Die Bemerkung eines Taminos (sinngemäß), wenn man in der Wiener Oper auch nur das Telefonbuch heruntersingt, wäre dort das Publikum begeistert ...
Im Grunde hat er ja recht, denn meine faszinierendsten und prägendsten Opernerlebnisse hatte ich mit ausserordentlichen Sängern, die anderswo, hatte man Glück, einer Galavorstellung Glanz und Begeisterung verliehen, bei uns jedoch alltägliches Reperetoire waren. Ich weiß noch genau, wenn beispielsweise in einem Bühneneck der Bastianini stand und im anderen der Bergonzi oder Prevedi oder Corelli, war mir und dem Großteil des Publikums das restliche Bühnengeschehen so etwas wie wurst, denn wir genossen ungemein diese herrlichen Stimmen, das wunderbare Orchester und waren glücklich, wenn wir aus der suggestiven Klangrede dieser in Töne verzauberten Meisterwerke unsere entsprechenden Seelenzustände imaginieren konnten.
Natürlich waren wir glücklich, wenn die Bühne wunderbar und werkkonform gestaltet war, die Kostüme sich harmonisch in die Opernhandlung einfügten und somit das Ganze eine stimmige, ausdrucksstarke Wirkung entfachte.
Ich möchte nicht verhehlen, daß ich - wie auch viele andere - sehr oft "zum Gobbi oder Bastianini", "zum Siepi" oder "zur Tebaldi oder Freni" oder "zum Pippo (di Stefano)" oder wem auch immer ging und oft Aufführungen ausließ, weil "nur" zweite Wahl auf der Bühne stand, die heute fast jeder ersten Garnitur zur Ehre gereichen würde, ja, und natürlich waren wir da, wenn bedeutende Dirigenten ihre Sicht der Partitur realisierten.
Diese Sänger waren exzeptionelle Künstler, die es verstanden, die subtilsten Seelenregungen, die dem Werk immanent waren, teils durch ihre stimmliche Farbskala, andernteils auch durch leidenschaftliche Rollengestaltung auszudrücken, so daß wir die jeweiligen Regisseure eher als nützliche Hilfskräfte sahen, die für einen harmonisch-stimmigen Ablauf des Abends zu sorgen hatten.
Wie wir alle wissen, hat sich diese Gewichtung massiv in eine andere Richtung verschoben, so daß diese Regisseure heute eigentlich die Hauptdarsteller sind, und wenn man dann auch noch gute Sänger zur Verfügung hat, hatte man wenigstens in dieser Hinsicht noch Glück gehabt.
So gesehen muß ich sagen, dass ich für die heutige Aufführungspraxis rettungslos verdorben bin und nur noch Hofmannsthal/Strauss zitieren kann: Ich habe nichts mit dieser Welt gemein!