Salut,
ein Thread über Haydn’s Opernschaffen.
[…] er hätte, anstatt der vielen Quartetten, Sonaten und Symphonien, mehr Musik für den Gesang schreiben sollen, denn er hätte einer der ersten Opernschreiber werden können […]
So Haydns erster Biograph G. A. Giesinger in seinen Notizen.
Den Anfang macht:
FRANZ JOSEPH HAYDN [1732-1809]
L’anima del filosofo ossia:
ORFEO ED EURIDICE
Dramma Per Musica
Libretto: Carlo Francesco Badini
ATTORI
Creonte, re di Tebe, padre d’Euridice
Euridice, figlia di Creonte e promessa sposa d’Arideo
Orfeo, tracio cantore
Genio, messaggero di Sibilla
Pluto, dio dell’orco
Coriste, Cori degli mastri, amorini, vergini, uomini,
ombre infelici, furie e baccanti
Die Oper L’anima del filosofo assia: Orfeo ed Euridice ist ein Auftragswerk und im Jahre 1791 in London entstanden. Haydn schreibt am 8. Januar 1791 an den Fürsten Esterházy:
[…]das neue opern büchl so ich zu Componiren habe, betitult sich Orfeo in 5 Acten, welches ist aber erst dieser tagen erhalten werde, dasselbe soll von einer ganz andern arth seyn, als jenes v. Gluck. […]
Die Oper sollte planmäßig in fünf Akten bestehen, wie man diesen Zeilen entnehmen kann. Überliefert sind jedoch lediglich vier Akte, wobei die letzte – wieder in der Oberwelt spielende Szene – als fünfter Akt angesehen werden könnte. Die Handlung ist in sich geschlossen, so dass man nicht zwingend von einer unvollendeten Oper sprechen kann. Obwohl die Proben bereits stattgefunden hatten, sollte Haydns letztes großes Bühnenwerk nicht zur Aufführung gelangen: König Georg III. erteilte dem Theatermann Sir John Gallini nicht die erhoffte Lizenz zur Eröffnung „seines“ Theaters, welche für den 31. Mai 1791 geplant und für die Haydns Oper gedacht war. Gemeint war die Wiedereröffnung des King’s Theater am Haymarket. Daher blieb das Textbuch Badinis [leider] ungedruckt und Haydn ließ einige Passagen der Instrumentierung unausgearbeitet liegen. Diese kleineren Unebenheiten konnten glücklicher Weise „rekonstruiert“ und ergänzt werden, so dass eine [szenische] Aufführung heute keine größeren Probleme bereitet.
Die erste szenische Aufführung erlebte die Oper 1951 beim Maggio Musicale Fiorentino. Bedauerlicher Weise auch nicht zum wirklichen Durchbruch verhalfen Haydns Orfeo die Aufführungen von 1967 am Theater an der Wien mit Joan Sutherland und Nicolai Gedda sowie von 1995 mit Cecili Bartoli, welcher die Rolle der Euridice stimmlich und vom Tonumfang her auf die Gurgel geschnitten scheint…
Dabei handelt es sich um phantastische Musik: haydnscher Witz und Charme gekonnt vermengt mit furiosen Chören, feurigen Arien und liebevollen Duetten. Bereits die Ouvertüre trägt unverkennbar Haydns Handschrift:
Eine langsame Einleitung [Largo, c-moll], majestätisch, kurz und knackig, lässt bereits weit schweifend erahnen, was den Opernfreund erwartet. Haydn bedient sich nach 7 Takten Einleitung im folgenden Presto einem damals beliebten und bekannten Motiv:
[W. A. Mozart: Soloeinsatz im Agnus Dei der Krönungsmesse KV 317]
Das Motiv selbst ist an dieser Stelle bereits ein Zitat aus dem Kyrie desselben Werkes. Mozart verwendet es selbst später noch einmal in Le Nozze di Figaro, wo er La Contessa Dove sono i bei momenti singen lässt. Haydn scheut sich nicht, bei der Mozartischen Tonart C-Dur zu bleiben und lässt erklingen:
Haydn arbeitet 1791 [bereits] mit Leitmotivik in geringem Umfang. Das Thema nimmt bereits den Dur-Teil der f-moll-Arie des Orfeo aus dem 2. Akt vorweg. Orfeo singt hier das Thema mit dem Text Ho perduto il caro bene […], diesmal zunächst in As-Dur, später wieder in C-Dur:
Auch im vierten Akt ertönt das Motiv, diesmal in A-Dur und geschickt in einen ¾-Takt verpackt im Coro di Baccanti [Vieni, vieni, amato Orfeo].
Nachdem die Ouvertüre mit Pauken und Trompeten ein glänzendes Ende gefunden hat, beginnt der erste Aufzug: Euridice befindet sich auf der Flucht vor den Heiratsbestimmungen ihres Vaters in einem Wald und beklagt ihr Leid. Vom Regen in die Traufe: Ein furioser Chor der Waldgeister in c-moll warnt sie vor den Ungeheuern dieses Waldes und fordert sie zur Flucht auf „Fuggi, Fuggi!“. Euridice ignoriert diese Warnungen und wird von den Wilden des Waldes gefangen genommen: Sie soll geopfert werden. In einer spannungsreichen ersten Arie kommt im zweiten – schnellen - Teil gleich die offenbar notwendige „geläufige Gurgel“ der Euridice zur Geltung: Koloraturüberladen singt sie e per me sol cresce, oh dio! Del destin la crudeltá!. Nun tritt Orfeo ins Geschehen ein und kann die Wilden durch seinen Gesang besänftigen und somit Euridice vor dem sicheren Tod bewahren.
Das Leitmotiv dieses Gesanges ist an die Registerarie aus Mozarts Don Giovanni angelehnt:
und wiederholt sich sogleich, wenn Orfeos Sieg vom Chor besungen wird:
O poter dell’armonia!
La favella degli die
ed il nettare tu sei
dell’afflitta umanitá.
Zu Deutsch:
O Macht der Harmonie!
Du bist für die geplagte Menschheit
die Sprache der Götter
und der Nektar zugleich!
Leider ist dieser Chor [Tenori und Bassi] extrem kurz, nicht einmal eine Minute lang. Eine sehnlichst erwünschte Wiederholung desselben à la La Clemenza di Tito muss Wunsch bleiben – außer man überlistet die Technik.
Orfeos huldvolle Lebensrettung Euridices ist überzeugend genug für Creonte, einer Heirat von Euridice mit Orfeo zuzustimmen. So endet der erste Akt in einem innigen Duett der beiden mit bedeutsamen Worten wie mio tesoro oder io t’adoro, gleichzeitig wird den Göttern für das neue Schicksal gedankt.
Der zweite Akt beschreibt die Hochzeitsfeierlichkeiten des Paares und wird jäh durch störende Gefolgsleute des Exverlobten Arrideo getrübt. Während Orfeo der Ursache des hintergrundigen Tumultes auf die Schliche kommen will – er lässt seine Braut fataler Weise allein zurück – wird diese von den bösen Gefolgsleuten gefangen genommen und entführt. Während eines weiteren Versuchs, zu entkommen, tritt Euridice auf eine Giftschlange, welche sich in ihrem Mittagsschlaf gestört fühle, Euridice beißt und diese an den Folgen des Giftes sterben lässt. Der ahnungslose und unverrichteter Dinge wiederkehrende Orfeo ist durch den Anblick der toten Braut wie vom Schlag getroffen… natürlich bedauert er in einer Arie sein Schicksal ergreifend.
Der dritte Akt befasst sich mit der Beerdigung Euridices. Während Creonte Trost spendet, empfiehlt er den Besuch bei der weisen Sibylle. Der Genius jener rät zu Mut und Gelassenheit. Er verspricht Orfeo, unter Verwendung dieser Eigenschaften Euridice zurückgewinnen zu können.
Im vierten Akt ist Orfeo [endlich] in der Unterwelt angekommen, wobei er sich der Hilfe des Genius bediente. Der übliche Zinnober… die Geister verheißen Orfeo den Rückerhalt seiner Braut, sofern er sich bei der Rückkehr zur Oberwelt nicht nach Euridice umschaue, … was natürlich nicht klappt, wie könnte es anders sein. Damit ist Euridice endgültig verstorben. Die Oper endet, indem Orfeo – an die Oberwelt zurückgekehrt – den „Trank des Vergessens“ zu sich nimmt. Bedauerlichweise enthält dieser tödliches Gift… Ein tosender Sturm mit furiosem und dissonantem Chor in d-moll… finito!
Das alles – schön kompakt – und musikalisch fein umgesetzt hier drauf:
Euridice • Cecilia Bartoli
Orfeo • Uwe Heilmann
Genio • Cecilia Bartoli
Creonte • Ildebrando d’Arcangelo
Pluto • Andrea Silvestrelli
Corista I • Roberto Scaltriti
Corista II • Jose Fardilha
Corista III • Colin Campbell
Corista IV • James Oxley
una baccante • Angela Kazimierczuk
THE ACADEMY OF ANCIENT MUSIC [Orchestra e Coro]
CHRISTOPHER HOGWOOD
Wenn ich nicht irre, gab es von dieser Aufführung eine TV-Übertragung, ggfs. eine DVD.
bien cordialement
Ulli