Der revolutionäre Beginn
Was hat der Beethoven da nur gemacht? Eine „Sinfonie in C-Dur“ ist angekündigt – und sie beginnt in F-Dur. Skandalös. – Was sagt Ihr? „Stimmt nicht?“ „Sie beginnt mit einem C7-Akkord, also sehr wohl in C-Dur?“ Na, dann fragt doch mal den 2. Flöterich, den 2. Oboisten, den 1. Klarinettisten, die als ersten Ton ein „b“ blasen müssen: Kann es sein, dass das Stück in C-Dur beginnt? Also. Natürlich nicht. F-Dur könnte es sein, d-moll könnte es sein, sogar a-phrygisch könnte es sein. Gut, Letzteres wäre für eine Sinfonie um 1800 äußerst unwahrscheinlich, das gebe ich zu – aber es wäre immer noch wahrscheinlicher als C-Dur. Denn C-Dur ist unmöglich – die zweite Flöte, die zweite Oboe und die erste Klarinette sind schuld. – Und von wegen C7: Der C7 ist zwar Dominantseptakkord auf C, aber von F-Dur und in F-Dur. (Übrigens auch von und in f-moll.) – Was hat der Beethoven da nur gemacht?
Nun hat er in F-Dur angefangen – C7-F, so sind die ersten Akkorde, aber nichts hält ihn da, schon schwenkt er mit fliegenden Fahnen zurück: G7 – also doch C-Dur? Nix – Trugschluss: a-moll. Und dann: D7 – dreimal wiederholt! Und dann G-Dur – volles Orchester! Boah! Sechs Akkorde in sieben Takten: C7/F, G7/a, D7/G, dabei die Bezirke von F-Dur, C-Dur, a-moll und G-Dur erreichend.
Für unsere Ohren, die vom Trank der Tristan-Harmonik vergiftet wurden und sogar bei Strawinsky keinen Anlass mehr finden, einen Konzertskandal anzuzetteln, klingt das alles möglicherweise äußerst harmlos. Was soll denn da Besonderes sein am Anfang dieser 1. Sinfonie?
Man kann ahnen, wie sensationell dieser Beginn gewirkt haben mag, wenn man überlegt, wo diese „langsamen Einleitungen“ zu Sinfoniesätzen herkommen: Von der Französischen Ouvertüre. Hört doch mal den Anfang von J. S. Bachs Ouvertüre (bzw. Orchestersuite) Nr. 3 D-Dur – so klingt’s staatstragend! Das ist die Musik des Absolutismus: Strahlendes D-Dur, Trompeten, Pauken. Erst am Ende des fünften Taktes erklingt mal ein Ton (gis), der nicht zur D-Dur-Tonleiter gehört. Okay, vorher waren Akkorde in G-Dur und A-Dur zu hören, aber der Tonvorrat war aus D-Dur. Wie man es auch wendet: Es klingt nach Macht, Stärke, Glanz - gottgegeben, immerwährend, staatstragend, systemstabilisierend.
Bei Beethoven hört es sich definitiv anders an. Sechs Akkorde in vier Tonarten, gewürzt mit einem Trugschluss: das alles in sieben Takten. Irritierend. Destabilisierend. Tonartzersetzend. Subversiv. Da weht der Wind der Revolution. Man hört es nur nicht in jeder Aufnahme. Ich nenne keine Namen, aber 1977 wurde in einer damals geteilten Stadt eine Einspielung für ein großes deutsches Schallplattenunternehmen gemacht … ich sag nix. Wenn man durch solche Aufnahmen geprägt wurde (und wer wurde das nicht?), dann ist es schwierig, zu begreifen, worin die Größe der 1. Sinfonie liegt. Dann ist man durch die deutsche Nachkriegs-Biedermeier-Renaissance, durch die Hochphase des Bildungsbürgertums sozialisiert. Mit allen Schubladen, die dazugehören. Da kam doch noch eine Eroica, eine Fünfte, eine Neunte … ja, das sind doch „richtige“ Beethoven-Sinfonien! … aber die Erste?