…nach gott kömmt gleich der Papa…

  • nach gott kömmt gleich der Papa;
    das war als ein kind mein wahlspruch oder axioma,
    und bey dem bleib ich auch noch.
    Sie haben freylich recht wenn sie sagen:
    lernts was, so könnts was.


    [W. A. Mozart, Brief aus Mannheim an den Vater, 7. März 1778]


    Über den Thread-Titel kann man streiten. Der Alternativtitel lautet: lernts was, so könnts was


    Welche Rolle nehmen die Eltern von Künstlern [lebend oder lebend gewesen] ein? Ist es deren Aufgabe und Pflicht, die Kinder bei künstlerischen Projekten zu unterstützen? Ist es deren Recht, Kinder vor einer künstlerischen Karriere zu warnen bzw. diese zu verhindern? Müssen Eltern, deren Kinder in jungen Jahren eine künstlerische Laufbahn einschlagen [wollen], sich intensiv mit „der Kunst“ beschäftigen, um diese beurteilen und dann fördern oder ablehnen zu können? [Die Eltern beispielsweise Medizin Studierender lesen sich wohl auch selten in den Themenkomplex ein...].


    Dies ist nur ein Randbereich von Fragen, die sich vielleicht im weiteren Verlauf des Threads noch ein wenig konkretisieren lassen.


    Welche positiven und negativen Beispiele gibt es? Auch eigene Erfahrungswerte dürfen dargestellt werden.


    Noch ein paar "reizende" Schlagworte für den Anfang:


    brotlose Kunst
    Star sein wollen
    Star sein können
    Kindheit "verspielt"
    Künstlerstatus
    ...


    Gespannte Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Danke Ulli,


    dass Thema ist ein ergiebiges und Notwendiges dazu.
    Es wird heute im allgemeinen übersehen, dass wir unseren Nachfahren, seien sie gewarnt oder nicht, meist den grössten Teil der Musik und besonders den theoretischen, vorenthalten. An öffentlichen Schulen jedenfalls ist der Irrglaube, zeige ein junger Mensch nicht besondere Neigung oder (und) Talent, sei eine fundierte Musikalische Ausbildung überfüssig, sehr verbreitet und so verkommt der Erwerb musikalischer Grundbildung zum Privileg der Nachkommen weniger begüterter und (noch weniger) gebildeter Menschen.


    Auch die Tatsache, dass unsere Kultur mehr als nur erste Anzeichen von Dekadenz- im besonderen meine ich kulturellen Verfall- zeigt, irritiert offenbar niemanden an der blödsinnigen Theorie festzuhalten, die davon ausgeht, es komme auf das Kind an.


    Das ist so falsch wie möglich, denn Musik beschreibt die Wirklichkeit, wie auch andere Wissenschaften und Künste. Wer Wirklichkeit beschreibt, macht unbekanntes Fassbar, hilft verstehen, aber er definiert auch und hier ist Musik unerlässlich. Anders bleibt diese wichtige Funktion den Physikern, Mathematikern, Biologen oder Chemikern überlassen. Und den überlebenden Literaten und bildenden Künstlern.


    Mozart ist als früh geförderte Begabung ein bekanntes Beispiel. Es gibt keinen vernünftigen Grund dafür Bildung von willkürlichen Einfällen und zufälliger Neigung abhängig zu machen. Zu unser aller grossem Glück ist dies eine allgemein gültige Erkenntnis, denn sonst blieb einem Kind, dass Neigung und Begabung zum rechnen nicht zeigt, nach dem Vorbild der Musik selbst das erlernen des kleinen Einmaleins erspart.


    Ich habe in der Vergangenheit einige Jahre intensiv unterrichtet und unter meinen Schülern sind einige Gewesen die jedenfalls das künstlerische Talent für eine musikalische Laufbahn besessen haben, aber aufgrund ihres schon jugendlichen Alters und des Versäumens des notwendigen Erwerbs von Grundlagen während der Kindheit (wofür in allen Fällen die Ignoranz und Unkenntnis der Eltern verantwortlich gewesen ist), habe ich in den meisten Fällen abraten müssen.


    Sind aber diese Grundlagen vorhanden, in der Jugend nicht selten vom intensiven, brennenden Wunsch ein Musiker zu werden begleitet, spricht nichts gegen eine musikalische Ausbildung. Der verbreitete Unsinn, hier handele es sich jedenfalls um "brotlose Kunst", ist ja nicht zutreffend. Wirtschaftlicher Erfolg ist in meiner Branche so wenig oder so viel von Glück und Zufall abhängig, wie in anderen auch. Ich möchte die Lage nicht schön reden, einige Kollegen kämpfen um ihre Existenz. Aber es gibt unter den "brotlosen Künstlern" nicht nur verkannte Genies, sondern auch Individuen deren Liebe zur Musik eben mangels Talent und Ausbildung unerwidert bleibt.


    Falls einer meiner Nachfahren mich einst mit dem intensiven Wunsch, den Beruf des Maurers oder Bautischlers zu ergreifen konfrontierte- DAS würde ich für "brotlose Kunst" halten und den Knirps zurück an´s Klavier schicken.

  • Nur eins noch:


    Sollte es mich wundern, dass dieselben Eltern, die musilkalische Ausbildung für völlig unnötig erachtet haben, ihre Sprösslinge ohne Bedenken in die Fänge dieser TV-Popstar-Mafia-Bosse entlassen?


    Unbekannt ist offenbar, dass die wenigsten derer, die in diesem Beruf ihr Auskommen finden prominent von der Öffentlichkeit wahrgenommen werden.

  • Salut Schacht,


    [es ist blöd, Dich mit Deinem Nachnamen anzureden].


    Ich hatte einen Klassenkameraden, einen besten Freund also; er war das Erste von vier Kindern einer Altsprachler-Professorenfamilie. Ihn umgaben drei Schwestern, eine schöner als die andere. Die älteste davon spielte Klavier, die mittlere ebenfalls, stieg dann auf Geige um, die jüngste spielte Cello, was passte. Er selbst, also der Freund, spielte Radio [immer das Neueste vom Neuesten, quasi als Paroli]. Er war zwar das erste von vier Kindern, aber das fünfte Rad am Wagen. Der Vater war nie da, Professor zunächst am Wohnort, später im Münsterland, die Mutter hatte Literatur studiert und gab sich für die musikalische Ausbildung ihrer Töchter völlig auf. Sie "übte" alle Tage mit allen Dreien und las sich penetrant in die entsprechende musikalische Literatur hinein. Ich muss sagen, Sie hatte definitiv Ahnung, konnte aber selbst kein Instrument spielen. Die Drei brachten es soweit, dass sie einmal einen ersten [?] Preis bei Jugend Musiziert gewannen. Egal was man nun von Jugend Musiziert halten will, die Leistung war beachtlich. Mittlerweile spielt keine von den Dreien mehr ein Instrument regelmässig, alle haben irgendetwas sutdiert [Medizin, Philosophie...], wobei das ja nicht schlecht ist.


    Wie würdest Du diese Entwicklung einschätzen?


    Liebe Grüße
    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Hallo Ulli.


    (Mein Vorname ist Thilo und ich habe nichts dagegen wenn er zur Anrede verwendet wird.)


    Schwer zu sagen. Es ist ja nicht tragisch und ungewöhnlich auch nicht, dass nicht aus jedem Jugend Musiziert-Teilnehmer ein Berufsmusiker wird. Wenn die drei heute vielleicht noch gelegentlich musizieren, waren die Anstrengungen Ihrer Mutter jedenfalls nicht vergebens.
    Anders ist es, falls ihre Beziehung zur Musik unter diesen Anstrengungen gelitten haben sollte. Es lässt mich aufhorchen, wenn die Liebe zur Musik nicht musizieren sondern nur die Projektion dieser Vorliebe auf die Nachkommen nach sich zieht.


    Ich plädiere ja nur für die Kompensation der an staatlichen Schulen oft fehlenden musikalischen Grundbildung; nicht dafür mit fanatischem Ehrgeiz seine Nachfahren, gleich wie begabt sie sein mögen, zu Berufsmusikern zu machen. Aus Erfahrung weiss ich, dass solche Eltern mit Ihrem auf die Kinder übertragenem Ehrgeiz didaktische Systeme eher torpedieren und nicht selten ungewollt dafür verantwortlich sind, wenn diese die Lust an der Musik verlieren oder niemals entdecken und das musizieren später vollständig unterlassen.


    Man sollte ich also entspannen oder?


    - Fast jeder ist in der Lage die Grundrechenarten zu erlernen ohne zwangsläufig zum Mathematiker zu taugen.
    - Die meisten lernen lesen und schreiben, werden aber seltener Schriftsteller.
    - Auch ein wenig Klavierspielen überfordert kaum einen.


    Der Beruf des Musikers fordert ja einige Opfer. Wem sage ich das. Nach allem was hier lese, kennst Du Dich ja aus. Die damit Verbundenen Nachteile wünsche ich nur tatsächlich ausreichend talentierten und ausgebildeten. Es gibt genügend unnötig gescheiterte Existenzen im Umfeld des musikalischen Betriebes. Ich finde es (wie gesagt) nicht sinnvoll übermässig zu drängen. Das richtige Mass Unterstützung zu finden ist bestimmt angebrachter und bedeutend schwieriger.


    Liebe Grüsse, Thilo.

    Einmal editiert, zuletzt von Schacht ()

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  • Es ist ein uralt Thread, auf den ich aus Neugierde wegen des Titels gestossen bin.


    Es fallen mir vier Beispiele ein, in denen Sänger aus musikalischen Familien stammen. Ein gewisses Potential muss in der Stimme gegeben sein, das man entfalten kann. Die Förderung des Talentes wird in einem musikalisch geprägten Elternhaus leichter zu verwirklichen sein. Den Entscheid eine musikalische Laufbahn einzuschlagen bleibt letzlich Entschluss des Kindes. Die Eltern können es darin unterstützen, indem sie ihm ein musikalisches Umfeld bieten. Die Nachteile einer Gesangslaufbahn werden ihnen aus nahem Erleben bekannt sein. Der Wunsch sich musikalisch auszudrücken, überwiegt. Manchmal sind es auch die Lebensumstände, die eine Karriere befeuern. Ein grosser Name eines Familienangehörigen kann Last und Bürde sein, wenn man eine musikalische Berufslaufbahn wählt.


    Der Tenor Daniel Behle, dessen Mutter die weltberühmte dramatische Sopranistin Renate Behle ist. Er studierte erst Posaune. Die Sängerin erkannte das Potential ihres Sohnes, unterrichtete ihn. Den Entschluss fasste er selbst, die Sängerkarriere einzuschlagen.


    Der Tenor Fritz Wunderlich entstammte einem musikalischen Elternhauses. Sein Vater war Cellist, Kapellmeister und Chordirigent, seine Mutter Violinistin. Der frühe Tod des Vaters führte dazu, dass die Familie vollständig verarmte. Die Mutter gab Musikunterricht, und schon früh lernte Wunderlich verschiedene Musikinstrumente und begleitete Mutter und Schwester, zur musikalischen Unterhaltung aufspielten. So sicherten sich die Familienmitglieder das finanzielle Auskommen. Später konnte sich Fritz Wunderlich so auch sein Musikstudium mit Tanzmusik selbst finanzieren. Er erhielt ersten Gesangsunterricht. Das war der Beginn der allzu kurzen Weltkarriere.


    Der Bariton Florian Prey ist Sohn des bedeutenden Sängers Hermann Prey. Von seinen beiden Schwestern ist mir nicht bekannt, ob sie sich musikalisch betätigen. Von klein auf war Florian Prey mit der Musik seines Vaters verbunden. "Das war für mich ein grosses Glück", sagt der Sohn einmal in einem Interview. Dass er dann ebenfalls den Beruf des Sängers ergriffen habe, sei eher mutig gewesen. Es sind schließlich die Fussstapfen eines weltberühmten Vaters, in die er tritt: Der Bariton Hermann Prey sang in den grössten Konzertsälen. "Meinen Vater trieb es in die Welt hinaus", erzählt Florian Prey. "Er wollte allen zeigen, dass er sie mit seinem Gesang beglücken kann. Er lebte für die Bühne, mit der Bühne."


    Julian Prégardien ist Sohn des Tenors Christoph Prégardien, seine Mutter ist Klarinettistin. Er entstammt einer musikalischen Familie. Sein Großvater war Gründungsmitglieder der Limburger Domsingknaben. Wie sein Vater sang er in diesem Chor.


    * * * * *


    Ich für meinen Teil entstamme aus keiner musikalischen Familie. Nicht bildungsfern, der Wunsch des Sohnes wurde von den Eltern unterstützt. Sie hätten mich im Sport unterstützt, wenn ich dafür Talent gehabt hätte. Musik hat mich fasziniert und ich habe Querflöte erlernt und in der Folge alle Holzblasinstrumente. Eine Karriere als Berufsmusiker wollte ich nicht einschlagen, obwohl ich durchaus Potential als junger Erwachsener besass. Ich bin ein ambitionierter Amateur geblieben.

    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Ein ähnliches Thema, das aber über Vater-Sohn-Beziehungen hinausgeht, findet sich hier:


    Musikalische Familienbande

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent