Deutsche Romantik

  • Sagitt meint:


    Fritz Wunderlich regt mich an, ein sicher nicht ganz einfaches Thema anzuschneiden. Deutsche Romatik. Nicht so sehr in einem kunstvollen Sinn, sondern eher in einem tief emotionalen. Das daran Schwierige ist, dass dieses Gefühl in der Nazi-Zeit missbraucht wurde und auch heute noch weitgehend vom rechten Spektrum einvernommen ist.
    Kann man, ohne nationalistisch zu sein, bei Ännchen von Tharau( hinreissend gesungen von Wunderlich) oder Vater, Schwester,Mutter ,Brüder aus Undine, gesungen von Peter Anders Gänsehaut haben dürfen und sich, ohne " Deutschland über alles."..einfach in einer nationalen Tradition fühlen ? Die Eigenschaft ist, dass musikalisch diese Stücke eher schlicht sind, aber tiefe Gefühle einer nationalen Identität auslösen können.
    Ich denke, dass sind sehr deutsche Aspekte, die Franzosen oder Engländer oder Italiener vielleicht schulterzuckend quittieren, während sich durchaus für einen Bach oder Beethoven schwärmen könnten( so wie der Begriff " Gemüt" keine genaue Entsprechung in anderen Sprachen hat)
    Ich bin auf Meinungsäußerungen zu diesem Thema sehr gespannt...

  • Salut,


    Romantik hat es selbstverständlich in allen Epochen bereits gegeben. Ich würde so sagen, dass der Ausdruck einer von Herzen kommenden landes- oder gegendtypischen Tradition die "Romatik" darstellt, unabhöngig davon, dass sich die heute so definierte Epoche dies zu eigen machte und "ausnutzte" - was ja seine Reize hat. Oft besteht eine enge Verwandschaft zum "Kitsch", was sicherlich auch pragmatisch gesehen richtig ist: Beides hat wohl den selben Ursprung - das Herz, die Seele, ein Empfinden - alles unterliegt einer gewissen Schwankung, mal eher Richtung kitschig, mal romantisch.


    Nationale Traditionen werden sehr selten von Ausländern [Nichtkennern] ausgelacht und/oder nicht verstanden [egal, von welchem Land aus betrachtet], was ganz normal ist. Wer nicht die Intensivität einer solchen Tradition von Beginn an spürt oder erlebt, wird sie in aller Regel verachten. Andersherum werden auch gewisse ausländische Traditionen [zu] weit in den Himmel gehoben, ohne dass man sie wirklich versteht. Man macht einen Usus daraus.


    Soweit vorerst.


    Addio
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Ulli,


    ja, Kitsch ist dann das Todesurteil. Wer gibt schon zu, Kitsch zu mögen ? Und: Produzenten wissen um die Gefühle und nutzen sie aus- durch Kitsch. Obwohl, zu definieren, was dies sei, ist schwer, wenn es nicht eindeutig ist. Volksmusikabende Samstags im Fernsehen, da würden wir uns leicht verständigen können, aber, mein eigenes Beispiel: Wunderlich hat ja viel Volkstümliches gemacht. Ist sein " Ännchen von Tharau" nun Kitsch ?
    Die Definition ist sicher subjektiv.Ich schätze das Lied und die Interpretation sehr und würde mich, dieses als Kitsch definierend, selbst die Bedeutung kaputtmachern.
    Gebe aber zu, es ist ein weites Feld.........


    Schöne Grüsse aus Bremen



    Sagitt

  • Zitat

    Original von sagitt
    Kann man, ohne nationalistisch zu sein, bei Ännchen von Tharau( hinreissend gesungen von Wunderlich) oder Vater, Schwester,Mutter ,Brüder aus Undine, gesungen von Peter Anders Gänsehaut haben dürfen und sich, ohne " Deutschland über alles."..einfach in einer nationalen Tradition fühlen ? Die Eigenschaft ist, dass musikalisch diese Stücke eher schlicht sind, aber tiefe Gefühle einer nationalen Identität auslösen können.


    Natürlich kann und darf man das.


    In vielen anderen Ländern wie Frankreich, Italien, den USA ist es selbstverständlich, dass die Menschen patriotische Gefühle für ihr Land und seine kulturellen Eigenheiten und Errungenschaften haben und auch äußern. Hier ist Deutschland wird man sofort stigmatisiert und in eine rechte Ecke gestellt, wenn man sich in jedweder Form positiv über sein Heimatland äußert. Die Gräueltaten der Nazi-Herrschaft waren entsetzlich, aber dieses verkrampfte und endlose Büßerdasein sollte irgendwann ein Ende haben – dafür muss dieses kollektive Trauma endlich auch verarbeitet werden. Verarbeitung bedeutet nicht, die Schamgefühle von Generation zu Generation weiterzugeben, sondern sich offen mit der Schuld auseinanderzusetzen, ganz banal ausgedrückt: Aus den Fehlern zu lernen und sich aktiv daran zu beteiligen, dass derlei nie wieder geschehen kann. Vielleicht können die Menschen dann auch irgendwann wieder stolz auf ihr Heimatland sein. Stolz und Ehre liegen dicht beieinander, und Ehre impliziert immer Ehrlichkeit, also kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und Gegenwart. Andere Nationen sind stolz auf ihr Land und seine Kultur – die Kunst ist, diesen Stolz auszuleben, ohne dabei voller Geringschätzung oder gar Verachtung auf andere Nationen herabzublicken. Davon ist m.E. Deutschland noch sehr weit entfernt.


    Der Begriff „Romantik“ ist für mich sehr positiv besetzt: Es geht ja nicht vorrangig um eine bestimmte Technik, die die bekannten klassischen Regeln ab- und auflöste, sondern vor allem um den Einzug der Gefühle in die Kunst. Der Künstler war nicht länger Handwerker, sondern brachte seine Individualität mit all seinen Schattierungen, Emotionen, Phantasien, Wünschen usw. zum Ausdruck. Die Natur rückte ins Zentrum der Aufmerksamkeit, mit schwärmerisch vertonten Sonnenaufgängen usw. usf.


    All diese romantischen Maler, Schriftsteller und Komponisten haben uns mit ihren Werken einen Blick in ihr Innerstes gewährt, ein Stück von sich selbst preisgegeben, auch ihre vaterländisch-verklärte Liebe zum Ausdruck gebracht – und wenn uns der Herr Wunderlich mit seinem Ännchen anrührt, dann dürfen wir auch eine Gänsehaut bekommen, ohne ein schlechtes Gewissen zu haben.


    Gruß, Cosima

  • Salut,


    die Frage, die sich mir stellt ist, ob Kitsch wirklich so „kitschig“ ist, wie es heute allgemein aufgefasst wird, oder ob es nicht doch näher an der Romantik liegt, als man möchte. Letztlich ist Kitsch etwas Schönes, sonst hätte er wohl kaum einen so großen Erfolg. Die Abwertung betrifft den m. E. genauso die Romantik an sich, als „Verweichung“ – als Contraire zum „Macho“ oder so... wobei selbst das Machogehabe in gewisser Dosis bereits wieder in den Bereich der Romantik gehört.


    Wenn „große Männer kleine Lieder“ singen, so hat das dann letztlich doch etwas mit „Herablassen“ zu tun – so könnte man es zumindest sehen. Andererseits sehe ich keinen Grund, warum nicht aus Tradition auch große SängerInnen Volkslieder [nicht Volksmusik] singen sollten. Schließlich gehört dies zum Konzept eines gewissen Verdi...


    Der Unterschied liegt ja nun darin, dass eine Verdi-Oper, die sagen wir mal zu 50% aus volkstümlichem Melodiewerk besteht [reine Fiktion] als „Meisterwerk“ gilt, eine Zauberflöte mit ähnlichem Anteil an volkstümlichem Melodiegut jedoch eher als „Kinderoper“ eingestuft wird. Die Bezeichnung der Zauberflöte als „Meisterwerk“ scheint hier nur Tarnung zu sein. Letztlich ist sie es natürlich dennoch.


    „Die Deutschen“ scheinen ja seit mehreren tausend Jahren irgendwelche Komplexe diesbezüglich zu haben: Während die Italiener mit Amore, die Franzosen mit Charme, beide mit herausragender Eloquenz aufwarten, haben „die Deutschen“ Ritterlichkeit und sonstige merkwürdige Tugenden zu bieten. Schon irgendwie platt... mir persönlich kommt das irgendwie „gestellt“ vor, wobei ich das nicht abwerten möchte: Es ist eben Tradition.


    Während insbesondere die italienischen Opern sich noch heute einer sehr großen Beliebtheit erfreuen, so sind die „typische Deutschen Opern“ [ich meine inhaltlich und sprachlich] wie beispielsweise Schubert’s Fierrabras, eine große heroisch-romantische Oper, einfach untergegangen, obwohl sie thematisch und musikalisch den Wagnerischen in nichts nachsteht [es ist halt eine andere Epoche, in der sie entstanden ist]. Scheint wohl schon so zu sein, dass hier in gewisser Weise etwas nachgeholfen wurde, was Wagner betrifft.


    Addio
    Ulli

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    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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  • Zitat

    Original von Ulli
    „Die Deutschen“ scheinen ja seit mehreren tausend Jahren irgendwelche Komplexe diesbezüglich zu haben: Während die Italiener mit Amore, die Franzosen mit Charme, beide mit herausragender Eloquenz aufwarten, haben „die Deutschen“ Ritterlichkeit und sonstige merkwürdige Tugenden zu bieten. Schon irgendwie platt... mir persönlich kommt das irgendwie „gestellt“ vor, wobei ich das nicht abwerten möchte: Es ist eben Tradition.


    Ein kurzes Wort hierzu – kurz, weil derlei Diskussionen ja eigentlich nicht in dieses Forum gehören.


    M.E. sollten die Deutschen endlich aufhören, ständig zurück zu schauen. Alte Traditionen bringen keinem etwas, so lange sie nicht mit Leben gefüllt werden können.


    Aber objektiv und von außen betrachtet ist die italienische „Amore-Tradition“ genauso „platt“ wie ein deutsches Festhalten an Ritterlichkeit. Beides, Liebe und Ritterlichkeit, sind sehr wohl hehre Tugenden und Ziele – die Frage ist immer, wie und ob sie umgesetzt werden.


    Gruß, Cosima

  • Salut,


    das ist ja genau die Frage: Während sich Amore- und Charme-Tradition bis heute fast unverändert gehalten haben... Wo bitte ist die Ritterlichkeit geblieben?


    Zudem ist es auch eine Frage, was eigentlich "Romantik" sein soll? Aus dem Blickwinkel des werten Herrn Schubert betrachtet, dürfte mithin Cosí fan tutte eine romantische Oper sein. Neu hinzugekommen ist in der Epoche der Romantik m.E. die Heroik [Beethoven: Eroica, Schubert: heroisch-romantische Oper...].


    Und was versteht Sagitt unter "Deutsch"? Ich nehme an, den Sprachraum?


    bien cordialement
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Liebe Forianer,


    über den Begriff "Romantik" sind etliche Fässer Tinte vergossen worden. Zunächst einmal ist die Romantik keine deutsche Sonderentwicklung, sondern ein europäisches Phänomen, das gilt für Musik wie Literatur. Verständlich werden viele Züge der Romantik erst, wenn man sich klarmacht, dass sie als Gegenbewegung zur Aufklärung entstanden ist. Ging diese davon aus, dass mit Hilfe der Vernunft alle Fragen der menschlichen Existenz zu erklären seien, beschäftigten sich die Romantiker gezielt mit den "Nachtseiten" der menschlichen Natur. Es kommt ja nicht von ungefähr, dass die Romantik eine auffallende Vorliebe für Schauer- und Spukgeschichten zeigt, vorzugsweise in der Literatur aber auch die Musik spiegelt dieses Phänomen wieder.


    Grüße,


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Sagitt meint:


    Nein, nicht den Sprachraum- eher den " Gemütsraum". Das deutsche Gemüt findet sich in Liedern wie Ännchen von Tharau, O Täler weit,o Höhen, am Brunnen vor dem Tore usw. Romain Rolland- ich bekomme den Zusammenhang nicht mehr zusammen, vielleicht ein anderer- hat dies, in Kontrast zum Franzosen thematisiert. Ein Stück weit spiegelt es auch Truffaut in Jules et Jim. Der deutsche-Oskar Werner, ein Österreicher,ich weiss, ein wenig oder auch mehr schwermütig,tiefsinnig. Ein leise Trauer schwingt in diesem Gemüt auch immer mit. Es hat nichts Leichtes, eher etwas "Tiefes".Diesen Trauerton als Hintergrundfarbe hatte zB Peter Anders unglaublich gut " drauf"- zB in Vater,Mutter,Schwestern,Brüder aus Undine.