"Ganz einfach" - wird mancher sagen - "die beste Aufnahme"
Ich meine, das ist eine durchaus gängige Betrachtung - aber es gibt - so meine ich wenigstens - Alternativen.
Referenz ist etwas - auf das sich etwas anderes beziehen kann, ein Standard, bzw etwas, das Maßstäbe gesetzt hat.
Referenzen sind jedoch in der Regel (aber durchaus nicht immer) etwas Willkürliches.(?)
So könnte man beispielsweise Karajans Einspielung der Beethoven Sinfonien (1962) als Referenz heranziehen um andere Aufnahmen zu bewerten. Dazu ist es nicht unbedingt notwendig die Karajan-Aufnahme als "Beste" einzuschätzen.
Dennoch erfüllt sie viele Voraussetzungen für eine "Referenz"
a) Die Aufnahme wurde bei ihrem Erscheinen als das "Non Plus Ultra" aller Stereo-Beethovensinfoniezyklen gefeiert -
und zwar von Kritik und Publikum gleichermaßen
b) Die Aufnahme hat sich seit 50 Jahren in den Katalogen gehalten und wird von vielen Klassikfreunden noch heute allen anderen verfügbaren Einspielungen vorgezogen.
c) Manche sehen in dieser Aufnahme aber auch eine Verfälschung in Richtung "Schönklang"
Hier haben wir eine typische Charakteristik - etwas womit man andere Aufnahmen vergleichen kann....
d) Die Aufnahme ist weit verbreitet und allgemein bekannt - sie stellt in gewisser Weise einen "Standard" dar, an dem man andere Einspielungen vergleichen kann
e) Dies betrifft sowohl das Orchester, welches zu den besten der Welt zählt.
f) als auch die gewählten Tempi, die weder als "verhetzt", noch als "schleppend" bezeichnet werden können....
Man hat also eine Aufnahme "der Mitte" vor sich, an der man wunderbar neuere und ältere Aufnahmen "messen" kann.
"schneller als Karajan", "langsamer als Karajan", "aggressiver als Karajan", "weicher als Karajan", "akzentuierter als Karajan" - etc. etc.....
Damit wir uns richtig verstehen: Die Karajan Aufnahme wurde hier nur als MÖGLICHKEIT einer eventuellen Referenzaufnahme genannt, genausogut könnte man irgend eine andere, wenig verfälschende Aufnahme heranziehen - sagen wir Abbado oder Böhm mit den Wiener Philharmonikern - jedoch sind diese nicht sooo.. allgemein bekannt und haben weniger Aufsehen erregt.
Viele meinen, es dürfe nur EINE "Referenz" eines Werkes geben - diese Ansicht ist weit verbreitet und wird oft als absolute Wahrheit verbreitet. Ich meine jedoch, es kann von einem Werk durchaus MEHRERE "Referenzaufnahmen" geben - die jeweils in einem gewissen Umfeld, bzw einer speziellen Disziplin als "Referenz" herangezogen werden kann.
Um beim Beispiel der Beethoven Sinfonien zu bleiben - Furtwängler ist hier mit Sicherheit eine Referenz - und zwar in interpretatorischer Hinsicht - nicht jedoch in tontechnischer. An Furtwängler wird man Klemperer, Celibidache und Thielemann (Aufzählung in der Reihenfolge ihres Erscheinens) messen müssen, bzw können.
Ungeachtet der bisher genannten Aufnahmen zählte längere Zeit die Aufnahme der Beethoven Sinfonien unter Gardiner als Referenz für Aufnahmen mit Originalinstrumenten. Und in gewisser Weise ist sie das auch heute noch. Die als gemässigt geltende Aufnahme wird gelegentlich als zu glatt bezeichnet - oder aber als Musterbeispiel dafür, daß Aufnahmen die als "historisch informiert" gelten nicht durchaus "aggressiv" klingen müssen.
"Referenzaufnahmen" sind also - wie ich meine - durchaus eine Sache der Betrachtung, des Standpunktes - zeichnen sich aber dadurch aus, daß sie von eine gewissen Gruppe als Referenz anerkannt werden.....
Um das einmal mehr zu erläutern, würde ich sowohl Furtwängler, als auch Karajans und Soltis "Ring" als "Referenzaufnahmen sehen.
Böhms Mozart ist "Referenz" - egal ob man ihn mag oder nicht. Den Gegenpol hiezu dürfte wahscheinlich Harnoncourt darstellen. Karajans Mozart spielt hingegen als "Mozart-Referenz" keine Rolle. Krips wäre hier schon eher ein Anwärter - jedoch sind seine Aufnahmen zu wenig verbreitet, bzw bekannt, Bruno Walter - ein großer Mozart-Interpret der Vergangenheit - gilt weitgehend als vergessen, jener von Klemperer als "eigenwillig", "interessant" aber nicht "referenzverdächtig", bzw "beispielgebend". (wenngleich ich hier anderer Meinung bin)
Es ist mir bewusst - und zwar nicht "schmerzlich" , daß meine Definitionen auf Widerspruch stoßen werden, bzw ein heisses Diskussionsthema sind, bzw sich zu einem solchen entwickeln könnten - und genau aus diesem Grund habe ich sie hier niedergeschrieben.....
mit freundlichen Grüssen aus Wien
Alfred