Die Idee zu diesem Thread kam mir, als ich in einem Beitrag von "Farinelli" - dessen geistvolle Beiträge ich in der Regel sehr schätze , obwohl ich ihnen oft nicht beipflichte - folgendes Statement fand:
ZitatIch bedauere die Menschen, denen das Organ zur Apperzeption kontraillusionistischer Tableaus völlig abgeht. Die mit dem Libretto in der Hand wie mit einem Baedeker alle Abweichungen zum szenisch Geforderten auflisten. "Von deutschem Wald nicht eine Spur!" Denen vor lauter engherzigem Ärger die geistvolle Suggestion entgeht, die man stattdessen erblickt.
Nun - ich gehöre zu jenen Menschen - und ich bekenne mich dazu - Oper die "abstrakt" inszeniert wird stösst mich ab.
Nein - ich kann und WILL damit nichts anfangen.
Aber das ist NICHT das Thema des Threads - da gibt es genügend andere - gut frequentierte in unserem Tamino-Klassikforum.
Was mir beim Lesen dieses Statements durch den Kopf ging, war ein Bündel von Fragen, welches zwar EINEN gemeinsamen Nenner hatte - er ist im Titel des Threads fixiert - aber in Wahrheit sind es mehrere Fragen, die sich hier geradezu aufdrängen.
Ich will hier nur EINIGE nenne - wenn es gibt sicherer mehr als mir dazu einfallen:
Wie viel Prozent der üblichen Opernbesucher verfügen über "das Organ zur Apperzeption kontraillusionistischer Tableaus" ?
Wer kann es geniessen wenn Geschichte "umfunktioniert" - oder sagen wir mal positiver - der vermeintliche versteckte symbolische Inhalt über den der Bühnenrealität gestellt wird ?
Ist das ein legitimer Kunstkniff um den EIGENTLICHEN Inhalt ans Tageslicht zu befördern ?
Ist der angeblich versteckte Inhalt tatsächlich vorhanden - oder ist er nur hineininterpretiert - beliebig austauschbar von Inszenierung zu Inszenierung ? (Wenn ich letzteres bejahe - ist dann nicht das eigentliche Werk nur Vehikel oder Sprungbrett für ein völlig eigenständiges Werk ? - Und wenn ja : Wer will das sehen ?)
Wer will das sehen ? - genau da knüpft der nächste Punkt an.
Ist das Opernpublikim generell für derlei bereit ?
Ein Publikum, das gerne immer wieder dieselbe Oper sieht, deren Ausgang es schon seit Jahren kennt - nur um neue Sängr kennenzulernen ?
Ein Publikum, daß sich icht an den oft haarsträubend unlogischen Inhalten von Opern stört ?
Ein Publikum, das "historische Verfälschungen" geschichtlicher Figuren auf der Bühne völlig widerspruchslos hinnimmt ?
Ist es nicht so, daß sogar die Umformungen von großer Theaterliteratur des Sprechtheaters zu Opern eine Vereinfachung erfordert - die kaum mehr Platz für psychologische Rafinesse bietet ?
Wie schaut es mit den "Ausstattungsopern" aus ? - in Frankreich mit Balletteinlagen, die mit dem Inhalt der Oper nur bedingt zu tun haben? Wurden die nur aus Jux und Tollerei eingeabaut ?- oder weil das Publikum - und nur für dieses wird Oper gemacht !! - diesen Augen- und Ohrenkitzel einfach verlangte ?
ZitatDas erst Bild des Tristan spielt auf einem Schiff. Das impliziert aber zunächst die zeitlose Idee einer Reise, einer Überfahrt, eines maritimen Zwischenstadiums meinetwegen; nicht aber zugleich die Materialität eines albernen Wikingerboots
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Ist es nicht so, daß viele Komponisten sich Libretti mit exotischen oder pseudohistorischen Inhalten suchten - weil die Oper die Traumfabrik der vergangenen Jahrhunderte war, wo man den Orient, alte Zeiten und Kulturen oder Gesiterspuk auf die Bühne bringen konnte - Szenen die nur eine Illusion waren - aber dennoch bezauberten - und einen gruseln machten.
Ist es nicht so, daß gerade dieses "alberne Wikingerboot" es ist, das ein Teil der Leute sehen will, andere wieder lieben prunkvolle Massenszenen, dritte (dazu gehöre ich) lieben es italienische Renaissancestädte - auf der Bühne zu erleben und trotz eigentlich uninteressanter bis dümmlicher-unlogischer Story durch überzeugendes Schauspiel und brillianten Gesang - von der Oper mitgerissen zu werden.
Es wird aber vermutlich noch weitere Anziehungspunkte geben, die die Oper zu bieten hat.....
mfg aus Wien
Alfred