Legenden auf dem Prüfstand: Les Préludes – Fricsay (1959)


  • Eine wohlbekannte Aufnahme, ein wahrer Klassiker in der an Referenzen eher armen Welt der Aufnahmen Lisztscher Tondichtungen. Überhaupt haben die Aufnahmen Fricsays häufig einen ganz besonderen Nimbus, sei es die Zauberflöte oder die c-moll-Messe Mozarts, sei es sein Holländer, Tschaikowskys 4., Dvoraks 9. – mit diesem Dirigenten scheint es keine echten Fehlgriffe zu geben.


    Das erste Auftreten der berühmten „Fanfare“ klingt unter Fricsay recht unspektakulär, eher sachlich. Entspannt wird das „zweite Thema“ in den Celli genommen, ebenso, wenn die Hörner es übernehmen. Die Steigerung bei 05:20ff gelingt sehr überzeugend.


    Einen echten Hänger gibt es dann bei der Stelle um 10:00 – für mich ist das weder Fisch noch Fleisch. Entweder man spielt es noch ätherischer und kostet diesen Ruhepunkt wie die pastorale Holzbläserstelle davor aus, oder man nimmt sie etwas zügiger und verliert nicht den Fluss. Auch in der Folge wird eher sachlich gespielt, es klingt ein wenig buchstabiert. Um 13:00 herum scheint es gar rhythmisch zu klappern: Holz gegen Streicher und Harfe – sind wirklich alle zusammen? Sehr gelungen ist dann die Schlusssteigerung zur Apotheose der Fanfare, worin die Pauken unterbelichtet bleiben. Freude von gepanzertem Blech und fetzigen Pauken kommen nicht auf ihre Kosten.


    Insgesamt wird diese Aufnahme weder den grandiosen noch die lyrischen Stellen wirklich gerecht, ohne deswegen schlecht zu sein. Ich beeile mich zu sagen: Natürlich ist das eine sehr gute Aufnahme mit einer wohlüberlegten Dramaturgie – aber das Bessere ist des Guten Feind.


    Man höre etwa die auf die Sekunde gleichlange Aufnahme mit Karajan und den Berliner Philharmonikern aus dem Jahre 1984, um zu hören, wie dicht die Einleitung beginnend mit der ersten Linie in den tiefen Streichern auch klingen kann. Oder wie aufgewühlt und dramatisch der Mittelteil klingen kann, ohne deswegen überdreht zu wirken. Oder die „ätherische Stelle“: Wie wunderbar zaubert Karajan diese doch auf die Silberscheibe. Herrlich dann der Blechbläserchor am Ende des Werkes (Posaunen!), wobei leider auch hier die Pauken Wünsche offen lassen. Aber die fand ich nicht einmal bei Solti überzeugend – leider weiß ich nicht, was dazu in der Partitur steht.


    Sind "Les Préludes" unter Fricsay wirklich so gut, wie sie manchmal dargestellt werden? Vielleicht nicht ganz.

  • Also ich finde, die Fricsay-Aufnahme genießt ihren legendären Status durchaus zurecht. Dagegen wirkt sogar die Furtwängler-(Studio-)Aufnahme langweilig. Daß du die Pauken für unterbelichtet hältst, wundert mich schon ein wenig. Keine mir bekannte Aufnahme hat derart gute Pauken wie Fricsay. Auch (oder grad) Karajan würde ich hier eher nicht empfehlen.


    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Wolfram,


    Les Preludes gehört zu den Werken, die meinen Hörgeschmack von Anfang an geprägt haben. Bereits nach meinen ersten Klassikplatten von Beethoven kam Liszt, dann Tschaikowsky. Alles was vor diesen dreien war erschien mir als zu brav. Im Prinzip sehe ich es bis heute so: Da war und ist mir - zu wenig los !


    Meine Erstaufnahme war die Haitink-Aufnahme (Philips), die ich "rauf und runter" gehört habe und die damals soweit in allen Punkten voll zufriedenstellt. Erst später erkannte ich, was man noch aus dem Werk rausholen kann, und das Haitink hier doch zurückhaltender agiert.


    Es folgte eine DG-LP mit Liszt-Werken und der Fricsay-Aufnahme. Diese hatte mich von Anfang an begeistert, schon weil gerade die Pauken besser, klarer und detailreicher getroffen sind als (aus heutiger Sicht) in allen anderen Aufnahmen ! Die interpretatorische Entwicklung, die Fricsay liefert, halte ich für sehr ausgewogen und spannend, alles andere als "unspectakulär oder mit zurückhaltender Dramaturgie" (wie Du schreibst).


    Es stimmt das Karajan (DG), der mich genau wie Solti (Decca) weit später erreichte, gleich mehr "Gas gibt". Offenbar wirkt das auf Dich besser !?! Die Pauken sind etwas mehr in den Orchesterklang integriert, aber sie sind auch da ! Karajan trumpft mehr auf, ist heroischer und erzeugt so mehr Spannung - keine Spur von Glätte (wie die Gegner so gerne schreiben). Bei Solti brillieren die Blechbläser etwas mehr; die Pauken wünschte ich mir dort allerdings "Fricsay-mäßig" !
    @ Josef Ich würde die Karajan-Aufnahme gleich hinter Fricsay einordnen, die ist schon verdammt packend - und für die Pauken, die da sind, muss man etwas genauer hinhören.


    Im Liszt-Thread hatte ich beriets 2009 meine Reihung zu den Aufnahmen gegeben:


    Zitat

    Die Rangfolge meiner noch vorhandenen, alle voll zufiedenstellenden CD-Aufnahmen von Les Preludes, würde ich so einstufen:
    1. Fricsay (DG)
    1a. Solti (Decca)
    2. Karajan (DG)
    3. Masur (EMI)
    4. Haitink (Philips)


    Das Haitink jetzt unten steht, besagt aber nicht das es eine schlechte Aufnahme ist. Sie ist gut und hat einen brillanten natürlichen Klang.


    2008 hatte ich auch die Arp Joo-Box:
    Ich konnte mich mit diesem "soften" Orchesterklang, der auf mich für Liszt fremd und wenig packend wirkte und der nicht gerade beruschenden Klangtechnik dort überhaupt nicht anfreunden. Die Box hat ein bekannter Tamino von mir gekauft, der sie bis heute aber noch nicht gehört hat, wie er mir vor kurzem mittelte.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • In der Arpad Joo-Box wird "Les Preludes" von der Ungarischen Nationalphilharmonie unter Janos Ferencsik gespielt. Es ist doch unglaublich, dass hier so viele diese Box haben und dann nicht richtig lesen können. Nicht mal richtig ablesen können diese Forianer: der Dirigent heißt Arpad und nicht Arp! Ich habe mir gerade diese Box wegen der Ferencsik-Interpretation gekauft, die ich gleich hinter Fricsay und Solti ansiedle.


    Die Aufnahmen, die nicht von Ferencsik dirigiert werden, fallen in der Tat sehr ab.




    :hello: LT

  • In meiner Jugend wollte ich "Die Moldau" kennenlernen und bekam auf der B-Seite der 25cm LP (DG) Liszt mitgeliefert, der mir damals sehr wenig sagte. Ich habe diese Aufnahme lieben gelernt und kann mich mit allen anderen "Preludes" nicht so ganz anfreunden.


    Liebe Grüße vom Operngerhörer

  • Zitat

    Zitat von liebestraum:


    In der Arpad Joo-Box wird "Les Preludes" von der Ungarische Nationalphilharmonie unter Janos Ferencsik gespielt.

    Woher weißt du das, dass Les Préludes von János Ferencsik und nicht von Arpad Joó dirigiert wird und die Ungarische Nationalphilharmonie spielt und nicht das Budapest Symphony Orchestra?



    Wer das Beiheft aufmerksam liest, wie du es ja offenbar von den Forianern verlangst, wird nirgendwo auch nur den geringsten Hinweis darauf finden, dass auch nur irgendein Stück nicht von Arpad Joó dirigiert worden wäre, und es ist lediglich das Budapest Symphony Orchestra angegeben.
    Auch bei Wikipedia ist die gesamte Box einzig und allein Arpad Joó zugeschrieben, der dafür laut Wikipedia sogar den "Grand Prix Du Disque" bekommen hat, sicherlich eine der weltweit höchsten Auszeichnungen.
    Laut Angaben auf der Box sind die Aufnahmen 1984 und 1985 entstanden, und wenn ich mich richtig entsinne, ist János Ferencsik am 12. Juni 1984 gestorben.
    Noch ein Tipp: da du doch so für das richtige Lesen eintrittst, "Les Préludes" wird auf dem ersten "é", Arpad Joó auf dem zweiten "ó" und János Ferencsik auf dem "á" mit "accent aigu" geschrieben.


    Viele Grüße


    Willi :)


    P.S. Während ich dieses geschrieben habe, habe ich neben Les Préludes noch Tasso: lamento e trionfo und Mazeppa aus dieser Box gehört, alles auf hohem Niveau, insofern kann ich dein Ranking mittragen, aber da ich Solti nicht habe, tritt an die Stelle bei mir Karajan ( 1968 ) .

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • @ liebestraum:


    Ich habe noch einmal ein wenig recherchiert:


    laut http://www.discogs.com hat János Ferencsik in der Tat Les Préludes eingespielt (wäre ja auch traurig, wenn nicht). Allerdings ist diese CD bereits 1983 bei Hungaroton erschienen, und zwar unter der Nummer HCD 12446-2.
    Dort wird die Spieldauer von Les Préludes mit 16:38 Minuten angegeben, aber Arpad Joó dirigiert das gleiche Stück in 15:53 Minuten. Allein von daher kann Les Préludes auf dieser Box gar nicht von Ferencsik dirigiert worden sein.


    Viele Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Liebe Forianer,


    ich habe mich in der Tat geirrt. Ich habe zwei Liszt-Ausgaben durcheinander gebracht. Gemeint hatte ich diese Doppel-CD:



    Hier werden "Les Preludes", "Orpheus" und "Tasso" von der Ungarischen Nationalphilharmonie unter dem Dirigenten Janos Frencsik gespielt.



    :hello: LT

  • Richtig, lieber Liebestraum, das ist die CD, die ich beschrieben habe.
    Aber mach dir nichts draus, ich habe mich mal vor einiger Zeit auch mal mit einer Aufnahme geirrt, die ich einem Künstler zugeschrieben habe, der sie aber gar nicht aufgeführt hat.


    Viele Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo allerseits,


    mangels Masse habe ich FF gerade mal gegen die einzige mir noch vorliegende Aufnahme verglichen. Es handelt sich dabei um eine historische Aufnahme mit dem Concertgebouw unter W.Mengelberg (WM) von 1940.


    Da ein klanglicher Vergleich naturgemäß schwierig ist (WM ist doch ziemlich verrauscht :wacko: ), habe ich mich mal auf das Tempo konzentriert und dabei für mich interessantes festgestellt:


    Die Gesamtzeiten sind bei mir


    16:42 bei FF
    15:08 bei WM


    Dabei "gewinnt" WM bereits in der ersten Steigerung bis zum Einsetzen der berühmten Fanfare eine halbe Minute (FF bei 2:25, WM bei 1:55). Als zweiten "Peilungspunkt" dann das Ende von "Sturm, Blitz und Donner" ziemlich in der Mitte des Stückes; FF erreicht diesen nach 10 Minuten, während WM schon zwei Minuten früher, also etwa bei 8:00 dort ist. Man beachte, dass ab jetzt beiden etwa dieselbe Zeit, nämlich ca. sieben Minuten für den Rest verbleibt.


    In der Gesamtsicht stelle ich fest, dass die hier in Rede stehende Einspielung von FF in ihrem Tempogefüge wesentlich einheitlicher wirkt. Dort, wo bei WM - für mich nicht nachvollziehbar - Gehetztes (immer, wenn es auf eine Steigerung zugeht) auf geradezu Schleppendes folgt und umgekehrt, wirkt Fricsays Dirigat für mich organisch und logisch zusammenhängend. Mengelberg, den ich für seine 4te Mahler liebe, gelingt es mit seiner Interpretation höchstens, mich auf unangehnehme Weise zu irritieren.


    Also hier ein klares 1:0 für die "Legende auf dem Prüfstand" :thumbsup:

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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