Das Leiden, Sterben und der Triumph einer einsamen
Frau
Viel zu sehen gab es nicht in der neuen La Traviata in der
Staatsoper Hannover. Eine leere Bühne, nur mit einer auf rollen befindlichen
Tür, einem Fenster und einem Garderobe/Spiegelständer auf Rollen und eine
Person: La Traviata. Im Bühnenhintergrund das Orchester, getrennt durch einen
Gazevorhang.
Und doch- da waren sich die Zuschauer einig gab es enorm
viel zu erleben, an diesem Abend und die Emotionen kochten nach dieser 2,5 -stündigen
Aufführung ohne (!) Pause. Und zwar durchaus positiv.
Benedikt von Peter, dem es in der letzten Saison gelungen
war, mit Luigi Nonos Werk Intolleranza 1960 einen extremen Neutöner zu einem
ständig ausverkauften Renner zu machen (siehe meine Besprechung hier im Forum)
bekam wohl als Dank nun eine große Aufgabe und löste Sie erneut mit einer neuen
Theatererfahrung, dem „surround“ Effekt. Das Orchster auf der Bühne, Chor im 2.
Rang, viel Orchester aus den Wandelgängen und die restlichen Sänger in
verschiedenen Positionen auf dem ersten Rang.
Und auf der Bühne- reduziert wie bei Lars von Trier in Dogville
oder Manderlay- nur Nicole Chevalier als Violetta. Diese erlebt die Liebe, den
Verzicht und den Tod in einem Wahn, indem alle anderen handelnden Personen nur
in ihrer Phantasie auftauchen. Sie spielt, kämpft und ringt mit diesem
gegenüber im Zuschauerraum und in ihrem Sterben klettert sie in ihrer
unendlichen Verzweiflung über die ersten Zuschauerreihen in den Raum und wie
nie zuvor berührte einen dieses Leiden, Verzichten und Sterben dieser Frau,
weil der Fokus so auf sie gerichtet war.
Das dieses gewagte Konzept aufging ist allein der Verdienst
von Nicole Chevalier. Sie verkörperte diese Violetta so glaubhaft mit einer
solchen Präsenz, dass man ganz in ihren Bann gezogen war und die anderen Sänger
gar nicht mehr zu sehen brauchte. Und dazu sang sie mit so einer Zartheit, Tiefe,
Wärme, Intensität ihre Koloraturen, dass ständig Schauer einem über den Rücken
liefen, so bewegt war man. Ein einmaliges Erlebnis.
Erwähnt sei noch, dass es Gregor Bühl am Pult des
Staatsorchesters gelang mit intensiven Tempi trotz der erheblichen Entfernungen
zwischen Musikern und Sängern alles zusammenzuhalten und der Verdiklang war forsch
und klangschön zugleich. Die anderen Mitstreiter schlugen sich wacker, der Chor
war präzise aber schon während der Vorstellung brandete die Bravowelle über
Nicole Chevalier und schon beim ersten Erscheinen nach dem Ende erhob sich das
Publikum von ihren Plätzen.
Benedikt von Peter musste sich neben Bravo Rufen auch ein
paar Buhs gefallen lassen, aber ohne seine radikale Sicht wäre das Erlebnis
bestimmt nicht so intensiv gewesen. Allerdings weiß ich nicht, wie diese
Aufführung ohne Nicole Chevalier funktionieren soll, mit diesem großen
physischen und psychischen Einsatz, der doch einmalig ist.
Ein ganz großer unvergesslicher Opernabend in Hannover
Grüße Wenzeslaus