Anton Bruckner: Sinfonie Nr 3 - Erstfassung 1873

  • Hallo Bruckner-Freunde,


    von den meisten Dirigenten wird zur Aufführung der Sinfonie Nr.3 meistens die Drittfassung von 1888/89 verwendet, oder machmal auch die Zweitfassung von 1877. Aus meiner Sicht liegt das wohl daran, das die Drittfassung kurzweiliger und aufgeräumer beim Hörer ankommt als die Urfassung.
    Die Bearbeitungen und starken Kürzungen wurden von Brucknerschülern und dem Meister Bruckner selbst vorgenommen.
    Erst 1977, 103 Jahre nach Beendigung der Komposition, wurde die Originalfassung 1873 von Leopold Novak veröffentlicht. Es ist ein glücklicher Umstand, daß diese Originalfassung in der Abschrift erhalten geblieben ist, die Richard Wagner mit folgenden Worten gewidtmet ist: „Dem unerreichten, weltberühmten, erhabeben Meister der Dicht-und Tonkunst“.
    Der erste Satz hat riesige Ausmaße und enthält u.a. Wagner-Zitate aus dem zweiten Akt der Oper Lohengrin. Der 2.Satz, auch länger als gewohnt, enthält extrem schwierige Sykopierungen, die in den späteren Fassungen entfernt wurden und die wohl auch dazu führten, das die Wiener PH damals die Sinfonie als unspielbar zurückwiesen. Der 3.Satz Scherzo ist in seiner Form unverändert geblieben. Der 4.Satz wurde in Auftrag und in Zusammenarbeit Bruckners von seinem überaus geschätzten Schüler Franz Schalk für die spätere Fassung fast vollständig neu komponiert. Schalk kürzte das Stück nicht nur beträchtlich, sondern er und sein Meister übertrug, zu ihrem Nachteil für den Satz, die unregelmäßigen Muster in regelmäßige viertaktige Gruppen.


    ;) Diese Urfassung, ohne die umfangreichen Veränderungen, wollte ich nun einmal kennenlernen und entschied mich für die in der Kritik nicht schlecht beurteilte Fassung mit Georg Tintner / Royal Scottish National Orchestra auf NAXOS (Aufnahme 1998 DDD).
    Was ich da zu hören bekam hat mich schockiert (wie seinerzeit der Test mit Harnoncourts Brahms-Sinfonien); wie Tintner am Detail herumbosselt, ohne jegliche Spannung, ausgelöst durch ein viel zu langsames Tempo; Steigerungen kommen absoltut ohne Emphase, einfach langweilig. Das soll Bruckner sein? Nein, die Sinfonie zerfällt in ihre Bestandteile ! Dennoch mal interessant wie die Urfassung aufgebaut ist, aber Bruckner (unter Tintner) war das bei weitem nicht.
    :) Erst die nachfolgend aufgelegte DG-Karajan-Aufnahme der Sinfonie Nr.3 (1888/89) hat meine Bruckner-Welt wieder in Ordnung gebracht !


    :yes: Vorige Woche fiel mir in einem Bonner CD-Laden die CD der Erstfassung 1873 mit
    Eliahu Inbal /Frankfurter RSO auf Teldec/APEX (Aufnahme 1983 DDD) in die Hände. Sogleich sah ich mir die Spielzeiten an – das mußte was anderes, besseres als das Tintnersche Zerfallsprodukt sein - für 4,90€ war die APEX-CD ein Glückskauf:
    Am Abend hörte ich mir diese Urfassung der Sinfonie Nr.3 mit Inbal an, schon die ersten Takte des ersten Satzes ließen auf eine „richtige“ Bruckner-Welt schließen – und --- der Rest war auch in Ordnung. Die Inbal-Aufnahme und die Urfassung haben mich wirklich ergriffen. Man hat quasi eine neue Bruckner-Sinfonie vor sich, die gegenüber den Spätfassungen deutlich mehr Stoff zu verarbeiten hat.
    Die Durchführung und das Finale im 1.Satz sind energisch Interpretiert und die Frankfurter scheinen an die Grenze ihrer Leistungsfähigkeit zu kommen, was die Aufnahme spannend macht. Zwar merkt man im Vergleich zu Karajan, insbesondere beim unveränderten 3.Satz, wo die Glocken hängen (Karajan und die Berliner PH sind weitaus präziser), aber die Frankfurter sind eben keine Berliner PH.
    Insgesamt aber eine tolle Empfehlung für die Urfassung, in der so viel Neues steckt, das hier bei Inbal angemessen umgesetzt wird. Schon lange vorher war die frühe Sinfonie f-moll (ohne Nr.) mit Inbal und den Frankfurtern auf Teldec für mich ein positiver CD-Kauf.


    Hier die Spielzeiten, die verdeutlichen, welche Zerfallwirkung ein zu langsames Tempo auslösen kann:
    1.Allegro..........Tintner..30:34..........Inbal...24:00
    2.Adagio......................20:37...................18:53
    3.Scherzo.....................06:47...................06:07
    4.Allegro......................19:22...................16:37
    Gesamtzeit...................77:32...................65:30


    Das sind über 12Minuten Spielzeitunterschied für die ganze Sinfonie! Wenn man die ohnehin nicht gerade kurzweilige Urfassung so aufdröselt, kann das nichts werden.
    Nicht das ich was gegen langsamere Tempi habe - es gibt in der Diskographie andere positive Beispiele für Interpretationen mit langen Spielzeiten (z.Bsp. Bernstein´s spätere DG-Aufnahmen der Brahms-, Sibelius- und Tschaikowsky-Sinfonien(außer Nr.6)), die genial umgesetzt wurden.
    :)Die Klangqualität beider Aufnahmen (Teldec und Naxos) ist auf einem guten Klangniveau mit natürlicher Abbildung des Orchesters.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo teleton,


    ich denke, du tust Tintner ein wenig unrecht.


    Ich kenne Inbals Aufnahme seit über 15 Jahren und habe mir gleich nach Erscheinen Tintners Einspielung gekauft.


    Wer die dritte Sinfonie in der "Originalversion" hört, der erlebt ohnehin einen Schock, denn -wie du schon schriebst- besonders im ersten Satz erhält man vollkommen neue Höreindrücke.


    Zu den Interpretationen: Inbal wirkt, namentlich im ersten Satz, erheblich zielstrebiger und aggressiver, kein Kunststück bei über 6 1/2 Minuten Unterschied. Daß bei Tintner allerdings "keine Spannung" herrscht, kann ich für mich persönlich nicht nachvollziehen.


    Zum einen gewinnt die Durchhörbarkeit der Sinfonie immens durch die sich gegenüber sitzenden 1. und 2. Violinen und zum anderen hat Tintner für mein Empfinden den "großen Atem", um sich den immensen Steigerungen, namentlich im 1. Satz, zu nähern. Leider stand ihm mit dem Royal Scottish National Orchestra kein Spitzenorchester zur Vefügung, und auch in der Tontechnik hat er gegenüber Inbal das Nachsehen.


    Das RSO Frankfurt ist erheblich plastischer abgebildet, die Blechbläser wirken viel präsenter (ohne aber die anderen Orchestergruppen total zu dominieren) und die Bässe sind besser abgebildet.


    Bei Tintner klingt es leider "unverbindlicher", pauschaler. Das mag vielleicht dazu führen, daß dir die Aufnahme weniger gut gefällt.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert,


    es ist nicht die Tonqualität der Naxos-Tintner-Aufnahme, die gar nicht so übel schlecht ist, sondern das fehlende Feuer.


    Ich hatte im Bruckner-Thread ja schon geschrieben, das mich die Bruckner-Sicht Jochums im Vergleich zu den Karajan-Aufnahmen nicht so begeistert hat.
    :yes: Erst als ich Bruckner auf DG-CD´s mit Karajan kennenlernte, war ich derart positiv überrascht, was man noch mehr als Jochum aus den Bruckner-Sinfonien herausholen kann - das ist mein Bruckner, so spannend und dramatisch muß er klingen.
    ?( Und wenn jetzt ein Tintner kommt und einen so langweiligen, langsamen, auseinanderfallenden Bruckner präsentiert, dann kann ich mich damit damit einfach nicht anfreunden, da er sooooooo weit von Karajan´s Brucknersicht, die ich für mich für die Richtige halte, entfernt ist. Der von Dir genannte "große Atem" spricht mich einfach nicht an, da kommt nichts rüber.


    Mich würde auch interessieren was andere von INBAL, Tintner und Johannes Nott halten !??!
    Johannes Nott hat auch TUDOR - SACD mit einer Gesamtspielzeit von 63:12 eine noch schnellere Fassung der Sinfonie Nr.3 (1873) als Inbal aufgenommen. Diese Interpretetion kenne ich (noch) nicht.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Okay, wenn Karajans Sicht dein "Credo" darstellt, dann muß dir Tintner langweilig vorkommen.


    Ich liebe Karajans späten Aufnahmen der 7. und 8., halte seine Einspielungen der 2. und 6. für sehr konkurrenzfähig, aber mit der 3. und 4., von Karajan dirigiert, "kann man mich jagen" ;) . Da herrscht der "dicke Pinsel" vor, und es geht imo darum, die großen Steigerungen noch knalliger und polierter zu präsentieren als es andere machen.


    Aber auch hier gilt: Geschmäcker sind verschieden, und Deinem Interesse an anderen Meinungen zur "Urversion" schließe ich mich pauschal an ;) .


    Auch Kent Nagano hat die dritte Sinfonie in der Erstfassung aufgenommen. Kennt jemand diese Aufnahme?


    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich hatte mir, bereits bevor ich diesen Thread las, die Dritte von Bruckner in der Urfassung mit Jonathan Nott und den Bamberger Symphonikern bestellt, die erst heute eingetroffen ist. Ich habe als Vergleichseinspielungen der Dritten in dieser Fassung die bereits erwähnten Inbal- und Tintner-Einspielungen und eine wunderbare 3-CD-Box mit Johannes Wildner und der Neuen Philharmonie Westfalen, wo alle drei Versionen der Dritten und zusätzlich die Zwischenfassung des Adagios von 1876 eingespielt sind. Ich muss sagen, dass ich Wildners 1.-Fassung der Dritten bisher als die beste ansah. Bei Tintner fehlt mir zu oft der „Drang zum Tor“, Inbal sagt mir nicht mehr so zu, obwohl ich mich über ihn Bruckner genähert habe.
    Jonathan Nott verweist Wildner jetzt aber auf den zweiten Platz. Nott ist auch eher von der schnellen Truppe und spielt das Werk in gut 63 Minuten und damit sogar noch etwas zügiger als Inbal. Dennoch empfand ich es zu keinem Zeitpunkt als gehetzt. Gerade im ersten Satz glaubte ich eine völlig andere Symphonie zu hören. Das moderne, neue an dieser Symphonie habe ich so noch in keiner Einspielung gehört. Beim Adagio fand ich Wildner, glaube ich, schlüssiger, muss ich aber noch mal gegen hören, in der Box sind ja schließlich vier Adagios enthalten, nicht dass ich da etwas verwechsele. Nach hinten raus ist aber auf jeden Fall Nott wieder meine Nummer eins.
    Zum Tragen kommt hier aber auch eine ganz hervorragende Aufnahmetechnik. Das SACD-Format kann hier seine Vorteile in einer unglaublich plastischen Aufnahme ausspielen. Wenn gleich die Bläser manchmal ziemlich fett den Rest überdecken. Aber das hört man ja leider oft.
    Trotzdem eine, wie ich finde, insgesamt sehr lohnende Anschaffung.

  • Hier noch das dazugehörige Bild zur Nott-Einspielung (Ich wollte auch mal testen, wie das mit den Bildern einkopieren funktioniert).



    Gruß
    Christian

  • Zitat

    Original von Norbert


    Auch Kent Nagano hat die dritte Sinfonie in der Erstfassung aufgenommen. Kennt jemand diese Aufnahme?



    Ja, ich ;) .


    Nagano liegt mit 26'33'', 17'01'', 06'28'' und 18'37'' zwischen Inbal und Tintner und reiht sich auch interpretatorisch zwischen beiden ein.


    Seine Interpretation ist erheblich zielstrebiger als die von Tintner, aber nicht so fulminant wie die Inbals.


    Auffallend ist klanglich die wunderbare Balance zwischen den Bläser- und Streichergruppen. Ber Inbal klingt das Blech sehr schneidend und direkt (was mir allerdings gut gefällt), bei Nagano ist das Blech weniger exponiert, dafür mehr ins Orchester integriert.


    Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin erweist sich unter seinen Chefdirigenten als sehr flexibler und klangschöner bzw. klanggewaltiger (je nachdem, was gerade gebraucht wird) Körper.


    Einziger kleiner Wermutstropfen: Im ersten Satz könnte Nagagno ab und an etwas mehr Temperament an den Tag legen, ansonsten ist es ein überzeugendes Plädoyer für die Erstfassung.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo Norbert,


    Zitat


    Das Deutsche Symphonie-Orchester Berlin erweist sich unter seinen Chefdirigenten als sehr flexibler und klangschöner bzw. klanggewaltiger (je nachdem, was gerade gebraucht wird) Körper.


    Das kann ich nach zweimaligem Live-Erleben bei den Salzburger Festspielen bestätigen (auch wenn just Bruckners 6. mich weniger überzeugte): Ein Orchester mit einem außergewöhnlich schönen und transparenten Klang, wenn Nagano es dirigiert. Bemerkenswert.


    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • angesichts des erwerbs der original-dritten mit roger norrington kram ich mal diesen thread hervor:



    also gänzlich überzeugt hat mich norringtons ansatz ja nicht: mein eindruck beim ersten hören war eher, dass es sich hierbei um ein kuriositätenkabinett handelt. norrington nimmt v.a. den ersten satz unglaublich schnell, gerade so, als wollte er den unvorbereiteten hörer gleich mal ordentlich schockieren. direkt konventionell dagegen der zweite satz - da gelingt sogar manch großer bogen, bei aller liebe zum detail. witzig im dritten satz: norrinton nimmt das trio mit der selben geschindigkeit wie das scherzo. da muss man anfangs fast zweimal hinhören, ob man wirklich schon dort ist. der vierte ist dann wieder ein bisschen wie der erste: enorm schnell, sehr detailverliebt, aber die großen bögen gelingen nicht so recht.


    inzwischen habe ich die aufnahme mehrmals gehört, und siehe da - sie gefällt mir immer besser. wenn man das tempo mal gewöhnt ist, kann man wirklich so manch neue facette heraushören. im gesamten bleibt aber nicht mehr als ein bruckner für "zwischendurch" und die hoffnung aufs nächste mal mit tintner.


    das bringt mich zum zweiten grund für die reaktivierung dieses threads: georg tintner:
    nach all dem schimpf will ich hier mal eine lanze für die aufnahme der dritten mit tintner brechen. für mich ist diese eine der besten aufnahmen einer bruckner-symphonie überhaupt. wie teleton war auch ich erstmal schockiert, aber über die ungeheure kraft und die neuartigkeit dieser musik. ich wills mal mit den worten von david hurwitz auf "classicstoday.com" ausdrücken: "In fact, it offers such a fundamental reappraisal of this music that it's safe to say that until you hear this recording, you have not heard Bruckner's Third Symphony." ein bisschen pathetisch zwar, aber im grunde richtig.
    auch nach x-maligem hören vermittelt mir keine aufnahme die größe bruckners musik so eindringlich, wie die dritte mit tintner - und das, obwohl die späten symphonien natürlich musikalisch der dritten überlegen sind.
    für mich jedenfalls ist dies eine aufnahme für die insel...


    greetings, uhlmann

  • Hallo Forianer,


    eine großartige Interpretation von Bruckners 3. Symphonie in d-moll gelang den Wiener Philharmonikern unter Carl Schuricht aus dem Jahr 1966.


    Carl Schuricht war einer der bedeutendsten Bruckner-Dirigenten des 20. Jahrhunderts. Noch immer müssen sich viele Einspielungen an diesen maßstabsetzenden Aufnahmen messen... - und scheitern...


    Herzliche Grüße
    von LT :hello:

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • @ LT


    hat schuricht die original-dritte eingespielt (version 1873)?


    würde mich angesichts der zeit eher wundern. wie teleton bemerkt, ist die originalversion erst 1977 veröffentlicht worden. wird wohl eher eine der beiden anderen fassungen sein.


    greetings, uhlmann

  • mark mast, junge münchner philharmonie

    "Play, man, play!" (M. Davis)
    "We play energy!" (J. Coltrane)

  • Simone Youngs Version der "originalen Dritten" ist ja auch schon seit einigen Monaten erhältlich und fand hier leider noch keine Besprechung.



    Hat sich jemand die Aufnahme gekauft und möchte darüber berichten?

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Komme gerade aus dem Konzert, das die Bamberger Symphoniker unter ihrem Chefdirigenten Jonathan Nott heute abend in Linz gegeben haben und bin hin und weg. Einerseits weger der Erstfassung und andererseits wegen der Interpretation.


    Daher ist klar: Eine Aufnahme muss her. 2 Kandidaten habe ich schon ausgemacht:


    Entweder das heute Gehörte:



    oder



    An alle die beide Aufnahmen kennen: Welche ist vorzuziehen? Welche hat mehr "Biss"?


    Young interessiert mich eigentlich nicht, da sie mich mit der 2. schon nicht besonders beeindruckt hat.



    LG
    Georg

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Lieber Georg,


    darf ich noch einen weiteren Mitbewerber ins Rennen schicken? Eine meiner allerliebsten CDs:



    Gab's - wie auch Naganos Bruckner-Sechs - bei unserem Werbepartner mit den drei Buchstaben vor einer Weile mal zum Kampfpreis für €6.99, jetzt aber leider wieder zum Vollpreis.


    Naganos beide Bruckner-Einspielungen halte ich für rundum gelungene Angelegenheiten. Eine in sich schlüssige und flüssige Anlage der Symphonien, die auf hohe Durchhörbarkeit setzt, aber sich nicht in den Vordergrund drängt.
    Ob sie Biss hat, vermag ich Dir nicht zu sagen; eine "Beweihräucherung" findet hier jedenfalls nicht statt, was ich bei Bruckner persönlich immer sehr wohltuend finde.


    Vielleicht können andere noch ein bisschen mehr dazu sagen; wenn nicht, dann einfach mal hineinhören. Ich hoffe, das Ergebnis, das Nagano mit dem Deutschen Symphonie-Orchester erzielt hat, überzeugt auch ohne große Lobhudeleien. :)


    Viele Grüße


    Kerstin


    PS: Achja, laut Cover handelt es sich bei der eingespielten Version auch um die Urfassung von 1873. Ich gebe allerdings zu, dass ich die Wagner-Zitate nie höre (liegt wahrscheinlich an meiner mangelnden Wagner-Kenntnis).


    PPS: Oooops, das kommt von solchen Schnellschüssen aus der Hüfte! Oben steht ja schon einiges zu dieser Aufnahme... :O

    2 Mal editiert, zuletzt von bachiana ()

  • Zitat

    Original von georgius1988
    Komme gerade aus dem Konzert, das die Bamberger Symphoniker unter ihrem Chefdirigenten Jonathan Nott heute abend in Linz gegeben haben und bin hin und weg. Einerseits wegen der Erstfassung und andererseits wegen der Interpretation.


    Zu Recht - das gleiche Konzert habe ich am Abend vorher auch hier in Bamberg gehört.



    Zitat

    Daher ist klar: Eine Aufnahme muss her.


    Dazu auch noch meine Meinung: Die Interpretation Notts kennst Du ja jetzt - in der fünf Jahre alten Einspielung ist das Tempo im ersten Satz eine Spur schneller als in den aktuellen Aufführungen, im zweiten Satz eine Spur langsamer. Sonst habe ich nur minimale Unterschiede gehört. In keiner Aufnahme kommen die Schroff- und Kühnheiten der Erstfassung so ungeschminkt heraus, zudem ist die Einspielung im besten Sinne "straight" (gerade bei der Behandlung der Tempi) und hat enormen Drive. Gelegentlich dominieren die Blechbläser etwas zu sehr.


    Nagano ist in jeder Hinsicht behutsamer, gehört im ersten Satz zu den langsameren Kandidaten, lässt enorm differenziert spielen, legt dafür aber den großen Steigerungen für meinen Geschmack etwas zu sehr die Zügel an.


    Mit Inbal habe ich die Erstfassung kennengelernt, eine sehr verdienstvolle Einspielung. Die Interpretation geht eher in Richtung Nott als in Richtung Nagano, sehr schroff. Dem Orchester merkt man ein wenig die Mühe an, die die z.T. überaus schwer spielbare Partitur bereitet. Etwas wenig Klangsinnlichkeit für meinen Geschmack.


    Nott hat in Bamberg in einer Einführung am Anfang des Konzerts mit den Instrumentengruppen explizit einige dieser schwer spielbaren Passagen vorgeführt (erste Geigen bei synkopischen Passagen im zweiten Satz, Kontrabässe beim dritten Themenkomplex im Finale).



    Zitat

    Original von bachiana
    PS: Achja, laut Cover handelt es sich bei der eingespielten Version auch um die Urfassung von 1873. Ich gebe allerdings zu, dass ich die Wagner-Zitate nie höre (liegt wahrscheinlich an meiner mangelnden Wagner-Kenntnis).


    In der gleichen Einführung vor dem Konzert hat Nott das Orchester auch die Wagner-Zitate samt ihrer Vorbilder spielen lassen: die verschwimmenden, ganz leisen Streicherharmonien von "Brünnhildes Schlafmotiv" (aus dem dritten "Walküre"-Akt) ganz am Ende der Durchführung des ersten Satzes; das Tristan-Motiv bei der Überleitung vom ersten zum zweiten Thema im zweiten Satz; der Pilgerchor aus "Tannhäuser" in den Posaunen bei der großen Steigerung des ersten Themas am Ende des zweiten Satzes.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Was seltsamerweise noch gar nicht angesprochen wurde: Worin bestehen denn nun die Unterschiede zu den üblichen Fassungen und "braucht" ein Nicht-Brucknerianer diese ominöse Erstfassung überhaupt?
    Warum und wie oft hat denn Bruckner das Stück überarbeitet und gibt es irgendwelche Gründe (aus der Tatsache der bloßen Existenz unterschiedlicher Fassungen), die üblicher (1889?) nicht als verbindlich anzusehen?


    viele Grüße


    JR (gebranntes Kind seit der (glücklicherweise preiswerten) Anschaffung der Erstfassung der 4. Sinfonie)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Was seltsamerweise noch gar nicht angesprochen wurde: Worin bestehen denn nun die Unterschiede zu den üblichen Fassungen und "braucht" ein Nicht-Brucknerianer diese ominöse Erstfassung überhaupt?
    Warum und wie oft hat denn Bruckner das Stück überarbeitet und gibt es irgendwelche Gründe (aus der Tatsache der bloßen Existenz unterschiedlicher Fassungen), die üblicher (1889?) nicht als verbindlich anzusehen?


    viele Grüße


    JR (gebranntes Kind seit der (glücklicherweise preiswerten) Anschaffung der Erstfassung der 4. Sinfonie)



    Was hast Du denn gegen die Erstfassung der Vierten? :D



    Ich versuch's mal:


    - Es gibt drei Fassungen der Dritten: von 1873 (m.W. erst nach 1945 aufgeführt), 1877 (die lag der von Bruckner im gleichen Jahr selbst dirigierten Aufführung zugrunde, die total durchfiel und bei der der 17jährige Mahler anwesend war) und 1889.


    - Die Symphonie ist bei jeder neuen Fassung kürzer geworden, vor allem (aber nicht nur) auf Kosten des Finales. In der Erstfassung ist die Dritte nach der Anzahl der Takte die längste Brucknersymphonie überhaupt. In der dritten Fassung ist das Finale sehr kurz und in puncto Form und Proportion seltsam gestaucht.


    - Es gibt zahlreiche Unterschiede im Detail (z.B. was die Instrumentation schon des Anfangs des ersten Satzes, aber auch sonst betrifft) - ich würde aus dem Handgelenk behaupten, dass die in allen drei Fassungen identischen Passagen sehr in der Minderheit sind. Insgesamt ist nach meinem Eindruck die Zweitfassung näher an der Dritt- als an der Erstfassung. In die Drittfassung hat Bruckner eine fantastische Passage in die Durchführung des ersten Satzes eingebaut, die sehr an ähnlich thematisch "durchgearbeitete", zerklüftete Partien im Kopfsatz der Neunten erinnert - allerdings in diesem Kontext etwas wie ein Fremdkörper wirkt. Zudem gibt es in Fassung III z.B. ein neues drittes Thema (in den Trompeten) im zweiten Satz, das wiederum m.E. nicht zu Bruckners stärksten Erfindungen gehört. Weitgehend unangetastet blieb nur das Scherzo, aber auch hier sind im Detail viele Änderungen zu bemerken. Die Erstfassung hat im Finale sehr viele Generalpausen, auch verblüffende Passagen, in denen Themen ganz kurz angerissen und dann wieder fallengelassen werden sowie nach dem Vorbild von Beethovens Neunter (und in Vorwegnahme von Bruckners eigener Fünfter) das Zitat von Themen aus den drei ersten Sätzen, allerdings nicht am Anfang des Finales, sondern vor der Coda. Außerdem gibt es nur in der Erstfassung die schon beschriebenen, gar nicht plumpen, sondern sehr beziehungsreich eingebauten Wagner-Zitate.


    - Wenn man versucht, die Fassungen zu charakterisieren: In der Erstfassung wirkt vieles noch viel blockhafter als später, in der Zweit- und Drittfassung sind mehr Übergänge eingebaut und viele Generalpausen eliminiert worden (Finale!). Beseitigt hat Bruckner aber auch manche harmonischen, formalen und spieltechnischen Radikalitäten, die bei der Erstfassung immer wieder erstaunen. In der Zweit- und Drittfassung hat Bruckner das Werk kompositionstechnisch stärker in die "Normalität" des 19. Jahrhunderts eingebettet - es wirkt "gekonnter", aber nach dem Urteil mancher auch "geglätteter". Das ist eine Frage der Perspektive. Ich finde es bemerkenswert, dass sich immer mehr Dirigenten (gerade auch solche, die nicht unbedingt geborene Bruckner-Spezialisten sind und eher aus der Richtung des 20. Jahrhunderts kommen: Nagano, Nott) sich für die Erstfassung entscheiden.


    Mir ist es (wie wahrscheinlich vielen) so gegangen, dass ich die Symphonie zunächst in der Dritt- und dann in der Zweitfassung kennengelernt habe und die Erstfassung zunächst als sehr fremd und fast "unbeholfen" empfunden habe. Das hat sich inzwischen aber geändert, mich fasziniert diese "fremde" Erstfassung mehr und mehr. Ich finde sie auch interessanter als die Erstfassung der Vierten (die ich aber nicht so gut kenne).


    Das habe ich jetzt alles relativ schnell und aus der Erinnerung runtergeschrieben. Ich lasse mir also gerne von Ben Cohrs meine Aussagen um die Ohren hauen. :D



    Viele Grüße


    Bernd

  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Zuerst einmal Danke Zwielich für die Beratung und deine Eindrücke. Ich werde Nott nehmen. Gerade der zügige erste Satz hat mir unglaublich gut gefallen.


    Anfangs war ich verwirrt, da auf den meisten Homepages stand, es sei eine reine SACD (gibt es sowas überhaupt noch?). Doch dank der Homepage des Labels konnten diese Bedenken zerstreut werden. Es ist eine Hybrid-CD.



    Johannes Roehl: Zugegeben, die 1. Fassung der 4. ist eigentlich eine neue Symphonie und hat wenig mit der "eigentlichen" Romantischen zu tun.


    Manche Erstfassungen gefallen besser andere wieder nicht.


    Nichtsdestoweniger haben alle Symphonie-Fassungen ihre Berechtigung vor allem dann wenn das Ergebnis ungleich spannender ist, als bei der gewohnten Fassung wie bei der Dritten.


    Gott sei Dank ist man endlich von der Irridee abgekommen, die letzte Fassung sei die verbindliche. Bruckner hat meistens nur aufgrund äußerer Einflüsse an seinen Symphonien herumgedoktert.


    Hätte Beethoven die Chorfantasie ans Ende seiner Neunten gestellt nur weil die Symphonie dann erfolgreicher und eher gedruckt worden wäre, würden wir heute ja auch nicht krampfhaft an der "Chorfantasie-Fassung" festhalten. Das Schicksal hat es mit Beethoven halt besser gemeint als mit Bruckner.


    (Tatsächlich gibt es bei Beethoven ja auch ein reales Beispiel: op. 130. Die Große Fuge flog auch nur raus, weil alle meinten sie verderbe das Quartett. Heute ist es umgekehrt und das 2. Finale klingt für viele unpassend (vllt. sogar ein Scherz vom Ludwig ein dermaßen unpassendes Finale zu schreiben, aber das ist OT).)



    LG
    Georg

    Früher rasierte man sich wenn man Beethoven hören wollte. Heute hört man Beethoven wenn man sich rasiert. (Peter Bamm)

  • Zitat


    Amfortas 08


    Was an der z.B. plakativen Coda von Bruckner 3 (vierter Satz) [..] besonders originell sein soll., bleibt wohl das Rätsel von reingefleischten Brücknerhörer..


    Gute Frage- oder nicht? :D:D


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Simone Youngs Version der "originalen Dritten" ist ja auch schon seit einigen Monaten erhältlich und fand hier leider noch keine Besprechung.



    Hat sich jemand die Aufnahme gekauft und möchte darüber berichten?


    Stimmt, seit einigen Monaten. Und ich habe die Aufnahme auch schon ein paar Monate und seitdem immer mal wieder gehört. Und wenn es so weitergeht, so wird es evtl. sogar meine Lieblingsaufnahme der III.
    Es ist ja schon länger so, dass mir der raue Charme der Originalfassungen immer besser gefällt. Und genau diesen Charme hat die Aufnahme mit Simone Young (meine einzige CD mit einer Dirigentin!) Es ist schön, wie sie sich immer Zeit nimmt, um die Musik langsam anschwellen zu lassen, immer wider auch die Ruhe auskostet, um dann sehr bewusst und aufmerksam die Klanggebirge zu erschaffen. Immer wieder sehr klare, lange Horntöne.
    Die Pauken sind mir allerdings oft zu dezent eingesetzt, das könnte schon ein wenig mehr donnern. Auch die Generalpausen sind mir zu leer, da könnte es doch noch ein wenig nachhallen.
    Aber das sind kleine Dinge, die Aufnahme als solche ist wirklich sehr beeindruckend.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Hallo Klaus,


    da musste ich doch erst einmal nachschauen, wann ich die Frage stellte. ;)


    Mittlerweile hatte ich mir die Aufnahme selbst zugelegt, aber inzwischen seit Ewigkeiten nicht mehr gehört. Nach der 3. Sinfonie hatte ich mir keine weitere Bruckner-Aufnahme mehr mit Frau Young zugelegt (es sind danach ja nach die 0., 1. und 8. Sinfonie erschienen). Es wird mich also wohl etwas gestört haben an der Interpretation. Ich werde es bei Gelegenheit überprüfen.


    Die Urfassung der 3. höre ich auch sehr gerne, auf jeden Fall lieber als sie doch arg gekürzte, wohl immer noch populärste, dritte Fassung.


    PS. (weil nicht ganz zum Thema passend): Wenn Du mehr weibliche Dirigenten auf CD hören möchtest, sei Dir ibs. Marin Alsop ans Herz gelegt. Ihre Interpretationen der Brahms-Sinfonien und von Mahlers 1. Sinfonie (alle bei Naxos erschienen) sind beachtlich.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • nachdem ich seit langer Zeit mal wieder Bruckners 3. höre (meine Lieblingssymphonie von Bruckner), auch von mir ein kurzes Statement.
    Ich habe die 3. unter Inbal in der Urfassung kennen und lieben gelernt. Als ich zum ersten Mal die späteren Fassungen gehört hatte, haben mir diese gar nicht gefallen.... Es kam mir so gekürzt vor, teilweise für mich plump wirkende Blechbläser-Einwürfe.. Nein, danke...
    Muss mir nun unbedingt die Einspielung unter Nott zulegen, da ich diesen Dirigenten überaus schätze und er mir schon so manche Gänsehaut im Konzert in Bamberg verschafft hat...
    Wer Bruckners 3. noch sehr gern hört, sollte sich übrigens mal die Klavierfassung von Mahler zulegen.... sehr interessant....

  • Hallo zfrank,


    die Aufnahme unter Nott solltest Du Dir unbedingt kaufen. Sie lohnt sich.


    Ich habe es gerade getan und bin sehr angetan vom Ergebnis.
    Nott ist, abgesehen vom Scherzo, noch fixer unterwegs als Inbal und bietet, auch und gerade durch die deutsche Orchesteraufstellung eine Transparenz und eine feine dynamische Abstufung, die kaum zu überbieten sein dürfte.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler