Während Der Maskenball in zeitgemäßem Dekor und wunderschönen Kostümen des 17. Jahrhunderts stattgefunden hat, und Die Macht des Schicksals in haarsträubender Regie mit Cowboys und -girls in spärlichen Kulissen über den Zuschauer hereinbrach, bewegt sich die aktuelle Otello-Inszenierung der Wiener Staatsoper von Christine Mielitz zwischen den beiden erstgenannten. Konventionell wie der Ballo ist die Produktion zwar nicht, aber so ärgerlich wie die Forza zum Glück auch nicht.
Ja, die Bühne ist immer in halbdunkles Licht eingetaucht, Ausstattung ist im Grunde keine vorhanden. Alles spielt sich mehr oder weniger auf einer am Boden liegenden, riesengroßen Raute ab, die immer wieder erleuchtet wird und somit das Zentrum des optischen Geschehens darstellt. Sie dient Otello und Desdemona als Schlaflager. Bei Massenszenen dreht sich die Raute um 45 Grad und wird nun auch aus dem Blickwinkel des Zuschauers zum Quadrat und sieht eigentlich wie ein Boxring aus. Es fehlen zwar die Seile, aber im Duett mit Jago streckt Otello seine Faust, die von einem großen goldfarbenen Boxhandschuh geziert wird, kämpferisch in die Höhe.
Man sieht Männer in dunklen, langen Mänteln, entweder mit Stiefeln oder im Falle Cassio's gar mit Sportschuhen an den Füßen. Alle sind schwarz gekleidet, nur Desdemona nicht. Sie tritt in negligé-artigen Kleidern auf, schulterfrei und natürlich in unschuldigem Weiß.
All das könnte heute die Kulisse für eine Vielzahl an Opern sein, aber zumindest ärgert man sich nicht. Dafür wirkt das alles viel zu langweilig. Somit kann man sich umso besser auf die musikalische Leistung konzentrieren und die ist an diesem Abend herausragend.
Der Otello ist eine der schwierigsten Tenorpartien und verlangt jedem Sänger eine Menge an Stimmkraft und Durchhaltevermögen ab. Somit konnte man auf das Rollendebüt von Peter Seiffert in der Titelrolle gespannt sein. Seiffert schafft es, sich seine stimmlichen Kräfte auch wirklich recht gut einzuteilen. Den ganzen Abend hindurch beeindruckt er mit kräftigen Forte-Tönen, besitzt im Liebes-Duett aber auch die vokale Sensibilität. Erst gegen Ende zeigt er leichte Ermüdungserscheinungen. Vielleicht wünscht man sich noch einen Schuß mehr Italianità, aber nach Botha und Antonenko empfiehlt sich hier ein weiterer guter Rollenvertreter für diese Partie.
Auch wenn es ein spätes Rollendebüt für Seiffert darstellt, ist es - wie man hören konnte und so manche befürchteten - zum Glück noch nicht zu spät.
Nachdem Franco Vassallo die Vorstellung wegen Erkrankung kurzfristig absagen mußte, wurde Franz Grundheber als Ersatz engagiert. Der 74-jährige Bariton präsentiert sich zwar in guter Verfassung, doch gewisse Alterserscheinungen schleichen sich doch ein. Im ersten Akt läßt er noch schnarrende Tiefen hören, und auch in den Höhen wirkt die Stimme "löchrig". Ab dem zweiten Akt sind diese stimmlichen Eigenheiten überwunden, auch wenn er beim Beginn des Credo recht große Mühe hat eine vokale Linie zu finden. Aufgrund seiner Routine in dieser Partie gelingt es Grundheber trotzdem noch, ein gesanglich gutes Rollenportrait zu erschaffen. Sein Spiel ist recht minimalistisch und erstreckt sich vorwiegend auf finstere und hämische Blicke.
Zum umjubelten Mittelpunkt der Aufführung entwickelt sich die Desdemona der Krassimira Stoyanova. Ihr Verständnis für die Rolle hat sich im Laufe der Jahre sogar noch intensiviert. Mit ihrem wunderschön lyrischen Sopran singt sie herrliche Bögen, intoniert vorzüglich und der Zuhörer kommt wiederholt in den Genuß ihrer schwebenden Piani. Ihr schlanker, leuchtender Sopran, der eine gewisse Melancholie hörbar macht, läßt ihre Interpretation vom Lied von der Weide und dem Ave Maria zum wahren Höhepunkt des Abends werden. Obwohl Applaus nach dem Ave Maria verpöhnt ist, und das Drama an dieser Stelle keine Unterbrechung erfahren soll, kommt es doch dazu, als das lauteste und wortdeutlichste Bravo, welches ich jemals gehört habe, durch den Saal schallt und das Publikum sich dadurch spontan zu kurzem Applaus anregen läßt. Die von Publikum und Presse als "weltbeste Desdemona" gefeierte Sängerin ist auch in ihrem Spiel absolut berührend.
Mit seiner eher schweren und dunkelgefärbten Tenorstimme singt Marian Talaba einen ordentlichen Cassio und Aura Twarovksa ist eine recht unauffällige Emilia (in grauenhaftem Kostüm), die erst am Ende stimmlich gut über die Rampe kommt. Roderigo, Lodovico und Montano werden von Peter Jelosits, Dan Paul Dumitrescu und Eijiro Kai rolllendeckend verkörpert.
Der flott-frisierte Dirigent Dan Ettinger stachelt die Philharmoniker zu ungeheurer Dramatik auf. Da wird es ab und zu recht laut, doch trotzdem werden dabei Atmosphäre und Stimmung gut eingefangen und wiedergegeben. Ettinger besitzt aber auch das Gefühl für die zarten Momente der Oper. Im Liebesduett als auch im Desdemona-Akt bringt er zärtliche Farben für die Seelenlage Desdemona's zum Ausdruck, und schafft somit akustisch einen krassen Gegensatz zu den Forte-Klängen, die er an anderen Stellen für Otello und Jago zu Gehör bringt.
Ein hervorragendes Dirigat, das beim Solovorhang viele Bravos hervorbringt, aber auch ein paar Buhrufe.
Beim Schlußapplaus werden Grundheber und vor allem Seiffert freudig beklatscht und bejubelt. Letzterer erhält einen Blumengruß eines weiblichen Fans.
Stoyanova erhält eindeutig den stärksten Publikumszuspruch und ihr Solovorhang wird von unzähligen, orgiastischen Bravo-Rufen begleitet.
Seiffert singt den Otello übrigens mit dunkelbraun geschminktem Gesicht. Warum ich das erwähne? Vor ein paar Tagen hat eine Aufführung von Ich bin nicht Rappaport für Aufruhr im Internet gesorgt, weil ein weißer Schauspieler sich für seine Rolle schwarz geschminkt hat. Daraufhin wurde das Theater in Berlin via Facebook mit Rassismus-Vorwürfen bombardiert.
Weit haben wir es gebracht mit der Political Correctness.
Wenn das so weitergeht, darf sich kein Schauspieler oder Sänger mehr für eine Rolle andersfarbig schminken und Otellos dürfen nur noch von echten Schwarzen gespielt oder gesungen werden. Man darf dann wahrscheinlich auch nicht mehr Mohr von Venedig sagen. Muß die Butterfly dann irgendwann auch nur noch eine echte Asiatin sein?
Wie weit darf Political Correctness noch gehen? Darf sie sogar in Kunst und Kultur einziehen? Das wäre eigentlich einen eigenen thread wert.
In Wien ist der Otello also immer noch schwarz, auch wenn sein Sänger es nicht ist.
Gregor