Sind die Ensembles unserer Opernhäuser noch das, was sie einst waren?

  • Nachdem ich immer wieder auf die Behauptung treffe, ein bestimmter Dirigent sei schuld am Ausrinnen des Ensembletheaters gewesen, verweise ich vehement auf die Wiener Situation, die unter der Direktion des oben nicht namentlich erwähnten Dirigenten keineswegs unter anderem durch die Einführung der Originalsprache Schaden genommen hat. Man mußte halt Italienisch, Französisch usw. mühsam erlernen, was auch zur Folge hatte, dass man an internationalen Häusern nicht nur Gedda oder Alfredo Kraus, sondern auch Anton Dermota, Erich Kunz, Christa Ludwig usw. erleben konnte. Da alles im Leben ein Geben und Nehmen hat, profitierten wir hier in Wien ebenso von der internationalen Sängerelite wie die großen Häuser der Welt auch von unseren Künstlern.


    Das in der Zwischen- und Nachkriegszeit so hochgerühmte Wiener Mozart-Ensemble, das auch auf gleichem Niveau Wagner und Tschaikowskij singen konnte, war natürlich ein ganz besonderer Glücksfall. Denken wir nur an Güden, della Casa, Kunz, Dermota, Schöffler, London usw. Da auch sie sich später dann der Internationalisierung nicht verweigerten, stand auch ihnen die große Opernwelt offen.


    Das Ensemble aber wurde in den Sechzigern dieses dirigierenden und inszenierenden Opernchefs nicht nur im Großen und Ganzen zusammengehalten, sondern vielmehr durch eine Vielzahl von vorher relativ unbekannten jungen Sängern bereichert - ich nenne nur Popp, Berry, Gruberova, Holecek, Rysanek, Kmentt, Sciutti, Wächter (damals noch mit ä) usw.


    Man darf auch nicht vergessen, dass Häuser wie die Met in Sachen Originalsprache eine Vorreiterfunktion innehatten. Dass sich die Häuser in Deutschland erst relativ spät zur Originalsprache durchrangen, hat ihnen in Sachen Ensemblepflege auch nicht viel geholfen, denn die Dieskaus, Preys usw. sprangen mit Freuden auf diesen Zug auf, um ihre internationale Reputation (und damit auch ihre Gagen) dementsprechend anreichern zu können. Und wer mag es ihnen verargen?

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Lieber Fritz,


    aus 2 Gründen glaube ich nicht daran, daß die Ensembles nicht mehr das sind, was sie einst waren.


    1. An den großen Häusern ist es nicht mehr möglich, mit ausschließlich eigenen Kräften die Qualität zu erzeugen, welche das Publikum hören will. Und andererseits sind die ganz großen Namen nicht bereit, sich fest an ein Haus zu binden. Begünstigt wird das natürlich durch den Fluverkehr. Die Wiener wollen ganz bestimmt Jonas Kaufmann oder Beczala oder Rene Fleming hören, aber das wollen die Leute in New York, in Paris, London, Mailand usw. auch. Deshalb wird es in der heutigen Zeit immer mehr Sänger ohne Festengagement geben. Wien hat sicher sein Stammpersonal, aber die ganz großen Stars kommen auf einzelne Aufführungen zu Euch und sind morgen in Mailand oder London. Der von mir so verehrte Rosvaenge pendelte immer per Bahn zwischen Wien und Berlin, in Amerika war er nur 1x, und die lange Schiffsreise hat ihm gestunken.


    2. In den kleinen Häusern ist das Geld kanpp. Man ist froh, wenn man einen Sänger/Sängerin aus jeder Stimmlage fest gebunden hat, und das sind dann die, die auf dem Sprung zur Freiberuflichkeit sind, es schaffen oder auch nicht. Für viele Rollen müssen dann 1 oder 2 Gäste verpflichtet werden. Ein Ensemble wie vor 40, 50 Jahren ist an kleinen und mittleren Häusern nicht denkbar, das ist nicht finanzierbar. Vor 50 Jahren hatte Gera für die Oper 2-3 Soprane, 2 Alt/Mezzos, 2-3 Tenöre. 3 Baritone und 2 Bässe - nur für die Oper! Für die Operette hatte man extra Kräfte, andere Tenöre und Soprane, Buffos, Soubretten und 40 Chorsänger. Jetzt haben wir für Oper und Operette zusammen ca. 8 Solisten, 21 Mann Chor, und das wars schon.


    Die goldenen Zeiten des Ensembletheaters, wo man auch ins Theater gegangen ist, weil unsere Lieblinge gesungen haben, die sind vorbei. Für immer. Ich glaube nicht, daß sie wiederkommen. Aber die Qualität hat meines Erachtens nicht darunter gelitten, wenigstens nicht in Wien und an den großen Häusern. In Gera ist sie nicht besser geworden.


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Lieber Uli,


    Dein Punkt eins bestätigt doch nur das, was ich in gewundener Sprache versuchte zu sagen!


    Übrigens werde ich heute in die "Carmen" gehen, um unseren Sebastian Holecek in einer seiner Glanzrollen wiederum erleben zu dürfen.


    Liebe Grüße ins schöne Thüringer Land!

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Ich würde nicht sagen, daß die Zeiten des Ensembletheaters "endgültig vorbei" sind. Man muss eben wissen was man will.
    Wenn ein Operndirektor meint, er müsse "international" agieren - dann ist das natürlich sein gutes Recht. Es könnte aber sein, daß man irgendwann erkennt, daß "Ensembletheater einfach kostengünstiger und überschaubarer ist (für einzelne "Events" kann man immer noch "zukaufen") Die Frage ist, wie ich hochkarätige Sänger dauerhaft ans Haus binde. Man wird mir dagegen halten, dies sei unmöglich. Ich meine, dies sei mittels von langfristigen Exklusivverträgen sehr wohl möglich. Diese werden wohl aber hauptsächlich von Nachwuchskräften unterschrieben, die über solch ein Angebot noch froh sind. Derjenige, der auf Seite der Opernhäuser solche Verträge abschließt sollte sich halt mit Stimmen auskennen und ein bisschen in die Zukunft schauen können. Es gibt aber noch einen weiteren Pool an Sängern denen ein Fixvertrag an ein Haus zupass käme:Das wären jene mit Flugangst und Reiseunlust, sowie solche denen ein geregeltes Familienleben wichtiger ist als eine "Weltkarriere" - Das ist eine Einstellungssache - hat mit der Qualität der Stimme nichts zu tun.
    Die Zukunft wird es zeigen......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zum GLück haben wir an der Rheinoper noch ein großes Ensemble. Und es gibt nicht schöneres als mitzuerleben wie die Sänger sich entwickeln. Und bei mir ist das so das ich tatsächlich nur nach der Besetung in die Oper gehe und mich freue wenn einer meiner Lieblingssänger singt, auch wenn es die 1000 Tosca Aufführung ist. Was mich als Ensemblsänger nur nerven würde, das ich in jeder Spielzeit immer die gleichen Rollen singen muss. Ich habe mal die Besetzungszettel verglichen und festgestellt das sich in vielen Aufführung die Besetzung gar nicht verändert hat, bis natürlich auf die Nebenpartien. Auf der anderen Seite kann man natürlich sagen, das man so ein eingespieltes Team hat. Wobei es aber auch spannend sein kann, neue Sänger die nicht im Hause singe zu erleben.

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  • Wie rodolfo39 bereits erwähnte, sind wir hier in Düsseldorf / Duisburg in der glücklichen Lage, immer noch ein funktionierendes Ensemble zu haben.
    Die Rheinoper hat rund 600 Mitarbeiter aus 32 Nationen in 50 verschiedenen Berufen.
    Wir haben im Ensemble 55 Solistinnen und Solisten
    65 Sängerinnen und Sänger im Opernchor
    48 Tänzer und Tänzerinnen im Ballett


    2 große Orchester mit über 240 Musikerinnen und Musikern


    Mindestens 280 Vorstellungen pro Spielzeit auf den großen Bühnen und über 50 Vorstellungen in den Foyers werden jährlich von etwa 300.000 Gästen besucht.
    Daneben haben wir noch ein Opernstudio für die Nachwuchsarbeit.


    Leider kommt die neue Intendanz nicht ohne Gäste aus – in der neuen Spielzeit werden uns neben einem Dutzend Gastdirigenten rund 70 mehr oder weniger prominente Gastsänger/Innen die Ehre geben – obwohl, wie in der Vergangenheit bewiesen, die Rheinoper auch ohne fremde Hilfe alle denkbaren Opernaufgaben lösen kann.


    Andererseits gastieren unsere eigenen Sänger in der ganzen Welt – helfen aus, wenn irgendwo jemand ausfällt – wie vor ein paar Jahren, als an der Wiener STOP eine Grippewelle die Meistersinger-Premiere infrage stellte – ein Anruf von Herrn Holender in Düsseldorf, und eine Reihe erfahrener Wagnersänger machte sich sofort auf den Weg nach Wien, um die Aufführung zu retten….
    (manch einen hat man direkt behalten)


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Also scheint es gottseidank doch nicht so düster auszusehen in Sachen Opernensembles. Die Zeiten haben sich halt gewandelt, und heute ist eben alles globalisiert.


    Als großer Fußballnarr möchte ich in Erinnerung rufen, dass vor 40, 50 Jahren die Vereine einen "Stamm" von Spielern hatten, die sich als Bestandteil ihres Vereins sahen und für die ein Wechsel, gar zu einem Konkurrenten, undenkbar war. Wie aber sieht es heute aus? Da spielt einer 2, 3 Saisonen beim Club X, dann zieht er weiter (dank der Spieleragenten-Mafia) zum Club Y und so weiter. Ich behaupte, dass diese Fluktuationsbewegungen Ausdruck der heutigen modernen, schnellebigen globalisierten Welt sind und allerorten anzutreffen sind. Dass diese Entwicklung uns ältere Semester irritieren muß, sollte doch allzu verständlich sein. Die Welt wurde zu einem Dorf mit allen guten und verstörenden Tendenzen.


    Man hüte sich aber vor Verschwörungstheorien. Wohin diese führen können, hat die Historie der letzten 70 Jahre hinlänglich gezeigt!

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)