HÄNDEL, Georg Friedrich: ACIS AND GALATEA

  • Georg Friedrich Händel (1685-1759):


    ACIS AND GALATEA
    Masque (Pastorale) in zwei Teilen für Soli (STTB), Chor (STTTB) und Orchester, HWV 49
    Libretto von John Gay, Alexander Pope und John Hughes nach den Metamorphosen des Ovid


    Uraufführung im Sommer 1718 in Cannons, dem Landsitz des Herzogs von Chandos


    DRAMATIS PERSONAE


    Galatea, ein Nymphe (Sopran)
    Acis, ein Schäfer (Tenor)
    Damon, ebenfalls Schäfer und Freund von Acis (Tenor/Sopran)
    Polyphemus, ein Zyklop (Bass)
    Chor der Schäferinnen und Schäfer


    Ort und Zeit des Geschehens ist eine liebliche Landschaft am Fuß des Ätna auf Sizilien in mythologischer Zeit.



    INHALT


    Erster Teil


    Nach der einsätzigen Ouvertüre, die hier ihren angebrachten pastoralen Klang durch den Einsatz von Oboen erhält, bleibt auch der Eingangschor „Oh, the pleasure of the plains - Oh, den Fluren sei der Preis” bei dem eingeschlagenen Ton: Die Hirten und Nymphen genießen das Vergnügen mit Spiel und Tanz in den Auen. Dieser Hirtengesang wird aus einfacher Melodik über einen dudelsackähnlichen Baß entwickelt, in den ein nach Moll gefärbter Mittelteil einen wehmütigen Ton einbringt.


    Die halb-göttliche Nymphe Galatea ist in den Schäfer Acis verliebt und sehnt sich so nach ihm, daß ihr die frohe Stimmung der Hirten und Nymphen zuwider ist. Sogar den Gesang der Vögel empfindet sie als Pein, dabei geben sich die gefiederten Sänger große Mühe, von Händel mit Flöten, darunter auch einer Sopranino-Blockflöte, tonmalerisch gezeichnet („Hush, ye pretty warbling quire - Fort, du süßer Sängerchor”). Doch Galatea will nur ihren Acis wiedersehen, und den sollen ihr die Vögel mit ihrem Gesang herbeilocken.


    Dem Schäfer Acis geht es nicht anders: „Where shall I seek the charming fair? - Wo find ich sie, die mir so lieb?” fragt er und sein Freund Damon erinnert ihn an seine Aufgabe, Schafe zu hüten, denn die irren gerade über die Fluren („Sheperd, what art thou pursuing - Schäfer laß dein Liebeswerben“). Als die Angebetete in diesem Augenblick des Weges kommt, ist es um Acis geschehen: „Love in her eyes sits playing - Liebe sitzt gaukelnd ihr im Aug'“ singt er voller Hingabe und vergißt seine Tiere wieder. Galatea, ebenso entzückt wie erleichtert über das Wiedersehen nach viel zu langer Trennung, antwortet Acis mit einer heiteren F-Dur-Arie, die es zu besonderem Ruhm gebracht hat: „As when the dove laments her love - So wie die Taube in einsamer Laube“.


    Der erste Teil wird mit einem frisch-fröhlichen Duett des verliebten Paares im Charakter einer Gigue abgeschlossen: „Happy we! What joys I feel! - Selig wir! Wie glänzt dein Auge“, in das der Chor ebenso fröhlich einstimmt.


    Zweiter Teil


    Schon der erste Chorsatz verwandelt die Stimmung von pastoraler Leichtigkeit hin zum Tragischen: „Wretches lovers! Fate has past this sad decree - Armes Paar! ach, hart Geschick“ ist ein elegischer, frei fugierter Satz, der Unheil ankündigt. Die anfänglichen Klagen des Gesamtchores werden schnell von aufgeregten Frauenstimmen kontrastiert, die das Nahen des Riesen Polyphemus ankündigen. Der Gesang weitet sich zur Doppelfuge aus, die mit wütenden Akkorden und chorischen Schreckensrufen den Frieden des Haines empfindlich stören.


    Polyphemus wird von Händel mit polternden orchestralen Sechzehntelbewegungen ausgestattet. Mit seiner ungeschlachteten Stimme bekennt er seine Liebe zu Galatea, die ihm ein „schmächtiger Gott“ in sein Herz geschossen hat und die er mit sanftem Flötenspiel aus „einhundert Rohren“ erringen möchte: „I rage - I melt - I burn - O Schmach - o Wut - o Scham - o Glut“. Dieses furiose Rezitativ schlägt in der folgenden Arie „O ruddier than the cherry - O rosig wie die Pfirsiche“ in einen komischen Liebesgesang um, dessen Wirkung Händel durch den Einsatz der Sopranino-Blockflöte als Kontrapunkt zur Bass-Stimme sogar noch steigert.


    Aber Galatea weist Polyphemus mit einem Vergleich aus dem Tierreich ab: Flieht nicht das Lamm mit „kluger Scheu“ vor dem Löwen? Der Riese will nicht glauben,was er von seiner Angebeteten zu hören bekommt. Er wünscht sie in seinem Palast mit Trauben, Pflaumen und Äpfeln zu verwöhnen. Galatea kann jedoch auch die Aussicht auf das Obst nicht umstimmen, sie gibt unumwunden zu, daß ihr „Wirt und Fest“ gleichermaßen verhaßt sind. Über diese eindeutige Ansage gerät Polyphemus so richtig in Rage und schwört Rache. An dieser Stelle hält es Damon für angezeigt, dem Riesen ernsthaft zu empfehlen, sich der Dame seines Herzens freundlich zu nähern, denn Schönheit kann man nicht mit Gewalt erringen: „Would you gain the tender creature - Willst du die Nymphe dir gewinnen“. Hofft er wirklich, daß sich Galatea dem Riesen zuwendet, Acis freigibt und der Freund zu seiner Berufung zurückfindet?


    Acis denkt jedoch nicht daran, auf seine geliebte Galatea zu verzichten und er stellt sich, so schwach er sich auch selber einschätzt, Polyphemus entgegen. Aber Damon warnt ihn, die „Freuden der Liebe“ seien nur von kurzer Dauer. Doch diese Warnung kommt nicht an, auch nicht bei Galatea, die Damons Einwände nur schwer ertragen kann. Sie beschwört ihren Geliebten, bei ihr zu bleiben und versichert ihm ihre Treue. Der Gleichklang der Herzen führt zu einem Duett („The flocks shall leave the mountains - Dem Berge mag die Herde“), in dem sie sich zu ihrer unwandelbaren Liebe äußern. In dieses Liebeduett klinkt sich immer wieder der verschmähte und darüber erzürnte Polyphemus mit wütenden Einwürfen ein und erweitert damit das Ensemble zu einem Trio. Am Ende bricht der Riese in den Ausruf „Die, presumptuous Acis, die - Tod, verruchter Acis, Tod“ aus und tötet seinen Rivalen mit Felsgestein - Händel drückt die fallenden Felsbrocken mit Sechzehntel-Passagen im Orchester aus.


    Das Schicksal von Acis ist besiegelt; seine ersterbenden Hilferufe finden keinen Widerhall, er kann nur noch die Götter um freundliche Aufnahme in das Totenreich bitten. Der Klagechor „Mourn, al ye muses! Weep, al ye swains! - Klagt, all ihr Musen! Weint, alles Volk“, ein f-Moll-Adagio mit einer chromatisch absinkenden Melodie im Stile einer Chaconne, ist ein ergreifendes Stück Musik, das im Orchesternachspiel stockend ausklingt.


    Galateas Totenklage „Must I my Acis still bemoan - O, mein geliebter Acis ist dahin“, auch ein Adagio, aber in F-Dur stehend, beginnt leise, von einer Oboe und einem Männerchor aus drei Tenor- und einer Bass-Stimme trauernd begleitet; die Klage weitet sich zu einem Wechselgesang aus, in dem die Bitte an die Nymphe eingebettet ist, sie möge durch ihre Zauberkunst Acis in einen Silberquell verwandeln.


    Während Galatea in ihrer Arie „Heart, the seat of soft delight, be thou now a fontain bright - Herz, der Liebe süßer Born, sei fortan ein Silberquell“ dieser Bitte auch nachkommt, drückt Händel das Plätschern der langsam entspringenden Quelle mit dem Einsatz von Flöten und Violinen in einem Larghettosatz aus. Der Schlußchor „Galatea, dry the tears - Galatea, stille deinen Schmerz“ greift mit seinen idyllischen Tonmalereien die Stimmung vom Anfang des Werkes auf und führt es zu einem beruhigenden Abschluß.



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Die Einordnung von ACIS AND GALATEA als Oratorium ist - zugegeben - anfechtbar, die Benennung als Oper allerdings auch. Händel selbst nannte sein erstes englischsprachiges Werk „Masque“, was auf eine halb-szenische Aufführung mit kostümierten Sängern, aber ohne Bühnendekoration, hindeutet. Da es in deutschen Ausgaben oft als „Pastorale“ bezeichnet wurde, ein Schäferspiel also, fand es in manchen Oratorienführer Eingang. Daher folgt auch Tamino diesen Beispielen.


    Bereits 1708 war Händel in Neapel mit dem Stoff in Berührung gekommen: Während eines Aufenthaltes entstand dort die einaktige Serenata „Acis, Galatea e Polifemo“. Als er sich vom Sommer 1717 bis zum Spätherbst 1718 auf Einladung des Earl of Carnavon (ab 1719 Duke of Chandos) auf dessen Schloß Cannons aufhielt, komponierte er dort neben den „Chandos-Anthems“ und dem Oratorium „Esther“ auch eine neue Fassung von ACIS AND GALATEA, die mit dem früheren Stück musikalisch allerdings nichts gemeinsam hat. Über die in Cannons erfolgte private Aufführung ist nicht viel bekannt geworden; aus privaten Briefen wissen wir, daß Händels Opus Anklang fand.


    Die uralte Geschichte findet sich erstmals bei dem griechischen Dichter Theokritos (etwa 310 in Syrakus auf Sizilen geboren, um 250 v.Chr.vermutlich auf der Insel Kos gestorben), der als Erfinder der bukolischen, der Schäferdichtung, gilt. Ein Denkmal setzte der Fabel Publius Ovidius Naso, kurz Ovid, im dreizehnten Buch seiner „Metamorphosen“. Daraus formten John Gay (der ein wichtiger Autor für „The Beggar's Opera“ wurde), Alexander Pope (ein seinerzeit berühmter Dichter und Übersetzer) und John Hughes, ein Lyriker, für Händel das englischsprachige Libretto.


    1732 nahm sich Händel beide Werke nochmals vor und verschmolz sie unter Hinzufügung neuer Nummern zu einer dritten Fassung; unter diesen neuen Stücken war auch die wegen der ungestümen Koloraturen berühmt gewordene Baß-Arie des Polyphemus. Hintergrund dieser Version war eine Aufführung von Händels Werk von 1720 in einem Konkurrenz-Unternehmen: Thomas Arne, Vater des Komponisten Thomas Augustine Arne, kam am 17. Mai 1732 im Londoner Little-Theatre damit heraus. Ohne sich viele Mühe zu geben, fügte Händel aus der frühen Serenata zahlreiche Sätze in die englische Fassung ein. Das Resultat war nun dreiaktig und wurde am 10. Juni 1732 erstmalig von seinen italienischen Sängern in Italienisch, die englischen Texte von den einheimischen Interpreten englisch gesungen. Diese zweisprachige Fassung kam immerhin auf sieben Wiederholungen.


    1739 kam Händel in einer neuerlichen Bearbeitung wieder auf die Cannons-Version zurück, dessen wichtigste Änderungen die Einteilung in zwei Akte, der Kürzung des Duetts „Happy we“ bei gleichzeitiger Einfügung eines den ersten Teil abschließenden Chores mit dem gleichen Text zu nennen sind. So ging das Werk 1743 in Druck und war damit das einzige Großwerk Händels, das zu seinen Lebzeiten als vollständige Partitur veröffentlicht wurde. Heutige Aufführungen orientieren sich zumeist an dieser Version.


    ACIS AND GALATEA ist das erste Werk Händels, das Mozart im Auftrag des Barons Gottfried van Swieten im November 1788 bearbeitete. Später kamen noch der „Messias“, das „Alexanderfest“ und die „Cäcilien-Ode“ hinzu. Mozart ergänzte das Orchester um zwei Klarinetten, Fagotte und Hörner und ersetzte die Blockflöten durch Querflöten. Für die Berliner Singakademie hat Felix Mendelssohn-Bartholdy ebenfalls eine Bearbeitung erstellt.


    © Manfred Rückert für Tamino-Oratorienführer 2012
    unter Hinzuziehung folgender Quellen:
    Libretto
    Oratorienführer von Scheibler/Evdokimova, Pahlen, Oehlmann und Leopold

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    MUSIKWANDERER

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