Die großen Geiger des 20. Jahrhunderts - VOL 2 - MONO

  • Liebe Forianer,


    im Anschluss an das von Alfred eröffnete Thema über große Geiger der Stereo-Ära kommt es mir an dieser Stelle auf die großen Geiger der MONO-Ära an. Dabei liegt die Betonung weniger auf Ära, als mehr auf mono: die noch bis in die sechziger Jahre hinein anzutreffenden Monoaufnahmen - beispielsweise live durch Rundfunkanstalten - sind hier also ausdrücklich mit willkommen.


    Es sollen CDs der Mono-Ära empfohlen oder aber auch nur in Erinnerung gebracht werden, die Ihr für so wertvoll haltet, dass Ihr Euch im vergleichenden Hören auf sie beziehen möchtet, oder aber die Euch auch nur aus irgendeinem Grund lieb und teuer geworden sind.


    Aufnahmen, die man haben sollte, Geiger, die man kennen sollte, Geiger die unverwechselbar sind.
    Geiger die man vor dem Vergessenwerden bewahren möchte ...


    Persönliche Anmerkungen werden gerne gelesen ...


    Anlass für die Eröffnung dieses Parallelthemas ist für mich, dass ich heute Morgen voller Jubel und Begeisterung die Aufnahme hörte, die ich gleich als erste vorstellen möchte. Mir ist bewusst, dass Jubel und Begeisterung für Musik derzeit in unserem Forum nur hinter vorgehaltener Hand, möglichst still und leise und nur dann, wenn es sich absolut nicht vermeiden lässt, geäußert werden sollten, weil etwas so Plattes wie Begeisterung im Zusammenhang mit Musik von dem einen oder dem anderen nicht gern geduldet wird. Ich habe mich indes entschieden, dass mir das schnuppe sein sollte :baeh01: und hoffe sehr, dass dieses Thema nicht im Wege einer Strafaktion durch die Wächter der Musikansprüche annektiert wird. :stumm:

  • Der in der Ukraine geborene US-amerikanische Geiger Louis Krasner muss durch eine unfassbare Intensität und Emotionalität seines Spiels für sich eingenommen haben. Ich kenne ihn von dem Mitschnitt der großbritischen Erstaufführung des Berg-Konzerts vom Mai 1936 mit dem BBC SO unter Webern, bin aber besonders begeistert von seinem Münchener Konzertmitschnitt vom Juli 1954, als er mit dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Dimitri Mitropoulos Schönbergs Violinkonzert spielte.


    Auf diese CD bin ich im Rahmen einer kürzlichen allgemeinen Mitropoulos-Erweckung gestoßen, und als ich sie heute zufällig ausgewählt hörte, traten mir die Tränen in die Augen in der Wahrnehmung, welche Lyrik Krasner hier verströmt, vor allem, natürlich, im zweiten Satz, verblüffenderweise aber auch in dem Eindruck, den der erste Satz hinterlässt. Dabei ist Krasner im ersten Satz - vergleichsweise - keineswegs langsam unterwegs, bei anderen hat man noch eher das Gefühl, sie hätten die Tempoanweisung (Poco) "Allegro" übersehen. Setzt man diese Interpretation in Beziehung zu Zvi Zeitlin oder Pierre Amoyal wird deutlich, wie breit die Interpretationsspannweite reicht, die Schönberg den Ausführenden hier eröffnet.


    Möglicherweise haben sich hier in Krasner und Mitropoulos aber auch "einfach" zwei genialische Seelen im Gleichklang gefunden und gegenseitig befeuert, für die die Aufführung zeitgenössicher Musik keine große Sache und einfach "natürlich" war. Krasner hatte Bergs Violinkonzert in Auftrag gegeben und im April 1936 in Barcelona unter Hermann Scherchen zur Uraufführung gebracht. Uraufgeführt hatte er im Dezember 1940 auch Schönbergs Violinkonzert in Philadelphia unter Stokowski. Dann also dreizehneinhalb Jahre später die Münchener Aufführung - es bleibt das Gefühl, eine Aufführung zu hören, die von Zeitzeugen geleistet wird - Zeitzeugen, die mit und an diesem Stück gewachsen sind.


    Von Krasner liegen Aufnahmen der beiden genannten Violinkonzerte vor. Engagiert hat er sich auch für amerikanische Komponisten. Ich bedauere sehr, dass von Krasner nicht weitere Aufnahmen erhalten sind, vielleicht auch von nicht-zeitgenössischen Werken. Seine ansteckende Begeisterung auch in älterem Repertoire zu hören, hätte mich gefreut.

  • Wenn auch die Violine nicht zu meinen Lieblingsinstrumenten zählt (ich habe sie viel zu lange gespielt, ohne zum Abschluß zu kommen), gibt es doch ohne Zweifel viele gute Musik für dieses Instrument. Man kommt also an ihr überhaupt nicht vorbei. Wenn Ulrich hier nach den Könnern auf diesem Instrument aus der Mono-Zeit fragt, möchte ich doch die Musikfreunde an einen Geiger erinnern, den ich für einen absoluten Spitzenkönner halte: Gerhard Taschner.


    Der war 1941 Erster Konzertmeister der Berliner Philharmoniker geworden - mit neunzehn Jahren. Bei einem Konzert der BP in jenem Jahr (es standen Regers Mozart-Variationen und Dvoraks Fünfte auf dem Programm) spielte Taschner Bachs Chaconne - und wurde stürmisch gefeiert. Damit hatte er sich auch ganz nach vorn katapultiert. Bald nach dem Konzert nahm er Bachs Chaconne auf Schellack auf - und die Philharmoniker warben von diesem Zeitpunkt ab mit Taschners Bild auf ihren Programmen - nicht mit Furtwänglers.


    http://www.archiphon.de/images/arc-128-9-Taschner-78er.jpg


    Auf dieser Doppel-CD sind, wie Thomas Rübenacker seinerzeit in RONDO schrieb, einige Konzert in typischer Taschner-Manier enthalten. Die erste CD enthält Händels dreizehnte Sonate, gefolgt von der energisch gespielten Bach-Chaconne und der gezügelt, aber nicht unterkühlt gebotenen Franck-Sonate. Hier hat sich ein Violinspiel ausgeprägt, das nicht nur Taschners Emazipation vom Lehrer Hubermann zeigt (weniger Portamento-selig und rhapsodisch-schweifend), sondern auch vorbildlich für das 20. Jahrhundert wurde.


    Die zweite CD bringt bisher unveröffentlichten Aufnahmen, darunter blitzsauber gespielte spanische Schmachtfetzen - denen jetzt allerdings doch ein wenig der „Schmacht" fehlt. Taschner ist ein zu nobler Künstler, um den Rattenfänger zu geben. Dagegen bekommt es dem Tschaikowsky-Konzert sehr gut, durch Taschners Noblesse quasi wieder in den Stand der Unschuld versetzt zu werden, gereinigt von dem „Fusel“, den der Kritiker Hanslick hier triefen hörte.


    Noch ein Kuriosum: Diese Aufnahme - eine der schönsten des Werks überhaupt! - kam 1952 heraus mit dem Aufdruck „Fritz Malachovsky, violin; Berlin Symphony Orchestra; Joseph Balzer“. Der amerikanische Produzent Eli Oberstein wollte so internationales Urheberrecht aushebeln und sich die (vermutlich Rundfunk-)Aufnahme unter den Nagel reißen. Nicht einmal der Beiheft-Texter, ein Schüler Taschners, ist sicher, ob es sich um ein authentisches Taschner-Dokument handelt. Nun, wer immer da spielt, ist einer der größten Geiger des 20. Jahrhunderts.


    Ich möchte noch auf einen interessanten Artikel in DIE ZEIT hinweisen, der 1997 aus Anlaß von Taschners 75. Geburtstag erschien. Der bringt, zumindest ging es mir so, einige Details, die zu kennen lohnt:


    http://www.zeit.de/1997/23/Der_vergessene_Geiger


    Liebe Grüße vom

    .


    MUSIKWANDERER

  • Ich glaube, da darf man auch noch mit Fug und Recht "Die großen Drei" nennen, Jascha Heifetz, Yehudi Menuhin und David Oistrach, die einen großen Teil ihrer maßstäblichen Aufnahmen noch in der Mono-Ära absolviert haben.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • die Musikfreunde an einen Geiger erinnern, den ich für einen absoluten Spitzenkönner halte: Gerhard Taschner.

    Danke, Musikwanderer. Aufnahmen mit Gerhard Taschner waren für mich die persönliche Geiger-Ausgrabung der letzten zwölf Monate, ein ganz reiches Erbe, das er uns hier hinterlassen hat, und doch viel zu wenig angesichts der geigerischen und musikalischen Qualitäten, die aus seinen Aufnahmen sprechen. [-> interner Tamino-Link:] In diesem Thema zu Gerhard Taschner ist ja schon einiges an Informationen über ihn und Hinweisen auf Aufnahmen mit ihm gesammelt. Letztlich ist jede seiner Aufnahmen wertvoll für mich. So hat seine Auffassung zum ersten Bruch-Konzert meine vieljährige Lieblingsaufnahme mit Heifetz/Sargent glatt abgelöst.


    Allerdings wird das Fortner-Konzert

    auf immer mit seiner Person wesentlich verbunden sein, durch seine Aufnahmen habe ich dieses brillante Konzert erstmals kennen und inzwischen in hohem Maße schätzen gelernt. Für besonders wert, vor dem Vergessen bewahrt zu werden, halte ich seine Aufnahme mit Wilhelm Furtwängler und den Berliner Philharmonikern. Nicht, dass die alternativ vorliegenden Aufnahmen (z. B. unter Rosbaud) nicht auch ihre Meriten hätten, möglicherweise unter manchem Gesichtspunkt sogar vorzugswürdig wären. Es ist eher ein Ausdruck von Sentimentalität, wenn ich auf Furtwänglers Dirigat für dieses Werk, das erst zweieinhalb Jahre zuvor uraufgeführt worden war, immer wieder zugreife.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Den großen Fritz Kreisler lernte ich noch auf LP kennen mit einer Aufnahme von Brahms' Violinkonzert, ich meine, es begleitete das Orchester der Staatsoper Berlin unter Leo Blech. Das war zugleich meine erste Aufnahme von Brahms' Violinkonzert überhaupt.


    Ich erinnere mich, wie bezaubert ich allein schon von der Wärme dieses Geigenklangs war, den Kreisler hervorbrachte. Eine Sanftheit, ein Schmelz, so beseelt. Ich weiß nicht, ob ich einen solchen Klang nach Kreisler noch einmal gehört habe. Dass er so manches Mal daneben griff - eine Intonation, die man heute keinem mehr duchgehen lassen würde -, war sowas von egal! Als Alt-Wiener Geigenklang in der Nachfolge des jüngeren Hellmesberger, seines Lehrers, wird das beschrieben.