Französische Orgelmusik - Cavaille-Coll Orgel

  • Hallo,


    kaum eine andere Verbesserung, Modernisierung, Neugestaltung eines Instrumentes hat solche Folgen gehabt, wie die Orgelneubauten von "Aristide Cavaille-Coll" (Biographie siehe Wikipedia). Der Umstieg von der Gamben-Familie auf die der Violinen, die Klappentechnik der Bläser, die Weiterentwicklung der Oboe, Neubau Klarinette (übrigens in Nürnberg durch J. Chr. Denner), Saxophon, das Alles brachte neue, bessere, leichter zu spielende Töne und Klänge, aber mit der "Revolution" im gesamten Bereich des Orgelspiels, zumindest mit der Gründung einer romantischen Orgelschule - der französischen - nicht vergleichbar.
    Langsam übernahm die Orgel, von ihrer anfänglichen Aufgabe, die Messliturgie und den Kirchengesang der Laien zu begleiten bzw. zur musikalischen Ausgestaltung der Gottesdienste/Messen beizutragen, auch Aufgaben außerhalb des kirchlichen Bereiches. Vor und nach Bach (auch z. B. auf "Silbermann-Orgeln" usw.) wurde schon Orgelmusik außerhalb religiöser Anlässe gespielt, aber woher diese Musik kam, welche Ursprünge sie hatte, war meist zu hören.
    Im Laufe des 19. Jahrhunderts entwickelten sich in Frankreich zwei Orgelmusikrichtungen: Die klassizistische, auf Bach und Beethoven zurückgehend, und die romantisch-konzertante Richtung. Dass sich im 19. Jahrhundert auch auf nicht-französisch-romantischen Orgeln Veränderungen der Orgelmusik vollzogen haben - keine Frage - aber doch mit anderen techn. Möglichkeiten und einer anderen Spielweise und daraus folgend einem anderen Klangideal.


    Als Franck 1847 die 2. Organistenstelle an "Notre-Dame-de-Lorette" in Paris antrat, hatte er noch eine Orgel nach dem klassizistischen Bauprinzip (Bauj. 1838 ) zur Verfügung. Als er dann 1851 an der Kirche "Sainte-Croix-Saint-Jean", Paris, ein Anstellung fand, war er von der dort 1846 eingebauten 2-manualigen Cavaille-Coll-Orgel begeistert: "Meine neue Orgel", sagte Franck, "es ist wie ein Orchester!" (Zitat aus Nr. 2). Und diese Aussage trifft den Kern: Franck ist der Vater des symphonisch-konzertanten Orgelspiels in Frankreich.
    Aristide Cavaille-Coll und Cesar Franck verband eine lebenslange Freundschaft; Franck war bei vielen Cavaille-Call-Orgeleinweihungen, auch als Organist, anwesend, an deren Abnahme er zuvor als Experte beteiligt war. Es ist anzunehmen, dass sich Beide gegenseitig befruchtet haben.




    Es lässt sich - glaube ich - nicht ganz vermeiden, einige grundsätzliche Bemerkungen zur Orgel einzustellen. Ich muss mich dabei auf eine sehr grobe Kurzdarstellung - wegen des Umfangs des Beitrags - beschränken.
    Deswegen habe ich die große Bitte an die Organisten im Forum, von ihnen für dringend erforderlich gesehene Ergänzungen und/oder Richtigstellungen (als Nicht-Organist sind Fehler von mir geradezu "vorprogrammiert") zu posten.

    Einige grundsätzliche Begriffserläuterungen:
    Um die Orgel zum Leben zu erwecken, braucht es strömende Luft in den Pfeifen, in der Orgelsprache Wind; Spielwind für die Pfeifen (und Arbeitswind für, spätere, pneumatische Steuerungen. Die mittels Tretbälgen (unterschiedlichster Art), später Elektromotoren, erzeugte Luft wird zuerst in einem großen "Luftbehälter" = Windkasten gesammelt. Von dort in Arbeitswind und Spielwind aufgeteilt, letzterer unter Zwischenschaltung von Druckstabilisatoren unterschiedlicher Art (gleich bleibender Luftdruck, um Tonhöhenschwankungen durch Spielluft-Druckschwankungen auszuschalten) den Windladen (= "Holzkästen" mit konstantem Spielwinddruck unter den Pfeifen) zugeteilt. Auch zu den Windladen gibt es die unterschiedlichsten Bauprinzipien, hier kurz die Schleiflade:


    Bei einer Schleiflade handelt es sich um eine Spielwindverteilung unterhalb der Pfeifen, die sowohl den Spielwind für jede einzeln über die Tastaturen der Orgel (1 - 5 Manuale, 1 Pedal, selten 2) gespielte Orgelpfeife mittels Ventil freigibt, als auch alle Pfeifen eines Registers.


    Alle Pfeifen einer Orgel werden auf die verschiedenen Werke einer Orgel verteilt - z. B. Hauptwerk, Brustwerk, Positif, Oberwerk, Rückpositif - diese wiederum sind den einzelnen Manualen (Pedal) zugeteilt.


    Register wird begrifflich unterschiedlich verwendet:
    a) Alle Pfeifen einheitlicher Bauweise und Klang vom tiefsten bis zum höchsten Ton dieser Pfeifenart ( Fagott kann von 32-Fußpfeife bis 8-Fußpfeife reichen, Flöte von 4-Fußpfeife bis 1-Fußpfeife)
    b) Eine Pfeifenart in einem Tonumfang, z. B. Oboe 8-Fußpfeife oder Blockflöte 2-Fußpfeife
    c) Pfeifenarten, die sich in der Bauweise bei hohen und tiefen Tönen unterscheiden
    d) Halbregister, Pfeifenarten einheitlicher Bauwiese, die dennoch in ein hohes und tiefes Register getrennt werden
    e) Spielhilfen werden auch als Register bezeichnet, z. B. Tremulant, Koppel, Schweller, Crescendowalze (auch Registerschweller)


    Traktur ist die Art aller Bewegungsübermittlungen vom Spieltisch zu den einzelnen Orgelfunktionen, also insbesondere die Öffnung von Spielluftventilen einzeln unter Pfeifen oder über Registerzüge, Kopplen usw. Die rein mechanische (älteste), später pneumatische und elektrische Traktur oder elektronische Setzer anstatt Registerzügen - jede für sich mit speziellen Vor- und Nachteilen - aber auch Mischformen, die Vor- und Nachteile in bestimmten Bereichen auszugleichen versuchen.




    Was war nun neu und anders an den Cavaille-Coll-Orgeln:


    Ein großes Problem war es, für romantische Orgelmusik mit "Orchesterklang" eine differenzierte Dynamik darzustellen (das "normale" Kirchenorgelspiel im Ohr, da gibt es nur "laut und leise").


    Beim Spielwind angefangen: Es gab mehr als einen Windkasten und unterschiedliche Spielwinddrücke in den Windladen innerhalb eines Orgelwerkes, sodass die Verteilung auf die zu wählenden Windladen/Register durch Fußschalter individuell steuerbar wurde. Auch konnte man jedes Manual, bei dafür vorgesehenen Registern, "in der Mitte" so teilen, dass auf dem Manual, ohne Registerwechsel, 2 Register spielbar waren, je eines für die tieferen Tonlagen und eines für die höheren und das je vorhandenem Werk, also z. b. Hauptwerk, Rückpositif, Oberwerk usw.
    (Zitat aus Nr.3: "Vor allem die Zungenpfeifen gewinnen - durch höheren Winddruck - an Klangfülle im Diskantbereich; zudem tritt die Oberstimme klanglich deutlicher hervor." Der höhere Spielwinddruck wurde beim Bau und der Intonation der Pfeifen berücksichtigt.)


    Berücksichtigt man nun noch die örtlich und damit akustisch unterschiedliche Tonabstrahlung, -entfaltung der einzelnen Orgelwerke - Rückpositif z. B. zum Hörer vor dem Hauptwerk, Oberwerk oberhalb des Hauptwerks - dann vervielfältigen sich die Möglichkeiten einer Klangdifferenzierung.

    Die Möglichkeit der Koppel, also unterschiedliche Register zusammen mit auf dem tatsächlich gespielten Manual/Register erklingen zu lassen und auch noch auf verschiedenen Orgelwerken.


    Der Tremulant, der den/die Pfeifenton/-töne mit einem Tremolo (mechanisch erzeugte kleine Spielwinddruckschwankungen) erklingen lässt, dazu in 4 Möglichkeit langsam, schnell, schwingungsmäßig groß, klein.


    Der Schweller: Eine jalousieartige "Holzlattenkonstrution" vor einem oder 2 Orgelwerken, die vom Organisten (Trittschweller) manuell bedient, individuell steuerbar durch Öffnen oder Schließen der Jalousie den Pfeifenklang frei gibt oder dämpft.


    Mit Registerschweller=Crescendowalze und/oder Koppeln werden, der gewünschten Dynamik entsprechend, durch Fußhebel nacheinander (von leise zu laut) Register und/oder Koppeln zugeschaltet.


    Sperrventile gaben die Möglichkeit, die Spielwindzuführung noch individueller zu gestalten, z.B.: In 16' und 32'-Registern erhielten die Pfeifen 2 Luftventile, die über Tastendruck ansteuerbar waren; die in den tiefen Tönen kaum hörbaren Tonhöhenunterschiede wurden von Anfang an bei der Intonation der Pfeifen berücksichtigt ( leise Töne=1Ventil klangen etwas zu tief, hohe Töne=2Ventile etwas zu hoch).

    Pfeifen: Was für das Orchester die verschiedenen Instrumente sind, sind für die Orgel die Pfeifen, die aufgrund ihrer Tonerzeugung den Ton von Blasinstrumenten besonders gut darstellen können; es gibt aber auch Orgelpfeifen, die eine Klangcharakteristik entwickeln, die so nur auf Orgeln zu hören sind. Die Besonderheit der Klangcharakteristik einer Orgel, der Möglichkeit wie viele Instrumente und Klänge auf dieser Orgel erzeugt werden können, ob Orgelwerke aus Zeiten vor Bach und bis in die Neuzeit authentisch auf ihr gespielt werden können, ist vor Allem durch die Anzahl und Verschiedenartigkeit der eingebauten Pfeifen bedingt - 10.000 Pfeifen oder 1.000 Pfeifen
    Und schon ganz speziell zu den Cavaille-Coll-Orgeln:


    Es würde zu weit führen, vom Unterschied der Lambialpfeifen (Tonerzeugung grundlegend wie Blasinstrumente) und Zungenpfeifen (Tonerzeugung grundlegend wie Akkordeon) und den verschiedenen Materialien (div. Metalllegierungen und Holz) abgesehen, mit ihren großen Auswirkungen auf den Klang, auf die vielen Bauformen und ihren dadurch zusätzlich charakteristisch erzeugen Klang einzugehen; wenige Beispiele:


    Bei Aliquotpfeifen ertönen zu der eigentlich erklingenden Pfeife weiter Pfeifen im Obertonbereich, sodass ein gewünschter, charakteristischer Klang erzielt wird.


    Bei Pfeifenregistern mit Schwebung erklingen für eine zu erzeugende Tonart (z. B. Gambe celeste 8-Fuß) stets 2 Orgelpfeifen, die leicht zueinander verstimmt intoniert sind, sodass "Schwebung" entsteht.


    Es gab, technisch von Aristide Cavaille neu entwickelt, überblasende (speziell) Flötenregister (später auch überblasende, offene Holz-Basspfeifen).

    Der/die Tremulant/en konnten nun auch registerbezogen gewählt werden. Es wurden Register gebaut, mit den unterschiedlichen Tremulanten, auch mischbar.
    Es gab Register, in denen Lambail- und Zungenpfeifen gemischt ertönten, auch in Mixturen verschiedener Pfeifen-Fußgrößen.


    Das Register "Vox humana"/Schwebung (Menschenstimme) ist z. B. eine Klangentfaltung, die es nur auf der Orgel gibt.


    Alle diese sehr verschiedenen Möglichkeiten der Entfaltung einer bestimmten Klangcharakteristik sind nicht auf jedem Manual möglich, sodass der Organist während des Spiels, von Registerwechseln auf einem Manual abgesehen, auch auf zuvor eingestellte Register auf anderen Manualen wechselt.


    Zur Verdeutlichung eine theoretische Registrierung für einige fiktive Takte:
    Die linke Hand spielt auf dem Manual 2 = Hauptwerk mit Register Flöte 8-Fuß, Spitzgambe 8-Fuß, Rohrgedeck 8-Fuß und Oboe 4-Fuß, ab dem 6. Takt wird durch Koppel Manual 3 das Oberwerk mit Rohrflöte 4-Fuß, Feldflöte 2-Fuß, beides Aliquotpfeifen, zugeschaltet und ab dem 10. Takt kommt mit Koppel Manual 1 im Brustwerk die Crescendowalze mit Krummhorn 8-Fuß,Oboe 8-Fuß und Gemshorn 4-Fuß zum klingen.
    Die rechte Hand spielt auf dem Manual 5 = Schwellwerk Rückpositif in 3 hohen Schwebungsregistern (Vox humana, Flöten usw.) mit Tremulant leicht/schnell und gleicht sich ab den Takten 6 und 10 durch den Schweller der Dynamik im Haupt- und Brustwerk an.
    Das Pedal erklingt in Gedecktbaß 16-Fuß, Trompete 8-Fuß und nimmt ab Takt 6 die Bombarde 32-Fuß mit Sperrventil dazu.
    Ab Takt 16 kommt ein völlig anderer Klang, ohne Pedal und im Manual 1 + 3, mit neuen Registern.
    (Wahrscheinlich werden die Organisten im Forum die Hände über den Kopf zusammen schlagen ob dieser Registrierung - es sollte nur in Gedanken durchgespielt werden, was möglich sein könnte.)


    Natürlich ist der Orgelbau seit 1840/80 nicht stehen geblieben, es gab gravierende Veränderungen/Verbesserungen: Winderzeugung, elektronische Setzertechnik, leichter zu
    bedienende Koppel, Ventilsteuerung usw. usw. Aber: Bei allem techn. Fortschritt und z. T. auch bedingt durch diesen, sind manche Klangbilder der Cavaille-Coll-Orgeln auf modernen Orgeln nur mit großem Aufwand (oder gar nicht mehr) zu erzielen, so universell die zu erzeugenden möglichen Klangbilder (von vor Silbermann bis nach Cavaille-Call) auch sein mögen. Das führt dazu, dass Cavaille-Coll-Orgeln sehr behutsam restauriert werden um den Originalklang zu erhalten. Andererseits gibt es Orgelneubauten, z. B. die 1979 von der span. Orgelbaufirma Danion-Gonzales in der großen Kathedrale von Beauvais (4-manualig), welche sich streng am Klang der Cavaille-Coll-Orgeln orientiert (aus CD-Booklet J. Langlais/M.Leclerc).


    Mein nächster Beitrag wird sich mit Cesar Franck befassen und dabei werde ich die für die franz. Orgelmusik speziellen Spielanweisungen und Registriervorschriften kurz streifen.


    Herzliche Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

    Einmal editiert, zuletzt von zweiterbass ()

  • Hallo,
    zur meinem Beitrag nun die aktustische Ergänzung - nein ein akustischer Leckerbissen mit den hervorragenden Erläuterungen von Daniel Roth.


    http://www.youtube.com/watch?v=4vCD4MMz-Qc&feature=related


    Leider bin ich auf die Seite zu spät gestoßen; wenn die Kosten der geführten Reise einigermaßen erträglich gewesen wären und ich noch einen Platz bekommen hätte - da wäre ich dabei gewesen - schade um die verpasste Gelegenheit.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,


    dieser Beitrag hat nur bedingt mit diesem Thread zu tun.


    Am Wochenende hörte ich in der „Drei-Einigkeits-Kirche“ in Nürnberg auch drei der großen Orgelwerke von C. Franck (zum 125. Todesjahr). Nun hat diese Kirche eine Orgel (Orgelbauer und Baujahr?), die zumindest der Grundstruktur vieler Cavaille-Coll Orgeln ähnelt, 3-manualig + Pedal, Hauptwerk, Schwellwerk, Rückpositiv – die Art und den Umfang der Pfeifen, sowie die Register kenne ich nicht.


    Trotzdem war es für mich sehr erstaunlich, wie und dass es der Organist Dr. Christian Gabriel schaffte, dem romantischen frz. Orgelklang nahe zu kommen. In seiner kurzen Konzerteinführung erklärte er, dass er keine Mixtur verwendet. Er hat also, in Kenntnis der Werke und den damaligen Klangvorstellungen, die Pfeifenregister einzeln ausgewählt und zusammengestellt. In den unteren und mittleren Tonlagen war das Ergebnis zufriedenstellend – wenn auch vom Klang von Cavaille-Coll Orgeln noch entfernt; die hohen Tonlagen waren dann effektiv zu spitz und zu laut, was einfach daran lag, dass die dazu nötigen Orgelpfeifen nicht zur Verfügung stehen.


    Ich habe in Nürnberg auf größeren Orgeln und namhafter Orgelbaufirmen auch Werke von C. Franck gehört, aber der Klang wie in der Drei-Einigkeits-Kirche wurde nicht erreicht – es liegt also auch am Können (und Wollen?) des Organisten, wie er registriert und welchen Aufwand (Registerwechsel) er betreibt, um ein gutes Klangergebnis zu erreichen.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Vielen Dank; auf der Internetseite der Kirche war kein Eintrag und Dr. Gabriel treffe ich erst 2016 wieder; Steinmeyer ist ja zumindest in Bayern bekannt.
    :hello:

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler