Alex Ross ist der kundige Musikkritiker des New Yorker; sein Buch "The Rest Is Noise" wird hier im Forum auch besprochen. In der aktuellen Nummer des "New Yorker" gibt er einen Bericht über seinen diesjährigen Bayreuth - Besuch. Ich finde, dass so eine Sicht von außen uns immer gut tut, vor allem, wo Alex Ross weder ein traditioneller Kritiker noch ein Anhänger des Regisseurstheaters ist. Ich gebe einfach mal einige seiner Einschätzungen wieder, wobei ich der Einfachheit halber (fast) alles gleich übersetzt habe.
Er blickt zurück auf den Schlingensief - "Parsifal" 2004. Dies findet er die "unfokussierteste, chaotischste Inszenierung einer Oper, die ich je gesehen habe".
Das setting des Tannhäusers habe er nicht begriffen, genausowenig, wie er schreibt, eine ganze Reihe von deutschen Liebhabern moderner Inszenierungen. Das komme eben dabei herum, wenn man eine Oper in eine schon bestehende Kunstinstallation einbaue. Ich glaube, hier sieht er einen wichtigen Punkt, den ich auch immer als Maßstab nehme: passt sich die Inszenierung dem Stück an oder liegt vorher schon ein Prokrustesbett vor, in das die Oper dann gezwängt wird. Musikalisch ist sein Urteil vernichtend: "This production fell below Bayreuth standards!" Orchester, Chor und Dirigenten nimmt er dabei aus.
Im Verlauf der Besprechung kommt dann ein Satz, den ich als Schlüsselsatz zur Kritik einer Operninszenierung überhaupt empfinde und den ich als Kriterium sehr geeignet finde. Viele Verfechter hier im Forum des Regisseurstheaters wie Wolfram oder Amfortas fordern von uns ja immer genaue Kriterien der Ablehnung. BITTE SEHR! Most problematic, Wagner´s music becomes an ironic soundtrack rather than the source of the drama!" Das ist es: ist die Musik lediglich der soundtrack zu den Ideen des Regisseurs oder gibt sie die Richtung an.
Der "Lohengrin" von Hans Neuenfels kommt bei ihm erstaunlicherweise gut weg - Neuenfels "befreit die Oper vom Kitsch und wendet sie in ein Märchen zwischen den brüdern Grimm und Kafka." Besonders lobt er Klaus Florian Vogt, gerade wegen seines mehr lyrischen Lohengrin ("a dreamlike performance") und den Dirigenten Andris Nelsons.
Der Schlusssatz: "Great Wagner performances such as this give the sensation of looking down at the world from a sadly omniscient height, like an empathic scientist observing rats in a cage."