Was versteht ihr unter Klassikpublikum ?

  • Liebe Taminoianer


    Im Thielemannthread stellte Wolfram die folgende Frage an mich:


    Zitat

    Was ist denn Deiner Meinung nach das Klassikpublikum? Sind das die, die eine CD mit dem Titel "Ich mag keine Klassik, aber das gefällt mir" kaufen, oder die, die einmal im Jahr eine marketing-gepushte Netrebko/Kaufmann/Anne-Sophie Mutter/Dudamel-CD kaufen? Oder die, die regelmäßig bei jpc bestellen? Oder die, die ein Opernabonnement haben? Wen meinst Du?


    Es wäre nicht ich, würde ich da nicht einen Thread daraus machen.
    Vor allem aber wollte ich vermeiden, daß der Tielemann-Thread durch eine Subdisksion "zerschossen" wird.


    Ich gebe die Frage also weiter an Euch - und werde MEINE Sichtweise dazu noch im Laufe des heutigen Tages hier einstellen....


    mit freundlichen GRüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das Klassikpublikum sind die, die regelmäßig in irgendeiner Form klassische Musik hören. Wenig überraschend.
    Im Zeitalter von Rundfunk, CD, Internet usw. ist nicht mehr unbedingt nötig, dass man regelmäßig in Konzerte/Oper geht. Obwohl vermutlich die meisten solche Gelegenheiten wahrnehmen werden.
    Regelmäßig? Jeden Tag besoffen ist auch regelmäßig gelebt. Der Besitz einer "Eigentlich mag ich keine Klassik..." o.ä. CD reicht m.E. nicht aus, selbst wenn die regelmäßig jede Woche gehört wird. Wer einmal im Jahr eine Klassik-CD kauft, gehört wohl irgendwann schon dazu, wobei ich nicht weiß, ob es das überhaupt gibt. Damit jemand überhaupt von der Werbung für Mutter oder Dudamel motiviert wird, mehr als einmal eine CD zu kaufen, muss ja ein gewisses Interesse bestehen, und dann wird er bald auch mehr als diese Handvoll CDs besitzen. Aber jemand mit einer Handvoll Wunschkonzert- oder Best-of-CDs hat vermutlich überhaupt keine Meinung zu Thielemann oder Chailly, selbst wenn er sie vielleicht mal im TV gesehen hat. Und selbst wenn er eine hätte, dann hat die Ansicht von jemandem, der nicht gut mit den Stücken (wie etwa Beethovens oder Brahms' Sinfonien), um deren Interpretation es geht, vertraut ist, wenig Bedeutung.


    In engerem Sinne meint man dann wohl die, die hauptsächlich Klassik hören (normalerweise mindestens so viel oder mehr als andere Musik) und evtl. in der Presse wichtige Konzerte, Premieren, Neuerscheinungen usw. verfolgen. Aber es gibt sicher auch erfahrene Klassikhörer, die sich darum überhaupt nicht kümmern, sondern mit ihrer alten Plattensammlung zufrieden sind und halt ab und an in Konzerte gehen, wenn es sich ergibt.
    Oder eben höchstens wegen der Musik neue CDs kaufen und gar kein Interesse an dem Künstlerzirkus haben.
    Andere reisen Sängern hinterher und sammeln Autogramme usw.
    Oder Sammler, die bei irgendwelchen Erstausgaben um die Wette bieten oder Flohmärkte durchkämmen.
    Oder die, die das Glück haben, die in Städten mit vielen Konzert/Operngelegenheiten zu leben (wie Berlin, Wien, München, Hamburg u.ä.) häufig ins Konzert gehen, aber vielleicht gar nicht so viele CDs besitzen.


    Ich kann aus logistischen/finanziellen Gründen nicht oft ins Konzert (für "Großstadtniveau" müsste ich ca. EUR 50+ Fahrtkosten zahlen und eine Übernachtungs möglichkeit organisieren oder ebenfalls zahlen, Kleinstadtniveau ist mir oft zu teuer für die gebotene Qualität und so wichtig ist es mir eben auch nicht), mich interessiert der Zirkus um Stars so gut wie gar nicht, aber ich kaufe noch immer ziemlich viele CDs, höre viel Musik und fast ausschließlich Klassik. Wenn ich eines gelernt habe, dann aber mich nicht als typisch zu betrachten.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich weiß nicht, ob meine Antwort hierhin oder in den Thread über das Regietheater gehört. Aber ich versuche es mal hier.


    Ich gehöre der älteren Generation an und bin schon als Junge mit etwa 12 Jahren mit meinen Eltern in die Bonner Oper gegangen, die damals noch "Bürgerverein" hieß. Seitdem bin ich Oper- und Operettenliebhaber und viele Jahre regelmäßig in die Bonner Oper, in die Beethovenhalle (zu Konzerten) und in die Kölner Oper gegangen. Dort gab es bis in die 90er Jahre viele schöne und Interessante Aufführungen mit hervorragenden Sängern. Aber was in letzter Zeit auf den Opernbühnen geboten wurde und wird, spottet jeder Beschreibung. Zwei idiotische Opernaufführungen mit Pornoeinlage haben mich bewogen, künftig diese Bühnen zu meiden, es sei denn, es würde sich da eine Änderung auf gehobeneres Niveau einstellen. Die Hoffnung stirbt wohl zuletzt. Wie gerne möchte ich einmal wieder Oper sehen, wie ich sie schon erleben durfte und wie sie auch Komponist und Librettist sich gewünscht hätten! Dann würde ich mit Sicherheit zu den regelmäßigen Opernbesuchern und daher zum "Klassikpublikum" gehören!

    W.S.

    2 Mal editiert, zuletzt von 9079wolfgang ()

  • Ich würde sagen, daß es verschiedene Typen von Hörern gibt, die man als "Klassikpublikum" bezeichnen kann


    Mit Sicherheit zählt der Typ: "Eigentlich mag ich keine Klassik - aber...." aber NICHT dazu !!!
    Und ich würde auch den Klassik-Gelegenheitshörer ausklammern
    Ebenso jene, die eine Klassik-CD kaufen, weil sie gerade "in" ist
    oder die Interpretin/der Interpret so sexy ist....


    Meiner Meinung nach sollte ZUMINDEST EINES der weiter angegebenen Kriterien zutreffen:


    1) Der Hörer geht acht bis zehnmal jährlich ins Konzert
    2) Der Hörer geht ca 5- 6 mal jährlich in die Oper
    3) Der Hörer hat ein Konzert - oder Opernabbonnement
    4) Der Hörer hört VORZUGSWEISE "klassische Musik"
    5) Der Hörer sammelt CDs oder Schallplatten (kauft regelmäßig mindestens 1 -2 CDs pro Monat)


    Reine CD Sammmler kaufen oft unverhältnismäßig mehr Cds , als oben angegeben, weil sie ja kein Kosten durch Opern- und Konzerthausbesuche haben......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Puh, da habe ich gerade noch 1 Punkt geschafft!! :huh:
    Das ist der, dass ich vorzugsweise Klassische Musik höre. Aber das andere ist in meiner Gegend nur möglich, wenn ich all mein Geld und all meine Zeit opfern würde. 10 mal ins Konzert könnte bei uns höchstens heißen, dass ich mir alles, aber auch wirklich alles anhöre, was im Umkreis geboten würde. Auf 6 mal Oper würde ich aber auch dann nicht kommen.
    In Wien mag das alles möglich sein, im Westzipfel Deutschlands ist es schlicht unmöglich.
    Trotzdem bin ich Klassikpublikum.
    Ich glaube aber, dass man es sich enfach machen kann. Jeder der sich selbst dafür hält, ist einer!
    Gruß aus der Diaspora
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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  • 4) Der Hörer hört VORZUGSWEISE "klassische Musik"
    5) Der Hörer sammelt CDs oder Schallplatten (kauft regelmäßig mindestens 1 -2 CDs pro Monat)

    Diese auf jeden Fall. Zu 1 - 3 kann verschiedene Gründe haben, gesellschaftliche Verpflichtungen, der Chef geht ja auch hin, man muss sich auch da mal sehen lassen, die neue Garderobe der Ehefrau muss vorgeführt werden und besonders bei Premieren das Erscheinen der Spitzenpolitiker auf dem roten Teppich in Bayreuth, das sind mit Sicherheit keine Klawsikfans und die teuren Eintrittskarten haben sie auch nicht bezahlt. Beim jährlichen Wiener Opernball soll es ja nicht anders sein, oder doch?


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Und ich würde auch den Klassik-Gelegenheitshörer ausklammern
    Ebenso jene, die eine Klassik-CD kaufen, weil sie gerade "in" ist
    oder die Interpretin/der Interpret so sexy ist....


    Hier frage ich mich, ob es das überhaupt gibt. Kennedys Vier Jahreszeiten, oder Pavarotti im Fußballstadion oder wann wäre eine Klassik-CD "in" gewesen. Aber Gelegenheitsklassikhörer gibt es vermutlich gar nicht so wenige, auch wenn die Grenze nicht so leicht zu ziehen ist.



    Zitat

    4) Der Hörer hört VORZUGSWEISE "klassische Musik"


    Selbst wenn es selten sein sollte, kann jemand ein "Klassikhörer" sein, obwohl er nicht vorzugsweise Klassik hört. Wenn A im Durchschnitt eine Stunde Musik am Tag hört und 100% Klassik, dann hört er weniger Klassik als B, der zu 40% Klassik hört, aber drei Stunden Musik pro Tag. Natürlich ist die Menge nicht allein auschlaggebend, nur so als Beispiel.

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  • Der Thread zielt, indem er eine Frage von Wolfram aufgreift, stark auf den zweiten Begriffsteill "Publikum" ab. Damit scheint mir eine gewisse Vordergründigkeit präjudiziert zu sein, die sich prompt in dem Versuch Alfred Schmidts niederschlägt, den Begriff "Publikum" mit fünf Punkten inhaltlich zu fassen und einzugrenzen.


    Etwas kommt dabei aber zu kurz: Der Sachverhalt nämlich, dass hinter der gesellschaftlichen Gruppe, aus der sich, vordergründig betrachtet, das sogenannte "Klassikpublikum" rekrutiert, eine musikästhetische Grundhaltung steht.


    Man sollte vielleicht, wenn man sich mit der Fragestellung dieses Threads auseinandersetzt, diesen Aspekt nicht außer Betracht lassen. Er klingt bereits im Beitrag von Johannes Roehl an, insbesondere am Schluss, wenn er sagt:


    "..., mich interessiert der Zirkus um Stars so gut wie gar nicht, aber ich kaufe noch immer ziemlich viele CDs, höre viel Musik und fast ausschließlich Klassik."


    Ich meine, der Begriff "Publikum" sollte heute, in der Zeit der medialen Vielfalt der Rezeption von Musik, nicht auf den traditionellen Inhalt "Konzertpublikum" eingeschränkt werden. Er wäre dann nicht mehr zeitgemäß. Ansatzpunkt für eine sachgemäße Reflexion dessen, worum es hier geht, scheint mir in der Tat die musikästhetische Grundhaltung zu sein, die einen Menschen zum "Publikum" für "klassische Musik" und ihre Rezeption macht.


    Diese "Grundhaltung" könnte - das als weiterer Aspekt für die gemeinsame Reflexion und Diskussion - ja sogar mehr sein als nur eine Präferenz für eine bestimmte Art von Musik.


    Vielleicht ist es sogar eine Lebenshaltung?

  • Zu 1 - 3 kann verschiedene Gründe haben, gesellschaftliche Verpflichtungen, der Chef geht ja auch hin, man muss sich auch da mal sehen lassen, die neue Garderobe der Ehefrau muss vorgeführt werden und besonders bei Premieren das Erscheinen der Spitzenpolitiker auf dem roten Teppich in Bayreuth, das sind mit Sicherheit keine Klawsikfans und die teuren Eintrittskarten haben sie auch nicht bezahlt. Beim jährlichen Wiener Opernball soll es ja nicht anders sein, oder doch?


    So ist es eben. Ich überlege schon lange über den Sinn dieses Themas. Vorzugsweise Klassik hört auch Lieschen Müller, die immer Klassikradio einschaltet und von David Garrett, Andre Rieu und Paul Potts begeistert ist. Um dieses Publikum gehts uns doch nicht, eher vielleicht die Klassikindustrie , die davon ausgehend ihre Produkte vermarkten möchte. Es muss uns ja auch nicht darum gehen, wer wieviele CDs im Monat kauft. Ich habe schon ein recht ansehnliches Archiv und wenn ich etwas hören möchte, stets die Qual der Wahl, welche Beethoven Fünfte es denn nun sein soll usw. Deswegen werden für mich eben Neuanschaffungen in Grenzen bleiben. Schön, wenn man dann doch mal etwas Neues entdeckt, das auch das Hören lohnt.


    Das Klassikpublikum im engeren Sinne sollte schon verstehen, was es sich gerade antut, worauf es bei einer Mozart- Sinfonie ankommt und was so anders eben dann bei Bruckner ist. Und gut auch wenn man die Interpretationen beurteilen kann. Was macht ein Harnoncourt anders als ein Karajan? Was ist bemerkenswert bei Celibidache? Und wer ist Lang Lang und wer ist Julia Fischer? Wie ist eine Sinfonie oder ein Solokonzert strukturiert? Was genau macht der Dirigent? Und es gehört ein gewisses Repertoirewissen dazu. Das Sahnehäubchen ist dann noch das Beherrschen des Partiturlesens. Wobei für mich die Partitur vor allem wichtig ist für den Vergleich verschiedener Einspielungen desselben Werkes. Unglaublich, was man da für Entdeckungen machen kann!
    Verfügt man so über den entsprechenden Hintergrund, kann man dann auch mit seinem Kaufverhalten etwas Einfluss auf den Markt nehmen. Ich gehe in Berlin relativ oft ins Konzert und auch in die Oper, ein Abonnement kommt für mich aber nicht infrage. Bei diesem Überangebot genieße ich es, mir das für mich Interessante herauszupicken, und da sind es heute die Berliner Philharmoniker, morgen das DSO, übermorgen das RSB und ein anderes Mal eben ein Gastspiel. Und in der Oper geht es mir schon auch sehr um die Inszenierung, die wenn schon nicht ganz werktreu, dann jedenfalls überzeugend sein sollte. Klassikpublikum.... ein abendfüllendes Thema.


    Mit freundlichen Grüßen


    :hello:


    timmiju

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Klassikpublikum.... ein abendfüllendes Thema.

    Ja, Lieschen Müller meine ich auch nicht.


    Das Klassikpublikum im engeren Sinne sollte schon verstehen, was es sich gerade antut, worauf es bei einer Mozart- Sinfonie ankommt und was so anders eben dann bei Bruckner ist. Und gut auch wenn man die Interpretationen beurteilen kann. Was macht ein Harnoncourt anders als ein Karajan? Was ist bemerkenswert bei Celibidache? Und wer ist Lang Lang und wer ist Julia Fischer?

    Ja, ja, so sehe ich es auch.


    Das Sahnehäubchen ist dann noch das Beherrschen des Partiturlesens.

    Das wäre es wirklich. Bei Schubert-Liedern bekomme ich das noch hin, wenn ich mir nur die Singstimme anschaue, bei einer Opernpartitur muss ich leider kapitulieren. Und dennoch zähle ich mich zum absoluten Klassikliebhaber und es ärgert mich wahnsinnig, wenn ich Musik im Radio höre und zwar den Komponisten noch erkenne aber nicht sofort das relativ bekannte Musikstück. Langsames Älterwerden oder Alzheimer, wer weiß ? :jubel: :no: :jubel:


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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  • Zit: "Das Klassikpublikum im engeren Sinne sollte schon verstehen, was es sich gerade antut, worauf es bei einer Mozart- Sinfonie ankommt und was so anders eben dann bei Bruckner ist. "


    Mit Interesse habe ich gelesen, welche Ansprüche timmiju an die Rezipienten von klassischer Musik stellt, die für sich dann den Begriff "Klassikpublikum" reklamieren können oder dürfen. Ich fühle mich an unsere Diskussion über den "Anspruch", den klassische Musik an den Hörer stellt, erinnert, - und an die Prügel, die ich dafür bezog, dass ich einen derartigen "Anspruch" zu einem Faktum erklärte.


    Ich meine übrigens nicht, dass man so weit gehen sollte, wie timmiju das hier tut. Er zieht ja sogar das Partiturlesen als "Sahnehäubchen" in Erwägung. Oben meinte ich: Der Begriff "Publikum" sollte heute, in der Zeit der medialen Vielfalt der Rezeption von Musik, nicht auf den traditionellen Inhalt "Konzertpublikum" eingeschränkt werden.


    Das möchte ich noch einmal in diese Diskussion einbringen. "Klassikpublikum" konstituiert sich heutzutage nicht nur aus dem Kreis des traditionellen Konzertbesuchers, sondern ganz allgemein aus den Menschen, die klassische Musik zu einem wesentlichen Lebensinhalt gemacht haben. Das kann heutzutage auch auf dem Weg über moderne Medien geschehen. Entscheidend ist dabei, die bewusste Rezeption des musikalischen Kunstwerkes und die damit verbundene und einhergehende Aufnahme dessen, was es zu sagen hat.


    Wenn, um ein Bild von timmiju aufzugreifen, "Lieschen Müller das Klassikradio einschaltet" und über sich einfach hingehen lässt, was aus dem Lautsprecher kommt, gehört es nach meinem Verständnis also nicht zu dem, was man unter "Klassikpublikum" zu verstehen hat.

  • Vielleicht wäre es nicht ungünstig, wenn ich ein wenig über die Entsehung dieses Threads quasi "aus dem Nähkästchen" plauderte. Die Sache war so, daß ich - wie gelegentlich - das "Publikum" als obersten Richter für irgendein geschmackliches Urteil in Sachen "Klassischer Musik" bemühte. Mir wurde dagegengehalten, daß "Massengeschmack" noch lange kein Qualitätskriterium sei - siehe diverse Tageszeitungen. Ich antwortete daraufhin, es sei natürlich ein selektiertes Publikum, nämlich das Klassikpublikum. Daraufhin konterte Wolfram - er war mein Gesprächspartener - ich möge näher definieren, was ich darunter verstehe... -siehe Zitat im Beitrag 001 dieses Threads.....


    Und ich habe die Frage an Euch weitergegeben.......


    mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Also, - ich geniere mich ja, mich jetzt noch zu der Fragestellung dieses Threads zu äußern, nachdem ich weiß, dass er eigentlich dem internen Kreis der „Tamino-Nähkästchen“ zugehörig ist, dem diejenigen, die hier in Ecken und Winkeln des Forums zugange sind, nun einmal, ganz unwillentlich übrigens, ferne stehen.


    Aber so viel wenigstens:


    Der Begriff „Masse“ ist in der heutigen Soziologie obsolet. Verwendet man ihn im Sinne der Umgangssprache, dann ist er dem Begriff „Klassikpublikum“ inkompatibel. Will sagen: Es gibt kein Massenpublikum in Sachen Rezeption von klassischer Musik.


    Warum?


    Der Anspruch, den klassische Musik ihrem Wesen nach an den Rezipienten stellt, ist der einer bewussten und damit reflektierten Aufnahme ihrer musikalischen Aussage. Erfolgt diese nicht in diesem Sinne, dann liegt überhaupt kein Fall von adäquater Rezeption vor.


    Ich übernehme einmal, obwohl das hier nicht so gerne gelesen wird und ich mich damit schon reichlich unbeliebt gemacht habe, den Begriff der „Kulturindustrie“, wie ihn Adorno geprägt und inhaltlich reflektiert hat. Kulturindustrie kann ein Massenpublikum erzeugen, weil sie es braucht, - im Sinne von einer möglichst großen Heerschar von simplen Konsumenten.


    Bach, Mozart, Beethoven, Schubert, Liszt, Alban Berg…., all diese Schöpfer musikalischer Kunstwerke wollten Zuhörer, keine Konsumenten dessen, was sie künstlerisch hervorgebracht haben. Wenn man „Masse“ – in diesem engeren Sinn – begrifflich unter die Kategorie „Konsum“ subsumiert, dann kann es tatsächlich kein Massenpublikum in Sachen klassischer Musik geben.

  • Ich reiße immerhin 4 der 5 von Alfred aufgestellten Kriterien - nur beim CD-Kauf schaffe ich es dann doch noch ins Klassikpublikum.


    Wenn dann allerdings Kriterien wie "Partitur lesen können" und eine ordentliche musikalische Gesinnung gefragt sind (fest auf dem Boden der feierlichen musikalischen Grundordnung), scheiden vermutlich 99% des vorher zusammengestellten besseren Publikums wieder aus.


    Das ist dann eine wirklich elitäre Gruppe - und wahrscheinlich gehört ihr auch weniger als 1/4 der Taminos an.


    Zudem habe ich den Unterschied zwischen Zuhörer und Konsument immer noch nicht begriffen....

  • Zitat

    Zudem habe ich den Unterschied zwischen Zuhörer und Konsument immer noch nicht begriffen....


    "Zuhörer" klingt eindeutig positiver als "Konsument"! Der Sachverstand - was immer man darunter verstehen mag - ist beim Publikum eines Klassik-Konzerts vermutlich so unterschiedlich wie in einem Formel 1 Rennen; auch da befinden sich Leute im Publikum, die nicht wirklich etwas von der Technik verstehen.


    Klassische Musik war wohl zu allen Zeiten eher "elitär", Bauern und Arbeiter hatten andere Sorgen ... Ärgerlich ist, dass sich das heutzutage ein breites Publikum (um den Begriff Masse zu vermeiden) leisten könnte, aber sich leider mit "Schrott" zufrieden gibt.

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  • Aus Klaus Schultz (Hrsg.) "Aribert Reimanns Lear - Weg einer neuen Oper", dtv 1984


    S.109; Anonymes Einschreiben eines Abonnenten an die Intendanz der Bayerischen Staatsoper A.Everding zur Uraufführung des Lear:


    "Ich meine, in der Oper sollte man sich entspannen und das Leben schön finden, aber keinesfalls durch krankhaften, überspannten Musiklärm traumatisiert werden."


    S.222; C.H.Henneberg, Librettist des Lear, zu seiner Arbeit:


    "Gewisse Bildungsvoraussetzungen gelten für die Oper und sollten rücksichtslos beansprucht werden."

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Keinesfalls sollte man von einem Klassikfan verlangen, nur Klassik zu hören. Morgens beim Frühstücksbrötchen mit der Zeitung in der Hand dudelt das Radio. Da würde mich Mahler oder sogar Verdi nicht reizen. Es kann ruhig auch mal Elvis sein oder Baccara oder Andrea Berg. Man hört ja sowieso nicht richtig zu.


    Sich mit Klassik zu befassen, bedeutet für mich, bewußt dabei zu sein. D.h. im Radio oder per CD andere Einflüsse auszuschalten und sich voll darauf zu konzentrieren, was da gerade gebracht wird. Im Radio vielleicht sogar nach dem Zufallsprinzip. Das bedeutet, auch ohne Vorbereitung etwas Neues zu hören. Und wenn es dazu führt, den Konzertführer in die Hand zu nehmen und sich tiefer zu informieren, hat das durchaus einen Lerneffekt.


    Anders wenn ich eine CD einlege. Dann weiß ich, was mich erwartet,bereite es sogar vor. Meine Frau und ich machen wöchentlich 2-3 Abende, wo wir uns ca. 60-90 Minuten CD`s anhören, Orchestermusik, Oper. Und da lasen wir unseren persönlichen Geschmack los, freuen uns an schönen Stimmen, bekommen Gänsehaut beim Ständchen aus Chopins 2. Klavierkonzert oder stauenen über Salomes Schlußansprache. Übrigens - bei uns kommt jedes Jahr einmal die Alpensinfonie dran. Warum? - weil wir sie mögen und verstehen.


    Aber nichts geht über das Live-Erlebnis. Als Bewohner einer "Provinzstadt" sind wir froh und glücklich, ein gutes Orchester und einen wundervollen Konzertsaal zu haben. Deshalb haben wir Konzertabo. Wenn wir höhere Ziele haben, dann verlassen wir die Provinz, fahren ins Gewandhaus (nur ca. 75 min mit dem Auto) oder nach Dresden. Da suchen wir uns die Schmäckerli raus.


    Begonnen hat unser Klassiktrip aber mit der Oper, schon in den 50-er Jahren (mit der vielgeschmähten Jugendweihe, da haben wir mehrere Opern erstmalig gehört) - und danach mit dem Schüler-Theateranrecht. Da kamen wir 15 jährigen regelmäßig ins Theater, hörten Oper auf deutsch (und wußten, was gesungen wird). Und bei einigen hat sich diese Begeisterung gehalten. Im Schulunterricht hatten wir ja auch Musik!! Leider wird die musische Bildung heute vernachlässigt, und im Theater beträgt der Altersdurchschnit wohl weit mehr als 50!! Aber mit diesen Jugenderlebnissen sammelten wir auch Erwartungen. Diese haben sich bis heute erhalten. Wenn ich den Rigoletto sehe, denke ich zuerst an meinen ersten Rigoletto vor mind. 50 Jahren. Und immer wieder hatte ich die Erwartungshaltung, die immer mehr durch das Regietheater zerstört wird. Ich kann auch nicht nachvollziehen, wenn deutsche Opernübersetzungen nicht mehr gebracht werden, stattdessen deutsche Sänger versuchen, italienisch loszuwerden. Gut, daß ich es nicht verstehe. Und mit den deutschen Texteinblendungen - das finde ich grauenvoll. Es lenkt ab, stört die Musik. Deshalb haben wir kein Operabo mehr. Ich suche uns die Aufführungen aus,bei denen ich nicht befürchten muß, schlecht gelaunt wieder herauszukommen. Und das werden immer weniger, meistens wird auf konzertante Aufführungen ausgewichen.


    Ja, so ist das mit dem Klassikfan.


    Viele Grüße aus Gera von La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Keinesfalls sollte man von einem Klassikfan verlangen, nur Klassik zu hören. Morgens beim Frühstücksbrötchen mit der Zeitung in der Hand dudelt das Radio. Da würde mich Mahler oder sogar Verdi nicht reizen. Es kann ruhig auch mal Elvis sein oder Baccara oder Andrea Berg.

    ... oder Oldies von den Beatles, Rolling Stones u. v. a.. Vollste Zustimmung, lieber La Roche. Zustimmung auch zu fast allem anderen, außer

    Ich kann auch nicht nachvollziehen, wenn deutsche Opernübersetzungen nicht mehr gebracht werden,

    Hier unterscheiden wir uns. Mir sind die Opern in der Originalsprache wesentlich lieber als die oftmals holprigen deutschen Übersetzungen, schon wegen der Phonetik. Ich habe mich ganz schnell daran gewöhnt. In der Berliner Staatsoper war es damals schon üblich, daß in der Originalsprache gesungen wurde. Wie schön und geschmeidig klingt z. B. eine "Boheme" auf italienisch.
    Herzliche Grüße nach Gera
    CHRISSY
    Jetzt bin ich auf dem Weg zu einem kleinen Umtrunk bei einem Mini- Klassentreffen. Dabei erwarte ich per Handy die Fußballnachrichten aus Aachen. Hoffe auf einen Auswärtssieg!!!

    Jegliches hat seine Zeit...

  • ... Es kann ruhig auch mal Elvis sein oder Baccara oder Andrea Berg. ...


    Schau, schau, da gibt es doch tatsächlich noch jemanden, der Baccara kennt. Aber ob die noch gespielt werden...?


    ;)

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Was ich unter Klassikpublikum verstehe?


    Als Konsumenten allgemein:
    Musikliebhaber- bzw. Enthusiasten von Musik, die sich zufällig "klassische Musik" nennt.


    Im Konzertsaal:
    Ältere Herren nebst den dazugehörigen Frauen, die entgegen ihrer Interessen den Gatten begleiten. :P - Die europäische klassische Musik ist eher schwer (verglichen mit bspw. afrikanischer Musik) und meine Theorie ist, dass Frauen darauf in der Regel nicht stehen. Flöten und Tüdeldüüü, das geht noch. Was den Altersquerschnitt angeht - ich kann es auch anders ausdrücken: Warum nur lassen sich meine Altersgenossen (U40) so viel Schönes entgehen? Seufz.


    Ja, ich verallgemeinere.


    Ich als Klassikenthusiast höre übrigens auch noch Autechre, Plaid und derartige Band und gerne Radiohead. Dieser Tage aber zu 80% Klassik.

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  • Zit. Tapio:
    "Die europäische klassische Musik ist eher schwer (verglichen mit bspw. afrikanischer Musik) und meine Theorie ist, dass Frauen darauf in der Regel nicht stehen. Flöten und Tüdeldüüü,"


    Eine solche Feststellung lese ich hier - damit meine ich dieses Forum - mit leichtem Erstaunen, wenn nicht mit Verwunderung und Kopfschütteln.
    Was heißt - mit Verlaub - "schwer"? Und was soll an "afrikanischer Musik" "leichter" sein?


    Die "Theorie", dass "Frauen in der Regel nicht auf klassische Musik stehen", möchte ich besser nicht kommentieren. Das läse sich hier nicht gut!

  • Das mit den Frauen finde ich auch ziemlich gewagt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • "Ziemlich gewagt"?
    Nein, lieber Joseph II. Das ist eine Feststellung, die absolut indiskutabel ist!
    Man glaubt es nicht, dass man hier dergleichen lesen muss!

  • Lassen wir mal kurz die "political corectness" ebenso beiseite, wie die sicherlich nicht tragfähige "Theorie, daß Frauen in der Regel nicht auf klassische Musik stehen": Es gibt wohl inzwischen Untersuchungen, die besagen, daß Frauen grundsätzlich besser hören, als Männer und dies soll insbesondere die höheren Frequenzgänge betreffen. Insofern wäre es entgegen der der "Theorie" sogar möglich, dass Frauen "Flöten und Tüdeldüüü" sogar eher als störender empfinden, als Männer. Tatsächlich kenne ich Frauen, die z.B. mit der - durchaus glaubhaften - Begründung nicht in die Oper gehen würden, weil gerade die Spitzentöne der Sänger als schmerzhaft empfunden werden. - Aus wissenschaftlicher Sicht also dürfte dieses Thema nicht uninteressant sein. Und was die weiter oben vermutete "Theorie" angeht, nun ja ... ?(

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ich will da gar nicht mitdiskutieren, - aber: hier im Forum sind wir Männer ziemlich unter uns, oder?
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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  • Ich will da gar nicht mitdiskutieren, - aber: hier im Forum sind wir Männer ziemlich unter uns, oder?


    Wie kommst du denn darauf :no: fragt


    Mme. Cortese

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • ZIEMLICH! hatte ich gesagt.
    Weil wir hier in deutlicher Überzahl sind.
    Oder sollte ich mich hier tatsächlich täuschen?


    Klaus
    (der sich normalerweise fast immer in weiblich dominierten Welten bewegt)

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Zitat

    Im Konzertsaal:
    Ältere Herren nebst den dazugehörigen Frauen, die entgegen ihrer Interessen den Gatten begleiten. :P - Die europäische klassische Musik ist eher schwer (verglichen mit bspw. afrikanischer Musik) und meine Theorie ist, dass Frauen darauf in der Regel nicht stehen. Flöten und Tüdeldüüü, das geht noch. Was den Altersquerschnitt angeht - ich kann es auch anders ausdrücken: Warum nur lassen sich meine Altersgenossen (U40) so viel Schönes entgehen? Seufz.



    Selten soviel Blödsinn gelesen. Aber ich habe das als Witz aufgefaßt und sogar darüber gelacht.

    W.S.

  • Die Frage, was ich denn unter einem Klassikpublikum verstehen könnte, hat sich mir noch nie gestellt. Warum auch? Was hätte ich von einer Antwort, die am Ende nicht mal stimmen würde. Denn das Publikum ist niemals dasselbe. Jeder von uns ist auf seine Weise Teil dieses Publikums so wie wir beispielsweise alle Ausländer sind. Man kann doch ein Publikum nicht nach irgendwelchen Kriterien beurteilen. Als jung, als grauhaarig, in glücklichen wie unglücklichen Ehen und ähnlichen Beziehungen lebend. Entscheidend ist, dass eine mehr oder weniger große Menge Menschen zusammenkommt, um sich auf ein Kunstwerk einzulassen, das gefällt, nicht gefällt oder langweilt. Ich lebe in Berlin, gehe aber kaum mehr in die Oper, lieber in Konzerte. Das Publikum, wenn ich überhaupt eine Feststellung treffen möchte, ist auffällig jung, vor allem bei Schostakowitsch. "Klassikpublikum" ist für mich eine etwas kleinbürgerliche Idee mit Tendenz zur Abgrenzung.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wo schrieb jemand, Frauen stünden nicht auf klassische Musik?
    Wie auch immer, ich hoffe nicht, das Attribut "schwer" wurde hier im Sinne des Intellekts aufgefasst! Gemeint waren andere Attribute, die ich der europäischen, klassischen Musik zuschreibe. Ich meine das schwermütige, kriegerische, melancholische Element, das relativ häufig zum Tragen kommt (und ich habe nun Schostakowitsch-Symphonien, oder Schubert-Lieder oder Chopins Nocturnes vor dem geistigen Auge) und eben seltener das fröhliche, tänzerische Element. Und ich glaube schon, dass so eine 3. Mahler-Symphonie eher attraktiv auf Männer ist. Wahrscheinlich sehe ich die klassische Musik subjektiv und viel zu eng?
    Und was Besucher von Klassikforen angeht, da glaube ich auch, es sind Männer in der Überzahl. Die Gründe kenne ich nicht.
    Ich bin mir über die Problematik von Ausgrenzungsthemen und Tendenz- oder gar Allaussagen natürlich bewusst. Es greifen bestimmte Mechanismen, bestimmte Motivlagen werden darüber konstruiert und weitergedacht... Das ist nicht meine Sache. Ich beobachte und schreibe auf. Ich liege vielleicht auch mal daneben. Na und?

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