Was ist das denn für eine merkwürdige Vorstellung von Oper...? - Betrachtungen

  • Zitat

    Was ist das denn für eine merkwürdige Vorstellung von Oper: "weil derlei NICHT stattfand" ??? - - -

    schrieb
    Caruso41 im Thread über die Wiener erstaufführung von Anna Bolena, nachdem ich gemeint hatte, die Kritik an "mangelnder Personenführung" sei eher ungerecht, da viele Opernfreunde die (angeblich!) fehlende Hand des Regisseurs nicht nur nicht vermissten, sondern als Erleichterung oder Befreiung empfunden hätten.


    Man kann nun in der Tat verschiedene Vorstellungen von Oper haben, wobei sich in den letzten Jahren einige besonders stark in den Vordergrund gedrängt haben, und wer mich kennt, weiß was jetzt kommt: Eine Breitseite gegen das Regietheater, welches sich anmaßt alte Stücke politisch umzufunktionieren und so - aus meiner Sicht - nicht nur zu mißbrauchen - sondern zu entstellen.


    Aber das wars dann auch schon - der Regietheaterhread ist anderswo.


    Ich widme mich daher einigen Eigenheiten der Oper durch die Jahrhunderte hindurch. Nicht alle meiene Aussagen werden von allen akzeptiert werden, - und das ist auch gut so - aber ich meine - an jder klebt zumindest ein Körnchen Wahrheit - und meist auch mehr......


    Opernlibretti wurden erst im 19. Jahrhundert auf Realitätsnähe hingetrimmt, Verismo, bzw Naturalismus sind hier die Schlagworte.


    Davor gabe es viele Moden und Zeitströmungen, die oft ineinander übergriffen, sodaß eine Systematisierung schwierig ist - und hier keineswegs vorgenommen werden soll.


    Ich möchte mich an erster Stelle um Sinn und Unsinn von Operninhalten orientieren, an unlogischen Märchen und Pseudosagen mit geradezu harsträubend unlogischen inhalten. Dann jene Opern, die historische Begebenheiten zum Inhalt haben, wo die historischen Personen geradezu gemeuchelt wurden - und ich meine hier nicht durch das Erleiden des Todes auf der Bühne, sondern die historische Figur wurde derart entstellt dargestellt, daß von ihr nur wenig mehr blieb als der Name. Als Beispiel, was ich hier meine, sei hier "Don Carlos" genannt, wo schon Friedrich Schiller aus dem boshaft sadistisch verkrüppelten Kretin den Freitheitshelden gezaubert- unterstützt durch eine erfundene Figur, den Marquis de Posa.
    Philipp II hingegen wird als unglücklich Liebender dargestellt. Der geschichtlich belegte Philipp dürfte jedoch weitgehend emotionslos agiert haben, niemand sah ihn je lachen oder erzürnt, begeistert oder verzweifelt.
    Verdi hat den Belcanto Stil überwunden aber sich dem Verismo nicht wirklich angeschlossen


    Zum Verismo finden wir bei WIKIPEDIA folgendes Intessantes:


    Zitat

    Wegen seiner kolportagehaften Handlungskonstruktionen, die an Sensationsjournalismus erinnern, führte der Verismo zu kalkulierten Theaterskandalen. Musikalische Stilmittel wie das Mitgehen des Orchesters im Unisono mit der Gesangsstimme oder eine sehr einfache Gegenübersetzung von Melodie und Begleitung wurden für grob und effekthascherisch gehalten. Auch die Eingliederung realistischer Geräusche wie Pistolenschüsse, Lachen, Schreie und gesprochene Sätze in den musikalischen Ablauf machte Sensation, stieß aber nicht überall auf Zustimmung. Verdi lehnte diesen überzeichneten Realismus ab und untersagte etwa der Darstellerin seiner Traviata ein lautes Husten. Bekannt sind vor allem die empörten Rezensionen des Wiener Feuilletonisten und Musikwissenschaftlers Eduard Hanslick.


    Im Belcanto verzichtete man gern auf logische Inhalte und historische Treue. Man legte Wert auf eindrucksvolle Arien, die die "Stars" in den Mittelpunkt stellten. Die Wiederholung von Arien nach Aufruf durch das Publikum (da-capo !!) war durchaus nicht unüblich. Man war interessiert an den kunstvollen Verzierungen - die Handlung war Nebensache - man kannte sie ohnedies.



    Mir ist nicht bekannt, daß in der Geschichte der Oper irgendjemand Wert auf psychologische Durchdringung von Rollen erpicht war - von Verfremdungen mal abgesehen.


    Oper sollte zwar dramatisch - aber nicht ungustiös sein, ein von Blut überströmter Comtour in Don Giovanni ist zwar durchaus realistisch, aber er wurde durch Jahrhunderte vermieden. Eigenartigerweise hat man grade in jener Zeit, wo man diese Realitätsnähe einforderte, auf die historische Kostümierung verzichtet - und so einen Teil des Publikums regelrecht vergrault.


    All diese Statements sind nur kleine Anregungen, Provokationen und Anstöße für Euch, EIGENE Vorstellungen zum Thema Oper hier zu veröffentlichen - mal sehen was da kommt.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Opernlibretti wurden erst im 19. Jahrhundert auf Realitätsnähe hingetrimmt, Verismo, bzw Naturalismus sind hier die Schlagworte.


    Mir ist nicht bekannt, daß in der Geschichte der Oper irgendjemand Wert auf psychologische Durchdringung von Rollen erpicht war - von Verfremdungen mal abgesehen.


    Eine sehr interessante Idee zu einem Thread! Ich gebe zu, die eigentlich Leitfrage des Threads nicht genau verstanden zu haben - es lag eventuell in Alfreds Strategie, das Feld möglichst weit offen zu lassen. Aber zu den beiden zitierten Stellen möchte ich doch etwas schreiben.


    Calzabigi und Gluck haben nämlich einiges von dem gemacht, was Alfred da abstreitet. Eine dramatisch und psychologisch begründete Handlung mit großen Ideen und einfachem Aufbau steht im Mittelpunkt. Es geht sehr wohl um eine scharfe Zeichnung der Charaktere und um ein Zurückdrängen rein musikalischer Formen, etwa der da-capo-Arie. Das Rezitativ gewinnt an Bedeutung und wird in seiner accompagnato-Version musikalisch vertieft. Unrealisitisches bzw. Unlogisches galt es zu vermeiden.


    Ich glaube, dass man auch Richard Wagner sehr wohl als Beispiel für psychologische Durchzeichnung von Charakteren anführen kann - Senta, Tannhäuser, Elsa, Tristan, Wotan, Kundry - sind das denn nicht großartig gezeichnete Charaktere? Vor der "Erfindung" der Psychologie?


    Es ist argumentativ etwas mühsamer, aber auch in Cosi fan tutte könnte man einen psychologischen Ansatz nachweisen.

  • Im Belcanto verzichtete man gern auf logische Inhalte und historische Treue. Man legte Wert auf eindrucksvolle Arien, die die "Stars" in den Mittelpunkt stellten. Die Wiederholung von Arien nach Aufruf durch das Publikum (da-capo !!) war durchaus nicht unüblich. Man war interessiert an den kunstvollen Verzierungen - die Handlung war Nebensache - man kannte sie ohnedies.


    Wie kommst Du denn darauf?


    Historische Quellen und zeitgenössische Romane sagen durchaus anderes!!!


    Und die Musik von Donizetti teilt doch nun wirklich viel mit von den Beziehungen zwischen den Protagonisten! Und das mit der Inszenierung umzusetzen, wäre einfach eine Aufgabe, der sich ein Haus wie die Wiener Staatsoper stellen muss!



    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Psychologische Durchdringung hat nun ja überhaupt nichts mit Ekel zu tun. (Vermutlich ist ein blutüberströmter Commendatore nicht mal medizinisch realistisch. Es wird ja mit Stichwaffen gefochten, nicht mit Metzgerbeilen.)


    Ebenso muss man psychologische Folgerichtigkeit von dramaturgischer und historischer unterscheiden. "Cosi fan tutte" ist ein extremes Beispiel eines, oberflächlich betrachtet, unrealistischen und künstlichen Experiments. (Wir sollen wohl nicht ernsthaft glauben, dass eine Frau ihren Verlobten nicht wiedererkennt, weil der einen falschen Bart umhat!)
    Es geht hier im Grunde NUR um die psychologische Zeichnung der Charaktere und ihrer Entwicklung im Spiel von Flirt, Verführung, (Un)treue, Enttäuschung usw. Und das ist wieder realistisch, weil es Entsprechungen im menschlichen Beziehungsleben hat, die ganz unabhängig von dem künstlichen Rahmen sind, in dem sie hier stattfinden.
    Ganz Ähnliches würde ich von Donizettis "Liebestrank" sagen. Hier wird vielleicht etwas gröber gezeichnet, aber es geht doch nicht bloß um die offensichtlich unrealistische Posse, die man auf der Bühne sieht.
    Dieser psychologische Realismus verleiht solchen Stücken wohl auch ihre Lebenskraft. Darin scheint mir auch eine Erklärung dafür zu liegen, dass Stücke wie die gerade genannten heute wesentlich überzeugender wirken als die meisten Verismo-Schinken...


    Die historisch interessante Frage (die ich sicher nicht beantworten kann) wäre, ob man einen Übergang von der zentralen Stellung von "Affekten", relativ unabhängig von Charakter und Situation zu Charakteren sehen kann. Ich glaube aber, dass man die Barockoper unterschätzt, wenn man ihr durchweg abspricht, plausible Charaktere auf die Bühne zu stellen und sowohl Personen als auch dramatische Entwicklungen nur als Gelegenheiten für die Darstellung von Affekten sieht. (Freilich gibt es in allen Epochen, besonders bei Nebenfiguren, psychologisch unterkomplexe "Abziehbilder", die eine dramaturgische Funktion haben, aber kaum einen eigenen Charakter.)


    Als ein historisches Dokument wie man Oper im frühen 19. Jhd. auffassen konnte, lese man die "Don Juan" Episode von ETA Hoffmann.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich glaube, dass man auch Richard Wagner sehr wohl als Beispiel für psychologische Durchzeichnung von Charakteren anführen kann - Senta, Tannhäuser, Elsa, Tristan, Wotan, Kundry - sind das denn nicht großartig gezeichnete Charaktere? Vor der "Erfindung" der Psychologie?


    Natürlich! Wagner war es vor allem, der der psychologischen Ausdeutung einen großen Stellenwert einräumte. In "Oper und Drama", seiner theoretischen Rechtfertigung für die Einführung des "Musikdramas", führt er aus, daß die Oper ab Monteverdi ursprünglich auf dem Zusammenwirken der verschiedenen Bereiche wie Schauspiel, Tanz, Musik, Text, Bühnenbild beruhte, und all dies zu dem Zweck ein Drama auf die Bühne zu bringen. Im Laufe der Zeit seien aber alle anderen Bereiche dazu verkommen, ein Alibi für ein paar flotte Musiknummern zu liefern; beziehungsweise auch die Musik z. T. nur dazu diente der Primadonna ihren großen Auftritt zu garantieren. Auf Verdi kommt der böse Seitenhieb, daß bei ihm das Orchester zur überdimensionalen Gitarrenbegleitung verkommen wäre (Schrumm schramm schramm, schrumm schramm schramm - eine Bosheit, die mir schon etwas Spaß macht, auch wenn dafür jetzt die Verdi Fans über mich herfallen :D ) Und was die Handlung betrifft, hatte Wagner da, wenn man sich Verdis Libretti ansieht, nicht ganz unrecht (da nehme ich Othello und Falstaff ganz klar aus; zu denen hat Boito großartige Libretti geschrieben, die Verdi ebenso großartig vertont hat).
    Und Wagner hat nicht, wie ihm unterstellt wird, den Text über die Musik gestellt, sondern wollte, daß wieder alle Bereiche zur Darstellung des Dramas zusammenwirken. Paradoxerweise wird die Musik bei ihm dadurch viel eigenständiger und bleibt auch ohne Text aussagekräftig (siehe "Wagner ohne Worte"), wo sonst wäre Opernmusik so "sinfonisch".


    Aus diesen Gründen war ihm auch die Darstellung auf der Bühne sehr wichtig, da geht es nicht, daß Sänger an der Rampe stehen und ihren Part runtersingen, deshalb führte er Regie und spielte seinen Sängern vor, wie sie schauspielern sollen (Wagner soll ein sehr guter Schauspieler gewesen sein). Ich denke, daß die Entstehung des Regietheaters entscheidend auf Wagner zurückgeht. Und was die "Gegner des Regietheaters" heute kritisieren, ist meiner Meinung nach nicht das Regietheater, sondern schlechtes Regietheater, wie man es viel zu oft sieht. Da vergessen Regisseure eben auch den Dienst am Drama, da werden alle Bereiche zum Alibi für irgendeine "Botschaft", die mal mehr mal weniger mit dem Stück zu tun hat. Aber gutes Regietheater, wie z.B. Chereaus Ring Inszenierung hat mir viele Aspekte des Rings erschlossen.


    Und ganz nebenbei waren natürlich auch vor Wagner die psychologischen Aspekte der Figuren und der Handlung von Bedeutung, wer wollte dies etwa Don Giovanni oder dem Figaro absprechen?


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum

  • Und was die "Gegner des Regietheaters" heute kritisieren, ist meiner Meinung nach nicht das Regietheater, sondern schlechtes Regietheater, wie man es viel zu oft sieht.


    Danke, danke, danke, lieber Lord Byron,


    das kann man nicht oft genug wiederholen! Es geht nicht um Regietheater oder nicht, sondern um gutes und schlechtes Theater. :yes::yes::yes::yes:

  • Zitat

    Aus diesen Gründen war ihm auch die Darstellung auf der Bühne sehr wichtig, da geht es nicht, daß Sänger an der Rampe stehen und ihren Part runtersingen, deshalb führte er Regie und spielte seinen Sängern vor, wie sie schauspielern sollen


    Das sei an dieser Stelle unbestritten - Aber er legte auch hohen Wert darauf, daß die Ausstattung seiner Opern "publikumswirksam" war- die Realisierung seiner Bühneneffekte verschlangen Unsummen.
    Das Publikum wollte weniger das Psychodrama Sentas durchleuchtet haben, ob denn nun die Figur des "Holländers" lediglich die Wahnvorstellung einer "hysterischen Jngfrau" seien oder nicht - es freute sich auf den "Steuermannschor, den Spinnerinnenchor und natürlich auf möglichst gruselig realistische Bühneneffekte. Die Angaben über die Herkunft des Stoffes und wann die Geschichte spielt (nicht nur WIKIPEDIA lesen) sind derart variierend, daß hier nichts bestimmtes gesagt werden kann. Die Angabern in den Opernführern weichen hier stark voneinander ab. Klassische Inszenierungen dürften das Werk jedoch im 17 Jahrhundert ansiedeln. Erst seit dieser Zeit gibt es das Steuerrad (vorher Steuerpinne) - und was ist wohl wirkungsvoller auf der Bühne als ein Segler des 17. Jahrhunderts mit Steuerrad ? Gemogelt wurde also immer.


    [quote]Ich denke, daß die Entstehung des Regietheaters entscheidend auf Wagner zurückgeht


    Das mag sein, aber eher auf Wieland, denn auf Richard.... :stumm:
    Ich sehe Richard Wagner eher als Anhänger des "bebildernden Musiktheaters"


    Wie schon weiter oben angeführt, war Richard Wagner kleinen optischen Modifikationen der historischen Realität nicht abgeneigt - egal ob man die nun positiv oder negativ bewertet.


    Ich erwähne an dieser Stelle gern den "Wikingerhelm" mit den beiden seitlichen Hörnern.
    Er war nicht nur bühnenwirksam, sondern auch derart suggestiv, daß er durch viele Jahre als Inbegriff der Wikinger galt - obwohl die nachweislich nie solche Helme getragen hatten. (!!!)


    Wagner war - von der Musik mal völlig abgesehen ein "Genie des Theaters", das genau wusste was das Publikum wollte und es ihm auch bot. Verdi kann in diesem Punkt als italienisches Pendant gesehen werden.


    Hier Rittersagen, Drachen, Riesen und Gespenster - dort Hexen, Königsmörder mit anschliessenden Wahnvorstellungen, Autodafé , Erfüllngen von bösen Prophezeihungen etc etc.


    All das bot Gelegenheit zu Bühneneffekten die das Publikum beeindruckten , Bilder in vergangene Zeite - (oftmals böse)Märchen aus vergangenen Zeiten.


    Mozart und Rossini - Hier bot man den Zuschauern gern exotisches, sei es die Verkleidung als Türken (oder Albaner) in der Cosi - Der ägyptisierende Freimaurerkult in der Zauberflöte, dem Lokalkolorit in der "Entführung" oder einer "Italienerin in Algier", bzw eines "Türken in Italien"


    "Historische Stoffe " waren ein anderes beliebtes Sujet - Man konnte hier einerseits blutrünstige Geschichten - die noch dazu grösstenteils der Wahrheit ensprachen - publikumswirksam manuipulieren oder aufbereiten, andrerseits all den Prunk der Vergangenheit auf die Bühne bringen, vorzugsweise das Unglück der "hohen Stände", ihr Triumph, ihr Scheitern oder Tod...


    Und nun versuche ich den thematischen Bogen der diesen Thread umschliesst wieder in den Griff zu bekommen.


    Jeder von uns hat eine ANDERE Vorstellung von dem, was Oper ist - und was sie sein soll.


    Während die einen meinen, die erzählte Geschichte wäre jeweils nur eine Parabel für tiefenpsychologische oder gesellschaftliche Prozesse - und man könne - nein man müsse sogar eine Paralelle zu gegenwärtigen Situationen herstellen,
    lieben die anderen das "simple unlogische Märchen" - sie lassen sich in eine andere Welt entführen, in der es vielleicht sogar grausam zugeht - aber das sind längst vergangene Zeiten, das Schicksal dieser Menschen berührt sie nicht wirklich, sie sind bloß Marionetten der Geschichte, die in sich zusammenfallen wenn der Vorhang fällt.


    Dann wieder gibt es den Jäger nach "schönen Stellen in der Oper" und den nach "perfektem Gesang"


    Sehr gut zu sehen im auslösenden Thread, wo (zumindest) auf zwei unabhängigen Ebenen miteinander - oder besser gesagt - gegeneinander - diskutiert wurde, jener der Stimmen und jener der Frage nach der Regie.


    Aber es gibt noch andere Präferenzen, wie beispielsweise die Sucht nach "alten Kunstwerken" bzw alten "Kunstformen".
    Schliesslich soll es auch Leute geben, die FREIWILLIG ins Museum gehen - und das dort Gebotene geniessen - gerade WEIL es ein Eintauchen in frühere Jahrhunderte ist - und NICHT "TROTZDEM".


    Man hat anfangs hier die Frage gestellt, wie die Definition dieses Threads zu verstehen sei - und es wurde völlig richtig beobachtet, daß sie sehr schwammig abgefasst wurde.


    Ganz einfach deshalb weil ich das Thema sehr weitgefasst sehen möchte, wenn ich frage, welche Prioritäten der Einzelne setzt, wenn vom Thema "Oper" die Rede ist.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wagner war - von der Musik mal völlig abgesehen ein "Genie des Theaters", das genau wusste was das Publikum wollte und es ihm auch bot.


    Lieber Alfred, wir stimmen nicht oft in unseren Ansichten überein. Damit kann ich leben.


    Wenn Du Richard Wagner unterstellst, dass er dem Publikum bot, was es wollte, dann ist das geradezu eine Unterstellung. Hat Wagner den Tristan komponiert, weil das Publikum genau diese Musik wolte? Wohl nicht. Hat Wagner den Ring komponiert, weil das Publikum nach einem Werk verlangte, das sich über vier Abende erstreckt? Wohl kaum.


    Wagner wollte verstanden werden, jawohl. Keine Frage. Aber er machte sich nicht zum Handlanger von Publikumswünschen. Wagner führte die Verdunklung des Zuschauerraumes in der Oper ein. Er schaffte die prestigeträchtigen Logenplätze ab. Gleiche Bedingungen für alle, wie im griechischen Amphittheater - so hat er Bayreuth gebaut.


    Ich lehne mich weiter aus dem Fenster: Wer einem Komponisten dieser Bedeutung unterstellt, er habe seine großartigen Werke schaffen können, in dem er den (eingebildeten) Bedürfnissen anderer hinterherlief, der hat vom schöpferischen Prozess nicht viel verstanden. Von der inneren Architektur. Von den Triebfedern, derer es bedarf, eine mehrhundertseitige Partitur handschriftlich zu füllen.


    Wagner wollte überzeugen, ja: überrumpeln, überwältigen - das ist aber nicht nur graduell etwas anderes, als den Wünschen des Publikums - so diese denn überhaupt auf einen Nenner zu bringen sind - nachzueifern.


    Wagner wollte nicht liefern, was das Publikum wollte, sondern er wollte sein Publikum verändern.

  • Wagner hat mit irgendeiner historischen Exaktheit sehr wenig am Hut gehabt. Vielleicht in den Meistersingern oder Rienzi (kenne ich nicht), aber die mythische Vorzeit des Ring hat nichts mit tatsächlichen Germanen oder Burgundern der Völkerwanderungszeit zu tun. (Mit Wikingern schon gar nicht, egal was für Helme die Walküren tragen.) Tristan nichts mit Kelten. Und das Mittelalter von Lohengrin, Tannhäuser, Parsifal?
    Gerade bei Wagner ist doch offensichtlich, dass die äußere Handlung sekundär ist. Es passiert ja gemessen an der verstreichenden Zeit nicht viel. In einem Akt von Mozarts Figaro ist mehr "action" als in Tristan und Parsifal zusammen.

    Bei Wagner sind die philosophischen, psychologischen u.a. Hintergründe, bei aller Deutungsoffenheit die noch übrig bleibt, jedenfalls sehr gut dokumentiert. Wagner war sicher auch ein Theatermann, aber hautpsächlich ein revolutionärer Visionär, der nur aufgrund von Mäzenen wie dem König Ludwig seine Vorhaben verwirklichen konnte.


    Wagner ist m.E. aber kein typischer Fall. Nicht zuletzt deswegen hatte ich Cosi und Liebestrank angeführt.
    Selbst wenn man mal annehmen wollte, dass Oper eine Art Märchen für Erwachsene mit Musik sein sollte (was ich für falsch halte), dann kann man doch weiter fragen: warum sind diese "Märchen" ästhetisch so attraktiv? Weil sie eben auch für uns heute noch berührend, ergreifend oder witzig sind. Warum trifft das zu? Weil Situationen, Konflikte, Verwicklungen dargestellt werden, die durchaus etwas mit uns zu tun haben.


    "Loser" Nemorino schmachtet selbstbewusste Frau an, die nichts von ihm wissen will. Sie will zwar eigentlich auch nicht den aufschneiderischen Soldaten, aber der macht immerhin etwas her. Psychologische Wirkung eines "Placebo", des "Liebestranks". Dann die Nachricht vom geänderten Status, auf einmal ist der "Versager" wg. der Erbschaft begehrenswert usw.
    Natürlich sind das alles Klischees, die vermutlich in jeder amerikanischen Teenie-Komödie so ähnlich vorkommen. Aber positiv gewendet sind es eben Standardsituationen menschlicher Beziehungen, die man so oder so ähnlich kennt oder gar selbst erlebt hat. Bei aller Komödie und Übertreibung ist es eine nicht unplausible Entwicklung. Dazu kommt die Situationskomik, die aber nicht funktioniert, wenn die Sänger nicht schauspielern und steif rumstehen.


    Mozarts Figaro und Cosi sind Beispiele für wesentlich komplexere Personenkonstellationen. Hier werden doch keine "Märchen" erzählt (zumal die Handlungen damals zeitgenössich waren, wie auch beim Liebestrank). Warum finden wir das, ungeachtet der Künstlichkeit der plots so überzeugend? Das kann doch nur an der überzeugenden psychologischen Charakterisierung liegen. Wie man das in einer Inszenierung umsetzt, ist eine ganz andere Frage. Sicher kann man da Unsinn anstellen. Aber selbstverständlich sollte eine Inszenierung das verdeutlichen.


    Ich werde das nie ganz verstehen. Es gibt anscheinend eine Art Opernfans, die einerseits Oper für eine hohe Kunstform halten, aber andererseits nicht nur das Potential, sondern schon den recht offensichtlich zu Tage liegenden Gehalt der Werke ablehnen, sie damit sehr klein machen, nämlich als anspruchslos unterhaltende "Märchen für Erwachsene". Zugunsten einer undramatischen musikalischen Berieselung in bombastischen Kulissen und Kostümen?


    (Ich beschränkte mich absichtlich zunächst auf "Komödien". Die typischeren von Sex, Mord, Gewalt dominierten Opern sind noch was anderes. Da hat man erstmal das alte Paradox, warum die Darstellung des Grausamen und Tragischen überhaupt ästhetisch erhebend sein kann usw.)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wir alle lieben doch Soap - Operas, in der einen oder anderen Form, oder ? (Warum heißt es eigentlich Seifen - "Oper" und nicht Seifen - Schauspiel, - Komödie, - Theater, - Schmiere o.ä, ?)


    Fragt sich


    Erich, der Operngernhörer :jubel:

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Lieber Johannes


    Ich weiß, wir werden in diesem Punkt keinen Konsens erzielen, möchte aber dennoch einige scheinbare Ungereimtheiten aus meiner Sicht erklären.


    Ganz logisch wird auch meine Erklärung nicht sein, was aber eher dem Umstand geschuldet sein dürfte, daß ein Konsens ob Oper eine eher niedrige Kunstform - näher bei Unterhaltung angesiedelt als bei Kunst -. ist - oder nicht.
    Um den Aufschrei im Keime zu ersticken, möchte ich kurz erklären, daß diese Interpretation lediglich durch das Benehmen des Opernpublikums in Extremsituationen vertretbar ist. Ein aufgebrachtes Opernpublikum vermag zu johlen, zu pfeifen und zu buhen - etwas, das in Konzerthäusern nur extrem selten vorgekommen ist.


    Wagners "historische Wahrheit" ist - ich sagte es schon - eine geschönte.
    Das 19. Jahrhundert hat den Historismus hervorgebracht und eine Wiederendeckung des Mittelalters - und der "deutschen Sagen" Man beachte zahlreiche Gemälde dieser Zeit, man erinneres sich an Schloss Neuschwanenstein und das österreichische Pendant, Burg Kreuzenstein., ferne die Kathedralen der Neugotik (z.B. Votivkirche Wien)


    Aber er hat seine Darsteller nicht in Kartoffelsäcke gestellt, hat ihnen keine Jeans - und (um fair zu bleiben) keine Gehröcke und Zylinder verpasst. Er wusste, womit er das Publikum fesseln konnte. Wagners Szenarien waren derart extrem, daß man sich gerne über sie lustig machte -aber all dem zum Trotz haben sie überlebt.
    Natürlich ist es möglich Opern umzudeuten - aber ich zerstöre hier einen wesentlichen Kern ihrer Wirkung.


    Immer wieder wird gefragt, warum die Menschen sich durch simple Geschichten verzaubern oder betören lassen, die doch völlig unglaubwürdig sind. Ich wage dern Versuche einer Antwort . Einfach weil sie es glauben WOLLEN, weil sie auf einige Stunden dem tristen Alltag entfliehen wollen, weil sie LAchen wollen .
    Im Liebestrank kommen gleich EINIGE Faktoren zusammen. Zum einen fühlt sich das Publikum dem "einfachen Volk" überlegen, weil es genau weiß, daß Dulcamara nur ein Scharlatan isrt - zum anderen sind die Melodie so betörend schön, daß der Inhalt gar nicht so interessant ist. DENNOCH - Am Schluß ist der stets unterlegene doch überlegen - und das obwohl er sich wie ein Tölpel benommen hat. - Ja mehr noch als das: GERADE WEIL er so dumm agiert hat, bekommt er die geliebte Adina. Das freut die Zuschauer - Besteht also auch für sie noch Hoffnung, Erfolge in aussichtslosen Situationen zu erringen ??


    Ich erinnere mich dunkel gerade über diese Oper einige im entsprechenden Thread "Triumph des Quacksalbers" geschrieben zu haben.


    Kommen wir zu den "grausigen" Opern, wo das Blut nur so fliesst - wie in einem Schundroman. (Wieder erlaube ich mir Hinweise auf die Threadserie "Der Stoff aus dem die Opern sind", die ja nicht gerade ein Renner ist)
    Hinrichtungen waren schon im Mittelalter (und wahrscheinlich schon früher) bis hin ins 19. Jahrhundert ein beliebtes Schauspiel, generell Todesgefahr, Todesmut etc. Das Schaudern hat für manche was Erotisches. Also bringt man es auf die Bühne. Volle Häuser sind dann sicher.



    Nächste Abteilung :Zauberflöte - Ich habe dem ersten Thread zu diesem Thema den Titel "Die Zauberflöte - ein Machwerk ? gegeben. Und das bezieht sich natürlich nur auf das Libretto, nicht auf die Musik. Ich halte sie für einen Geniestreich besonderer Art: Schikaneder hat alle Strömungen seiner Zeit gesammelt und sie in diesen Schmelztiegel geworfen. Jeder, der will kann hier banale Sätze herausklauben und sich drüber lustig machen - oder über die Doppelbödigkeit des Werkes und seinen Symbolgehalt nachdenken. Und das 200 Jahre lang...... Schikaneder würde sich scheckig lachen...


    Cosi Fan tutte:

    Zitat

    Selbst wenn man mal annehmen wollte, dass Oper eine Art Märchen für Erwachsene mit Musik sein sollte (was ich für falsch halte), dann kann man doch weiter fragen: warum sind diese "Märchen" ästhetisch so attraktiv


    Vorzugsweise, weil sie in ferner Zeit spielen, in einer Zeit, die uns ausstattungsmäßig anspricht, während die Schlüsselreize, die das zeitgenössische Publikunm angesprochen haben für uns nur mehr in abgeschwächter Form wirksam sind.
    Hier meine ich beispielsweise die Spitze gegen den Mesmerschen Magnetismus und den Kitzel des Partnertausches - ein Kitzel der heutzutage längst keiner mehr ist. Auch würden wir das Werk nicht asl amoralisch sehen (?)


    Zum Schluß noch Lortzing, der ja ganz anders funktioniert. Immer wieder wird ihm Biederkeit vorgeworfen und platte Texte unterstellt. Das Gegenteil ist der Fall. Lortzing ist der Wilhelm Busch der Oper - er macht sich über die spießbürgerliche Gesellschaft, aber auch über den pharisäerhaften Adel , die dümmliche Obrigkeit lustig - aber so - daß jeder glaubt, nicht gemeint zu sein......


    Aber das ist natürlich nur EINE Sichtweise von Oper.
    Vermutlich beruht ihr Erfolg darauf, daß sie ein Chamäleon ist, welches andauernd Farben und Formen ändert
    oder wie eine Seifenblase die man bewundern , aber nicht wirklich erfassen kann....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !