Drei Thesen zu Opernaufführungen

  • 1. Aufgabe einer Opernaufführung ist es, beim Publikum die von Librettist und Komponist beabsichtigte Wirkung in bestmöglicher Weise zu erzielen.



    2. Die bloße Umsetzung der in der Partitur enthaltenen textlichen, musikalischen und szenischen Anweisungen gewährleistet noch nicht in jedem Falle, dass die von Librettist und Komponist beabsichtigte Wirkung beim heutigen Publikum erzielt wird.


    Denn die Partitur sowie das darin enthaltene Libretto und die szenischen Anweisungen waren lediglich ein Mittel, um beim Publikum der Zeit der Uraufführung die beabsichtigte Wirkung zu erzielen. Sie waren auf diese Zeit und den soziokulturellen Kontext abgestimmt und sind kein Selbstzweck.



    3. Aus den ersten beiden Thesen ergibt sich, dass es notwendig erscheinen kann, bei einer Aufführung für ein heutiges Publikum andere Mittel zu wählen, als Librettist und Komponist dies in ihrer Zeit für ihr Publikum taten.


    Die Beweislast für die künstlerische Notwendigkeit bzw. die Aufgabe der Rechtfertigung liegt dabei stets bei demjenigen, der den Eingriff in das Werk vornimmt. Maßstab für die Legitimität ist die tatsächlich erzielte Wirkung.


    Kündigt das Publikum in großer Zahl seine Abonnements, so kann dies in den meisten Fällen nicht als Absicht von Komponist und Librettist gelten.

  • Aufgabe einer Opernaufführung ist es, beim Publikum die von Librettist und Komponist beabsichtigte Wirkung in bestmöglicher Weise zu erzielen.


    Was die beabsichtigte Wirkung ist, ist manchmal gar nicht so einfach zu sagen. Gerade darin liegt eine Aufgabe der Regie. Sicher gibt es einerseits recht klare Fälle, andererseits kompliziert gelagerte.


    Bei „La Bohème“ dürften viele darin übereinstimmen, dass das Publikum vor allem gerührt werden soll angesichts der Tatsache, dass ein als einfach und anständig gezeichnetes Mädchen aus Armut sterben muss. Diese Rührung zu erzielen und dabei mit (damals untypischen) Bildern aus dem „wahren Leben“ (keine Könige, Ritter, Helden, Drachen, Druiden) zu unterhalten, ist wohl zumindest eine beabsichtigte Wirkung des Stücks. (Dass Mimi sich offenbar am ersten Abend mit Rodolfo auf ein Abenteuer einlässt – wir schreiben das Jahr 1830 -, und daher vielleicht gar nicht mal ganz so anständig sein mag, steht erst einmal auf einem anderen Blatt.)


    In der „Götterdämmerung“ ist es komplizierter, da sich die Absicht des Komponisten während der Genese des Werks änderte: War es in 1848 noch das Anliegen Wagners, das unschuldige Scheitern eines Helden (Siegfried) an höheren Mächten zu zeigen, so hatte er im finalen Entwurf die Göttertragödie im Fokus. – Dies zeigt sich ganz direkt am Wechsel des Namens dieses Teils des Rings: Aus dem ursprünglichen Titel „Siegfrieds Tod“ wurde die „Götterdämmerung“. Aber auch an den verschiedenen Versionen des Schlussgesangs der Brünnhilde ließe sich zeigen, wie sich Wagners Absichten verändert haben.


    So einfach ist die Absicht von Komponist und Librettist also nicht zu fassen. In der Zauberflöte waren die Absichten von Komponist und Librettist sogar gegenläufig: Mozart wollte den Papageno aus der Handlung eliminieren, Schikaneder setzte ihn wegen der komödiantischen Anteile durch. Mozart machte musikalisch das Beste daraus.


    Ein Regisseur muss reiflich überlegen und schließlich entscheiden.

  • Die bloße Umsetzung der in der Partitur enthaltenen textlichen, musikalischen und szenischen Anweisungen gewährleistet noch nicht in jedem Falle, dass die von Librettist und Komponist beabsichtigte Wirkung beim heutigen Publikum erzielt wird.


    Denn die Partitur sowie das darin enthaltene Libretto und die szenischen Anweisungen waren lediglich ein Mittel, um beim Publikum der Zeit der Uraufführung die beabsichtigte Wirkung zu erzielen. Sie waren auf diese Zeit und den soziokulturellen Kontext abgestimmt und sind kein Selbstzweck.


    Ich will gar nicht auf Fälle der ganz frühen Oper (Monteverdi, Cavalli) eingehen, wo der Komponist lediglich eine Skizze hinterließ, die von den jeweiligen Aufführenden erst einmal zu einer ausführbaren Fassung ergänzt werden musste – auf Basis der verfügbaren Instrumente und Instrumentalisten, auf Basis der Größe des Raumes usw. Der Begriff des „Werkes“, der manchmal wie ein Heiligtum behandelt wird, war ein ganz anderer – wenn er hier überhaupt sinnvoll ist. - Diese Opern sind für heutige Verhältnisse kaum relevant, darum will ich auf diese Problematik nicht weiter eingehen. (Es wäre aber sehr wohl zu fragen, ob Wagners Ring nicht etwa doch den gedeckelten, stufenweise sich absenkenden Orchestergraben braucht!)


    Aber es gibt viele Beispiele dafür, dass die Partitur nur Mittel zur Erreichung eines höheren Zwecks ist. Es ist bekannt, dass (zumindest einige) Komponisten ihre Partitur häufig änderten, um ihre Absichten zu besser zu vermitteln. Ein Beispiel wäre Mahler: „Ich möchte meine Partituren alle fünf Jahre neu herausgeben“. Aber auch Wagner hatte das Gefühl, der Welt den Tannhäuser noch schuldig zu sein. Das heißt doch, dass die Partitur zumindest in einigen Fällen nur als vorläufiges, unfertiges Stadium zur Vermittlung der “eigentlichen“ Ideen von Librettist und Komponist angesehen werden muss. Ist es da nicht naheliegend, unter Umständen die von Librettist und Komponist gewählten temporären Zwischenlösungen weiterzudenken?


    Zum anderen ist ein zur Zeit der Uraufführung wirksames Mittel heute unter Umständen nicht mehr wirksam. Man denke etwa an die Musik, die Mozart zum Erscheinen des Komturs auf Don Giovannis Gastmahl schrieb: Mit damaligen Ohren wohl schaurig und schreckenerregend. Wie kann man heute die von Mozart beabsichtigte Wirkung (These 1) erzielen? Buchstäbliches Wiedergeben der gedruckten Noten reicht eventuell nicht.


    Wollten Mozart und da Ponte nicht provozieren, wenn sie im „Figaro“ das ius primae noctis thematisierten und den Feudalherren dabei schlecht aussehen lassen? War nicht gerade das zumindest eine Absicht des Figaro? Wie setzt man das heute um und wie erzielt man die gewünschte Provokation heute? – Aus Sicht eines Dienstmädchens (Susanna) wäre das heutige Opernpublikum eventuell durchaus im Range eines Feudalherren. Ist es zu rechtfertigen, das heutige Publikum zu provozieren, um die von da Ponte und Mozart gewünschte Wirkung zu erzielen? – Oder die Story verändern: Statt ius primae noctis die Besetzungscouch, die es vielleicht auch in manchem Opernhaus geben mag? Legitim oder nicht?


    Gilt nicht Ähnliches auch für Regieanweisungen, zeitlichen Kontext, räumlichen Kontext?


    Ferner gibt es Beispiele, wo Komponist und Librettist – und sei es nach Drängen von außen – Zeit und Ort der Handlung nachträglich verlegten. Ich nenne Verdis Maskenball. Aber auch die Wiederverwendung von Arien in anderen Werken bei etwa Händel und Rossini spricht dagegen, dass jede überlieferte Oper ein „Gesamtkunstwerk“ sei, bei dem jedes Bausteinchen genau an seinem Platz wäre und auf gar keinen Fall angefasst werden darf, weil es genau an dieser Stelle seinen einzigen denkbaren künstlerischen Zweck bestmöglich erfüllt. – Bei Wagner ist der Fall eventuell anders gelagert.


    Worauf ich hinauswill: Man muss halt differenzieren. Einfach zu sagen: „Man darf auf gar keinen Fall Text, Musik oder Regieanweisungen ändern“, greift zu kurz – so diktatorisch waren nicht einmal die Komponisten (jedenfalls nicht alle).


    Für mich ist entscheidend, ob die Absichten des Komponisten und Librettisten erreicht werden. Um ein weniger vergiftetes Terrain als Beispiel zu benennen: Bei der Wiedergabe der Klaviersonaten Beethovens durch Pollini, Gulda, Brendel oder Solomon würde ich das überwiegend so sehen – wenngleich mir bewusst ist, dass diese Pianisten durch Wahl eines Steinways anstelle eines Hammerklaviers die von Beethoven beabsichtigten Aufführungsbedingungen massiv verändert haben. Das künstlerische Ergebnis rechtfertigt m. E. dieses Abweichen von den Vorstellungen des Komponisten.

  • Aus den ersten beiden Thesen ergibt sich, dass es notwendig erscheinen kann, bei einer Aufführung für ein heutiges Publikum andere Mittel zu wählen, als Librettist und Komponist dies in ihrer Zeit für ihr Publikum taten.


    Die Beweislast für die künstlerische Notwendigkeit bzw. deren Rechtfertigung liegt dabei stets bei demjenigen, der den Eingriff in das Werk vornimmt. Maßstab für die Legitimität ist die tatsächlich erzielte Wirkung.


    Kündigt das Publikum in großer Zahl seine Abonnements, so kann dies in den meisten Fällen nicht als Absicht von Komponist und Librettist gelten.


    Manchmal wählt man ja aus ganz praktischen Gründen andere Mittel als Komponist und Librettist. Ich fange mal mit trivial erscheinendem an: Ein konventionelles Opernhaus mit normalem Spielbetrieb wird natürlich mit elektrischer Beleuchtung und modernen Instrumenten spielen (jedenfalls meistens). Kastraten gibt es auch keine mehr. Und die Stimmtonhöhe des 18. und 19. Jhd. (sie war nicht einheitlich, aber durchschnittlich tiefer als heute) verwendet auch kein „normales“ Opernhaus mehr – die wenigen Ausnahmen bestätigen eher diese Aussage. Das sind schon eine ganze Menge Änderungen gegenüber den Bedingungen, die der Komponist erwarten konnte.


    Dass man heute mit Drehbühnen arbeiten kann und auch ansonsten über eine weitaus vielfältigere Bühnentechnik (z. B. Projektionen) gebietet, wird wohl niemanden stören, auch, wenn das zur Zeit der Uraufführung sicher nicht abzusehen war. Hier stellt sich die Frage der Rechtfertigung kaum.


    Der Maßstab für Eingriffe in den überlieferten Text ist die erzielte Wirkung, so habe ich es postuliert. Die tatsächliche Wirkung eines Werkes war allerdings auch schon für Komponist und Librettist schwer abzuschätzen. Der „Tristan“ führte zu Selbstmordwellen – es wäre Irrsinn, solches von heutigen Inszenierungen zu verlangen, auch, wenn es dem Werk in seiner Zeit offenbar voll entsprochen hatte. Wagner wusste: „Vollkommene Aufführungen des Tristan müssen die Menschen wahnsinnig machen.“ Er hoffte auf mittelmäßige Aufführungen. – Wir erkennen: In vielen Fällen wird es nicht mehr möglich sein, die vom Komponisten beabsichtigte Wirkung vollumfänglich zu erzielen. Was also ist zu tun? Eine schwierige Frage – und in jedem Einzelfall neu zu beantworten. Durch lebendige Theaterkunst.


    Unstrittig ist mir, dass das Publikum zunächst einmal zufrieden zu stellen ist. Das lag wohl in der Absicht der allermeisten Librettisten und Komponisten. Ein Denken wie bei Bruckner („gilt nur für spätere Zeiten“) oder Mahler („meine Zeit wird noch kommen“) war den meisten wohl fremd. Zunächst musste man mal die Uraufführung überleben, um weitere Aufführungen zu erreichen und später wieder Kompositionsaufträge zu erhalten.


    Wenn wir aber bedenken, wie viele Werke, die heute zum zentralen Bestand des Repertoires gehören, vom Uraufführungspublikum nicht verstanden wurden und abgelehnt wurden, so stellt sich die Frage, ob das Publikum der alleinige Maßstab sein kann.


    Es hieße m. E. zu weit zu gehen, wenn man mit Georg Christoph Lichtenberg fragen würde: „Wenn ein Buch und ein Kopf zusammenstoßen und es klingt hohl, ist das allemal im Buch?“ Mit anderen Worten: Wenn das Publikum die Inszenierung nicht versteht, liegt das dann immer an der Inszenierung? – Das hielte ich sehr wohl für überheblich, wenngleich ich zunächst in dieser Richtung weiterdenken möchte.


    Und zwar an den Chéreau-Ring: Bei der Premiere gnadenlos ausgebuht, wurde er im fünften Jahr bejubelt. Das Publikum – und in Bayreuth ist die Stammkundschaft groß – hat also einen Lernprozess durchgemacht. Diese Chance hat es nicht bei jeder Inszenierung – und nicht jeder Besucher gibt einer Inszenierung, die er beim ersten Sehen nicht versteht, eine zweite Chance. Auch darin liegt ein Problem, denn das bedeutet, dass eine Inszenierung ein Publikum wohl oder übel auch nicht überfordern darf. - Oder doch? Hat es Wagner geschert, ob er sein Publikum überforderte? Beethoven? Berg? Spannende Frage.

  • Man denke etwa an die Musik, die Mozart zum Erscheinen des Komturs auf Don Giovannis Gastmahl schrieb: Mit damaligen Ohren wohl schaurig und schreckenerregend. Wie kann man heute die von Mozart beabsichtigte Wirkung (These 1) erzielen? Buchstäbliches Wiedergeben der gedruckten Noten reicht eventuell nicht.


    Das ist eben der Fehler der gesamten Überlegung. Man soll nicht versuchen, das Stück für den modernen Hörer zurechtzubiegen, sondern es so belassen, wie es (wahrscheinlich) war, und jeder Hörer möge sich selbst bilden, dann wird die Musik wieder schauerlich und die Botschaft wieder "unerhört".


    Zu

    Zitat

    1. Aufgabe einer Opernaufführung ist es, beim Publikum die von Librettist und Komponist beabsichtigte Wirkung in bestmöglicher Weise zu erzielen.


    ist eben ein adäquates (bis ideales) Publikum zu denken, sonst kannst Du die Opernaufführung gleich absagen und eine Veranstaltung mit anderer Musik machen.


    Man kann also das Publikum ruhig überfordern. Zu einer nicht verbogenen Inszenierung werden dennoch genug Abonnenten kommen - wenn die Sänger und das Orchester gut genug sind.


    Und um eine ähnlich drastische Wirkung wie mit Wagners Tristan ursprünglich erreicht zu erzielen, bedarf es heute auch anderer Musik und anderer Geschichten.

  • Die Intention des Autors ist m.E. eine Chimäre (egal in welcher Kunstform). Es ist in fast allen Fällen unmöglich, sie zu rekonstruieren, da die Urheber oft lange tot sind. Das ist eben unser heutiges Problem des Auseinandertretens von Urheber und Interpret. Selbst im Falle von lebenden Autoren, die man befragen kann, gibt es viele Beispiele, wo diese nach Aufführungen eingeräumt haben, dass Interpreten durch ihre Interpretationen von ihnen nicht intendierte, aber überzeugende Aspekte gefunden haben. (Beispiel, das ich mehrfach bzgl. unterschiedlicher Werke und Komponisten gehört habe. Bei der Probe meint der anwesende Komponist, das Tempo sei zu schnell. Darauf der Musiker: 20% langsamer als Ihre Vorschrift!) Ein Kunstwerk ist sozusagen in vieler Hinsicht "reichhaltiger" als die Absichten seiner Urheber.


    Dass ich These 1 für problematisch halte, ficht allerdings These 2 und 3 nicht an. ;)


    Zu Don Giovanni z.B. gehört m.E. ganz klar ein Kontext, in dem eine Verbindung von politischer Freiheit bzw. Absetzung/Gefährdung des Adels und sexueller Freiheit ("Libertinage"), die hier noch Privileg des adligen Don ist (gleichwohl droht mit politischem Umsturz Allgemeingut zu werden), gesehen wird, von der der typische Zuschauer, egal ob adelig oder bürgerlich gleichermaßen fasziniert wie abgestoßen ist. Auf welche Freiheit sich "viva la libertá" bezieht, muss nicht entschieden werden.
    Das ist spezifischer als allgemeine Zwänge von Sex und Macht, die in fast jeder Oper eine zentrale Rolle spielen. Das Stück war seinerzeit sicher politisch, sozial und moralisch so brisant wie eine Oper nur sein konnte.


    Nun sind die bürgerlichen (und weitere) Revolutionen heute zumindest im Westen, in dem die meisten Aufführungen von Mozart-Opern stattfinden dürften, lange vorbei (dito die sexuelle Revolution). Wie kann man in dem Werk noch politische oder irgendeine andere Brisanz finden? Soll man das überhaupt versuchen? (vermutlich ja, wenn man sich an die seinerzeitigen Absichten halten will)


    Wenn das eh nicht mehr geht, wäre das eine Begründung für Kostümkomödie, in der Mord/Totschlag und (versuchte?) Vergewaltigung in mindestens zwei Fällen heruntergespielt werden?
    Oder sollte man sich auf die psychologischen Konstellationen konzentrieren? Verführertypen gibt es auch heute noch (Don Strauss-Kahn...), selbst wenn sie meist nicht mehr über Leichen gehen, und bei lockerer Sexualmoral "Verführung" nicht mehr den sozialen Ausschluss einer Frau bedeuten muss. Die zwiespältige Relation von Anna und Elvira zum Don, die Verführbarkeit der naiven Zerlina usw., all das mögen Umstände sein, die es auch heute noch in einer anderen sozialen Situation geben mag.


    (Zur Absurdität der Obsession mit der angeblich korrekten historischen Epoche für Opern, ist Don Giovanni ebenfalls ein gutes Beispiel. Denn weder 1788 noch 2011 glaubt ein vernünftiger Mensch, dass diese Oper Anfang des 17. statt Mitte/Ende des 18. Jhds. handeln sollte. Wenn von den Autoren eine konkrete Zeit gemeint war, dann ihre Gegenwart, die 1780er. Entspräche es nun der Absicht von Mozart/Da Ponte den Don Giovanni als gegenwärtiges Stück zu geben oder es für alle Zeit im späten 18. Jhd. zu belassen, oder sollten wir es ins frühe 17. Jhd. verlegen, weil da die literarische Vorlage herstammt?)

    Struck by the sounds before the sun,
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    The morning breeze like a bugle blew
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    (Bob Dylan)

  • Ich glaube , daß es kaum jemanden überraschen wird, wenn ich mich zu These 1 bekenne.
    Da Ponte, Schikaneder und etliche andere waren Theaterleute von echtem Schrot und Korn. Sie interessierte nicht die politische Dimension, sondern der oberflächliche Erfolg ihrer Stücke. Und wenn der in Frage gestelt war - dann schreibt man das Stück halt um. Das mag funktionieren (oder auch icht) wenn der Autor selbst - oder wenigstens ein zeitgenosse die Änderung selber vornimmt. In Wirklichkeit sind solche Änderungen ja nur bedingt solche. Oft entstehen beim Verfassen von Werken alternativszenarien, die einander ausschliessen. Man muß sich als Autor für eines entscheiden - Wenn das nicht funktioniert wechselt man es eben gegen das ebenfalls schon fertige andere einfach aus.....


    Ich pflichte bei, wenn gesagt wird, daß der Eindruck auf das Zeitgenössische Publikum ein anderer war als auf das heutige. Aber genau deshalb hat sich das Stück ja - unbemerkt verändert. Nein die Reqisiten sind noch immer die gleichen. Aber die Bewegungen sind andere - unserer Zeit angepasst geworden - unsere Sprache ist eine andere als es noch jene der Großeltern war. Das git auch auf der Bühne (Meedchen vs Määdchen)+
    Und Regieanweisungen des 18. Jahrhunders - einst oft weit über den Möglichkeiten einstiger Bühnentechnik stehend - sind nun erstmals durchführbar. Es kann Realität erzeugt werden - bzw die Illusion davon - welche zu Zeiten der Uraufführung des Stückes nur geträumt werden konnte....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • 1. Aufgabe einer Opernaufführung ist es, beim Publikum die von Librettist und Komponist beabsichtigte Wirkung in bestmöglicher Weise zu erzielen.



    2. Die bloße Umsetzung der in der Partitur enthaltenen textlichen, musikalischen und szenischen Anweisungen gewährleistet noch nicht in jedem Falle, dass die von Librettist und Komponist beabsichtigte Wirkung beim heutigen Publikum erzielt wird.



    Lieber Wolfram,


    ich halte Deine 2. These für die entscheidende. Zur ersten These meine ich, daß man zumindest eine Unterscheidung zu treffen hätte zwischen den allgemeinen künstlerischen Intentionen einer individuellen Schöpfung, der Werkabsicht gewissermaßen; sowie den praktischen theatralischen Intentionen etwa der vom Komponisten betreuten Uraufführung.


    Daß ist schon deswegen keine Haarspalterei, weil während der langen Entstehungsgeschichte eines Opernkunstwerks (selbst wenn sie innerhalb einer Woche "im Fluge" niedergeschrieben sein sollte) eine derartige Identifizierung der kreativen Phantasie mit den Figuren, den Schauplätzen und der Handlung stattfindet, daß man hier von einer Art Überkompensation reden muß, die keiner theatralischen Realität standhält.


    Auch ein Erzähler muß die Wirklichkeit seiner Geschichte wie eine vollständige ernst nehmen, während er zu ihrer poetischen Evokation eine geeignete Auswahl an Details treffen muß. - Erst in der Imagination des Lesers wird sich entscheiden, ob das in der hochfliegenden Einbildungskraft des Autors immer mitgegebene Ganze eingeflossen ist in die fragmentarische Beschreibung.


    Zur theatralischen Wirklichkeit kann sich der Komponist auf verschiedene Weise verhalten:


    Er kann die Gegebenheiten akzeptieren; er kann sie überbieten wollen (wie das etwa Wagner in Paris versucht hat, z.B. durch den instrumentalen Aufwand und die Forderungen ans Ballett seines "Tannhäuser"). Er kann aber die theatralischen Gegebenheiten - und hier sieht man, wie die beiden Begriffe der künstlerischen Intention zusammenspielen - auch schlicht ablehnen: dann ist er ein Opernreformer, wie etwa Wagner das bereits in den Werkintentionen des Tristan und des Rings vor allem zum Ausdruck brachte.


    Bei den Intentionen würde ich immer empfehlen, den Plural zu verwenden: Im Fall des Pariser "Tannhäuser" wären da das Ungenügen Wagners an seinem Jugendwerk aus Sicht seines entwickelten Reifestils; die Sachzwänge eines Eingehenmüssens auf Anforderungen der Grand Opéra bei gleichzeitiger Aussicht auf einen künstlerischen Welterfolg; das Herunterbrechen der stofflichen Gewagtheiten auf das sittliche Niveau des Balletts; die stimmlich unzureichende Besetzung des Walther von der Vogelweide, was zur Streichung von dessen Wettbewerbslied führte; die leichtsinnige Haltung Wagners angesichts eines mutmaßlich unerschöpflichen Budgets; die Gelegenheit einer Schleichwerbung für seinen "Tristan usw. usw.


    In die eigentliche künstlerische Absicht mischt sich also allzuviel Tagespolitik, von den Bedingungen der Aufführung her diktierte Lösungen, die dann später zum Teil übernommen worden sind, eine den Stilbruch in Kauf nehmende reißerische Überarbeitung des Venusakts. Will man die "eigentliche" dramatische Intention in der Gestaltung des Konflikts von wüster Sinnlichkeit und sittlicher Entsagung sehen, so idealisiert man das Kunstwerk bereits auf den Jargon der Eigentlichkeiten. - Sieht man andererseits, daß die Kostüme des nach drei Abenden zurückgezogenen Pariser Tannhäuser für einen "Robert le diable" Verwendung fanden, den man sogleich ansetzte, so verschwimmt auch die angeblich so genau herausgearbeitete historische Bestimmtheit damaliger Aufführungspraxis in der Beliebigkeit.


    Ich stelle daher deine zweite These ins Zentrum. Denn die Kulissen und Kostüme bieten ja stets bloß den Rahmen für das eigentliche Drama, die "Handlung". Der Otello-Film unter Serafin zeigt etwa Venedig als ein düsteres Gemäuer-Ambiente: das ist die Kulisse. Otello trägt ein Pluderwams und Strumpfhosen, wie sie auch der Herzog von Mantua oder Walther von Stolzing tragen könnten; Desdemona ein Quattrocento-Kleid mit Ärmelpuffen und Viereckauschnitt, das auch Tosca anstünde - das ist das Kostüm. Otello trägt zudem einen Knebelbart und den Piratenohrring; Desdemona, immerhin nicht so peinlich blondiert wie Karajans Salzburger Exemplar, eine aufwendige griechisch anmutende Steckfrisur mit Perlenbehängen und Pferdeschwanz.- Das ist die Maske.


    Die Regie hat damit nichts zu tun. In der filmischen Umsetzung werden die Gesichter - im Dio-ti-giocondi-Duett - meist in Großaufnahme, in Schlagschattenausleuchtung, Schuß-Gegenschuß, in großer Nähe zueinander gezeigt. Die Intimität, die diesem Zwiegespräch dadurch verliehen ist, wird unterstrichen durch eine Geste der Desdemona, die dem Otello zart ans Kinn faßt wie einem unberechenbaren Tier. Aus dieser angstvoll gesuchten Nähe ergeben sich die eruptiven Ausbrüche Otellos, die die scheue und verunsicherte Desdemona zurückweichen lassen.


    Das ist die Regie. Eine Bildsprache des Schwarzweißkinos der 50er; eine intelligente und schlüssige Figurenführung von hoher mimischer Subtilität; ein voyeuristischer Blick auf zwei unerhört attraktive Gesichter; ein fast übertrieben modellierendes Licht (das den eigentlichen "Mohreneffekt" genial hervorbringt).


    Wie immer mischen sich das Zeitgebundene (die plakative Filmästhetik) und das Zeitlose zur dramatischen Epiphanie. Ich würde mir übrigens wünschen, wenn die Befürworter der klassischen Regieauffassung ein wenig mehr von der Regie, und nicht immer bloß von der Kulisse sprächen.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • 2. Die bloße Umsetzung der in der Partitur enthaltenen textlichen, musikalischen und szenischen Anweisungen gewährleistet noch nicht in jedem Falle, dass die von Librettist und Komponist beabsichtigte Wirkung beim heutigen Publikum erzielt wird.


    Diese These ist aber meines Erachtens zu korrigieren:


    Die Wirkung, die das (alte) Werk zur Zeit seiner Uraufführung erzielte, kann unter keinen Umständen beim heutigen Publikum erzielt werden.


    Wer die Wirkung von Uraufführungen erleben will, muss Uraufführungen besuchen.


    Daher ist meines Erachtens der Versuch, vor allem eine Art Uraufführungswirkung zu erzielen, der falsche Ansatz, um ein altes Werk aufzuführen.


    Ich sehe zwar, dass dieses Denkmodell als Grundlage des Regietheaters schlüssig ist, aber das Ergebnis stellt meines Erachtens dem Konzept eine schlechte Note aus. Zu viele Widersprüche und Verluste.

    Zitat

    Ich würde mir übrigens wünschen, wenn die Befürworter der klassischen Regieauffassung ein wenig mehr von der Regie, und nicht immer bloß von der Kulisse sprächen.


    Das Problem ist eben, dass man als nicht-Fachmann zwar alte Kulissen kennt aber nicht alte Regien. Die Rolle der Regie war aber vergleichsweise eine geringe. Die Sänger agierten selbständiger. Andernorts habe ich das Beispiel der barocken Gestik gebracht - ein fixes Repertoire von optischen Veranschaulichungen von Affekten aber keine genaue Führung durch einen Regisseur.

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  • Ja. Es kann nur um die Wirkungen auf ein heutiges Publikum gehen. Aber nicht um eine möglichst präzise Museumsrekonstruktion. Das macht ja auch praktisch kaum jemand, s.u.


    Zitat


    Ich sehe zwar, dass dieses Denkmodell als Grundlage des Regietheaters schlüssig ist,


    Es ist ja auch nicht dessen Grundlage. Die möglichst genaue Rekonstruktion von historischen Bedingungen ist aber genausowenig die Grundlage von traditionellen Inszenierungen, sondern etwas, das es erst seit kurzem als Kuriosität gibt, so wie ein nachgebautes Globe Theatre usw.
    Kann man machen, ist vielleicht auch interessant, aber historische Rekonstruktionen sind niemals Ziel oder Aufgabe von Oper und Theater gewesen, egal ob "Regie" oder "traditionell".

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  • Zitat

    Ich würde mir übrigens wünschen, wenn die Befürworter der klassischen Regieauffassung ein wenig mehr von der Regie, und nicht immer bloß von der Kulisse sprächen.

    Hallo farinelli,


    Ich habe nicht den Eindruck gehabt, dass die Befürworter der klassischen Aufführungen nur von den Kulissen reden. Sicher, viele wünschen sich realistische Kulissen und Kostüme, aber in erster Linie wurde doch in allen Beiträgen über die Handlung gesprochen. Ich selbst habe sogar mehrfach betont (aber das gilt nur für mich) dass die Kulisse ruhig sparsamer sein darf. Wesentlich ist für mich dabei, dass sie mir den Eindruck vermittelt, dass ich mich am Ort der Originalhandlung befinde. So habe ich mich mit Kulissen, wie sie in den Inszenierungen von Wolfgang und Wieland Wagner zu sehen sind, durchaus anfreunden können. Ich führe hier als Beisspiel den Parzifal von 1999 in Bayreuth an, in dem der Wald aus Bäumen bestand, die aus grün beleuchteten Prismen bestanden. Trotzdem hatte man die Illusion, in einem Wald zu sein. Dasselbe gilt für Klingsors Zaubergarten und die Gralsburg. Ich habe in meinen Beiträgen noch andere Beispiele genannt, wo die Kulisse z.B. durch farbig beleuchtete Vorhänge und wenige Versatzstücke durchaus den Eindruck gab in der richtigen Oper zu sein. Es muß also nicht der Palast links und der Dom rechts stehen, wenn das so im Libretto angegeben ist. Aber eine Biogasanlage als Warthburg im Tannhäuser, in der Fäkalien verarbeitet werden, ist doch äußerst abwegig. Auch Kreuzfahrer sind wohl kaum mit Laptop und Kühlschränken ausgerüstet gewesen. Solche Dinge stehen für mich im Wiederspruch zur Handlung
    Auch die Kostüme müssen nicht üppig sein, aber sie sollten zur Zeit der Handlung passen. Moderne Anzüge und Kleider (eventuell aus der Altkleidersammlung) passen wohl kaum zu einem Werk der antiken Mythologie. So kommt für mich auch Lohengrin als Häuslebauer oder im Versuchslabor mit Ratten nicht infrage.
    Aber wesentlicher ist es, dass die Handlung verändert wird, sodaß sie nicht mehr wiederzuerkennen ist, wie z.B. die "Frau ohne Schatten" in der neuesten Salzburger Inszenierung, der eben der schon erwähnte "Tannhäuser" oder gar "Rusalka" in Fritzls Inzestkeller. Ich habe in meinen Beiträgen noch andere Beispiele gebracht (z.B. das Waldvögelein im Siegfried, das mit kurzen Röckchen, Stöckelschuhen und der Bierflasche in der Hand singend über die Bühne stolziert, wie ich es leider erleben mußte). Man könnte die Beispiele hier in beliebiger Zahl aufführen, in denen sich der Regisseur gegen das Werk vergeht, mit meinen Worten: es verunstaltet. Wenn du das alles als zulässig ansiehst, dann tut es mir leid.
    Ich habe damit nicht alle modernen Inszenierungen abgelehnt. Es gibt gute Kompromisse. Lies dazu auch einmal meine DVD-Besprechung von "Tristan und Isolde" aus Mailand, inszeniert von Patrice Chereau, mit dessen sogenannten "Jahrhundertring" ich mich hingegen nicht anfreunden konnte.
    Leider mußte ich mich hier an einigen Stellen wiederholen, weil die Beiträge der Anhänger der klassischen Inszenierungen auch von der Gegenseite nur sehr ungenau gelesen werden.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Es kann nur um die Wirkungen auf ein heutiges Publikum gehen. Aber nicht um eine möglichst präzise Museumsrekonstruktion.


    Warum nicht? Ich nehme an, dass eine "möglichst präzise Museumsrekonstruktion" - wenn man sich daran gewöhnt hat - eine gute Wirkung auf ein heutiges Publikum machen wird, eine bessere, als das "Regietheater", an das man sich gewöhnt hat, und das eine Art Nischengruppe des Opernpublikums bedient, also eher als Kuriosität taugt, denn als Mainstream (das Schicksal, das im musikalischen Bereich die aktuelle "Avantgarde"-Musik hat).


    Dass die "möglichst präzise Museumsrekonstruktion" von weiten Teilen des Publikums begrüßt werden wird, halte ich für wahrscheinlich, da die "möglichst präzise Museumsrekonstruktion" auf musikalischer Ebene (Verwendung von Originalinstrumenten und Spieltechniken) einen überwältigenden Erfolg hatte.


    Um die Wirkung beim heutigen Publikum mache ich mir keine Sorgen. Allerdings wird es natürlich nicht die Wirkung sein, die Komponist und Librettist erzielten, als die Werke frisch waren - einfach, weil die Werke inzwischen alt sind. Deshalb ist

    Zitat

    2. Die bloße Umsetzung der in der Partitur enthaltenen textlichen, musikalischen und szenischen Anweisungen gewährleistet noch nicht in jedem Falle, dass die von Librettist und Komponist beabsichtigte Wirkung beim heutigen Publikum erzielt wird.


    hinfällig - Komponist und Librettist wollten bei ihrem damaligen Publikum eine Wirkung erzielen, die sie beim heutigen nicht mehr erzielen können. Eine Oper von Wagner ist nun mal nicht mehr neu. Man wird nicht den Eindruck einer Uraufführung haben. Und ein neues zeitbezogenes aufregendes Bühnengeschehen mit altbekannter Musik schwebte keinem Komponisten und keinem Librettisten der Vergangenheit vor, diese Wirkung ist sicher nicht beabsichtigt gewesen.


    Zitat

    historische Rekonstruktionen sind niemals Ziel oder Aufgabe von Oper und Theater gewesen


    Die weitgehend ausschließliche Pflege von jahrhundertealtem Repertoire auch nicht - nun haben wir das aber. Der neuen Aufgabe angemessen wäre also auch eine neue Konzeption in der Darbietung: HIP auf der Bühne.
    :thumbsup:

  • Siehe hierzu:


    http://web.mac.com/corpo.barocco/Site/Opera.html


    mit der Zeitungskritik einer Aufführung in einem (ziemlich :D ) modernen Haus:


    http://www.faz.net/artikel/C30…elernt-sein-30005312.html


    Ich finde es merkwürdig, dass die Freunde des Regietheaters meinen, "darum könne es nicht gehen", was weitgehend gleichbedeutend ist mit

    Zitat

    Wenn du das alles als zulässig ansiehst, dann tut es mir leid.


    :D


    Ich werde mir diese unerhört/ungehörige Form der Darbietung jedenfalls einmal zu Gemüte führen (und das Regietheater noch konsequenter meiden, als bisher - außer bei wirklichen Uraufführungen).
    :hello:


  • Ich habe nie behauptet, dass ich solche Rekonstruktionen nicht interessant oder gar unzulässig fände. Sondern nur, und davon bin ich fest überzeugt, dass sie nicht Motivation und Ziel "traditioneller" Inszenierungen waren oder sind. Sondern es wäre eben eine weitere Möglichkeit, allerdings eine ziemlich neue und untraditionelle.

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  • OK, war ein Mißverständnis - diesmal hast Du etwas zu kurz formuliert
    ;)
    Das oben war eine Ankündigung - hier ist eine Kritik:
    http://www.welt.de/kultur/arti…wie-frueher-gespielt.html


    Natürlich ist das eine neue Variante konservativen Inszenierens - die konservativst-mögliche. Und somit die unerhört-modernste. (Man kann es immer drehen, wie man will).


    In meinen Augen ist der Abstand davon zu einer Schenk- oder Ponnelle-Inszenierung (von denen ich in den letzten Jahren ein paar gesehen habe) nicht so groß wie der zum Regietheater, das gewissermaßen auf einem anderen Stern spielt. Obwohl die "Gags" bei Schenk mich ziemlich stören, ist das für mich akzeptabel (Rosenkavalier in Wien) und die Wirkung wohl relativ ähnlich. Die Wirkung des Regietheaters ist eine komplett andere. Jedenfalls auf mich. (Die Wirkung auf das heutige Publikum ist ja das Thema hier, oder?)

  • eine bessere, als das "Regietheater", an das man sich gewöhnt hat,
    einigen Reaktionen in diversen Threads nach zu urteilen, hat man sich noch lange nicht ans sog. „Regietheater“ „gewöhnt“ :D


    Eine Oper von Wagner ist nun mal nicht mehr neu. Man wird nicht den Eindruck einer Uraufführung haben
    Für diejenigen, die Wagner nicht kennen ist diese Oper „neu“. Und eine inzwischen bekannte Oper Wagner wird sie bei entsprechend gelungener Aufführung „neu“ bleiben, für einen bestimmten Teil des Publikums.
    :hello:

  • eine bessere, als das "Regietheater", an das man sich gewöhnt hat,
    einigen Reaktionen in diversen Threads nach zu urteilen, hat man sich noch lange nicht ans sog. „Regietheater“ „gewöhnt“ :D


    Doch, man hat sich daran gewöhnt, vor dem Opernbesuch zu recherchieren, und nur noch die wenigsten Inszenierungen dann auch aufzusuchen.
    :D

    Zitat

    Eine Oper von Wagner ist nun mal nicht mehr neu. Man wird nicht den Eindruck einer Uraufführung haben
    Für diejenigen, die Wagner nicht kennen ist diese Oper „neu“. Und eine inzwischen bekannte Oper Wagner wird sie bei entsprechend gelungener Aufführung „neu“ bleiben, für einen bestimmten Teil des Publikums.
    :hello:


    Nun, wir haben alle Post-Wagnersche Musik im Ohr, die Neuheit der Tristan-Harmonik können wir nur mit Mühe erkennen aber nie so erleben, wie damals. Und je modischer die Inszenierung umso weniger gelingt das (einem bestimmten Teil des Publikums), da der Kontrast zur alten Musik das Alter der Musik umso deutlicher macht. Regietheater lässt die Musik alt klingen.
    ;(

  • Zitat

    Doch, man hat sich daran gewöhnt, vor dem Opernbesuch zu recherchieren, und nur noch die wenigsten Inszenierungen dann auch aufzusuchen. :D

    na ja , also bei - für mich recht schwachen - Kosky-Götterhämmerung wussten "alle" was sie erwartete und sind dennoch hingegangen und ein Teil hat lautstark protestiert :D . Im Kosky-Rheingold erlebte ich Feedback von sog. "Staubis", die erstaunt, ob der beeindruckenden Qualität der Regie waren. Das spricht eher gegen eine Gewöhnung...

    Zitat

    Nun, wir haben alle Post-Wagnersche Musik im Ohr, die Neuheit der Tristan-Harmonik können wir nur mit Mühe erkennen aber nie so erleben, wie damals. Und je modischer die Inszenierung umso weniger gelingt das (einem bestimmten Teil des Publikums), da der Kontrast zur alten Musik das Alter der Musik umso deutlicher macht. Regietheater lässt die Musik
    alt klingen.

    In der Tat. Deshalb sollte unterschieden werden zwischen "aber nie so erleben,
    wie damals."
    und dem was bei wiederholtem Reinzien eines so komplexen Werks wie der Tristan "neu" an musikalischen und dramatischen Zusammenhängen "neu" erfahrbar ist. Werke wie Tristan sind noch lange nicht "ausgespielt".
    :hello:

  • Ich habe mir jetzt angewöhnt, die Beiträge zu dem Thema "Regisseurstheater" (dazu gibt es ja viele threads) eher zu lesen als dazu Stellung zu nehmen. Aber die drei Thesen von Wolfram sagen mir sehr zu; vor allem aber Gerhards Text mit den Beispielen (Nr. 12) entspricht genau meiner Position. Ich habe es hier oft geschrieben, fast immer ohne Resonanz, dass es in der abgelaufenen Spielzeit tolle moderne Inszenierungen gegeben hat (z.B. Britten in Düsseldorf und Gelsenkirchen), also lehne ich moderne Inszenierungen durchaus nicht grundsätzlich ab. Für mich aber ist die Grenze auch wie bei Gerhard, wenn für die Geschichte ein absurdes, lächerliches oder peinliches "setting" gewählt wird. Das ist wirklich oft eine Geschmacksfrage, aber oft auch nicht. Um die Beispiele Gerhards zu erweitern, nenne ich nur "Salomé" als Mafiastück (am Ende sind alle tot, Düsseldorf) oder das "Totenhaus" als Mafiastück (im 40. Stock eines Hochhauses. Warum übrigens 40?) oder wie jetzt die Biogasanlage, das überschreitet m.E. die Grenze.
    Solche "settings" könnte ich mir auch tolle ausdenken. Warum nicht das "Totenhaus" in Afghanistan, mit Talibans? Gorjanschikow könnte der US-General Peträus sein, den man gefangen hat. "Hänsel und Gretel" spielt dann in einem von Nonnen und Priestern geleiteten Kinderheim. "Boris Godunow" im setting des Machtkampfes von Boris Jelzin, er stirbt dann mit einer Wodkaflasche in der Hand.
    Vielleicht starte ich mal einen thread mit dem Thema: neue settings für alte Opern.
    Zum Schluss ein Gedanke, den ich hier noch einmal hinschreiben muss, weil einfach keiner darauf antwortet: das Regisseurstheater ist ein Problem der großen Häuser und der großen Zeitungen. In Gelsenkirchen, in Krefeld, in Wuppertal, in Hagen ist das gar kein Problem, hier haben wir moderne Inszenierungen (dafür habe ich in anderen Beiträgen viele Beispiele geliefert), die von den Leuten akzeptiert werden, aber so gut wie nie Regisseurstheater.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Kommen wir wieder zu These 1)


    Zitat

    1. Aufgabe einer Opernaufführung ist es, beim Publikum die von Librettist und Komponist beabsichtigte Wirkung in bestmöglicher Weise zu erzielen.



    Zitat

    Allerdings wird es natürlich nicht die Wirkung sein, die Komponist und Librettist erzielten, als die Werke frisch waren - einfach, weil die Werke inzwischen alt sind.


    Und hier sind wir beim Knackpunkt angelangt.
    Die Wirkung soll in bestmöglicher Weise erreicht werden - und das ist der Fall wenn wir möglichst nahe beim Original bleiben.
    Ob die Wirkung zuminmdest ähnliich sein kann wie sie zu Zeiten der Uraufführung war - und zwar - das ist wichtig - nur beim allerersten Mal, daß man ein Werk sieht - un das möglichst ohne vorbereitenden Einführungsvortrag, der die "Pointe" vorwegnimmt - und quasi zerpflückt. Der Ersthörer hat also die reele Chance von einem Werk genauso beeindruckt zu sein - wie der Hörer (Zuseher) vor hundert oder 200 Jahren. Der junge Hörer - literarisch unbeleckt - zittert mit Romeo und Julia um die Erfüllung ihrer Liebe. - es sei denn man hat ihm diese Emotion durch stundenlange Vorbereitungsvorträge ausgetrieben. Das historische Ambiente ist für den Zuschauer ebenso historisch, wie für den Zuseher vor 200 Jahren, kann aber dank modernster Bühnentechnik wesentlich "realitätsnäher" gestaltet werden, was bedeuten soll, daß die "Illusion" der Realität - auch einer gar nicht existierenden (denn Romeo und Julia haben vermutlich nie gelebt) besser erreicht werden kann.

    Zitat

    Obwohl die "Gags" bei Schenk mich ziemlich stören,


    Sie waren angepasst auf ein bestimmtes Publikum einer bestimmten Zeit - und natürlich wirken sie heute ein wenig antiquiert - oder aufgesetzt. Aber natürlich würde man verschiedenes heute anders machen. Es war ja nie so, daß jeder Inszenierung gleich war - man hat den vorhandenen Spielraum - zum Wohle aller - ausgenützt und eine bunte Vielfalt an Inszenierungen geboten. Beim Figaro beispielsweise wurde teilweise das rokokohafte, das Heitere oder das spanische Element betont etc etc.
    Abr NIE wurden dabei Tabus gebrochen. Der Figaro ist ein Produkt des 18. Jahrhunderts - das sieht man ihm auch an - und das ist auch gut so. Derjenige, der mit dem Historischen Umfeld der Entstehungszeit vertraut ist wird die Oper anders geniessen als jemand dem diese Kenntnisse fehlen - aber die Wirkung des Werke bleibt bestehen. Ob diese Doppelwirkung dem Librettisten Daponte bewusst war oder nicht ist nur von sekundärer Bedeutung - aber nach allem was wir über Daponte wissen war dies der Fall.
    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Der junge Hörer - literarisch unbeleckt - zittert mit Romeo und Julia um die Erfüllung ihrer Liebe. - es sei denn man hat ihm diese Emotion durch stundenlange Vorbereitungsvorträge ausgetrieben.


    D´accord, lieber Alfred.


    Aber wie steht es mit Othello? - Liest man das Drama, wirkt die sehr breit ausagierte Intrige des Jago fast nervtötend in ihrer Vorhersehbarkeit (der Zuschauer wird ja zum Komplizen genommen).


    Zittert man um den Mauren? Oder um Desdemona, die ja eigentlich bloß ein Opfer ist, eine Funktion von Othellos Manipulierbarkeit? Ist Othello ein allzu leidenschaftlicher, allzu viriler, allzu leichtgläubiger "Wilder"? Ist er - als Foreigner - nur oberflächlich assimiliert, während unterschwellig die Ehrsucht seine fehlende soziale Akzeptanz kompensiert? Ist er eine Marionette Jagos? Ist Desdemona gar eine Senta, die ihrem Gatten jedes Opfer aus Liebe darzubringen bereit ist, sogar ihr Leben als letzten Liebesbeweis? Ist es eine Tragödie zweier Verblendeter? Wittert nicht Jagos Instinkt Othellos innere Schwäche; und projiziert nicht Othello diese seine Schwäche und Unsicherheit in das Verhalten seiner Frau, wie ein Paranoider die alltägliche Welt zum Drama verfremdet, bei dem eine Angst Regie führt, die nach außen drängt?


    So leicht, scheint mir, läßt sich die Geschichte Othellos nicht fassen. Und wie sieht es erst im Hamlet aus! Da mißlingt die Identifikation erst recht. Wie soll man sich einfühlen in jemanden, der sich virtuos verstellt und einen Wahnsinn mimt, an dem er selbst und die andern zerbrechen? Der seiner Mutter die infamsten Beschuldigungen ins Gesicht sagt und seine Geliebte ins Bordell schickt? Der auf offener Bühne ein Theaterstück aufführen läßt, das wie eine verschachtelte Brechung den Irrsinn sich ins Unendliche spiegeln läßt? Welche Peinlichkeiten, welche farcenhaften Moritaten häuft dieses Drama an? - Und fühlt nicht dennoch ein junger, unbedarfter Leser all das heraus, was in jedem Heranwachsenden gärt, wenn er nur ehrlich ist? Und was hat das mit Dänemark zu tun, mit ritterlichen Redeweisen und Prinz-Eisenherz-Frisuren?


    Das historische Ambiente ist für den Zuschauer ebenso historisch, wie für den Zuseher vor 200 Jahren, kann aber dank modernster Bühnentechnik wesentlich "realitätsnäher" gestaltet werden, was bedeuten soll, daß die "Illusion" der Realität - auch einer gar nicht existierenden (denn Romeo und Julia haben vermutlich nie gelebt) besser erreicht werden kann.


    Das Sandalenkino unserer Tage zeigt hinreichend, daß wir auch mit modernsten Mitteln nicht die "Illusion der Realität" Alexanders des Großen, der Ilias oder eines Gladiators im alten Rom zu erschaffen vermögen. Es war auch niemals die Aufgabe des Theaters, die "Illusion der Realität", sondern stets nur diejenige, eine Illusion zu erzeugen. Deine These, lieber Alfred, stellt die theatralischen Mittel in eine einseitige Konkurrenz zur Wirklichkeit, als sei Realitätsanmutung eine Frage des Aufwands. Eine leere Bühne ist im Zweifelssfall ebenso suggestiv wie eine Austtattungsorgie. Die Realität, die ein Theaterstück entfaltet, entspringt aus ihm selbst, der poetischen Sprache, der Dichte der Beziehungen zwischen den Figuren. M.joho hat das sehr höhnisch bestritten:


    Sämtliche von Dir aufgeführten Kritikpunkte richten sich an eine Personenregie, aber sorry, das sind für mich eher Peanuts, vor allem bei Werken, die sich mit mythologischen Themata beschäftigen. Bei derartigen Werken wäre es für mich zwar wünschbar, eine durchdachte und nachvollziehbare Personenregie zu haben, aber viel wichtiger sind mir die "tableaus" und Kostüme


    Ich kann nur für mich sprechen: wenn mich eine Oper verzaubert, dann weiß ich nicht mehr, wie das Bühnenbild aussah. Wenn ich Zeit hatte, die Requisiten zu zählen, war ich sehr zerstreut. Und ich habe Hochachtung vor der darstellerischen Leistung der Sänger und dem, was oben als "Peanuts" bezeichnet wurde und in Wahrheit doch die höchste Kunst der Regie erfordert.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Zitat

    Ist Othello ein allzu leidenschaftlicher, allzu viriler, allzu leichtgläubiger "Wilder"? Ist er - als Foreigner - nur oberflächlich
    assimiliert, während unterschwellig die Ehrsucht seine fehlende soziale Akzeptanz kompensiert?

    und es könnte gegebenfalls noch gefragt werden, ob Otello versucht (als "Fremder") die "Regeln" dieser "venezianischen" Gesellschaft besonders willfährig zu verinnerlichen ...
    :hello:

  • Eine verhängnisvolle crux des Regietheaters besteht darin, dass diese omnipotenten Alleswisser das Publikum in eine ganz spezielle Richtung glauben drängen zu müssen. Die Akteure (Sänger) werden hier zu willfährigen Lakaien dieser Tyrannen degradiert, obwohl so mancher Sänger, der sich oft jahrelang mit einem Werk und seiner Rolle beschäftigt hat, zweifelsohne der geeignetere "Regisseur" wäre.


    Ein Beispiel aus der Zeit, als Sänger ihre Rolle noch gestalten "durften": Im 1. Aufzug "Walküre" war es in der Wiener Produktion üblich, dass sich der Sänger des Siegmund in der Szene "Siegmund heiß ich, und Siegmund bin ich" rücklings vor der Weltesche postierte und bei den Worten "fänd ich es einst, ich faß es nun!" mit beiden Händen den Schaft von Nothung ergriff. Als in den 60er Jahren ein amerikanischer Tenor (es war Jess Thomas) seinen ersten Siegmund hier sang, brach er bei nämlichen Worten in die Knie, und bei "ich faß es nun!" griff er sich mit beiden Händen an den Kopf und bedeckte die Augen. Da erkannten die perplexen Zuseher, dass mit "ich faß es nun!" gemeint war, dass Siegmund die Situation plötzlich "erfaßt" habe.


    Solche und ähnliche Momente gehen bei moderner Regie, die nichts anderes ist als Gleichmacherei, rettungslos verloren, und damit auch viele spannungsvolle Augenblicke.


    In diesem Einheitsbrei mag vielleicht die Premiere beeindruckend sein, aber jedesmal, wenn dieses Werk aufgeführt wird, egal, wer singt, weiß man schon im vorhinein, was auf einen zukommt, und jede Spannung, die eine individuelle Rollengestaltung früher ausgelöst hat, ist bis zu einer Neuinszenierung rettungslos beim Teufel. Man darf ja nicht vergessen, dass Opernfreunde, anders als etwa Cineasten, ein Werk x-mal besuchen, einfach deshalb, da sie ihm verfallen sind oder andere Sänger gespannte Neugier erwecken.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Eine verhängnisvolle crux des Regietheaters besteht darin, dass diese omnipotenten Alleswisser das Publikum in eine ganz spezielle Richtung glauben, drängen zu müssen.
    Ach so, das war natürlich z.B. bei Everding, Schenk, Zeffirelli, Strehler, Sellner, Karajan, Felsenstein überhaupt nicht der Fall :pfeif: :pfeif:


    Die Akteure (Sänger) werden hier zu willigen Lakaien dieser Tyrannen degradiert, obwohl so mancher Sänger, der sich oft jahrelang mit einem Werk und seiner Rolle beschäftigt hat, zweifelsohne der geeignetere "Regisseur" wäre.
    wie bereits andernorts darauf hingewiesen, verhielt sich Wieland Wagner natürlich ausgesprochen konzielliant zu z.B. Fischer-Dieskau :pfeif: :pfeif: :pfeif:


    Ein Beispiel aus der Zeit, als Sänger ihre Rolle noch gestalten "durften": Im 1. Aufzug "Walküre" war es in der Wiener Produktion üblich, dass der Sänger des Siegmund in der Szene "Siegmund heiß ich, und Siegmund bin ich" sich rücklings vor der Weltesche postierte und bei den Worten "fänd ich es einst, ich faß es nun!" mit beiden Händen den Schaft von Nothung ergriff. Als in den 60er Jahren ein amerikanischer Tenor (es war Jess Thomas) seinen ersten Siegmund hier sang, brach er bei nämlichen Worten in die Knie, und bei "ich faß es nun!" griff er mit beiden Händen an den Kopf und bedeckte seine Augen. Da erkannten die perplexen Zuseher, dass mit "ich faß es nun!" gemeint war, dass Siegmund die Situation plötzlich "erfaßt habe.
    Polemisch könnte man fragen, ob das dem Publikum nicht auch ohne diese „Zutat“ klar sein sollte und ob in diesem Fall „ein omnipotenter Alleswisser das Publikum in eine ganz spezielle Richtung glaubt, drängen zu müssen.“
    Ohne Polemik und fairerweise kann man geneigt sein, diesen Moment als sinnvolles und werkgerechtes Ergebnis der Regiekonzeption zu werten.


    Solche und ähnliche Momente gehen bei moderner Regie, die nichts anderes ist als Gleichmacherei, rettungslos verloren, und damit auch viele spannungsvolle Augenblicke.
    Nein, Gleichmacherei sind diese unsäglichen Pauschalisierungen, durch Gegenbeispiele widerlegbar.


    In diesem Einheitsbrei mag vielleicht die Premiere beeindruckend sein, aber jedesmal, wenn dieses Werk aufgeführt wird, egal, wer singt, weiß man schon im vorhinein, was auf einen zukommt, und jede Spannung, die eine individuelle Rollengestaltung früher ausgelöst hat, ist bis zu einer Neuinszenierung rettungslos beim Teufel. Man darf ja nicht vergessen, dass Opernfreunde, anders als etwa Cineasten, ein Werk x-mal besuchen, einfach deshalb, da sie ihm verfallen sind oder andere Sänger gespannte Neugier erwecken..
    Ist damit die sog. „konservative“ Opernregie gemeint oder das was du unter sog. „Regietheater verstehst ?
    :hello:

  • ein amerikanischer Tenor (es war Jess Thomas) [...] griff [...] sich mit beiden Händen an den Kopf und bedeckte die Augen.


    der hatte aber, hört man, Psychologie studiert ...


    Aber was machte er dann im Tristan?


    fass´ ich, was sie verschwieg,
    verschweig ich, was sie nicht faßt.


    Und wohin greift Isolde?


    gefüllt faßt sie ihn ganz.


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Eins und alles


    Im Grenzenlosen sich zu finden,
    Wird gern der einzelne verschwinden,
    Da löst sich aller Überdruß;
    Statt heißem Wünschen, wildem Wollen,
    Statt läst´gem Fordern, strengem Sollen,
    Sich aufzugeben ist Genuß.


    Weltseele, komm uns zu durchdringen!
    Dann mit dem Weltgeist selbst zu ringen,
    Wird unsrer Kräfte Hochberuf.
    Teilnehmend führen gute Geister,
    Gelinde leitend höchste Meister,
    Zu dem, der alles schafft und schuf.


    Und umzuschaffen das Geschaffne,
    Damit sich`s nicht zum Starren waffne,
    Wirkt ewiges lebend`ges Tun.
    Und was es nicht war, nun will es werden,
    Zu reinen Sonnen, farb`gen Erden;
    In keinem Fall darf es ruhn.


    Es soll sich regen, schaffend handeln,
    Erst sich gestalten, dann verwandeln;
    Nur scheinbar steht`s Momente still.
    Das Ew`ge regt sich fort in allen;
    Denn alles muß in Nichts zerfallen,
    Wenn es im Sein beharren will.


    (Ein spätest Gedicht von Goethe)


    Theater kommt nach meiner festen Überzeugung ohne Veränderungen nicht aus. Veränderungen im Sinne von Anpassung an die jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnisse, Erfahrungen und Visionen sind die Existenzform des Theaters. Das Paradoxe ist nun, dass ich das für mich zwar genau weiß, mit dem Älterwerden aber keine großen Veränderungen mehr will. Also meide ich die Opernhäuser weitergehend ohne ein Feind dessen zu sein, was hier als Regietheater in Rede steht. Regietheater? Was ist das eigendlich? Es klingt gut, ist es aber nicht. Schon komisch. Am wenigsten kann ich mir die Intensionen von Komponisten und Librettisten, die 200 Jahre tot sind, tranponiert in unsere Zeit vorstellen. Es gibt zwar viele eweige Themen, aber es gibt keine Scheiterhaufen mehr, keine Todestrafe, keine Zwangseinweisungen in Klöster, keinen tödlichen Ehebruch, keine kleine Schneiderin, die an der Schwindsucht leidet, keinen Probeschuss... Wenn die sich all das gedacht hätten, was im Nachhinein in ihre Werke hineininterpretiert wurde, die müssten so alt geworden sein, dass sie heute noch leben. Über Wagner oder den hier zitierten Goethe wurden ganze Bibliotheken vollgeschrieben. Ein Leben reicht nicht, um das alles zu lesen, geschweige denn anzuwenden. Wir sollten die Erwartungen, die wir an eine bestimmte Aufführung haben nicht als das ausgeben, was der Komponist angeblich gewollt haben soll. Das ist ein Grundirrtum, alt wie ein Gebirge.


    Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Es gibt, glaube ich, tatsächlich einen fundamentalen Dissens (und einige Irrtümer). Der fundamentale Dissens ist, dass einige hier (und alle Theaterleute, die ich in meinem Leben persönlich getroffen habe) meinen, dass Theater, egal in welcher Form, eine Gegenwartskunst schlechthin ist. Nicht in dem Sinne, dass gesellschaftliche Strömungen aufgegriffen werden, sondern dass das Kunstwerk keine Kladde mit Text und Noten ist, sondern das, was sich hier jetzt heute auf der Bühne ereignet. Das hat zwar was mit dem Text und den Noten zu tun, ist aber keineswegs einfach eine Befolgung von Anweisungen.


    Historisch ist das meiner Ansicht nach der Normalfall. Die Situation ist heute freilich paradox, weil wir überproportional viele alte Stücke aufführen. Zwar wurden Shakespeare, Moliere, Mozart und Gluck auch im 19. Jhd. gegeben, aber es dominierten mehr oder minder zeitgenössische Stücke. Gewiss findet man damals kaum welche der bizarreren Einfälle einiger moderner Regisseure, aber natürlich wurde (oft gnadenlos) angepasst bzw. neu bearbeitet. Und natürlich trug Händels Cäsar auf der Bühne ebensowenig eine Toga wie sein Rinaldo eine Kreuzfahrerpanzerhemd, sondern beide dürften barocke Fantasiekostüme getragen haben.


    Im Gegensatz dazu meint die andere Gruppe, Aufführungen seien bloße Umsetzungen von Vorschriften. Ist ja auch nicht absurd, aber wie gesagt, ich habe noch nie einen Theaterpraktiker gehört, der das so gesehen hätte.


    Was m.E. dagegen wirklich ein Irrtum ist, ist der überzogene Wert, der vorgeblich korrekten "historischen" Kostümen oder Kulissen beigemessen wird. Das ist eine sehr äußerliche Sichtweise.
    Die meisten Opern handeln ja gar nicht in einer bestimmten historischen Epoche. Mythos zeichnet sich dadurch aus, dass er zeitlos ist. (Deswegen ist gewaltsame Modernisierung ebenso oberflächlich wie eine verfehlte historische Fixierung)
    Die Barockopern behandeln, wie gesagt, ihre Helden nicht unterschiedlich, egal ob sie heidnische Herrscher der Antike, christliche Kreuzritter oder überhaupt Sagengestalten sind. Die Zauberflöte oder Turandot sind Märchen, die spielen in gar keiner Zeit. Opern wie die drei Mozart/Da Ponte-Kooperationen, Fidelio, La Traviata u.a. handeln in einer vagen Gegenwart (der Autoren). (Wie schon wiederholt ausgeführt, ist nicht klar, warum das für uns "Zeitreisen" sein sollten, da sie doch niemals als solche gedacht waren.) Wobei Don Juan auch wieder eher ein Archetyp ist. Wagners Ring ist ein Mythos; klar, man muss Schwert und Speer haben, aber das sind ja auch nur Symbole.
    (Dass bei einer völlig unrealistischen Kunstform wie der Oper die Darstellung prinzipiell realitätsnah sein sollte, ist doch sicher ein riesiges Missverständnis!)


    Aber, bei allem Respekt, Flügelhelme (übrigens eine Erfindung des 19. Jhds., die hat es nie gegeben) und Bärenfelle usw. fände ich wohl heute fast immer unfreiwillig komisch. (Außerdem, wann sollte denn der "Ring" spielen? Germanien um die Zeitenwende? Völkerwanderungszeit? Mittelalter (wie das Nibelungenlied.) Die Antwort muss natürlich keine Modernisierung, sondern kann und sollte wohl eher eine "Abstrahierung" sein. (Wie es Wieland Wagner in den 1950ern mit der "leeren Bühne" angestrebt hat.) Freilich kann eine Modernisierung (der Ausstattung) durchaus erhellend oder als solche unterhaltsam sein (und um Unterhaltung geht's doch, dachte ich...)


    Die Frage ist doch, warum wir uns überhaupt noch alte Opern und Theaterstücke ansehen. Weil die emotionalen und dramatischen Zwänge, Konflikte und ihre Lösungen, wenn nicht immer zeitlos, so doch für uns nachvollziehbar sind. Auch ohne Scheiterhaufen und Kloster. Die müssen deutlich werden. Und da ist Personenführung und manches andere sehr viel wichtiger als Strumpfhosen, Bärenfelle und Pappmaché-Burgen. Lenkt oft nur ab. Damit will ich nicht gesagt haben, dass viele moderne Inszenierungen ebenfalls mit Nebensächlichkeiten ablenken. Natürlich gibt es viele schlechte.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • ich gebe vielen meiner "Vorredner" recht, vor allen Dingen , wenn sie ausführen, dass heute wohl niemand mehr Flügelhelme und Bärenfelle auf der Bühne sehen möchte. Aber zwischen Bärenfellen und Rattenkostümen besteht ja wohl ein Unterschied. Meiner Meinung nach ist es sicherlich auch viel einfacher Wagner neu zu interpretieren, als viele andere Komponisten. Alles was die handelnden Personen tun, ist auch heute möglich, der Text ist in einer besonderen Sprache verfasst, sie könnte also auch eine heutige Sprache sein. Da stört es mich auch nicht so sehr, wenn Siegmund mit Maschinenpistole vom Schwert singt, dass ihm der Vater verhieß.


    Wenn ich aber einen Otello vorgesetzt bekomme, der in einer heutigen Umgebung spielt mit Personen, die wie Frau Müller und Herr Meier von nebenan gewandet sind dann frage ich mich, ob die beiden Damen "noch alle Tassen im Schrank" haben. Merkt es Desdemona denn nicht, wie der Hase läuft und Emilia kann doch nur genauso schlecht wie ihr Jago sein, sonst würde sie doch als angebliche Freundin anders reagieren. So wie Shakespeare dieses Stück angelegt hat - und Verdi dann vertont - sah er die Frauen als unselbständige Wesen, die voll und ganz abhängig waren. Emilia konnte also gar nicht anders handeln und die Untaten ihres Mannes verheimlichen. Nach meiner Sicht würde sie als heutige Frau sagen " du mein Alter ist so ein Schw..., nimm dich in acht, der will dir böses". So geht es mir bei vielen modernen Deutungen - es passt halt nicht zusammen !

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