn auf einer Stufe stehen würde.


  • Wenn gleich sorgfältig formuliert würde, gäbe es - wie auch im zum Vergleich herangezogenen Thread - keine Missverständnisse - Musik umfasst eben mehr und nicht nur klassische, westliche Musik.


    zweiterbass


    Auch im anderen Thread wurde es von Anfang an so sorgfältig formuliert, durch ein Zitat aus einem fiktionalen Text grundiert und sofort kontextuiert!

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  • Wenn ich den Thread so verfolge, sind wir mittlerweile (wenn wir Bach ausklammern) bei der Einschränkung "Instrumentalmusik vom ausgehenden 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts)", was die in Rede stehende Aussage zwar stark begrenzt, gleichzeitig aber auch universell gültiger macht?! Man darf bei der Fragestellung natürlich auch nicht vergessen, wie die Majorität der klassikliebenden Weltbevölkerung zwischen amerikanischer Westküste und Japan (in Ostrichtung gedacht :) ) klassische Musik definiert, was sie darunter hauptsächlich versteht. Und so schwer das manchem von uns fallen mag, spielt da die Musik des Mittelalters, der Renaissance und sogar des Barock (wieder mit Ausnahme Bachs) und der Moderne eine eher untergeordnete Rolle: Klassik bedeutet für die meisten Klassikliebhaber ohne Sammlerwahn vor allem die Zeit zwischen der Ersten Wiener Schule und der Zweiten. Und dann wird unsere Aussage vielleicht wahrer, bleibt aber die Frage nach den Ursachen.

  • Wenn ich den Thread so verfolge, sind wir mittlerweile (wenn wir Bach ausklammern) bei der Einschränkung "Instrumentalmusik vom ausgehenden 18. bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts)", was die in Rede stehende Aussage zwar stark begrenzt, gleichzeitig aber auch universell gültiger macht?! Man darf bei der Fragestellung natürlich auch nicht vergessen, wie die Majorität der klassikliebenden Weltbevölkerung zwischen amerikanischer Westküste und Japan (in Ostrichtung gedacht :) ) klassische Musik definiert, was sie darunter hauptsächlich versteht. Und so schwer das manchem von uns fallen mag, spielt da die Musik des Mittelalters, der Renaissance und sogar des Barock (wieder mit Ausnahme Bachs) und der Moderne eine eher untergeordnete Rolle: Klassik bedeutet für die meisten Klassikliebhaber ohne Sammlerwahn vor allem die Zeit zwischen der Ersten Wiener Schule und der Zweiten. Und dann wird unsere Aussage vielleicht wahrer, bleibt aber die Frage nach den Ursachen.

    Da hast du natürlich recht. Die Epoche der klassischen Musik, in der die deutsche Musik am stärksten vertreten ist, deckt sich mit den Vorlieben der meisten Musikfreunde. Gäbe es also eine weltweite Umfrage, in welcher die 10 besten Komponisten zu bennennen wären, hätte die deutsche Musik sicher bereits 5 Fixstarter dabei: Bach, Mozart, Beethoven, Schubert und Wagner. Gute Chancen hätten weiters Brahms, Haydn, Bruckner und Mahler. Bei den nicht-deutschen Komponisten würde ich mich nicht trauen, einen Fixstarter zu benennen, gute Chancen hätten wohl Chopin, Verdi, Strawinsky und Tschaikowski. Insgesamt würden also 6-7 Plätze der ersten 10 von Deutschen besetzt sein. Das kann man, denke ich, schon als Dominanz bezeichnen, umso mehr als die ersten drei Plätze mit fast 100%-er Sicherheit an Bach, Mozart und Beethoven (in welcher Reihenfolge auch immer) gehen.

  • Meinem Verständnis nach ging es nicht um gleichzeitige Pendants, sondern um "Blüten" zu unterschiedlichen Zeiten in unterschiedlichen Ländern.


    So kanonisch, wie Kurzstückmeister die Rechnung aufmacht, ist es vielleicht erlaubt, angesichts der gesellschaftlichen Verankerung der französischen Malerei im 19. Jh. sowie ihrer engen Verflechtung mit der französichen Literatur, die Frage aufzuwerfen, ob eine dagegen behauptete Prävalenz oder "Blüte" der Musik in Deutschland auch unter den genannten Gesichtspunkten damit vergleichbar wäre.


    Denn die französische Malerei ist ja nicht zufällig besser, meisterhafter oder schöner zu jener Zeit; sondern ihre Bedeutung erhellt sich in einem gesellschaftlichen Prozeß der Transparenz oder Durchlässigkeit gesellschaftlicher, sozialer und historisch-politischer Themen.


    Ich frage also, Blüte hin oder her, nach den diesbezüglichen Perspektiven der deutschen Musik.


    Ich beginne, beliebig, bei der Literatur, nämlich der Rezension eines deutschen Schriftstellers zur Mitte des 19. Jh.:


    "Da er nun fast in jedem seiner Werke etwas Bestehendes angreift, und bei manchem das Recht [...] sichtlich auf seiner Seite ist, so muß sich seines Lesers, wenn er kein eigen Urteil hat oder doch kein so selbständiges, daß es solchem Sturme auf den ganzen Menschen widerstehen kann, notwendig das Gefühl bemächtigen, alles Bestehende sei nicht allein untauglich, sondern auch durch und durch unsittlich und unduldbar."


    Die Rede ist von Dickens (Harte Zeiten); allein mich interessiert daran die Symptomatik mehr, die Formulierung vom "Sturme auf den ganzen Menschen" und die eingebaute Zensur. Ich hatte mir das Zitat angestrichen in Hinblick auf Beethovens Fidelio (thread "Eine vernünftige Inszenierung entsteht") und die damit verbundenen Zensurkabalen.


    Wenn Beethoven und Schiller eines gemeinsam haben, dann die Intention eines solchen "Sturmes auf den ganzen Menschen". Aber bereits die gestrichene Bonaparte-Widmung der Eroica klinkt die Zielrichtung dieses "Sturmes" aus der konkreten Geschichte aus. "Vor dem Sturm", ein symptomatischer Romantitel Fontanes, veranschaulicht den Perspektivwechsel der Generation nach Beethoven.


    Was für diese Generation bezeichnend ist, läßt sich mit dem Stichwort "Idealität" umreißen. Musik ist der reinste Ausdruck der menschlichen Bestrebungen, ihr An-Sich ausdrückend, und dieses ist ebenso überhistorisch wie der urgründige Wille. Der höchste ethische Plafond ist erreicht mit der Selbstüberwindung des Willens, der das Eitle seines Wollens begreift und seiner selbst entsagt.


    Daraus läßt sich nicht bloß die Proto-Psychologie Wotans, Brünnhildens oder Parsifals ableiten. Auch die Zwangsbeglückungen Stifterscher Helden und die Einsicht in ein geschichtlich wirksames "Sanftes Gesetz" weisen in diese Richtung. Nimmt es da Wunder, wenn Brahms etwa in der dritten und vierten Sinfonie einer final triumphierenden Durchbruchs-Dramaturgie eklatant ausweicht, dafür aber in der Nänie, im Schicksalslied wie im Deutschen Requiem einen biblischen oder antikischen Trost der Überzeitlichkeit spendet? Wenn auch Bruckner am wenigsten überzugt, wo es ein tosendes Finale zu schürzen gilt, während seine Musik immer wieder in die breiten fließenden Zeitmaße ausweicht, als müsse der geschlossene Raum seiner Musik von innen her künstlich ausgedehnt werden?


    Die Idealität als Innerlichkeit, als interner Austragungsort sittlichen Ringens ist das Thema der deutschen Musik im 19. Jh. Luwig II. von Bayern konnte sich seine kostspieligen Projekte bloß mit Bismarcks geheimen finanziellen Zuwendungen leisten - um den Preis der geschichtlichen Bedeutungslosigkeit willen. Neuschwanstein ist das dekorative Anhängsel erträumter geschichtlicher Größe an die Reichsgründung 1871. Und ebenso märchenhaft aus der Ferne wie monströs aus der Nähe und im Innern ist auch Wagners Musik dem Preußischen Kaiserreich angehängt.


    Mit dem Zerfall dieses Konzepts von Innerlichkeit verliert auch die deutsche Musik an Bedeutung - insofern ist Mahler ein Schlußpunkt.


    :hello:

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  • Denn die französische Malerei ist ja nicht zufällig besser, meisterhafter oder schöner zu jener Zeit; sondern ihre Bedeutung erhellt sich in einem gesellschaftlichen Prozeß der Transparenz oder Durchlässigkeit gesellschaftlicher, sozialer und historisch-politischer Themen.

    Kannst du uns auch ein paar Besipiele nennen? Ich bin nämlich nicht ganz darüber im Klaren, weshalb die französische Malerei - die hier übrigens nicht Thema ist! - im 19.ten Jahrhunder soziale oder historisch-politische Sujets aufgreifen soll. Ich dachte immer "L'Art pour l'Art" wäre französisch.....


    Inwiefern das von Relevanz mit Hinblick auf die französische Musik sein soll, ist mir auch nicht ganz klar? Der "Ring" scheint mir wesentlich politischer zu sein, als alles was um diese Zeit von Franzosen komponiert wurde. Instrumentalmusik eignet sich hier ohnehin schlecht als Diskussionsgegenstand, die politische bzw. weltzugewandte symphonische Dichtung findet sich allerdings auch eher in der deutschen Musik als in der französischen.

  • Auch wenn es das Thema nur peripher streift: Wieso ist die französische Malerei besser, meisterhafter und schöner im 19. Jahrhundert? Kann man das objektiv begründen?


    Natürlich waren Jacques-Louis David, Jean-Auguste-Dominique Ingres oder Henri Fantin-Latour Meistermaler, aber waren Caspar David Friedrich, Franz Xaver Winterhalter oder Jakub Schikaneder (um auch einen Böhmen zu nennen) "unterlegen"?

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