Männeroper - Frauenoper

  • Um sicherzustellen, dass dieses Thema neu ist, habe ich alle 12 Seiten durchgesehen - was für tolle threads, von denen ich viele in den nächsten Wochen anklicken werde. Da mein Thema heute nicht darunter ist, stelle ich es hier zur Diskussion.


    Mit Männeroper - Frauenoper meine ich nicht Opern von Männern oder Frauen (von Frauen gibt es ja kaum welche), auch nicht Opern für Frauen oder für Männer (das kann ich mir gar nicht vorstellen), sondern das Personal. Ich bin auf dieses Thema gekommen, weil innerhalb weniger weniger Wochen eine reine Frauenoper gesehen habe, also eine Oper, in der kein Mann vorkommt, und gestern eine reine Männeroper, also ohne Frauen.


    Frauenoper: "Suor Angelica" von Puccini, eins der besten Werke von Puccini, wie ich finde (Zahl der Sängerinnen habe ich jetzt nicht parat).


    Männeroper: "Billy Budd" von Britten, läuft im Moment in einer tollen Inszenierung mit großartigen Sängern in Düsseldorf (nur noch im April!): hier gibt es 17 Männerstimmen. Der Regisseur Immo Karaman hat eine stumme Nurse hinzugefügt, die den Kapitän Vere im Altersheim und auf dem Schiff begleitet; ein gut gesetzter, schlüssiger Einfall, der die Männerwelt wie im Spiegel krass beleuchtet, obwohl die Nurse nicht spricht, geschweige denn singt.


    Männeroper: "Aus einem Totenhaus" von Leos Janacek, ebenso wie Billy Budd ein klaustrophobisches Stück einer isolierten, vergessenen Männerwelt. Hier gibt es 19 Männerrollen, dazu den Jungen Aljeja (eine Hosenrolle, Mezzo) und die Lagerhure (Sopran).


    Ziviler, aber ebenso unerbittlich geht es zu im "Palestrina" von Pfitzner, wo sich die Männerwelt vor allem im 2. Akt, dem Konzilsakt, natürlich ballt, weil da keine Frauen zugelassen waren. Hier haben wir 32 Männerrollen, dazu den Sohn Ighino (Sopran) und den Schüler Silla (Mezzo), also beides Hosenrollen; dazu im ersten Akt drei Engel (Sopran) und die Erscheinung von Palestrinas verstorbener Frau Lucrezia (Sopran). Im Konzilsakt taucht noch ein junger Doktor auf (Mezzo).


    Zwei Fragen an die Taminos: 1. welche Beispiele gibt es noch?


    2. Was hat die Komponisten so an dieser Konstellation gereizt?


    Der erste Hinweis ist sicher der der abgeschlossenen Welt mit ihren eigenen Gesetzen, das findet sich in allen vier von mir genannten Opern wieder.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Zitat

    welche Beispiele gibt es noch?

    Spontan drängen sich diese beiden Meisterwerke auf, aber nicht in gleich strenger „Absonderung“ von männlich + weiblich


    In Schönbergs Moses und Aron bildet der gemischte Chor eine Basis. Abgesehen von kleinen Nebenrollen sind die Protagonisten männlich.


    Luigi Nonos «Al gran sole carico d’amore» («Unter der großen, von Liebe erfüllten Sonne») hat keine vergleichbare lineare Handlung. Auch in diesem – sehr pessimistisch gesonnen - Meisterwerk ist der Chor dominierend. Die Protagonisten – sofern diese Bezeichnung überhaupt angebracht ist – sind aber überwiegend weiblich.
    Möglicherweise wird in diesem Werk versucht mit Hilfe der Dominanz der weiblichen Komponente ein Gegenentwurf zu beschwören zum eher männlich geprägtem Prinzip von Herrschaft, Unterdrückung und Macht. ..


    :hello:

  • Wenn man nach geschlechtlich dominierten Opern fragt - dann drängt sich auf, dass Z.B. "Il forza del destino" rein männlich dominiert wird. Die beiden Damen haben zwar schönes zu singen, bleiben aber in allen Belangen sehr im Hintergrund. Dieses Werk wird von den Männern bestimmt.



    Als Gegenstück dazu kommt mir spontan "Madame Butterfly" in den Sinn. Hier sind die Frauen die Handlungstreibenden und -tragenden. Die Männer sind für den Fortgang der Handlung zwar notwendig, bleiben aber (mit Ausnahme des Liebesduetts-Finale 1) blass und wenig differenziert. Wenn man bedenkt, dass die Vorlage ein Theaterstück war, gibt es, glaube ich, in den bekannten Puccini-Opern keinen uniteressanteren Tenor - Helden.



    Mit freundlichen Grüßen -


    Operngernhörer

  • "Dialogue des Carmélites" hatte ich vergessen, ich habe das Stück gerade in Münster in einer sehr schönen Aufführung gesehen. Hier kommen durchaus einige Männer vor - Vater, Bruder, Beichtvater, Offiziere - aber sie sind doch Randerscheinungen. Hauptpersonen sind 16 Nonnen, davon fünf tragende Rollen, die in Münster ausnehmend gut besetzt waren, während die Männer nicht nur vom Inhalt, sondern auch sängerisch Nebenfiguren blieben. Eine interessante Notiz am Rande: Die Mutter Marie musste ersetzt werden durch eine Sängerin aus Hagen, wo das Stück ebenfalls gespielt wird.Diese Sängerin hatte die Rolle auf französisch einstudiert - und sang sie auch auf französisch, alle anderen auf deutsch. Zusammen mit den Übertiteln gab es aber keine Probleme. Bühnenbild und Regie waren sehr auf Einfachheit bedacht, was der Musik zugutekam und den Sängern viel Raum gab, sich zu entfalten. Diese Oper wird noch mal am 16. und am 22. gespielt. In NRW wird gerade das Feiertagsgesetz zu Karfreitag verschärft durchgesetzt, dieser Poulenc und "Billy Budd" in Düsseldorf sind nicht gefährdet wie natürlich alle Passionen, aber in Essen darf "Madame Butterfly" am Karfreitag bisher nicht gezeigt werden.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Zwar sind es nicht alles weibliche Charaktere, aber die meisten Barockopern werden von Stimmlagen, die heute gewöhnlich von Frauen gesungen werden, dominiert. Was natürlich daran liegt, dass seinerzeit Kastraten diese Rollen übernahmen. So ist es beinahe die Regel, dass die vier wichtigsten Rollen einer Barockoper von Alt und Sopran gesungen werden (seinerzeit zwei Frauen und zwei Kastraten). Tenöre spielen mit wenigen Ausnahmen kaum je zentrale Rollen. Meist gibt es jedoch mindestens eine relativ bedeutende Basspartie (Bösewicht oder treuer Gefolgsmann des jugendlichen Helden).

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zwar sind es nicht alles weibliche Charaktere, aber die meisten Barockopern werden von Stimmlagen, die heute gewöhnlich von Frauen gesungen werden, dominiert. Was natürlich daran liegt, dass seinerzeit Kastraten diese Rollen übernahmen. So ist es beinahe die Regel, dass die vier wichtigsten Rollen einer Barockoper von Alt und Sopran gesungen werden (seinerzeit zwei Frauen und zwei Kastraten). Tenöre spielen mit wenigen Ausnahmen kaum je zentrale Rollen. Meist gibt es jedoch mindestens eine relativ bedeutende Basspartie (Bösewicht oder treuer Gefolgsmann des jugendlichen Helden).

    Tatasächlich, das stimmt; bisher ist mir das noch nie so aufgefallen. Es trifft z.B. besonders auf Händel-Opern zu, ich denke im Moment an "Giulio Cesare" und an "Partenope", wo die Tenöre eine reichlich trostlose Rolle spielen und man immer abschaltet, bis die endlich zu Ende sind und die tollen Frauen oder Countertenöre wieder kommen.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Puccinis Frauenoper "Suor Angelica" wird am 13. und 14. Mai 2011 jeweils um 20:00 Uhr konzertant in der Kölner Philharmonie aufgeführt. Es spielt das WDR Sinfonieorchester unter der Leitung von Andris Nelsons, dem Nachfolger Rattles in Birmingham. Es wirken mit der Kölner Rundfunk- und ein Kinderchor aus Bonn sowie 12 Solistinnen.


    Ebenfalls auf dem Programm stehen "Trois Nocturnes" von Debussy.


    LG


    Portator