Motivation und Motorik

  • Ivo Pogorelich muß über echte Stuntmanqualitäten verfügen. Bei einem Hotelbrand in Kroatien erlitten 40 Personen Verletzungen und Vergiftungen. Doch ausgerechnet unser feinsinniger Tastendrücker rettete sich in Tarzan-Manier vor den Flammen. Obwohl vom Qualm der Ohnmacht nahe, hangelte er über die Außenfassade aus 45 m Höhe tollkühn in die Tiefe ((siehe Corriere della Sera Jan. 2002).


    Ernsthaften Pianisten, die freiwillig in ihrer Freizeit Extremsportarten nachgehen, dürfte man eher selten begegnen. Wer riskiert schon wichtige Körperteile und Karriere?


    Dennoch verbindet etwas Musiker und Sportler. Beide Seiten klagen oft über die selben Beschwerden in den Gelenken, über Verspannungen, HWS-Syndrome, Sehnenscheidenentzündungen etc. Bereits in der 20er Jahren befasste sich die Musikhochschule Berlin mit typischen Erkrankungen von Musikern. Insgesamt wurde der Bereich jedoch eher vernachlässigt.


    Der "sportliche" Vergleich zwischen (Meister-)Pianisten und Hochleistungsathleten war vor einigen Jahren Gegenstand eines Tests im Rahmen des Biomechanik-Weltkongresses an der Uni Konstanz. Unter Anleitung des Sportwissenschaftlers Prof. Riehle wurde die Testperson H e n r i e t t e G ä r t n e r, ihreszeichens Sportstudentin und Konzertpianistin, mit einem präparierten Klavier verkabelt. Bei Liszts Dante-Sonate wurden beim Tastenanschlag Kräfte von bis zu 50 Newton (50 kg) gemessen. Man kann insofern seriös sagen, die Fingerbelastung ähnelt jener von Sportkletterern (einmal abgesehen, dass beim Klettern natürlich mehr gezogen statt "gehämmert" bzw. "gedrückt" wird).


    Der Puls sank bei dem Test nie unter 120 (in richtigen Konzerten steigt er schon mal auf 180). Die Testperson selbst vergleicht stundenlanges Üben und Konzentrieren mit einem Marathonlauf.


    Aus medizinischer Sicht ist oftmals eine Diskrepanz zwischen Motivation (des Musikers) und der motorischen Umsetzung zu beobachten. Das einstige Wunderkind aus dem Schwabenland behandelte das Klavier eine zeitlang von oben herab, saß also relativ hoch, spielte zudem relativ hart und aggressiv. Das war nicht immer optimal. Weder musikalisch noch für die Gelenke. Spielökonomisch gesehen sollte die Position auch nicht zu tief sein. Allgemeingültige Regeln wird man hier allerdings kaum aufstellen können. Die Glenn Goulds dieser Erde würden eh' drauf pfeifen. Manche Pianisten sitzen gar schief (Henriette Gärtners Doktorarbeit zu dem Themenkomplex steht noch aus).


    Schulterverspannungen kenne ich persönlich bereits aus meiner Zeit als Klavier- und Akkordeonschüler. Auch von Sehnenscheidenentzündungen könnte ich ein Lied singen. Das ist aber schon eine Ewigkeit her. Heute spiele ich nur noch sporadisch "zur Entspannung". =)


    Können einige Leidgeprüfte aus eigener Erfahrung berichten?


    Gruß g

  • Hm, klingt irgendwie nach einem "FGB"-Thema, warum nicht!?
    als erstes fällt mir zu dem Thema ein, daß sich manche Chirurgen ihre Finger versichern lassen und sie irgendwann in betrügerischer Absicht einen Finger verlieren.
    Jedoch, welch Irrsinn bringt mich auf die Idee, betrügerische Mediziner mit hochkarätigen Musikanten zu vergleichen?


    Markus

  • Da fällt mir der Film-film "Martinspassion" ein, der neulich auf Arte lief.
    Es geht um den Pianisten Joao Carlos Martins, der von eine fast unglaublichen Leidensphase durchgemacht hat. Und alles begann mit einem Fußballunfall...
    Mindestens genau hat er es auch selbst verschuldet: er war auch ein süchtiger und perfektionistischer Spieler, den seine Frau häufig nachts klavierspielend vorfand.


    Am Ende hat er nur noch einen Daumen und spielt immer noch.


    Wenn man den gesehen hat, bekommt man immer Angst(wenn auch nur kurz, der Faulheit sei Dank...) man könnte auch von dieser Art Sucht befallen werden.


    Nun zum Thema: Keith Jarret hat in der Schule, wenn er sich langweilte, immer seine Daumen gedeht, weil er so kleine Hände hatte und seine Hände noch keine Oktaven schafften.
    Damit hat er dafür gesorgt, dass seine Motivation die Motorik, bzw. der Geist den Körper besiegen konnte. Aber auch er hat übertrieben, bis er aufgrund von Übermüdung gar nicht mehr spielen konnte (Die Phase hat er zum Glück überstanden).


    Glenn Gould, das schon erwähnte Paradebeispiel, schmiss ständig Pillen ein, um seine Schmerzen, die ja zwangsläufig entstehen mussten bei der Spielweise :D, zu lindern. Nur so schaffte er es, Besonderes zu vollbringen. Jede Änderung der Körperhaltung hätte wohl sein Spiel beeinträchtigt: Also bei euren Kindern immer auf die Körperhaltung achten :)

    "Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten" Gustav Mahler

  • Gärtner ist/war Sportstudentin UND Konzertpianistin? -


    SEHR ungewöhnliche Mischung! Meist verlangen ja Plattenfirmen von ihren Schützlingen,daß kein Sport ausgeübt werden darf, wegen der Verletzungsgefahr.



    Persönliche Erfahrung:


    -Nackenverspannung
    -Fingersteifheit
    -Handgelenkschmerzen
    -Schulter bis Po abwärts - Wirbelsäule/Rücken schief
    -Schulterverspannung


    Thomas: Deshalb sind ja die Versicherungsbeiträge (aber auch die Auszahlungen) bei Ärzten und Konzertsolisten ja so extrem hoch, denn es ist zwar Berufsriskio, aber gleichzeitig werden sie teilweise behindert,und können schlimmstenfalls nicht arbeiten (Arbeitsunfähigkeit/Berufsunfähigkeit).


    Ein Bekannter (spielt mehrere Instrumente,und das ganz passabel, hat aber extrem Angst vor einem Fingerverlust) von mir war mal bei der A.Versicherung und wollte sich seine Finger versichern lassen.
    Kein Sport (vor allem aber kein Volleyball!!), und die Kosten waren wirklich himmlisch. - Daraufhin der Versicherungskaufmann zum Bekannten:
    Ich glaube,daß sie sich das überhaupt nicht leisten können.
    Es ist wirklich nur für Ärzte und musikalische Voll-Profis gedacht.


    Smob: Ich glaube den Film habe ich auch gesehen.
    Hat Martins nicht im Film Pelé getroffen, den brasilianischen Superstar?


    Er hat nur noch einen Daumen...das hört sich an,als hätte er die restlichen verloren.
    Ist das die aktuelle Lage von ihm?


    Im Film hatte er doch noch die linke (?) Hand,oder?
    Und er wollte dann Bach mit einer spielen, so ähnlich nach Chopin/Godowsky Art(?!)


    Körperhaltung ist sehr wichtig.



    zu Gould: Wenn er SO spielt, wie ich ihn mal kurz in einem Video gesehen habe,nämlich mit überschlagenen Beinen,krummen Rücken (Buckel),dann kann es ECHT NICHT gesund sein!


    und folgendes passt zwar nicht ganz hier rein:


    Auf einem TV-Sender habe ich einen Bericht gesehen über ein junges Mädchen, welches an jeder Hand nur 2 Finger hatte (Mutter war wohl Contergan geschädigt). Ein großer dicker Daumen und einen großen "kleinen" Finger. Und mit dieser Behinderung spielte sie Mozart.
    Ein Hammer!!! Eigentlich absolut unmöglich! Aber sie übte und übte und hatte für sich eine eigene Methode gefunden.
    Sie hat sich dann immer mehr selbst motiviert und am Ende konnte sie Läufe problemlos spielen!!!


    !RESPEKT!

  • Wen es interessiert:


    Der gesunde Musiker, von Pia Skarabis, erschienen im Henschel Verlag.


    Pia Skarabis kennt als Begleitärztin der Berliner Philharmoniker gesundheitliche Probleme von Musikern aus erster Hand.

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