Schubert: Symphonie Nr. 4 c-Moll D 417 "Tragische" – Beiname verfehlt?

  • Vorab die bisherigen Einzelthreads zu Schuberts Symphonien:


    Sinfonie eines Pubertierenden ? Franz Schubert: Sinfonie Nr 1 in D-dur D 82
    Franz Schubert: 2. Sinfonie B-Dur - die Liebe und das Mädchen
    Schubert: Symphonie Nr. 3 D-Dur D 200 – Der Beginn eines persönlichen Stils?
    Schuberts fünfte Symphonie - "ein schwacher Abguß von Mozart" ?
    Franz Schubert: Sinfonie Nr 6 in C-Dur D 589
    Franz Schubert: Sinfonie Nr 8 h-moll D759 "Unvollendete"
    Auf den Spuren von Beethoven? - Franz Schubert: Sinfonie Nr. 9 C-Dur, D 944 "Die Große"


    Die 4. Symphonie von Franz Schubert entstand im Jahre 1816, ein Jahr nach der Dritten. Die erste öffentliche Aufführung fand allerdings erst über zwei Jahrzehnte nach dem Tod des Komponisten, im Jahre 1849, statt.


    Der von Schubert selbst gewählte Beiname wurde bereits im 19. Jahrhundert kritisiert. So bezeichnete Dvořák die Vierte eher als "pathetisch", Schumann sprach ihr das Attribut des Tragischen völlig ab.


    Wodurch sie hervorsticht unter den Schubert'schen Symphonien, ist die Moll-Tonart, in der sie komponiert wurde. Nur die "Unvollendete" ist ebenfalls in Moll angelegt.


    Sätze:


    1. Adagio molto - Allegro vivace
    2. Andante
    3. Menuetto. Allegretto vivace
    4. Allegro


    Einzelaufnahmen dürften wohl kaum existieren. Die Vierte wurde vermutlich fast nur im Rahmen von Schubert-Gesamtzyklen aufgenommen. Eine Ausnahme, die ich auf die Schnelle fand, scheint Markewitsch zu sein (gekoppelt mit der Dritten):



    Welche Aufnahmen sind eures Erachtens die empfehlenswertesten?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Ich hörte mir gerade oben abgebildete Aufnahme der 4. Symphonie unter Günter Wand an (1980), nachdem ich mir die ersten drei Symphonien zuvor nach langem wieder zu Gemüte geführt hatte.
    Also spontan gesagt kann ich den Beinamen durchaus nachvollziehen. Der Kopfsatz hat durchaus etwas Tragisches, Großes an sich. Irgendwie kann man bei der Vierten schon die nachmalige Größe der "Unvollendeten" erahnen.
    Das schöne Andante (2. Satz) danach klingt ungleich versöhnlicher und ruhiger, schafft somit den Ausgleich zum 1. Satz.
    Das schwungvolle Menuett (3. Satz) hat einen ganz eigenen Charakter. Merkt man hier den Personalstil Schuberts vielleicht schon?
    Das Finale, ein Allegro, ist wieder düsterer, klingt aber doch versöhnlich aus.
    Die Moll-Tonart bedingt eine völlig andere Atmosphäre als in den heiteren vorangegangenen und nachfolgenden Werken.
    Wie ich finde, ein sehr hörenswertes Werk, das es öfter in die Konzertsäle dieser Welt schaffen sollte.
    Die Wand-Aufnahme mit dem Kölner RSO ist tadellos und hinterläßt einen bleibenderen Eindruck als seinerzeit Karajan.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo,
    Klemperer hat die 4. zweimal eingespielt, zunächst 1950 mit Lamoureux Orchester, also in seiner Wilden Zeit und dann gibt es eine unendlich schönere Liveaufnahme mit dem Concertgebouw Orchestra vom 21.2.1957, also aus der Zeit, als er in "Bestform" war.
    Das Orchester spielt hervoragend, das Tempo ist flott.
    Ich habe noch eine Aufnahme mit Carlo Maria Giulini und dem CSO, aber Klemp ist eindeutig besser.
    Und im 2. Satz merkt man spätestens, warum sie die "Tragische" heißt, das Andante ist keineswegs idyllisch, sondern immer wieder unterbochen von harten Akzenten.
    Auch der 1. Satz kommt recht harsch fast ruppig rüber, so gar nicht der freundliche Herr Franzl Schubert.
    Den letzten Satz gestaltet Klemperer sehr düster, er wirkt durch das angeschlagene Tempo wie eine eilige Flucht.
    Für Statistiker. 8:54; 9:03; 3:03, 7:41
    Gruß S.


    PS. Zu Klemps "125. Geburtstag" 2010 brachte ein Radiosender genau diese Aufnahme. Wunderbar.

  • Auch ich habe mir jetzt die 4. Sinfonie angehört.
    Eine Beurteilung gestaltet sich einigermaßen schwierig, denn allzu stark lasten die Vorurteile einstiger Kritiker auf Schuberts Frühwerk - er war grade mal 19, als er diese Sinfonie komponierte. Man ist geneigt eigene Eindrücke mit jenen, die man bereits von anderen Kritikern, bzw Komponistenkollegen her kennt zu vergleichen und auch Widersprüche - aber auch auch Übereinstimmung zu überprüfen.

    Wir befinden uns an der Grenze zwischen Klassik und Romantik, und da kann es schon mal passieren, daß Begriffe wie "tragisch" und "pathetisch" miteinander vermischt werden. Dann ist man dazu geneigt, einige "Ungereimtheiten" dem jugendlichen Alter des Komponisten anzukreiden. Aber, das was ich als "unvollkommen" betrachte findet sich nicht nur bei Schuberts Frühwerk, sondern bei sehr vielen Komponisten dieser Zeit - und es wurde erst durch Beethoven überwunden.
    Ich spiele hier auf die jähen Stimmunmgswechsel innerhalb der Sätze an, auf den "Mangel an innerem Zusammenhalt".
    Irgendwie habe ich hier den Eindruck, es soll gezeigt werden was man handwerklich bereits kann, und man setzt es hier auch immer wieder - mehr oder weniger passen - ein. Aber wie gesagt, das ist kein Fehler von Schubert - sondern - so meine ich jedenfalls - eine Frage des Zeitgeistes. In seinen späten Sinfonien ist diese Eigenart nicht mehr zu bemerken.
    Dennoch sollte nicht ausser acht gelassen werden, daß einige Stellen bereits den typischen Schubertschen Geist atmen....
    Ich habe im Zusammenhang mit diesem Beitrag eine (meiner Meinung nach) eher schwache Aufnahme gewählt (wenngleich die englische Kritik beim Erscheinen der Erstauflage offenbar anderer Meinung war) um das Werk nicht durch eine "Jahrhundertaufnahme" aufzuwerten.....
    Sie ist in dieser Kombimnation nicht mehr erhältlich - und ich meine, die Trauer darob wird sich allgemein in Grenzen halten...


    mit freundlichen Grüßen aus Wien



    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wenn SCHUBERT mit der 4. Symphonie auch noch am Anfang seines symphonischen Schaffens stand, so galt für mich dieses Werk schon in meiner frühen Jugend als eine Symphonie, die durchaus Beachtung verdient, und die bei mir auch dazu führte, dem Orchesterschaffen SCHUBERT's mehr Bedeutung beizumessen als dies in den 50er Jahren noch der Fall war. Und als ich im Rahmen meiner Fremdsprachenausbildung 1963 ein längeres Referat über ein beliebiges Thema in französischer Sprache halten mußte, wählte ich damals schon für meinen Vortrag, den ich mit Tonbandeinspielungen musikalisch untermalte, zum großen Erstaunen meiner Kommilitonen, die in ihrer Mehrzahl nicht so auf Klassik standen, u. a. den 2. Satz aus dieser 4. Symphonie! Und das Ergebnis hinterließ sichtlich positive Eindrücke!


    Weshalb SCHUBERT dieser Symphonie später selbst den Beinamen "Tragische" gab, ist nicht mit Sicherheit überliefert. Es gibt hierfür sehr unterschiedliche Erklärungen. Eine geht davon aus, daß diese Bezeichnung dadurch entstand, daß SCHUBERT sehr enttäsucht darüber war, daß er 1816 die Anstellung als musikalischer Direktor in Laibach nicht erhielt, um die er sich beworben hatte, für andere spielte hierfür CHERUBINI's Oper "MEDEA" eine Rolle, deren Aufführung SCHUBERT vermutlich beiwohnte. Und EINSTEIN schließlich glaubt, daß der Anlaß, daß SCHUBERT überhaupt ein solches Werk in m o l l schuf - BEETHOVEN's Schöpfungen in m o l l gewesen sein könnten, wie seine 5. Syphonie oder die CORIOLAN-OUVERTÜRE. Etwas treffender als "tragisch" wäre wohl das Attribut "dramatisch", doch wenn das "Adagio molto" auch in sehr ausdrucksstarker Melodik eingeleitet wird, so erinnert das "Allegro vivace" dann doch eher an Mozart als an Beethoven. Der Beginn des 4. Satzes kommt dann BEETHOVEN schon etwas näher, im weiteren Verlauf des Satzes denkt man dann aber schon eher an Mendelssohn. Die offensichtliche, drängende Suche nach eigener Form und Tonsprache zeigt hier schon ausgeprägtere und überzeugendere Ergebnisse als in der 3. Symphonie.


    Die Erstauführung der 4. Symphonie fand am 19. 11. 1849 in Wien statt.


    Jene Musik, mit der ich damals meinen Schubert-Vortrag musikalisch ausschmückte, war eine Tonbandaufnahme von meiner LP, die ich etwa 1960 aus England kommen ließ. Es ist eine Einspielung bei HIS MASTER'S VOICE durch die LONON MOZART PLAYERS unter HARRY BLECH (02. 03. 1910 - 09. 05. 1999), einem damals sehr renommierten britischen Dirigenten (früher Violinist und Quartett-Spieler), der zunächst 1942 die "LONON WIND PLAYERS" gründete, und 1949 dann die bekannten "LONDON MOZART PLAYERS.
    Dieses Orchester gewann schnell internationale Anerkennung mit seinen Interpretationen der Werke von MOZART, HAYDN, SCHUBERT und BEETHOVEN, sowie zeitgenössischer Komponisten. HARRY BLECH wurde 1984 mit dem ORDER OF THE BRITISH EMPIRE ausgezeichnet.


    Diese LP, die übrigens auch die 5. Symphonie SCHUBERT's enthält, ist leider noch in mono, doch sagt mir diese Auslegung und das Spiel dieses Ensembles der FRÜHEN SCHUBERT-SYMPHONIEN besonders zu, und es entschädigt für die schlechtere Klangwirkung. HARRY BLECH nimmt den ersten Satz sehr schnell und temperamentvoll, das Andante dafür sehr langsam und getragen, das Schluß-Allegro wieder sehr lebhaft und schneller als KLEMPERER. Wer Interesse hat: Vielleicht kann man be Ebay oder AMAZON noch ein second-hand Exemplar erstehen!


    Viele Grüße


    wok

  • Weshalb SCHUBERT dieser Symphonie später selbst den Beinamen "Tragische" gab, ist nicht mit Sicherheit überliefert. Es gibt hierfür sehr unterschiedliche Erklärungen. Eine geht davon aus, daß diese Bezeichnung dadurch entstand, daß SCHUBERT sehr enttäsucht darüber war, daß er 1816 die Anstellung als musikalischer Direktor in Laibach nicht erhielt, um die er sich beworben hatte, für andere spielte hierfür CHERUBINI's Oper "MEDEA" eine Rolle, deren Aufführung SCHUBERT vermutlich beiwohnte. Und EINSTEIN schließlich glaubt, daß der Anlaß, daß SCHUBERT überhaupt ein solches Werk in m o l l schuf - BEETHOVEN's Schöpfungen in m o l l gewesen sein könnten, wie seine 5. Syphonie oder die CORIOLAN-OUVERTÜRE.


    Das ist eine mir noch nicht bekannte, aber sehr interessante und mögliche Erklärung für den Titel dieser ganz und gar nicht "tragischen " Sinfonie.
    Um darüber selbst noch einmal ein Urteil fällen zu können, habe ich mein Archiv auf vorhandene Einspielungen durchgesehen und bin wirklich erstaunt, dass ich nur eine einzige Aufnahme aus dem Jahre 1950 immerhin mit Otto Klemperer besitze.
    Und zwar gemeinsam mit Mendelssohns Italienischer.
    Satz 1: 06:47
    Satz 2: 08:51
    Satz 3: 03:09
    Satz 4: 07:18


    Schubert schrieb dieses Werk im jugendlichen Alter von 19 Jahren. Er war von Beethoven fasziniert und sicher reizten ihn dessen Bewältigung schicksalhafter Themen. So hat dann auch die erdenschwere Einleitung des ersten Satzes gewiss etwas ernsthaftes, ist aber von Tragik dennoch weit entfernt. Er kann auch die Moll-Tonart nicht durchhalten, über As-Dur, g-Moll findet der Satz dann schon in C-Dur seinen versöhnlichen Abschluss. Schwärmerisch und ruhig der zweite Satz, durchaus auch etwas ländlerischer Charakter, mit einem etwas ernsthafteren Mittelteil. Dann eher mit Anklängen an Beethoven das Menuett, derb und rustikal, wo ist die Tragik? Die Frage stellt sich noch mehr im Finale, auf c-Moll folgt alsbald C-Dur und alles klingt beschwingt und fröhlich aus.
    Ja, der Beiname ist völlig verfehlt. Erst in der "Unvollendeten" sechs Jahre später führen ihn die Konflikte des Lebens zu einer wirklich tragischen Aussage. Der jugendliche Franz Schubert wollte mit der 4. Sinfonie etwas Tragisches schaffen, aber war damit zu dieser Zeit noch hoffnungslos überfordert.
    Dennoch ist die Sinfonie in den Konzertprogrammen leider etwas unterrepräsentiert, was ich selbst in meiner Sammlung feststellen musste.


    Mit besten Grüßen aus Berlin


    :hello:


    timmiju

    Wenn schon nicht HIP, dann wenigstens TOP

  • Nachdem ich in den letzten Monaten viel Spohr gehört habe, fällt mir hier vor allem im Hauptthema des Kopfsatzes erstmals eine gewisse Nähe zu Spohr auf. Zwischen dessen 1. und 2. Sinfonie entstand Schuberts "Tragische".

    Ein Werk allerdings auch, das ich schon immer gemocht habe. Zum einen wegen des zupackenden Moll-Duktus, zum anderen weil ich hier schon viel Schubert Personalstil höre.


    Im von Renate Ulm herausgegebenen Bärenreiter Werkeinführungsbuch zu den Schubert-Sinfonien

    wird im Aufsatz von Rüdiger Heinze die überdurchschnittlich große Kritik an dieser Sinfonie und ihrem Titel behandelt. Man unterstellte lange eine Nachahmung Beethovens, dabei habe die Sinfonie "nur das Äußere des Beethovenschen Habitus angenommen" (Georgiades). Ob die zuweilen dramatischere Musik in Verbindung mit der 'Beethoven-Tonart c-Moll' dafür gesorgt haben? Im Aufsatz wird dargelegt, dass auch eine lockere Orientierung an Moll-Werken Haydns und Mozarts - vielleicht sogar mehr als an Beethoven - stattgefunden hat. Und dass c-Moll für Schubert eben nicht nur den tragischen Beethoven-Impetus hatte, sondern von Schubert auch mit sakraler und todesnaher Stimmung verbunden wurde. Beispiele dafür sind die c-Moll-Lieder "Nun lasst uns den Leib begraben", "Hymne an den Unendlichen" und "Chor der Engel", sowie das Requiem-Fragment in c-Moll.


    Ich finde die musikhistorische Diskussion einerseits logisch, weil Beethoven eben der Maßstab war und andererseits die Härte der Kritik an dieser ersten Moll-Sinfonie Schuberts übertrieben. Es ist im Gegenteil ein - vielleicht nicht unbedingt tragisches - aber doch sehr gelungenes sinfonisches Werk eines 18jährigen, das mich eigentlich nur lose an Beethoven erinnert. Die Spohr-Assoziation habe ich schon genannt, andere sehen mehr eine Nähe zu Haydn. Und dann ist hier doch schon sehr deutlich Schuberts Personalstil zu sehen. Alleine das Andante als eine erste Version der Rosamunde-Melodie, die bei Schubert ja öfter auftaucht (siehe auch Impromtpu Op. 142.3). Auch die harmonische Struktur des Finalsatzes (von c-Moll nach C-Dur wie der Kopfsatz, aber über durchaus entfernte Tonarten) ist ganz Schubert.

    Beste Grüße von Tristan2511


    "Glaubt er, dass ich an seine elende Geige denke, wenn der Geist zu mir spricht?"

    (Beethoven zu Schuppanzigh)

  • Giulini schätzte das Werk erkennbar: Es gibt zwei Studioeinspielungen (Chicago und BR) sowie einen früheren Live-Mitschnitt (Berlin).


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    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Mit einer kleinen Besetzung des B'Rock Orchestra hat René Jacobs die schubertsche 4. Sinfonie c-Moll D. 417 "Tragische" aufgenommen. Die Interpretation ist dem HIP-Lager zuzuordnen. Im Booklet gibt der Dirigent eine ausführliche Analyse der musikalischen Struktur.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Einzelaufnahmen dürften wohl kaum existieren.

    Lieber Joseph II.,


    das ist richtig. Du hast schon die Markevitch-Ausgabe genannt. Meine erste Bekanntschaft mit dem Werk habe ich mit dieser alten 25 cm-LP gemacht:

    Franz Schubert: Symphony No. 4

    Die Aufnahme stammt aus den frühen 1950er Jahren. Sie befindet sich noch in meinem Besitz, habe sie aber lange nicht gehört. Eduard van Beinum war ein hervorragender, leider unterschätzter Dirigent. Er hatte das Pech, nur noch die ersten Anfänge der Stereo-Ära zu erleben.


    Übrigens finde ich die Bezeichnung "Tragische" für das Werk gar nicht so daneben, es enthält viele elegische Passagen. Die Elegie des zweiten Satzes ist besonders anrührend. Ich muß dabei immer an die Arie "Jungfrau Maria" aus dem 3. Akt von Flotows "Alessandro Stradella" denken. Die ersten Takte haben eine gewisse Ähnlichkeit.


    Ich möchte hier eine Aufnahme wärmstens empfehlen, die bisher - mir ganz unverständlich - noch gar nicht genannt wurde:

    Franz Schubert / Berliner Philharmoniker, Karl Böhm – Symphonien Nr.3 • Nr.4  (1975, Vinyl) - Discogs

    Sie entstammt der GA aus den frühen 1970er Jahren und klingt ganz großartig. Böhm ist ein idealer Schubert-Interpret; mit großer Souveränität bringt er Schuberts Werk zum Klingen. Keine Nuance geht verloren. Für mich bis heute noch eine Spitzenversion, ähnlich der Neunten aus diesem Zyklus, die ich ebenso hoch schätze wie die zu Recht legendäre DECCA-Aufnahme mit Josef Krips und dem LSO (Decca, 1958).


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • Hallo nemorino,


    die beiden von Dir vorgestellten Aufnahmen der Sinfonie Nr.4 kenne ich nicht. Ich bin ja mit meinen GA mit Kertesz (Decca), Harnoncourt (Warner) (nur zufrieden was Nr. 1-6 angeht) und Karajan (EMI) soweit zufrieden.


    Aber eine Empfehlung hier bei Tamino brachte mich im Jahr 2022 auf die herrliche Doppel-CD mit Maazel/ Berliner PH mit den Sinfonien Nr. 2, 3, 4, 5, 6, 8.

    :saint: Eine ganz tolle Empfehlung, denn vorhandenen diese Aufnahmen der frühen Sinfonien incl. der Sinfonie Nr.4 wurden meine Lieblingsaufnahmen.

    Man kann über Maazel sagen was man will, da sind ja bei seinen Interpretationen einige "Klöpse" dabei ... aber Schubert zählt zu Maazels grossem Vermächtnis.


    Ein Jammer, dass sich Maazel später mit den Berliner PH überworfen hat, denn was er mit denen in den 60ern aufgenommen hat ist (von dem was ich davon gehört habe) alles von hoher Qualität.


    - die DG-Doppel-CD wird derzeit nur zu Mondpreisen angeboten -


    41HBHEX205L.jpg

    DG, 1961, 1962, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Lieber Teleton, da würde ich zu dieser Box raten - Value for money...


    Lorin Maazel - Complete Deutsche Grammophon Recordings



    Gutes Hören


    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ich habe mir - aus gegebenem Anlass - die selbe Aufnahme wie nemorino angehört, nämlich die IMO maßstabsetzende mit den Berliner Philharmonikern unter Karl Böhm. Es gibt natürlich auch etliche andere gute Aufnahmen, aber kaum jemand vermag den wienerischen Schubertton so zu treffen wie er - selbst mit den Berliner Philharmonikern.

    Ich besitze die Aufnahme mit dem links oben abgebildeten Cover - sie ist längst gestrichen. Interessant ist, daß man via Japan-Import (1-2- Wochen Wartezeit)die CD noch bekommen kann. Was das "Reissue" in diesem Zusammenhang bedeutet, ob hier ein Remastering angedeutet ist, das weiß ich nicht.

    Ich pflichte nemorino in Sachen Interpretation voll bei, hätte aber in Sachen Tonqualität einige Einwände. Sie klingt gut - aber IMO nicht wirklich hervorragend. ich empfand sie im ersten Satz bei den Fortissimostellen leicht übersteuert. 'Mag aber sein, daß daß die Röhren ein wenig übertreiben (?)
    Dennoch: ein absolutes Muß. Sogar im Harenberg Konzertführer wird sie erwähnt


    Die Frage ob "tragisch" oder "pathetisch" stellt sich mir nicht wirklich: Schubert hat sie so getauft wie sie nun heisst. Schumann war als Kritiker IMO eine Laus und unangenehm - vor allem in jenen Tagen, als er selbst noch nicht erfolgreich war.....

    Wenn Dvorak sie als "pathetisch bezeichnet, dann würde ich sagen daß tragisch und pathetisch einander nicht ausschliessen. Schubert war schließlich ein junger Komponist und kein alter Germanologe.


    Hier auf Youtube, wobei zu bemerken ist, daß yotube die Aufnahmen wegen der Datenreduzierung etwas (eine Nuance) weicher wiedergibt als auf CD


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ganz so sehr im Schatten steht Schuberts Vierte nach meinem heutigen Kenntnisstand nicht. Mit Carlo Maria Giulini nannte ich bereits es einen sehr prominenten Befürworter. Eugen Jochum legte Anfang der 1960er Jahre eine wenig geläufige Einspielung mit dem Concertgebouw-Orchester bei Philips (heute Decca) vor (gekoppelt mit Schumanns Vierter). Auch Sir John Barbirolli hat sie erstaunlicherweise kurz vor seinem Ableben eingespielt (1969 für den WDR, bei ICA erschienen). Beide Dirigenten werden ansonsten wenig mit Schubert in Verbindung gebracht.



    Kuriosum am Rande: Selbst Klemperer war im Begriff, das Werk 1963 für EMI einzuspielen. Aus irgendeinem Grund blieb es beim Kopfsatz, der in der neuen Mammutbox als Torso erstmals veröffentlicht wurde (CD 58).


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Beide Dirigenten werden ansonsten wenig mit Schubert in Verbindung gebracht.


    Ich schon - Jochum hat mit den Bostonern eine der besten „Unvollendeten“ aufgenommen, und auch die „Große C-Dur“ (mit dem Bayerischen Staatsorchester).


    Gutes Hören

    Christian

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



  • Ich schon - Jochum hat mit den Bostonern eine der besten „Unvollendeten“ aufgenommen

    Lieber Christian,


    was verstehst Du bei der Unvollendeten, als "eine der Besten" ? Welche Kriterien sind entscheidend ?


    Ich finde es schonmal nicht so angemessen, wenn das Werk unheimlich lange zerdehnt wird und die beiden Sätze je an die 14-15Min dauern. Allegro muss auch als Allegro gespielt werden und con moto im 2.Satz heisst mit Bewegung. Davon hört man in vielen Aufnahmen nichts ... Es muss mich mitreißen, die dramatischen Stellen müssen absolut fetzen.

    Leider gefällt mir die Aufnahme eines meiner Lieblingsdirigenten (Solti) in dieser Hinsicht auch nicht ... 15:47 und 13:30 sind mit zu zerdehnt.

    Meine Lieblingsaufnahme der Unvollendeten bleibt aber (genau wie bei der Neunten Grosse C-Dur) Karajan (DG, 1965), der mit 11:28 und 12:34 meinen Nerv genau trifft.


    Maazel trifft da auch die goldene Mitte und ist mit 10:47 und 11:29 genau "richtig" und hält so auch die Spannung aufrecht. Eine tolle Aufnahme , genau so straff wie die anderen Schubert Sinfonien.

    Den Beinamen "Tragische" für Sinfonie Nr.4 find ich ohnehin etwas übertrieben, aber Maazel lässt dies wenigstens etwas spüren, unterstützt durch ein straffes Tempo - Klasse !


    cheers Danke für die Empfehlung der Maazel-Box in Beitrag 12. Aber damit würde ich mir etliche Dopplungen einkaufen und Werke, die ich bereits in TOP Aufnahmen habe.

    ((Sehr gut in dieser Box ist auch die Rachmaninoff 3, die als einzige Aufnahme das zügige Tempo aufweist, was ich mir für dieses Werk vorstelle; die Erste ist bei ihm allerdings zu lasch .... ))

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Lieber Wolfgang,


    ich stimme Christian in sofern zu, als dass Eugen Jochum eine sehr spannende Interpretation von Schuberts "Unvollendeter" aufgenommen hat.


    Beim Werbepartner ist die CD leider nicht mehr erhältlich:



    Mozart: Symphonie Nr. 41 "Jupiter"

    +Schubert: Symphonie Nr. 8 "Unvollendete"

    Boston Symphony Orchestra, Eugen Jochum

    DGG, ADD, 73


    Die Zeitmaße dürften Dir sehr entgegenkommen: 11:00 und 11:04. Dass Eugen Jochum (wie seinerzeit üblich) auf die Wiederholung im 1. Satz verzichtet, kann ich verschmerzen, denn Eugen Jochum "verschleppt" oder "verzärtelt" nichts.


    Näheres ggfs. im entsprechenden Thread.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Gestern Abend noch gehört und für eine der gehaltvollsten Interpretationen der Vierten befunden:



    Dankenswerterweise legte das Budapest Music Center (BMC) 2016 diese 2-CD-Box mit den vier ersten Schubert-Sinfonien vor und vervollständigte damit unerwartet den Zyklus der Camerata Academica Salzburg unter Sándor Végh (der Rest erschien bei Capriccio bzw. später bei Phoenix Edition). Nr. 1 bis 4 wurden im Mai 1996 in der Kölner Philharmonie vom WDR festgehalten, Klangqualität ausgezeichnet und keine Störgeräusche. Es handelt sich um Tondokumente aus Véghs letztem Lebensjahr (er starb am 7. Jänner 1997).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Jochum hat mit den Bostonern eine der besten „Unvollendeten“ aufgenommen, und auch die „Große C-Dur“ (mit dem Bayerischen Staatsorchester).

    Es gibt auch eine Aufnahme von Schuberts Nr. 5 mit Eugen Jochum, die seinerzeit mit der Neunten zusammen in der Serie "The Originals" wieder aufgelegt wurde:


    The Originals - Sinfonien 5,9

    Im Gegensatz zu Nr. 9 wurde die B-dur-Sinfonie noch in Mono aufgezeichnet (2/1957). Auf LP wurde sie ursprünglich zusammen mit Jochums Aufnahme von Mozarts Sinfonie Nr. 40 KV 550 veröffentlicht (Best.-Nr. LPEM 19120).

    Die Fünfte wurde bei ihrem ersten Erscheinen von der Kritik freundlich begrüßt, während man seiner Neunten, die exakt ein Jahr danach (2/1958) in Stereo aufgenommen wurde, zuviel Sentimentalität und Detailverzettelung vorwarf. Ich persönlich finde sie gut, sie hält aber m.E. keinen Vergleich mit den etwa gleichzeitig erschienenen Versionen von Krips (Decca, 1958), Böhm (DGG, 1963) und Kubelik (EMI, 1959) aus.

    Die von Joseph II. vorgestellte Nr. 4 mit dem COA (Philips) kenne ich nicht.


    Ich kann mich auch nicht der Auffassung anschließen, daß Jochum mit dem Boston SO "eine der besten Unvollendeten" vorgelegt hat. Bei dem Überangebot von Unvollendeten scheint mir eine solche Aussage ohnehin recht fragwürdig zu sein. Mir fallen im Zusammenhang mit Schuberts "Unvollendeter" spontan immer zunächst die von Bruno Walter (CBS), Karl Böhm mit den Berliner Philharmonikern (DGG) und Günter Wand mit dem Kölner RSO ein. Auch Szell, Klemperer und Giulini haben Versionen vorgelegt, die ganz hervorragend sind. An Jochum, den ich übrigens bei Beethoven, Brahms und Bruckner hochschätze, würde ich da ziemlich zuletzt denken.


    Um wieder auf die hier zur Diskussion stehende "Tragische" zu kommen, in meiner Sammlung befindet sich die von Alfred vorgestellte Böhm-Aufnahme in dieser Aufmachung, die ich leider nirgends finden konnte:


    7970708


    aus der Serie "SCHUBERT MEISTERWERKE" mit den schönen Gemälden von J.H.W. Tischbein, dessen berühmtestes Werk wohl das Bild "Goethe in der Campagna" sein dürfte.


    Daß ich das Klangbild der alten Aufnahme vielleicht etwas zu positiv bewertet habe, mag meinem nicht mehr ganz perfekten Gehör geschuldet sein. Doch in der Beurteilung der Interpretation stimme ich hier voll zu:

    kaum jemand vermag den wienerischen Schubertton so zu treffen wie er - selbst mit den Berliner Philharmonikern.

    Ich erinnere mich, daß in einer alten Kritik zu Böhms Schubert zu lesen war: "Die Aufnahmen sind ein herrliches Hörerlebnis, unnachahmlich wird hier Wiener Charme mit einem Schuß Spreesekt serviert", ein treffliches Kompliment für den großen Dirigenten und das Orchester.


    LG Nemorino



    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Die von hasiewicz vorgestellte Nr. 4 mit dem COA (Philips) kenne ich nicht.


    Ich kann mich auch nicht der Auffassung anschließen, daß Jochum mit dem Boston SO "eine der besten Unvollendeten" vorgelegt hat. Bei dem Überangebot von Unvollendeten scheint mir eine solche Aussage ohnehin recht fragwürdig zu sein. Mir fallen im Zusammenhang mit Schuberts "Unvollendeter" spontan immer zunächst die von Bruno Walter (CBS), Karl Böhm mit den Berliner Philharmonikern (DGG) und Günter Wand mit dem Kölner RSO ein. Auch Szell, Klemperer und Giulini haben Versionen vorgelegt, die ganz hervorragend sind. An Jochum, den ich übrigens bei Beethoven, Brahms und Bruckner hochschätze, würde ich da ziemlich zuletzt denken.

    Werter Nemorino,


    ich habe keine Nr. 4 vorgestellt, und bzgl. meiner Wertschätzung zu Jochums „Unvollendeter“ stehe ich zu meinem Urteil. Es ist schon amüsant, dass du einfach willkürlich andere Aufnahmen nennst und sie, genauso wie Wolfgang, der die Aufnahme auch nicht kennt, schlicht abtust weil du bei Schubert am wenigsten an Jochum denkst. Hören - und dann urteilen!

    "...man darf also gespannt sein, ob eines Tages das Selbstmordattentat eines fanatischen Bruckner-Hörers seinem Wirken ein Ende setzen wird."



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  • eine Empfehlung hier bei Tamino brachte mich im Jahr 2022 auf die herrliche Doppel-CD mit Maazel/ Berliner PH mit den Sinfonien Nr. 2, 3, 4, 5, 6, 8.

    Lieber Wolfgang,


    auf diesen Eintrag wollte ich gerne noch antworten. Ich stimme Dir völlig zu und bedauere mit Dir, daß Maazel den frühen Schubert-Zyklus bei der DGG nicht vollendet hat. Es fehlen merkwürdigerweise nur die Sinfonien Nr. 1 und 9.

    Ein Jammer, dass sich Maazel später mit den Berliner PH überworfen hat, denn was er mit denen in den 60ern aufgenommen hat ist (von dem was ich davon gehört habe) alles von hoher Qualität.

    Nicht zu vergessen die allerersten Aufnahmen aus den späten 1950ern (Beethoven Nr. 5 + Ouvertüre "Die Weihe des Hauses" sowie Tschaikowsky Nr. 4), ebenfalls schon in Stereo. Besonders Maazels "Weihe des Hauses" halte ich bis heute für eine der besten, die ich kenne.

    Maazels später Schubert-Zyklus mit dem SOdBR hält jedenfalls keinem Vergleich mit den frühen Berliner Aufnahmen stand.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • ich habe keine Nr. 4 vorgestellt

    pardon, das war Joseph II. in Beitrag 14. Habe das soeben richtiggestellt.

    bzgl. meiner Wertschätzung zu Jochums "Unvollendeter" stehe ich zu meinem Urteil. Es ist schon amüsant, dass du einfach willkürlich andere Aufnahmen nennst und sie, genauso wie Wolfgang, der die Aufnahme auch nicht kennt, schlicht abtust weil du bei Schubert am wenigsten an Jochum denkst. Hören - und dann urteilen!

    Das ist doch auch Dein gutes Recht, daß Du zu Deinem Urteil stehst. Jochums "Unvollendete" mit den Bostonern steht in meinem Regal, und ich habe sie gestern auch mal wieder (nach langer Pause) gehört. Für mich ist es eine gute, aber nicht mehr als durchschnittliche Produktion. Es würde mich überhaupt interessieren, aus welchem Anlaß sie überhaupt entstanden ist, denn es gibt m.W. ansonsten keine Aufnahmen Jochums mit dem Boston SO. War Jochum auf Konzertreise in Boston, und hat da nebenbei auch Schuberts Nr. 8 und Mozarts Jupiter-Sinfonie aufgenommen? Entstanden sind sie im Januar 1973, mehr weiß man nicht ...


    Ich weiß, daß das hier OT ist, aber Du hast hier Jochums "Unvollendete" ins Spiel gebracht (#15), und darauf habe ich in #19 Bezug genommen. Ich bleibe bei meinem Ranking: Böhm (DGG), Bruno Walter (CBS), Wand (RCA) und füge noch Maazel (DGG) und Krips (Decca, 1969) mit den Wiener Philharmonikern hinzu, die ich ebenfalls für herausragend halte.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Maazels später Schubert-Zyklus mit dem SOdBR hält jedenfalls keinem Vergleich mit den frühen Berliner Aufnahmen stand.

    Lieber nemorino,


    interessant zu wissen, denn diese Einschätzung hatte ich bereits mehrmals über die spätere Maazel-GA der Schubert-Sinfonien mit dem Bayerischen RSO gelesen. Schön, dass die Maazel-Aufnahmen mit den Berliner PH so überragend sind, wir sie haben und schätzen.

    Ich bin aber nun ohnehin nicht so "Schubert-Verrückt", als das ich nun diese GA, oder unbedingt die von Christian favorisierte Jochum-Aufnahme der Unvollendeten aus Bayern auch noch haben müsste.

    Norbert meint ja auch, dass sie stark ist und die straffen Spielzeiten meinen Vorstellungen entsprechen.



    Von Dir lieber Christian, wollte ich nur wissen, wie Du zu dieser Einschätzung kommst, doie Unvollendete mit Jochum /Bayrisches Staatsorchester so gut zu finden.

    Ich hatte dann in Beitrag 16 genau dargelegt, wie ich mir Schuberts 8te=Unvollendete vorstelle ... und somit zu meiner Einschätzung komme Karamalz (DG) am Besten zu finden ...

    Wie ich aus zahlreichen Meinungen und Beiträgen weiß, ist das allgemein nicht die Beliebteste; besonders die 9te auf gleicher DG-CD nicht. cheers Und das ist/sind gerade DIE Aufnahmen die ich favorisiere.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • interessant zu wissen, denn diese Einschätzung hatte ich bereits mehrmals über die spätere Maazel-GA der Schubert-Sinfonien mit dem Bayerischen RSO gelesen.

    Lieber Wolfgang,


    als ich im Herbst 2008 in einer Reha-Klinik war, wurde jeden Sonntag im TV als Matinee eine Schubert-Sinfonie aus dem Münchener Maazel-Zyklus gesendet; es gab also davon auch eine Videoaufzeichnung. Ich habe mir die zum Zeitvertreib regelmäßig angeschaut, aber da ich die frühen Berliner Aufnahmen (damals auf LP) im Kopf hatte, war ich enttäuscht. Es war wenig von der jugendlichen Frische der älteren Versionen zu spüren. Warum die DGG damals die GA mit den Berliner Philharmonikern nicht komplettiert hat (es fehlen nur die Nr. 1 & 9), ist nicht nachvollziehbar. Böhms Zyklus wurde m.W. mit Nr. 9 im Jahr 1963 eröffnet, und die anderen Sinfonien folgten in den darauffolgenden Jahren, in ziemlich großen Abständen. Und Karajan machte seinen Schubert-Zyklus erst Ende der 1970er Jahre, und das bei der Konkurrenz (EMI).


    Für meine Begriffe hat Maazel seine besten Aufnahmen in seinen jungen Jahren gemacht, als er zunächst bei der DGG und anschließend vorübergehend bei PHILIPS unter Vertrag war. Die frühen DGG-Aufnahmen habe ich auf CD vor einigen Jahren erworben, mit dieser preiswerten 10 CD-Box (da sind auch die Schubert-Sinfonien dabei):

    Milestones of a Legend - 11 Original Albums - Lorin Maazel


    Auf Philips hat er ab 1965 einige Bach- und Händel-Aufnahmen (Wassermusik etc.) gemacht, vor allem aber eine ganz wunderbare h-Moll-Messe von J.S. Bach eingespielt, die sogar vor den strengen Ohren von Ulrich Schreiber Gnade gefunden hat:

    Bach Mass in B Minor


    Ich weiß, das alles hat mit Schuberts "Tragischer" wenig zu tun, aber es war mir ein Anliegen, Dir auf Deinen Eintrag zu antworten.


    LG nach Bonn,

    Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Es ist schon auffällig, dass neben Maazel (DG) noch ein weiterer früher Beinahe-Zyklus, nämlich jener von Karl Münchinger mit den Wiener Philharmonikern (Decca), leider unvollendet blieb. Bei Münchinger fehlen ebenfalls die Sinfonien Nr. 1 und 9. Immerhin die "Große C-Dur" hat er später mit der Klassischen Philharmonie Stuttgart noch vorgelegt. Die Vierte jedenfalls, um die es in diesem Thread hauptsächlich geht, gibt es mit beiden.



    Weitere frühe Gesamtaufnahmen, die heute so gut wie nie genannt werden, sind diejenige von Denis Vaughan mit dem Sinfonieorchester Neapel (RCA, 1964) sowie diejenige von Wolfgang Sawallisch mit der Staatskapelle Dresden (Philips, 1966/67). Bei beiden ist logischerweise die "Tragische" inkludiert. Zumindest Sawallisch gelangte später auf CD, wobei die Auflage vergriffen scheint.


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    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wolfgang Sawallisch mit der Staatskapelle Dresden (Philips, 1966/67).

    Lieber Joseph II.,


    Wolfgang Sawallisch teilt leider das Schicksal vieler ehemaliger Pultgrößen, inzwischen von den meisten Musikfreunden nur noch am Rande (oder gar nicht mehr) wahrgenommen zu werden. Das hat einmal damit zu tun, daß mit fortschreitender Zeit mancher einstmals große Name verblaßt, zum anderen aber auch - und das scheint mir bei Sawallisch zuzutreffen - sich selber mit zu vielen Aufnahmen selber Konkurrenz gemacht zu haben.

    Seine GA der Schubert-Sinfonien stand nach ihrem ersten Erscheinen hoch im Kurs. FonoForum lobte den Zyklus 1971 wegen seiner "straffen Tempi, dem schlanken Klang und unpathetischen Elan, bei Berücksichtigung neuester textkritisch-musikwissenschaftlicher Aspekte" und freute sich über die "Erzmusikanten der Dresdner Staatskapelle", die den Aufnahmen noch einen besonderen Glanzpunkt aufsetzten. Aber es gab von Sawallisch schon frühere Aufzeichnungen von einzelnen Sinfonien (u.a. der "Unvollendeten) mit den Wiener Symphonikern (auf demselben Label), wie er auch die Brahms-Sinfonien sowohl mit dem Wiener SO (Philips) und dem LPO (EMI) vorgelegt hat. Karajan konnte sich solchen Luxus leisten, aber vielen Plattenfreunden wurde die Plattenschwemme der 1970/80er Jahre irgendwann einfach zuviel und, vor allem, zu teuer.

    Wie auch immer, Sawallischs Schubert hat durchaus seine Meriten, und es ist bedauerlich, daß seine Aufnahmen schon lange nicht mehr greifbar sind. Selbst gebraucht ist das Angebot recht dünn.

    Denis Vaughan mit dem Sinfonieorchester Neapel (RCA, 1964)

    Diese Aufnahmen kenne ich nicht, doch ich weiß noch, daß die Kritiken damals recht verhalten ausfielen. So war beispielsweise die Rede von "dem allzu nüchternen Philologen Denis Vaughan mit dem nicht himmelstürmenden Sinfonie-Orchester von Neapel". Einzig die Tatsache, daß es damals die allererste GA der Schubert-Sinfonien war, wurde als positiv vermeldet, aber mit der Erwartung auf kommende alternative Ausgaben verknüpft.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Wie auch immer, Sawallischs Schubert hat durchaus seine Meriten, und es ist bedauerlich, daß seine Aufnahmen schon lange nicht mehr greifbar sind.

    Da sprichst Du viel Wahres an, lieber nemorino. Ich muss gestehen, mir war bis vor kurzem nicht einmal geläufig, dass es diesen Schubert-Zyklus mit Sawallisch überhaupt gibt. Als Schumann-Interpret hingegen hat er sich nach meinem Empfinden einen weitaus anhaltenderen Namen gemacht denn als Schubert-Interpret. Nun mag das auch damit zusammenhängen, dass man seinen Schumann, eine Koproduktion von EMI und Eterna, bis auf den heutigen Tag ziemlich problemlos bekommt.


    Diese Aufnahmen kenne ich nicht, doch ich weiß noch, daß die Kritiken damals recht verhalten ausfielen. So war beispielsweise die Rede von "dem allzu nüchternen Philologen Denis Vaughan mit dem nicht himmelstürmenden Sinfonie-Orchester von Neapel". Einzig die Tatsache, daß es damals die allererste GA der Schubert-Sinfonien war, wurde als positiv vermeldet, aber mit der Erwartung auf kommende alternative Ausgaben verknüpft.

    Zugegeben, es ist schon recht sonderbar, dass man seinerzeit ausgerechnet einen nicht übermäßig bekannten australischen Dirigenten und ein für das österreichische sinfonische Repertoire wenig idiomatisches neapolitanisches Orchester für eine Gesamtaufnahme der Schubert-Sinfonien wählte. Binnen weniger Jahre wurde diese RCA-Produktion dann auch obsolet.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões