Wann artet Operngesang in Gebrüll aus?

  • Ich habe live ... vor allem Nilsson gehört - und es war grauenhaft. Das war auch mir zuviel Gebrüll.


    Diesem und ähnlichen Zitaten begegnet man gelegentlich hier im Forum, so dass sich mir die berechtigte Frage aufwirft, wann denn Gesang zum Gebrüll ausartet.


    An lukrativen Beispielen mangelt es ja nicht, sind doch auch Ghiaurov, del Monaco oder Hotter dafür beredte Beispiele.


    Nun gibt (gab) es Sänger, deren stimmliche Expansion bis hin ins schmetternde Fortissimo reichte, denen dieser abwertende Stempel aufgedrückt wurde. Zu Unrecht, wie ich meine. Denn Gebrüll ist gleichzusetzen mit Forcieren oder gar Stemmen. Wenn jedoch eine Stimme harmonisch bis ins erwähnte Fortissimo reicht, kann man doch nicht von Gebrüll reden, denn hierbei handelt es sich um stimmliche Expansion, die zur Bewältigung extremer musikalischer Erfordernisse unabdingbar ist.


    Aber wie kann man das einem Dieskau- oder Schreier-Fan klar machen?

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Lieber Milletre,


    Operngesang darf nie in Gebrüll ausarten. Ein ausgebildeter Sänger sollte einen Stimmumfang von 2.5 - 3 Oktaven sicher beherrschen. Der Wechsel in den Lagen sollte fließend und bruchlos sein und die Töne müssen klingen, sich also nicht gedrückt oder mühevoll gequetscht anhören. Das heißt, auch beim stärksten Fortissimo sollte der Ton noch rund und schön klingen. Es ist also keinesfalls allein eine Frage der Lautstärke, sondern es kommt vor allem auf den Klang der Stimme an. Auch Riesenstimmen können im schmetternden Fortissimo noch unendlich schön klingen, wie z. B. der Tenor Lauritz Melchior, oder die Brünnhilden Gertrude Grob-Prandl und Birgit Nilsson eindrucksvoll beweisen.
    Es werden in einer Oper in der Regel auch sehr verschiedene Anforderungen an die Variabilität der Stimmstärke gestellt.
    Ich möchte es am Beispiel der Partie des Hagen in Wagners "Götterdämmerung" kurz darstellen. Beim "Wachtgesang" soll die Stimme des Bassisten breit, dunkel getönt, möglichst mit bedrohlichem Unterton ruhig strömen, beim "Nachtgespräch" mit Alberich wird ein fast intimer Charakter stimmlich im mezza voce-Bereich verlangt. Bei den "Mannenrufen" dann ist stärkstes, intensivstes Fortissimo gefordert, mit der Gefahr, dass Sänger, die bei höchster Stimmstärke mit ihren Kräften nicht haushalten können und ihre Grenzen nicht kennen sich in der Tat todbrüllen.
    Also Stimmstärke ist nur ein Faktor bei der Beurteilung einer Gesangsleistung, Fortissimo nur eine der Qualitäten, die ein Spitzensänger sicher und tonschön beherrschen und bringen muss.
    Hier wird auch deutlich wie schwierig, anstrengend und herausfordernd professionelles Singen ist.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Milletre,


    ich glaube, diese Frage ist schwer zu beantworten, denn nach meiner Ansicht spielt dabei das persönliche Empfinden des Hörers eine entscheidende Rolle. Was der eine als Fortissimo ansieht, klingt in den Ohren eines anderen vielfach schon als "Gebrüll". Natürlich kenne ich Sänger, die das eine oder andere viel "weicher" rüber bringen, aber man hat dann oft auch nicht den Eindruck des starken Fortissimo. Natürlich ist es bei den nicht mehr lebenden Komponisten schwer zu sagen, ob sie ein solches Fortissimo, das bei vielen Hörern einem "Gebrüll" sehr nahe kommt, gewollt haben.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Aber gibt es den vollkommenen Sänger überhaupt. Meistens gibt es solche die eine gute Mittellage haben, aber in der Höhe ihre Probleme haben, oder es gibt die die zwar laut singen könne aber bei den leisen Stellen ihre Probleme haben. Und die meisten Zuschauer die nicht so häufig in die Oper gehen, denken immer : je höher desto beser. Aber grade im Wagner Gesang hat sich doch einiges gebessert. Zu meinen Anfängen wurde wirklich nur auf der Bühne rumgebrüllt, dazu noch das Orchester da war fast wie in einer Disko. Heutzutage setzen die Sänger ihre Stimmen klüger ein und brüllen fast gar nicht mehr. Nur es wird ihnen dann meistens nachgesagt sie können deshalb nicht so gut singen. Und viele hohe Noten stehen ja gar nicht in der Partitur wie z.B. die Arie des Radames oder die Stretta des Alfredo im zweiten Akt von La Trviata.

  • Zitat

    Ich habe live ... vor allem Nilsson gehört - und es war grauenhaft. Das war auch mir zuviel Gebrüll.


    Mein lieber Fritz!


    Mit diesen Kritiken habe ich hier schon oft leben müssen. Sänger wie Mario del Monaco, Ernst Kozub, Nicolai Ghiaurov usw. wurden als Brüller bezeichnet. Bei Sängerinnen verhällt es sich genauso. Das Kuriose: Einer Rita Streich z. Bsp. wurde hier nicht zugetraut, eine große Opernbühne auszufüllen. "Sie käme nie über die Rampe" hieß es. Ihre Stimme sei zu schwach. Was ist nun richtig? Sogar bei Fritz Wunderlich kam Kritik auf: Er habe gar kein Piano. So unterschiedlich hier die Meinungen sind: Ich persönlich habe meinen eigenen Geschmack, Hörempfinden und Vorstellungen, was die Besetzung einer Opernrolle betrifft. Ich liebe große Naturstimmen. Mir ist ein Ernst Kozub als Max lieber als ein Richard Tauber, der mit seiner Stimme wohl auch kaum "über die Rampe" gekommen wäre.



    Liebe Grüße
    Wolfgang

    W.S.

  • Das Geheimnis heisst: auf dem Atem singen. Klangkonzentration und intensivieren des Tones statt nur laut zu werden. - Das sind zwei grundlegend verschiedene Sachen. Kraus und Bergonzi haben beide davon gesprochen, das es darum geht den Ton zu intensivieren.


    Es gibt viele Sänger, die singen generell mit zuviel Druck (auch wenn sie nicht unbedingt laut klingen). Kaufmann, auch Beczala, Alvarez sind für mich solche Sänger - vor allem in der Salzburger Boheme. Zuviel "muskuläres" Singen. Zuviel Kraft, zu monoton. Wenn man das über einen längeren Zeitraum macht ist das erste untrügliche Zeichen das etwas nicht stimmt, dass das mezza voce und erst recht die piani nicht mehr richtig tragen. - siehe auch di Stefano. Das zweite Problem wird die Übergangslage, der passaggio, mit dem fast alle Sänger heute Probleme haben, weil sie die kräftige volle Mittellage in die Höhe mit hinaufstemmen. Daraus resultieren diese vielen gequälten und gepressten Töne, die man hört.


    Ich stelle mir die Stimme wie ein Gummiband vor. Forciert man eine bestimmtes Stimmregister - gleichgültig ob bei Sopran oder Tenor die hohe Lage oder bei Mezzos die volle Tiefe/Brustlage oder die Höhe dehnt man das Gummiband zu sehr in eine Richtung und bekommt schnell Probleme mit der Ausgeglichenheit der Register. Baltsa war neben vielen anderen so ein Fall - großer Stimmumfang - oben hat sie forciert, unten auf das Brustregister gedrückt - in der Mitte war ein tiefes Loch.

  • Liebe La Gioconda,


    ausgezeichnet analysiert und dargestellt und das nicht nur weil wir bei Benennung der Ursachen, den Schlussfolgerungen und Beurteilungen sehr nahe bei einander liegen. Chapeau!


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    Das Geheimnis heisst: auf dem Atem singen. Klangkonzentration und intensivieren des Tones statt nur laut zu werden. - Das sind zwei grundlegend verschiedene Sachen. Kraus und Bergonzi haben beide davon gesprochen, das es darum geht den Ton zu intensivieren.


    Hallo, La Gioconda!


    Was Du da beschreibst, ist mir auch bekannt. Ich sehe dies genauso. Das meine ich auch garnicht. Ich habe nur versucht, die unterschiedlichen Meinungen über Stimmen hier darzustellen. Vielleicht ist das nicht so rübergekommen.

    W.S.

  • Die Expertisen meiner Vorredner bestärken mich in meiner Ansicht. Dafür bin ich sehr dankbar. Aber wie macht man jemandem klar, dass ein Ghiaurov oder eine Nilsson auf dem Atem mit intensiver Klangkonzentration singen und keineswegs brüllen? (Vergebliche Liebesmüh'!)

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Indem solchen Opernfreunden die Unterschiede in der Stimmstärke, die in einer in einer Opernpartie verlangt werden, an Hörbeispielen erlebbar aufgezeigt werden. Ich habe dies in meinem vorstehenden Beitrag (2) schlaglichtartig an der Partie des Hagen getan.
    Und dann, lieber Milletre, ist der Geschmack halt unterschiedlich. Manche Opernfreunde bevorzugen generell säuselnde Sänger, was dann gerne als kultiviert hingestellt wird. Ich gehöre zu der Fraktion, bei der es z. B. in der "Stretta" im "Troubadur" richtig knallen muss.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Auch ich bin generell für belkanteskes piano und kultiviertes legato. Aber dort, wo der Blitz einschlagen soll - auch da bin ich ganz bei Dir - muß es gehörig krachen!

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Aber wie macht man jemandem klar, dass ein Ghiaurov oder eine Nilsson auf dem Atem mit intensiver Klangkonzentration singen und keineswegs brüllen? (Vergebliche Liebesmüh'!)

    Der Vergleich macht einen sicher. Ein und dasselbe Stück in fünf verschiedenen Aufnahmen quer durch die Aufnahme-Zeitalter.

  • Zitat

    Ich gehöre zu der Fraktion, bei der es z. B. in der "Stretta" im "Troubadur" richtig knallen muss.


    Hallo, mein lieber Hans!


    So kenne ich Dich ja gar nicht. Da sei Dir eine CD von BONGIOVANNI empfohlen. Dort gibt es die "Stretta" von 34 Tenören gesungen. Von Biel, Tamagno bis Mario Filipeschi. Dort hörst Du die "Stretta" zum Vergleichen von "Piano" bis zum "Knallen" von Jan Kiepura. Dort finden unsere Experten, die fehlendes Mezza voce und Piano vermissen, bestimmt den richtigen Tenor.



    Herzlichst
    Wolfgang

    W.S.

  • Zuviel "muskuläres" Singen. Zuviel Kraft,


    Ich spreche nicht von Operngesang, sondern nur als Laienchorsänger: Wenn ich in tiefen Lagen einen hörbaren und tragfähigen Ton herausbringen muss - nein möchte - dann geht das nicht mit Anstrengung, ich muss ganz entspannt sein, nur dann klappt es.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo, mein lieber Hans!


    So kenne ich Dich ja gar nicht. Da sei Dir eine CD von BONGIOVANNI empfohlen. Dort gibt es die "Stretta" von 34 Tenören gesungen. Von Biel, Tamagno bis Mario Filipeschi. Dort hörst Du die "Stretta" zum Vergleichen von "Piano" bis zum "Knallen" von Jan Kiepura. Dort finden unsere Experten, die fehlendes Mezza voce und Piano vermissen, bestimmt den richtigen Tenor.


    Herzlichst
    Wolfgang


    Die Spreu trennt sich vom Weizen meist bereits beim ersten" pi-hi-hi-hi-ra" oder "fuo-ho-ho-ho-co"....


    oder bei Rosvaenge "lodern zum Hi-hi-hi-hi-mmel"... ;)

  • Lieber Wolfgang,


    danke für den Hinweis. Die Stretta-Sammlung werde ich mir zulegen.
    Wie schwierig die Beurtelung des Problems ist, über das wir hier diskutieren kann im Vergleich der beiden zeitgleich singenden bedeutenden Heldentenöre Hans Hopf und Wolfgang Windgassen belegt werden. Hopf hatte die wesentlich größeren stimmlichen Potentiale. Auch an Volumen und Strahlkraft vor allem in der Höhe war Hopf Windgassen überlegen - nur Windgassen war der weit differenzierter singende, ausdrucksstärkere Sänger. Im vergleichenden Fachurteil wird Windgassen als Künstler deshalb allgemein höher eingeschätzt. Das beweist: Stimme, Volumen, Strahlkraft sind nicht alles. Es kommt auch darauf an, was aus dem "Instrument" menschliche Stimme hausgeholt und wie perfekt es eingesetzt wird.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Was ist denn an dem Gerücht dran, das es viel schwieriger ist die leisen Töne zu singen als die hohen ? Ein Bassist der Rheinoper sagte mir mal das es viel mehr Anstrengung erfordert die Leiseren Töne zu singen als die hohen . Und das mit dem rumbrüllen erklärte er so, das in früheren Zeiten das Orchester und die Sänger noch nicht so gut aufeinander abgestimmt waren wie heute und das deshlab viele Sänger brüllen müsssten um über das Orcheser hinweg zu kommen.

  • Was ist denn an dem Gerücht dran, das es viel schwieriger ist die leisen Töne zu singen als die hohen ? Ein Bassist der Rheinoper sagte mir mal das es viel mehr Anstrengung erfordert die Leiseren Töne zu singen als die hohen . Und das mit dem rumbrüllen erklärte er so, das in früheren Zeiten das Orchester und die Sänger noch nicht so gut aufeinander abgestimmt waren wie heute und das deshlab viele Sänger brüllen müsssten um über das Orcheser hinweg zu kommen.

    Ein piani oder mezza voce braucht in jeder Tonhöhe eine super Atemstütze und guten Stimmsitz, sonst rutscht es in den Hals. Gut fand ich auch immer das Bild von dem Springbrunnen, auf dem ein Ball tanzt: läßt der Druck des Wasserstrahles bei einem piano nach muss er genau dosiert und kontrolliert werden, sonst fällt der Ball hinunter.
    Dass früher (wann ist früher...? 1950er Jahre?) mehr gebrüllt wurde und auch die schlechtere Abstimmung Sänger/Orchester kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Im Gegenteil. Gute Operndirigenten, die ihre Sänger nicht niederknallen gab es meiner Meinung nach früher bessere - das waren vielleicht nicht immer die genialen Dirigenten, aber SEHR solide Kapellmeister im besten Sinne (allein bei den Italienern: Capuana, Molinari-Pradelli, Marinuzzi, Serafin, Basile, Santini, Quadri, Gui, ....) - heute vielleicht Riccardo Chailly.

  • Die Spreu trennt sich vom Weizen meist bereits beim ersten" pi-hi-hi-hi-ra" oder "fuo-ho-ho-ho-co"....


    Gibt es bei dem Anspruchsniveau auf dem wir diskutieren, bei den Namen, die genannt werden und der Messlatte die wir anlegen wirklich viel "Spreu"?
    Suchen wir unter den Guten, den Ausgezeichneten den Besten? Nur kann der gekürt werden, wenn nicht zugleich die wichtigsten Beurteilungskriterien und die persönlich, subjektive Erwartungshaltung nach der geurteilt wird mit einfließen?
    Ich glaube, dass Bravourstücke wie die Stretta, Nessun dorma, Ritorna vincito, Phlipp Monolog, oder die halsbrecherischen Koloraturen der Zerbinetta usw. zumindest von den meisten in dieser Diskussion genannten Sängerinnen und Sänger ganz ausgezeichnet gesungen werden. Also weit mehr "Weizen" als "Spreu". Gott sei Dank können wir im Theateralltag auch in Freiburg, Erfurt, Heidelberg, Bautzen, Flensburg, usw. oft Klasse-Sängerleistungen erleben. Das ist gut so, denn genau dadurch wird die Breite im Opernschaffen auf die es ankommt erreicht und grantiert.
    Sarkastisch formuliert: Lasst auch die "Spreu" singen, denn sonst könnten wir den "Weizen" gar nicht herausfinden.


    Herzlichst
    Operus

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  • Zitat

    danke für den Hinweis. Die Stretta-Sammlung werde ich mir zulegen.


    Mein lieber Hans!


    Die CD brauchst Du Dir nicht zuzulegen, die bringe ich Dir im Oktober mit nach Ölbrunn. Um auf den Vergleich Hopf/Windgassen zu kommen: Ich mag zwar beide Tenöre, ziehe aber wegen der größeren stimmlichen Mittel Hans Hopf vor. Im Vergleich der Pedro in "Tiefland": Während Windgassen den schüchternen Hirten darstellt, bringt Hopf hier den Hirten als Naturburschen vor. In der "Wolfserzählung" gibt es schon die Unterschiede zu hören. Hans Hopf nimmt man auch ab, daß er sich an Don Sebastiano fürchterlich rächt. Wo ich bei Windgassen bis zum Schluß Zweifel hege. Dies war nur ein Beispiel , wo ich den Unterschied zwischen Hopf und Windgassen sehe.



    Herzlichst
    Wolfgang

    W.S.

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  • Gute Operndirigenten, die ihre Sänger nicht niederknallen gab es meiner Meinung nach früher bessere - das waren vielleicht nicht immer die genialen Dirigenten, aber SEHR solide Kapellmeister im besten Sinne (allein bei den Italienern: Capuana, Molinari-Pradelli, Marinuzzi, Serafin, Basile, Santini, Quadri, Gui, ....) - heute vielleicht Riccardo Chailly.


    Liebe La Gioconda,


    gerechter Weise möchte ich eine Reihe von "deutschen" Sängerdirigenten gleich ergänzend zu Deiner Nennung aufzählen. Da fallen mir spotan Namen wie Kurt Striegler, Siegfried Köhler, Josef Dünnwald, Mainard von Zallinger, Heinrich Bender, Heinrich Hollreiser, Gierster, Wallat, Peter Schneider usw. ein.
    Berühmte Beispiele sind: Leo Blech vielleicht der Sängerdirigent schlechthin, Rudolf Kempe mit seinem feinsinnigen kammermusikalischem Still, Berislav Klobucar zu dem in seiner Grazer Zeit die ganz Großen pilgerten, wie z. B. Nilsson, Hotter, Frick, Metternich usw. um genau mit diesem Dirigenten neue Partien einzustudieren und unter seiner Leitung zu erproben, ehe sie damit in Wien - in der Höhle des Löwen - auftraten. Selbst der großartige Sinfoniker Herbert von Karajan, trug als Operndirigent seine Sänger auf Händen.
    Heute habe ich es mit Fragen: Könnte es nicht sein, dass die "Sängerdirigenten", die nicht aus jeder Oper eine Sinfonie mit Stimmen machen wollen (Georg Solti) sondern die kongeniale Balance zwischen Orchester und Sängern anstreben und erreichen, in Wirklichkeit die genialen Operndirigenten?


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Gibt es bei dem Anspruchsniveau auf dem wir diskutieren, bei den Namen die genannt werden und der Messlatte die wir anlegen wirklich viel "Spreu"?
    Suchen wir unter den Guten, den Ausgezeichneten den Besten? Nur kann der gekürt werden, wenn nicht zugleich die wichtigsten Beurteilungskriterien und die persönlich, subjektive Erwartungshaltung nach der geurteilt wird mit einfließen?

    Nun ja - Spreu gibt es auch auf höchstem Niveau. Genau genommen müsste man doch zumindest sagen, dass die Noten, die in der Partitur stehen korrekt und vollständig (!) gesungen werden sollten. Das wäre doch die Grundvoraussetzung an der alle bemessen werden sollten, nicht? Da dürfte also bei Di quella pi-i-i-i-ra auch nicht aspiriert werden.

  • Lieber Wolfgang,


    wie immmer bist Du ein ganz Kluger/Gerissener. Bei Deiner Argumentation wählst Du mit dem Pedro aus "Tiefland" eine der Partien aus, die Hans Hopf in der Tat nahzu unverlgleichlich gesungen hat. Auch als Florestan, Radames, Duca und sogar als Otello schlägt Hopf Windgassen stimmlich um Längen.
    Den Ruf und die herausragende Stellung errang Windgassen in erster Linie als Wagner-Sänger. Er war Wieland Wagners Favorit. Windgassen verkörperte das Ideal des Sängerdarstellers, den Wieland Wagner brauchte, um den Paradigmenwechsel im Inzenierungstil von Neu-Bayreuth durchsetzen zu können.
    Selbst Sänger, wie Suthaus, Aldenhoff, Treptow, die ganz andere Stimmkaliber als Windgassen waren, passten nicht mehr in die neue Ära, die angebrochen war.
    Bei der Diskussion über Hopf und 'Windgassen sollte auch bedacht werden, dass Hopf in Amerika weit höher eingestuft wurde und wird als in Europa. Er war über viele Jahre der gefeierte und bevorzugte Wagnerstar an der MET.
    Auf die Stretta-Sammlung freue ich mich. Dank im Voraus.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Ich bin heute beim "Surfen" auf dieses Thema gestoßen und will mich zum "Brüller" Ghiaurow äußern. Ich erlebte ihn auf der Bühne als Don Basilio im Barbier von Sevilla. In der Verleumdungsarie brüllte er an der richtigen Stelle wie eine Kanone - unvergleichlich, eindrucksvoll. In der gleichen Aufführung sang er auch ein Piano, das bis in den letzten Winkel der Oper zu hören war. In CD-Aufnahmen kommt mir auch vor, als brülle er ein bisschen viel. Wird da nicht auch die Dynamik der Lautstärke rein technisch etwas beschnitten?


    Lohengrin

  • Ich bin heute beim "Surfen" auf dieses Thema gestoßen und will mich zum "Brüller" Ghiaurow äußern. Ich erlebte ihn auf der Bühne als Don Basilio im Barbier von Sevilla. In der Verleumdungsarie brüllte er an der richtigen Stelle wie eine Kanone - unvergleichlich, eindrucksvoll. In der gleichen Aufführung sang er auch ein Piano, das bis in den letzten Winkel der Oper zu hören war. In CD-Aufnahmen kommt mir auch vor, als brülle er ein bisschen viel. Wird da nicht auch die Dynamik der Lautstärke rein technisch etwas beschnitten?


    Lohengrin


    Hier sprichst Du ein gravierendes Problem an: Bei Studioaufnahmen wird in der Regel die Klangvorstellung des Tontechnikers realisiert, die oft nicht den tatsächlichen Gegebenheiten entspricht. Klar muß dieser Techniker versuchen, die optimale Balance zwischen Orchester und Solisten zu erreichen, dass er dabei hin und wieder übers Ziel schießt, läßt sich nicht vermeiden. Deshalb lehrt mich die langjährige Erfahrung, dass die natürliche Stimmexpansion nur im Haus richtig eingeschätzt und beurteilt werden kann.


    Jede Studioaufnahme ist - das müssen wir uns immer vor Ohren halten - ein Kunstprodukt.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Das Phänomen des Aspirierens läßt sich übrigens auch wundervoll bei Rene Kollo In fernem Land aus der Arena die Verona heraushören, dort war das Klangerlebnis dann folgendermaßen: In fernem Lahahahahahhand unnahbar euren Schrihihihihiten..., wenn es nicht so traurig wäre könnte man vor Begeisterung auf dem Fußboden liegen.
    Ich glaube nicht einmal Loriot hätte dieses besser herausarbeiten können.
    Aber wir waren beim Theme brüllen, brüllen bedeutet ja es wird nicht mehr gesungen, das heißt die Stimme liegt nicht mehr auf dem Atem sondern wird unkontrolliert herausgeschleudert, das hat in der Oper wo man entfernungen überbrücken muß und somit die Atemsäule braucht leider den gegenteiligen Effekt, auf manchen CDs kann man ds auch noch blended heraushören.
    Zum Beispiel beim Boulez Ring der Phillips mit Peter Hofmann als Sigmund.
    Die Wälsungen Rufe werden nicht mehr gesungen sondern gebrüllt und das führt hier dazu das die Stimme sich kaum noch duchsetzen kann, viel Kraftaufwand und eine verschwindend geringe Wirkung.

  • Mir ging es so mit Klaus Florian Voigt. Ich war ja bislang auch immer gewohnt das die Wälse Rufe gebrüllt werden und habe deshalb immer gedacht , das Herr Voigt kein idealer Siegmund ist , weil er er das eben nicht tut. Dann habe ich ihn live in der Rheinoper als Einspringer erlebt und war einfach nur begeistert. Bei ihm stimmt einfach das Gesamtpaket . Und so schön lyrisch hab ich die Wälse Rufe lange nicht mehr gehört. Wie Milletre schon schrieb, man muss einen Sänger live erleben, bevor man sich ein Urteil über ihn erlauben kann.