Richard Wagner und das Ende der deutschen Oper des 19. Jahrhunderts

  • Liebe Forianer,


    betrachtet man die szenischen Aufführungen sowie CD- und DVD-Veröffentlichungen dann ist die deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (sieht man einmal von den Wagner-Opern ab) faktisch tot.


    Es sind eigentlich nur drei Opern übrig geblieben, die regelmäßig auch an großen internationalen Bühnen aufgeführt werden:


    Beethovens "Fidelio" - Webers "Der Freischütz" - Humperdincks "Hänsel und Gretel"


    Das ist ein kultureller Kahlschlag, ein nationaler Sündenfall.


    Während man in Italien fast alle Rossini-, Bellini- und Donizetti-Opern auf großen Festivals szenisch erleben kann, die dann später noch auf CD bzw. DVD veröffentlicht wird, passiert so etwas in Deutschland kaum, zumindest was die deutschen Opern des 19. Jahrhunderts betrifft.


    "Nun spielen wir mal Marschner - und die Häuser sind leer" - Diese oder ähnliche Äußerungen hören wir sehr oft von Intendanten deutscher Opernhäuser. Ja, aber wer kennt denn heute noch Marschner!? Geschweige denn seine Musik. Während in Italien Rossini, Bellini und Donizetti stets präsent waren, und man stets wusste, was man in etwa zu erwarten hat, sieht es in Deutschland ganz anders aus: Spohr, Marschner, Cornelius, Goldmark u.a. sind defacto vergessen. Die Bereitschaft überhaupt noch in eine Oper von diesen Komponisten zu gehen ist so gering, weil keiner mit diesen noch etwas anzufangen weiß.


    Selbst die Lortzing-Opern, Flotows "Martha" oder gar Nicolais "Die lustigen Weiber von Windsor" sind an den großen Bühnen Deutschlands kaum noch präsent.


    Eine Kehrtwende ist unbedingt notwendig, sonst bleibt rein gar nichts mehr übrig von dieser wichtigen deutschen Opernepoche, die ich nicht nur von Wagner repräsentiert sehen möchte! Es wird lieber eine Wagner-Oper inszeniert als Beitrag zum deutschen Repertoire, als sich anderen Komponisten zuzuwenden.




    :hello: LT

  • Ein sehr guter und auch sehr wichtiger Beitrag, der die gegenwärtige Situation anschaulich und zutreffend ungeschminkt schildert.


    Ja selbst bei Wagner werden nicht alle Opern gespielt. Den "Rienzi" sieht man ja schon recht selten, aber vom "Liebesverbot" und den "Feen" ganz zu schweigen.


    Deutsche Opern sind offenbar nicht wirklich "in", abgesehen vom Sonderfall Wagner. Beethovens "Fidelio" wird vielleicht auch nur deswegen gespielt, weil er eben von Beethoven ist. Der Webersche "Freischütz" ist eine Art zweite Nationaloper neben Wagners "Meistersingern". Und "Hänsel und Gretel" ist als "Kinderoper" auch ein gesonderter Fall.


    Wagners Prophezeihung des Hans Sachs ist eingetreten. Drum sag ich euch: Ehrt eure deutschen Meister!

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Das eigentliche Problem ist meines Erachtens viel materielleren Charakters: Auch wenn man Rienzi oder Martha häufiger aufführen wollte, WER soll die Hauptpartien singen? Den Wagner vom Holländer bis Parsifal oder die Strauss-Opern führt man ja heute deswegen so ruhig auf, weil das Schreien in diesen Opern zu einer Regel geworden ist und allgemein zugunsten des zutiefst mysteriösen und leeren Begriffs der "Ausdruckskraft" akzeptiert wird. Dass man übrigens auch im Rienzi schreien kann, wurde in der letzten Zeit gründlich bewiesen.
    Was Italien angeht, ist die Lage nicht so glücklich, wie sie scheinen mag. Es kann sein, dass in Italien mehr italienische Opern aufgeführt werden und dass damit die italienische Tradition auf eine bestimmte Weise geehrt wird, aber die italienischen Opern, die normalerweise aufgeführt werden, sind immer die selben. In der nächsten Saison wird die Mailänder Scala zum zweiten oder dritten Mal während der letzten drei Jahren die Aida, die Tosca, die Boheme und Rigoletto wiederholen. Als ob es keine anderen Opern gäbe. Das Problem ist aber wiederum: WER soll den schwierigeres singen, wo doch die heutigen Sänger nicht mal durch einen Rigoletto friedlich durchkommen. In Parma (DER Verdi-Stadt) hat man versucht, den Trovatore und die Sizilianischen Vesper aufzuführen - beide waren ein Riesen-Flop. An der Scala waren das Paar Cavalleria-Pagliacci und Tosca beide grandiose Fiaskos.
    Die Krise des darstellerischen Niveaus führt notwendigerweise auch zu einer Einengung der Auswahl des Repertoires.
    In Madrid hat man vor kurzem konzertant die Hugenotten von Meyerbeer gegeben - mit einem lächerlichen Ergebnis. Meyerbeer ist nun mal etwas Unmögliches für heute. Genauso wie Rossini. Pesaro ist zur Zeit ein leerer Ort mit nichst als Fehlbesetzungen (Man darf höchstens auf eine anständige Adelaide di Borgogna mit der von mir anderswo schon erwähnten Jessica Pratt hoffen...). Das Donizetti-Festival in Bergamo ist ein Zirkus. Bei der Eröffnung der 2010-Säson mit dem Poliuto hat das ganze "loggione" gebuht. Auch die anderen Opern wurden sehr schlecht aufgeführt. Bellini? Catania und Palermo sind am Rande der Existenz. Sogar in Venedig sind die Gehälter nur bis zum Sommer 2011 garantiert. In Deutschland finanziert man wenigstens noch die Oper und die Kultur allgemein. Marschner und Flotow seien herzlich gegrüßt. :D

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Samiel, hilf!


    Jetzt kommt wieder das angebliche Besetzungsproblem. Der Bart ist so lang und so gar kein Argument. Denn selbst im geweihten Bayreuth kann man jetzt öfter als je zuvor Sänger erleben, die so fehlbesetzt sind, das es einem im wahrsten Sinne des Wortes graust.


    Mag sein, das die Aufführungen bei den Festivals von unterschiedlicher Qualität sind. Doch eines ist fakt: Die Opern werden gespielt, man kann sie szenisch erleben. Und noch eines: Es gibt Sängerinnen und Sänger, die die Partien auch singen können, weil sie die Partien noch präsent haben.


    Welche deutsche Sängerin hat heute noch eine "Jessonda" drauf, wer kann noch den spohrschen "Faust" singen und ist dazu noch bereit eine solche Rolle zu lernen?




    :hello: LT

  • Ich bitte um Entschuldigung, falls ich ein zu häufig angeführtes Argument benutzt habe, aber so scheint mir eben die Situation zu sein.


    Dass Wagner wenigstens seit einigen Jahrzehnten systematisch falsch besetzt wird, ist ein Faktum. Was ich betonen wollte, ist, dass man heutzutage bei Wagner alle Sorten von stimmlichen Unschönheiten akzeptiert, weil durch "kluge" Regien oder was weiß ich noch was, versucht wird, die rein musikalische Dimension der Werke sozusagen zu "überwinden". Wie soll man sonst die feste Präsenz eines skandalösen Christian Frantz in Bayreuth erklären?


    Kontinuität ist, m. E., kein besonderes Problem. Dass ein Sänger den spohrschen Faust aktuell nirgendwo hören kann, d.h. kein lebendiges Vorbild haben kann und dann auch nicht bereit ist, eine völlig vergessene Partitur in die Hände zu nehmen, ist an sich kein Hindernis. Es felht einfach an Willen, Kompetenz und Phantasie bei den Intendanten und an Kunstfertigkeit und echter Bereitschaft bei den Künstlern.
    Auch eine Rossini-Renaissance hätte in Italien und in den USA nicht stattgefunden, wenn in den 60-70er Jahren nicht Sänger erschienen wären, die dazu bereit waren. Gerade an solchen kompetenten Leuten, die vergessene deutsche Meisterwerke stilistisch bearbeiten, durchdenken und anständig ausführen würden, mangelt es. Sporadisch wird ja sonst einiges schon aufgeführt. Wenigstens Komponisten wie Pfitzner oder Schreker geht es ja ein bisschen besser, als den Komponisten aus dem 19. Jahrhundert.

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Während in Italien Rossini, Bellini und Donizetti stets präsent waren, und man stets wusste, was man in etwa zu erwarten hat, sieht es in Deutschland ganz anders aus


    So schlecht sieht der Vergleich für die deutschsprachige Produktion aber auch nicht aus:


    Rossini, Donizetti, Bellini, Verdi, Mascagni/Leoncavallo
    Beethoven, Weber, Wagner, Humperdinck


    Mercadante und Boito werden auch nicht sehr oft gebracht, oder?
    Schlecht sieht es eher bei der französischen Oper aus!


  • Mercadante und Boito werden auch nicht sehr oft gebracht, oder?


    Boito, Zandonai, sogar Giordano (höchstens Andrea Chenier, nie Fedora, Siberia oder was anderes), genauso ist es mit den zahlreichen anderen Meisterwerken von Mascagni außer der Cavalleria. Mercadante kommt ja erst recht nicht in Frage. Paisiello oder gar das italienische Barock sind auch ganz vergessen.


    Die Franzosen haben sich mittlerweilen so übertrieben auf ihr Barock konzentriert (mit was für Stimmen und Orchestern! :cursing: ), dass bei ihnen außer den populären Sachen von Gounod und Saint-Saens und dem ewig-präsenten Bizet tatsächlich nichts mehr übrig geblieben ist. Aber - noch einmal, ein letztes Mal... - wer soll heute "Viens, gentille dame" in Boieldieus La Dame blanche singen? Wer verfügt über die Variationstechnik und die Mezze-voci, die auch nur für diese eine Arie nötig sind, um ihr Sinn und Leben einzuhauchen?

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Meyerbeer ist nun mal etwas Unmögliches für heute.



    Ich gehöre ja immer wieder zu denen, die klagen, dass es von den meisten Meyerbeer-Opern keine adäquaten neueren Aufnahmen gibt und dass sie so selten aufgeführt werden. Natürlich weiss ich, wie schwer sie zu besetzen sind. Aber dass es gar nicht ginge, möchte ich doch bestreiten. Ich habe sogar in der Provinz - in Bielefeld!!! - Aufführungen von Der Prophet und Die Afrikanerin (Beides Inszenierungen von John Dew in den 80er Jahren) erlebt, die wirklich hörenswert waren und eine Vorstellung davon gaben, was das für grosse Werke sind! Und wer Pilar Lorengar und Richard Leech in Die Hugenotten in Berlin hat hören können, weiss doch, dass ein gutes Besetzungsbüro, auch so anspruchsvolle Partien, wie man sie in der Oper einfach hat, mehr als nur angemessen besetzen kann. Auch Robert der Teufel in der Berliner Staatsoper war doch - bis auf die Tenorpartie - eindrucksvoll besetzt!


    Ich glaube, dass es heute viel schwieriger ist, die Macht des Schicksals oder die Sizilianische Vesper zu besetzen als die Afrikanerin. Vielleicht sollten wir mal im Opernforum dazu aufrufen, Besetzungsvorschläge für Meyerbeer-Opern zu machen?


    Übrigens: bei Youtube gibt es das Liebesduett aus den Hugenotten von Lorengar und Leech gesungen - leider nur in einem Konzertmitschnitt und zudem auch noch deutsch gesungen. Trotzdem: Das müsst Ihr hören!!!!



    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!


  • mit ganz ausgezeichneten Orchestern
    :D

    (aber das ist allmählich OT)


    Hm, gut, Minkowski. Aber Christie & Co. mit ihren verstimmten pseudo-authentischen Orchestern kann ich einfach nicht ausstehen.
    Einen, den ich wirklich hoch schätze, ist Herreweghe. Siehe seine Armide von Lully. Der versteht schon, wie man authentischen Klang und philologische Forschung mit Klangschönheit und Dynamik vereint.


    Ah, a propos Minkowski: die Operetten-Welle in Paris scheint mittlerweilen auch vorüber zu sein. Wer kümmert sich schon um Boieldieu. :D



    Ich gehöre ja immer wieder zu denen, die klagen, dass es von den meisten Meyerbeer-Opern keine adäquaten neueren Aufnahmen gibt und dass sie so selten aufgeführt werden. Natürlich weiss ich, wie schwer sie zu besetzen sind. Aber dass es gar nicht ginge, möchte ich doch bestreiten. Ich habe sogar in der Provinz - in Bielefeld!!! - Aufführungen von Der Prophet und Die Afrikanerin (Beides Inszenierungen von John Dew in den 80er Jahren) erlebt, die wirklich hörenswert waren und eine Vorstellung davon gaben, was das für grosse Werke sind! Und wer Pilar Lorengar und Richard Leech in Die Hugenotten in Berlin hat hören können, weiss doch, dass ein gutes Besetzungsbüro, auch so anspruchsvolle Partien, wie man sie in der Oper einfach hat, mehr als nur angemessen besetzen kann. Auch Robert der Teufel in der Berliner Staatsoper war doch - bis auf die Tenorpartie - eindrucksvoll besetzt!


    Ich glaube, dass es heute viel schwieriger ist, die Macht des Schicksals oder die Sizilianische Vesper zu besetzen als die Afrikanerin. Vielleicht sollten wir mal im Opernforum dazu aufrufen, Besetzungsvorschläge für Meyerbeer-Opern zu machen?


    Übrigens: bei Youtube gibt es das Liebesduett aus den Hugenotten von Lorengar und Leech gesungen - leider nur in einem Konzertmitschnitt und zudem auch noch deutsch gesungen. Trotzdem: Das müsst Ihr hören!!!!


    Caruso, wer hat den die Fides gesungen?... Das ist ja eine Rolle, die heute wirklich UNMÖGLICH zu besetzen scheint...

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose

  • Minkowski?


    Voilà, Rockwell Blake.
    Heute könnte den Georges Brown vielleicht nur ein Florez singen, aber eine richtige Mezza-voce-Technik hat er nicht (deswegen wäre er auch für die Perlenfischer von Bizet eine Fehlbesetzung). Ein Brownlee?... Oder vielleicht Shalva Mukeria - wieder einer, der völlig im Schatten bleibt, aber über eine echt italienische Technik verfügt und manchmal auch Großartiges hervorbringt.


    Als Minkowskis beste Leistungi insgesamt finde ich letztendlich doch die Platee von Rameau. Aber eher die Video-Aufnahme als die CD-Einspielung.

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Caruso, wer hat den die Fides gesungen?... Das ist ja eine Rolle, die heute wirklich UNMÖGLICH zu besetzen scheint...


    Das war eine Mezzosopranistin aus Vilnius, die gewiss keine Ernestine Schumann-Heinck oder Marilyn Horne war, aber in dem kleine Bielefelder Haus die Partie höchst eindrucksvoll gesungen hat: Sie heiss Krysztina Michalowska. Ihr Repertoire umfasste die Cenerentola und den Sesto ebenso wie die Laura, Amneris, Ortrud und die Amme - und zwar zugleich! Genau das war ihre Stärke, sie hatte eine fabelhafte Koloraturtechnik und eine Fähigkeit zum großen dramatischen Affekt! Zudem konnte sie - und das ist für die Fides ja nun wirklich wichtig - in der tiefen Lage gelöst und fließend Legatolinien aussingen. Sie sang damals relativ regelmäßig in Bielefeld. Ich bin ihr etwas später mal am Bolschoi in Moskau begegnet wo sie die Eboli sang. Was aus ihr geworden ist weiss ich nicht. Ich habe auch nie gehört, dass es Aufnahmen von ihr gibt. Sehr schade, denn sie war eine vorzügliche Sängerin, die sicher eine grössere Karriere hätte machen können, aber wohl eher an der Arbeit in einem Ensemble interessiert war und sich deshalb auf Vilnius und eben Bielefeld konzentrierte!
    Gerade an dem Beispiel sieht man auch, dass man schwere Partien durchaus besetzen kann, wenn man denn was von Stimmen versteht und nicht nur nach namhaften Stars schaut.




    Heute könnte den Georges Brown vielleicht nur ein Florez singen, aber eine richtige Mezza-voce-Technik hat er nicht (deswegen wäre er auch für die Perlenfischer von Bizet eine Fehlbesetzung). Ein Brownlee?... Oder vielleicht Shalva Mukeria -


    In diesem Thread ist ja auch vom George Brown die Rede. Ich will mich bei der Suche geeigneter Interpreten nicht beteiligen, bin mir aber sicher, dass man für eine Aufführung an einem kleineren Haus mit einer guten Akustik, leicht geeignete junge Tenöre fände, die mit den ja doch gar nicht so exorbitanten Schwierigkeiten der Partie klar kämen. Vor etlichen Jahren hörte ich öfter den damals noch sehr jungen Günther Neubert im französoischen Fach in Braunschweig. Das war kein aussergewöhnlicher Tenor aber die Stimme war angenehm und er hatte eine gute Gesangstechnik, beherrschte das mezza-di-voce und verfügte über Stil und Eleganz. Mit ihm konnte man französische Werke aus dem frühen 19. Jahrhundert trefflich besetzen - man tat das dankenswerter Weise eben in Braunschweig auch. Ich hätte ihn nicht als Alfredo oder Pinkerton hören mögen. Aber leider hat er das später an anderen Bühnen doch gesungen und so verlief seine Karriere nicht eben bravourös.
    Tenöre, die für den George Brown in Frage kommen, müssen ja Manches, was sonst im französischen und vor allem im italienischen Fach gefordert ist, gar nicht unbedingt haben. Insofern kommen dafür eher Sänger in Frage, die gar nicht so sehr im Scheinwerferlicht stehe. Ein Name, der mir in dem Zusammenhange einfiele, wäre Yann Beuron. Vielleicht wäre es schon zuspät. Aber er hatte vor 5 Jahren eigentlich alles, was ich mir für den George Brown erwarte.

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Lieber Caruso,


    exorbitant ist natürlich die Partie nicht, aber wenn man gehört hat, was ein Slezak oder D'Arkor da alles in dieser "einfachen" Arie variieren, vergeht einem die Lust auf eine simple korrekte Darstellung der Rolle. Auch Meyerbeer kann man ja in mehreren Fällen ganz vereinfacht singen (Meyerbeer hat ja selber mehrere Alternativen zu den originellen Stimmlinien hinzugefügt, da nicht Alle eine Viardot oder ein Nourrit waren). So hat man das ja in Mailand mit Corelli und Simionato auch gemacht, aber... wenn man das kleine bisschen aus den Mapleson-Zylindern heraushört, was ein Jean der Reszke und eine Lilian Nordica während einer Aufführung der Hugenotten an der Met mit dem Duett machen, dann versteht man, dass sogar die Valentine einer großartigen Martina Arroyo nur 50 % von dem bietet, was ein echter Meyerbeer-Gesang doch sein SOLL, nämlich ein Feuerwerk der Vokalität. Auch die napolitanischen Werke von Rossini kann man heute noch aufführen, aber macht das noch Sinn ohne den Zuschuss, ohne den Luxus eines authentischen Virtuosentums einer Horne, eines Blake, einer Sutherland, Cuberli, Dupuy?...

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Lieber Luca,


    ich verstehe genau, was Du meinst und kann mir sogar vorstellen, dass ich ähnlich argumentieren würde.
    Und doch: ich möchte einfach Les Hugenots und Le Prophète hören. Auch La Juive! Und - um bei den Hugenots zu bleiben: mit Lorengar und Leech ging das mehr als nur recht und schlecht. Und der Bielefelder Prophète hat mir erfahrbar werden lassen, was das für ein geniales Werke ist. Und die Bielefelder Juive hat gar den Anstoss zu einer Renaissance des Werkes gegeben. Danch wurde Dew eingeladen, es auch in Wien und London zu inszenieren. Die Bielefelder Aufführung aber war noch immer allen anderen Aufführungen, die ich in London, wien und Paris gehört habe, deutlich überlegen, obwohl die namen der Protagonisten nur echten Melomanen was sagen, wärend man anderswo berühmtere Kollegen hören konnte. Aber Christine Weidinger, James O'Neill (leider grausam früh gestorben!) und Gidon Saks waren wirklich nicht nur vorzügliche Sänger. Sie trafen den Stil dieser Grand Opera und verstanden es , den Figuren Profil und den Gefühlen die Tiefe und Größe zu geben, ohne die die Musik ins Leere läuft! Ich bin sehr froh, dass ich die Aufführung mehrmals hören konnte und einen ziemlich guten Mitschnitt davon habe, denein befreundeter Melomane aus New York (vermutlich illegal ?) besorgt hat.


    Wer es aushält, eine Forza mit Sängern unserer Tage zu hören, sollte sich nicht sperren, Meyerbeer oder Halevy aufzuführen obwohl Slezak und Hempel, Destinn und Caruso nicht mehr verfügbar sind.


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Lieber Caruso, die Weidinger (meines Erachtens eine großartige Belcanto-Sängerin, eine richtige soprano drammatico d'agilita!) hat aber wirklich fast nur in Bielefeld gewirkt, nicht wahr? Ich kenne nur einige vereinzelte Aufritte von ihr in Barcelona, Parma usw.

    Ecouter, c'est écouter la différence.

  • Liebe Musikfreunde,


    die von Liebestraum in seinem Eingangsposting beklagte schlimme Situation der deutschen Oper ist schon vor längerer Zeit von Alfred in einem anderen Thread als sehr unbefriedigend eingesteuft worden. Ich schicke mal voraus, daß ich mir diese Abstinenz an den deutschsprachigen Bühnen auch nicht erklären kann.


    Könnte es sein, daß die biedermeierlichen Sujets das Publikum immer weniger ansprechen?


    Hat nicht schon Robert Heger (oder war es Hermann Prey?), als er in den sechziger Jahren des vorigen Jahrhunderts Lortzings "Zar und Zimmermann" mit Köth, Prey und Frick in Dresden aufnahm, diese "Mißachtung" als bedauerlich bezeichnet?


    Könnte es sein, daß bezüglich Flotows "Martha" Richard Strauss' Verdikt "...und schwer ist dieser Mist auch noch!" unselig nachwirkt?


    Könnte es sein, daß die deutsche Sprache auch bei Opern einfach "out" ist?


    Könnte es sein, daß die Verantwortlichen der Opernhäuser nicht wissen, wie man diese Werke in adäquate Inszenierungen umsetzt? Der Gedanke, daß das moderne Regietheater sich dieser Opern annehmen könnte, läßt mich dann erschauern.


    Vielleicht ist es ein Mix aus allem


    fragt sich der

    .


    MUSIKWANDERER

  • Lieber Caruso, die Weidinger (meines Erachtens eine großartige Belcanto-Sängerin, eine richtige soprano drammatico d'agilita!) hat aber wirklich fast nur in Bielefeld gewirkt, nicht wahr? Ich kenne nur einige vereinzelte Aufritte von ihr in Barcelona, Parma usw.


    In Bielefeld hat sie viel gesungen, vor allem aber in den USA. Ich habe sie aber auch in Lisboa als Armida genossen. Der Sprung an die ganz großen Bühnen scheint ihr nicht gelungen zu sein. Sie hat vielleicht auch die kontinuierliche Arbeit in einem Ensemble vorgezogen. Mir war es Recht, da ich öfter nach Bielefeld fahren und sie hören konnte. Eben als Recha, aber auch als Berta, Maria Stuart (Thea Muscrave) Norma, Elisabeth im Roberto Devereux, Lucia di Lammermoor, Leonora in Trovatore und so weiter. Sie sang auch im deutschen Fach! Ich erinnere mich insbesondere an ihr Mitwirken im Hans Heiling!


    Es gibt ja auch mindestens drei Arienplatten von ihr. Eine mit Verdi, eine mit Donizetti und eine mit Meyerbeer!

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Ich würde vorschlagen, näher beim Thema zu bleiben und entsprechende Repertoire-Verarmung bei der ital. und franz. Oper anderswo anzusprechen. Sonst passt der Titel nämlich gar nicht mehr.


    Zur Bestandsaufnahme gehört wohl, erst einmal zu klären, wo und wann die Situation einmal anders gewesen ist. Und seit wann sie sich geändert hat.
    Mir fehlen die Informationen, aber ich habe sehr starke Zweifel, dass z.B. die Opern von Marschner oder Humperdinck außer H&G jemals außerhalb des deutschsprachigen Raums stark vertreten waren. Vielleicht ist eine Einschränkung auf das deutschsprachige Gebiet sinnvoll. Welche Stücke waren dort bis, sagen wir 1970 stärker im Spielplan vertreten? Und waren welche davon annähernd so populär wie Freischütz, Hänsel&Gretel oder Die Fledermaus?


    - Vermutlich zwei oder drei komische Opern von Lortzing, Nicolais Weiber von Windsor, evtl. noch Cornelius' Barbier v. Bagdad
    - Marschner?
    - Spohr?
    - Webers Euryanthe, Oberon usw.? Wenn ich recht erinnere, berichten auch meine alten Opernführer hauptsächlich von den Schwierigkeiten, die die unplausiblen Libretti dieser Werke bieten. Sie wurden immer mal wieder umgearbeitet, in der Hoffnung, sie zu für den Opernbetrieb zu retten. Ich weiß auch nicht, was man tun kann. Aber vielleicht muss man nach vielen Jahrzehnten vergeblicher Versuche einsehen, dass manche Stücke aus dramaturgischen Gründen schlicht nicht zu retten sind. (Obwohl gerade das verfemte Regietheater hier neue Möglichkeiten bieten könnte, aber was nicht funktioniert, funktioniert eben nicht.)
    - Was noch? Humperdinck, Siegfried Wagner?, Pfitzner? D'Albert? Korngold?


    Von Marschner habe ich vor etwa 10 Jahren "Der Templer und die Jüdin" im provinziellen Stadttheater Gießen gesehen. Naheliegenderweise "modernisiert" (mit Nazi-Uniformen usw.), es gab deswegen sogar einen kleinen Skandal, wenn ich recht erinnere. Ehrlicherweise muss ich sagen, dass die Musik mir nicht zu Unrecht vergessen schien. Ich finde es sehr gut nachvollziehbar, dass dieses Werk vergessen ist und "Freischütz" nicht.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Es ist noch schlimmer als ich zunächst eingangs vermutet hatte.


    Bei der Pflege des deutschen Erbes im Musiktheaterbereich der Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner) haben natürlich auch die deutschsprachigen Bühnen einen entscheidenden Beitrag zu leisten. Erschreckend ist, wie der gegenwärtige Zustand ist, wenn man die Produktionen der führenden deutschsprachigen Bühnen der jetzt laufenden Spielzeit betrachtet. Hier hat die italienische Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Verdi und Puccini) faktisch sämtliche Stellen besetzt:


    Bayerische Staatsoper München


    Italienische Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Verdi und Puccini)


    Bellini: I Capuleti e i Montecchi


    Bellini: Norma


    Donizetti: L’elisir d’amore


    Donizetti: Lucrezia Borgia


    Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner)


    Beethoven: Fidelio
    ___________________________________________________________________________________________________________
    Sächsische Staatsoper Dresden


    Italienische Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Verdi und Puccini)
    Rossini: Il barbiere di Siviglia


    Rossini: L’italiana in Algeri


    Rossini: La gazza ladra


    Donizetti: Anna Bolena


    Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner)


    Keine


    _________________________________________________________________________________________________
    Deutsche Oper Berlin


    Italienische Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Verdi und Puccini)
    Rossini: Il barbiere di Siviglia


    Donizetti: Lucia di Lammermoor


    Giordano: Andrea Chenier


    Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner)
    Humperdinck: Hänsel und Gretel


    ___________________________________________________________________________________________________
    Staatsoper Berlin


    Italienische Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Verdi und Puccini)
    Rossini: Il barbiere di Siviglia


    Rossini: Il turco in Italia


    Donizetti: L’elisir d’amore


    Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner)
    Keine


    __________________________________________________________________________________________________
    Hamburgische Staatsoper
    Italienische Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Verdi und Puccini)



    Rossini: La Cenerentola



    Rossini: Il barbiere di Siviglia


    Rossini: Il turco in Italia


    Donizetti: Lucia di Lammermoor

    Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner)


    Keine


    ___________________________________________________________________________________________________
    Staatsoper Stuttgart
    Italienische Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Verdi und Puccini)


    Rossini: Il barbiere di Siviglia


    Donizetti: Maria Stuarda


    Donizetti: Lucia di Lammermoor



    Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner)


    Weber: Der Freischütz


    __________________________________________________________________________________________________
    Wiener Staatsoper


    Italienische Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Verdi und Puccini)


    Rossini: L’italiana in Algeri


    Bellini: La sonnambula


    Donizetti: Anna Bolena


    Donizetti: L’elisir d’amore



    Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner)


    Keine


    ___________________________________________________________________________________________________ Volksoper Wien
    Italienische Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Verdi und Puccini)



    Rossini: La Cenerentola


    Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner)


    Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor


    Humperdinck: Hänsel und Gretel


    Kienzl: Der Evangelimann


    __________________________________________________________________________________________________
    Landestheater Salzburg
    Italienische Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Verdi und Puccini)


    Donizetti: L’elisir d’amore



    Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner)


    Keine


    __________________________________________________________________________________________________
    Theater Graz
    Italienische Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Verdi und Puccini)


    Bellini: I Capuleti e i Montecchi



    Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner)


    Keine


    _________________________________________________________________________________________________
    Opernhaus Zürich
    Italienische Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Verdi und Puccini)



    Rossini: Wilhelm Tell


    Bellini: Norma


    Donizetti: Anna Bolena



    Donizetti: L’elisir d’amore



    Deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner)


    Beethoven: Fidelio


    Weber: Der Freischütz



    Humperdinck: Hänsel und Gretel






    :hello: LT

    2 Mal editiert, zuletzt von Liebestraum ()

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Natürlich geht es mir darum, dass erst einmal in Deutschland das vergessene Repertoire wieder in die Spielpläne aufgenommen wird. Ich habe nur den Blick nach Italien getan, weil hier auf dem Gebiet der eigenen italienischen Opern-Erbe-Pflege viel mehr getan wird.


    Wenn man zu den von mir oben genannten Opern jetzt noch die Opern Verdis und Puccinis hinzufügt, dann wird noch mehr deutlich, dass selbst durch das Spielen der Wagner-Opern ein stark proportoniales Übergewicht zur italienischen Oper an den großen deutschsprachigen Opern zu verzeichnen ist.


    Es ist erschreckend, wie viele große deutschsprachige Opernhäuser gar keine deutsche Oper des 19. Jahrhunderts (ohne Wagner) im Repertoire haben!


    :hello: LT

  • Neben den Wagner Opern sollten folgende Werke eine Chance auf eine szenische Umsetzung haben. Aber auch erst einmal eine konzertante Aufführung wäre hier und da durchaus hilfreich:


    Beethoven: Leonore - Fidelio


    Spohr: Faust - Jessonda


    Weber: Abu Hassan - Der Freischütz - Euryanthe - Oberon


    Marschner: Hans Heiling - Der Vampyr - Der Templer und die Jüdin


    Schubert: Fierrabras - Alfonso und Estrella


    Kreutzer: Das Nachtlager in Granada


    Lortzing: Zar und Zimmermann - Der Wildschütz - Der Waffenschmied


    Nicolai: Die lustigen Weiber von Windsor


    Flotow: Martha - Alessandro Stradella


    Cornelius: Der Barbier von Bagdad - Der Cid


    Goldmark: Die Königin von Saba


    Nessler: Der Trompeter von Säckingen


    Abert: Ekkehard


    Humperdinck: Hänsel und Gretel - Königskinder


    Kienzl: Der Evangelimann



    :hello: LT

  • Wer sind Nessler und Abert?
    Wo bleibt Goetz?
    :D


    Deine Statistik von oben zeigt aber auch, dass neben Rossini, Donizetti, Bellini, Verdi und Puccini auch kaum italienische Opern gespielt werden.
    Mich erschreckt das ganze jetzt nicht, weil ich es nicht anders kenne. Wann gab es denn mehr Lortzing und co?
    :hello:

  • Auf meine Frage, warum die deutschen Opernhäuser so wenig deutschsprachige Opern auf ihrem Spielplan haben, meinte eine Bekannte von mir, die im Kulturteil einer großen deutschen Tageszeitung arbeitet, das würde daran liegen, das sich das junge Publikum nicht für die deutschsprachige Oper interesseren würde, Wagner ausgenommen. Sie wüsste aus sicherer Quelle, dass viele Intendanten das ältere Publikum auch mit den modernen Inszenierung aus der Oper vergraulen möchten, um stattdessen auf das junge Publikum zu setzen. Das gleiche Problem haben aber auch die italienischen Opernhäuser. Es werden dort immer nur die gleichen Stücke aufgeführt. Ausgrabungen oder Erstaufführungen sind dort selten zu entdecken. Auch machen für mich Häuser wie die komische Oper in Berlin keinen Sinn, das sie hauptsächlich italienische Opern auf deutsch spielen, anstatt sich der deutschen Oper zu widmen.

  • Vielleicht kommt es mir nur so vor, aber ist dieses Problem nicht tatsächlich hauptsächlich eines eben des 19. Jahrhunderts? In der Barockoper werden die letzten Jahr(zehnt)e ständig vergessene Werke ausgegraben und unter großem Erfolg aufgeführt. Das Meiste liegt heute bereits auf CD vor. Man denke nur an Leute wie Simone Kermes, die auch junge Menschen für dieses Repertoire begeistern kann. Vielleicht sind die Besucher der klassischen und mehr noch der romantischen Oper konservativer bzw. gelten zumindest als konservativ, so daß man wenig Neues (in dem Falle Altes wieder aufführen) wagt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Liebestraum,


    Deine intensive Recherche finde ich ausgesprochen spannend. Mich würde mal interessieren, wie das Ergebnis wäre, wenn man die sogenannten kleinen Häuser anschaut. Gibt es da eher mal Weber, Spohr und Marschner, Lortzing und Flotow, Goldmark und Goetz? Ich fürchte: NEIN! Die profilieren sich ja gern mit Ausgrabungen aber nicht unbedingt aus den Friedhöfen des deutschen Repertoires. Woran nun liegt das? Ist wirklich das Werk Wagners so groß, dass alles davor, daneben und danach in den Schatten gestellt wird?


    Vielleicht. Auf jeden Fall aber scheint es schwer, das Publikum für die deutschen Werke des 19. Jahrhunderts zu interessieren. Noch vor etwa 25 Jahren hatte man an den großen Häusern - und an den kleineren Stadttheatern sowieso - regelmäßig mal seine Martha, seinen Zar und Zimmermann, auf jeden Fall den Wildschütz und die Lustigen Weiber. Oft passierte es dann, dass ein anderes Werk engesetzt worden war aber nicht gebracht werden konnte, weil Protagonisten erkrankt waren. Da hat man dann ganz kurzentschlossen den Wildschütz als Ersatz auf die Bühne gebracht. Man hatte ja sein Ensemble, aus dem man die Partien alle zweifach besetzen konnte und die Sänger konnten morgens schnell zusammentelefoniert werden. So habe ich mal einen Wildschütz in Berlin gehört, in dem unter anderem Top-Sänger wie Gerti Zeumer, Barry McDaniel und Peter Seiffert mitwirkten. Götz Friedrich pflegte genau aus diesem Grunde dieses Repertoire und hatte auch immer ein Ensemble, aus dem er sie gut besetzen konnte.


    Aber würde das Publikum heute eine solche Praxis goutieren?


    Thielemann hat in Berlin Hans Heiling gemacht. Ich war in zwei der Aufführungen. Aber leider war das Haus arg schlecht besetzt. Da waren die Mitwirken im und hinter dem Graben sicher in der Überzahl. Deprimierend!
    Sawallisch hat vor etlichen Jahren in München den Barbier von Bagdad gemacht. Selbst in München, wo ja der Opernbesuch zum Lebensstil gehört und man seinerzeit auf den Gneralmusikdirektor nichts kommen liess, waren die meisten Aufführungen grausig schlecht besucht.
    Ja, und wenn dann solche Werke noch vom zweiten Kapellmeister eindtudiert werden, kommt schon gleich gar niemand mehr. Zumal wenn dann Sänger auf der Bühne stehen, deren Namen nicht Starglanz haben.
    Frage also: Hat die deutsche Oper des 19. Jahrhunderts noch ein Publikum?


    Eine andere Frage:
    Sieht es eigentlich besser aus, wenn man mal schaut, wieviel deutsche Opern aus dem 20. Jahrhundert gespielt werden?
    Es scheint mir, dass da Werke deutscher Komponisten seit einigen Jahren eine gute Konjunktur haben. Vielleicht hängt es ja auch mit meinen persönlichen Vorlieben zusammen, aber ich habe fast den Eindruck, dass ich in den letzten 15 bis 20 Jahren mehr Korngold, Schreker, Zemlinsky, Stephan, von Waltershausen, Brülls, Braunfels, Busoni, d'Albert und so weiter gehört habe als italienische Komponisten des 20. Jahrhunderts - und da habe ich jetzt noch nicht mal Strauss, Berg, Schönberg und Hindemith mit auf der Liste, da die eigentlich immer (teils mehr teils weniger regelmäßig) auf den Spielplänen erschienen sind. Ist es richtig, dass Opern von Korngold , Zemlinsky und Schreker tatsächlich schon Bestandteil des Repertoires geworden sind? Ist doch was! Mir persönlich ist denn auch lieber, es wird Der ferne Klang angeboten als Zar und Zimmermann.

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

    Einmal editiert, zuletzt von Caruso41 ()

  • Es wäre eben tatsächlich zu sehen, ob z.B. Euryanthe früher wirklich häufiger gegeben wurde. Musiker wie D.F. Tovey und Fritz Busch haben sich für Umarbeitungen eingesetzt, weil sie das Stück für dramaturgisch untauglich hielten, es hat alles nichts gefruchtet.


    Bei den komischen Opern wie Lortzing oder Flotow glaube ich, dass das Publikum ausgestorben ist. Vor 40 Jahren liefen diese Werke im Stadtheater in der Provinz, aber die Nachfahren der Leute, die damals dorthin gegangen sind, fahren heute nach Hamburg oder Bochum ins Musical. Und die meisten jüngeren eifrigen Operngänger kennen die Werke nicht oder finden sie vermutlich albern.


    Nach der obigen Statistik scheint die Wiener Volksoper beinahe das einzige Haus zu sein, das noch derartiges Repertoire pflegt. Und bis in die 1970er waren die Stadttheater eben oft eine Art Volksoper en miniature.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo,


    dieser gesamte Sachverhalt fällt mir schon auf, seit ich Opernfan bin. Meines Erachtens gibt es für das Verschwinden der Deutschen Oper des 19. Jahrhunderts von den Spielplänen folgende Ursachen:


    1.) Die ProtagonistInnen des heutigen "Regietheaters" in Deutschland stehen sehr wahrscheinlich alle politisch links. Man könnte ja gar für politisch rechts gehalten werden, wenn man so etwas auf den Spielplan setzen und inszenieren würde. Arbeitet man sich durch Deutschlands Blätterwald der Kulturteile, so gelten Weber, Lortzing und Humperdinck als Komponisten für Spießer, Hans Pfitzner als gefährlicher Nationalist und Nazi-Wegbereiter. Kreutzer, Cornelius und Goldmark sind schon total vergessen. Bereits Rudolf Schock beklagte sich in seiner Autobiographie, daß Lortzings Wildschütz nur noch als Posse inszeniert werde. Zur Erinnerung: Rudolf Schock mußte die Oper "Der Evangelimann" 1973, mit immerhin 58 Jahren, für die Wiener Volksoper dem Todesschlaf entreißen, sie war seit Jahrzehnten nicht aufgeführt worden. Ich habe die ketzerische Meinung, daß auch Richard Wagner nur noch soviel gegeben wird, weil er als "rechter" Komponist gilt, den man entnazifizieren muß.


    2.) Natürlich gibt es auch ein Besetzungsproblem, denn wie soll ich es finden, daß bei der ersten neueren Gesamtaufnahme von Webers Oberon der Amerikaner Donald Grobe die Titelpartie, Placido Domingo den Hüon und Birgit Nilsson die Rezia singen mußten, also waren keine adäquaten SängerInnen deutscher Zunge vorhanden ? Genau wie übrigens bei der einzigen neueren Aufnahme von Euryanthe, bei der Nicolai Gedda, Jessye Norman und Tom Krause die Arbeit machen mußten. Doch es scheint Hoffnung zu geben: Die drei jüngeren Tenöre aus Deutschland, Endrik Wottrich, Jonas Kaufmann und Klaus Florian Vogt, treten in deutschen Opern des 19. Jahrhunderts auf und haben Gesamtaufnahmen hinterlassen, Der Cid; Der Vampir; Euryanthe; Oberon; Fierrabas; Die Königskinder, um nur einige Beispiele zu nennen. Die Deutschen empfinden, bedingt durch das Dritte Reich, Desinteresse, Schuld und Scham gegenüber ihrer Kultur, was verständlich ist und sich erst langsam abbaut. Man hat Aversionen gegen die als national empfundene Opernkultur des 19. Jhs. mit ihren Sagen, Helden und Schlachten. Man berauscht sich lieber an einer italienischen Hofoper des 18. Jhs., in der ein Altist eine Kastratenpartie singt, denke ich.


    3.) Aber um den Ball wieder zurück zu spielen: Die heutige Machtstellung italienischer Opern ist eine Schein-Riesenhaftigkeit, die nur durch massive Heranziehung von SängerInnen aus beiden Amerika und Osteuropa gehalten werden kann. Beim Singen italienischer Partien setzt sich, meines Erachtens, immer mehr ein Einheitsstil durch, der zur Verarmung führt. Vor einigen Jahren mußte die Scala einige SängerInnen-Stellen besetzen, es fanden sich aber keine geeigneten ItalienerInnen mehr !


    Gruß,


    Antalwin

  • Tja ich weiß nicht: einerseits finde ich die Pflege ausgefallenen Repertoires positiv und kann auch nie verstehen warum auf Opern- und Konzertspielplänen soviel immer gleiches auftaucht.


    Andererseits muss man doch sehen, daß die deutsche Oper auch im 19. Jahrhundert niemals die Bedeutung der italienischen erreichte. Zugespitzt möchte ich mal behaupten, daß es vor Wagner eigentlich nur drei nahmhafte deutschsprachige Opernkomponisten nämlich Händel, Gluck und Mozart gab und alle schrieben vorwiegend italienische Opern (und das war nicht nur eine Frage der Sprache) und schufen vor dem 19. Jhrdt. Daß Komponisten wie Weber, Marschner oder Nicolai überhaupt bekannt sind liegt daran, daß sie in Deutschland so konkurrenzlos waren und eine Bedeutung für den damaligen Versuch hatten, eine deutsche Oper zu etablieren. Tut mir leid, aber selbst Weber (der sicher als der größte deutsche Opernkomponist neben Wagner gilt) reißt mich wirklich nicht vom Hocker: da gibt es mal ein paar Highlights in den Opern, aber selbst den Freischütz finde ich außer in der Ouvertüre und natürlich der Wolfsschluchtszene über weite Strecken von langweilig bis unerträglich (SCHÖNER GRÜNER JUNGFERNKRANZ!!! X( )
    ( :stumm: Jetzt kriege ich hier sicher Schläge :D )


    Die Bedeutung der deutschen Musik im 19. Jahrhundert lag deutlich auf der Instrumentalmusik, von der man bedeutende Vertreter im Italien der Zeit eher vergeblich sucht.


    Ich habe die ketzerische Meinung, daß auch Richard Wagner nur noch soviel gegeben wird, weil er als "rechter" Komponist gilt, den man entnazifizieren muß.


    Vielleicht liegt das ja auch an der Qualität? Erst Wagner, der zunächst an Meyerbeer und Weber anschließt, findet einen eigenen dramaturgisch und musikalisch überzeugenden Weg und ruft damit auch in Folge eine kleine Blütezeit deutscher Opern hervor: Zemlinsky, Schreker, Pfitzner, Korngold, Berg; die ja wie jemand oben bereits erwähnte immer noch präsenter auf den Bühnen (und CDs) sind.


    Die Deutschen empfinden, bedingt durch das Dritte Reich, Desinteresse, Schuld und Scham gegenüber ihrer Kultur, was verständlich ist und sich erst langsam abbaut. Man hat Aversionen gegen die als national empfundene Opernkultur des 19. Jhs. mit ihren Sagen, Helden und Schlachten.


    Also das müßte für Wagner ja dann wirklich noch viel mehr gelten!


    Gruß aus Freiburg
    Byron

    non confundar in aeternum


  • Das ist - und die vielen Antworten belegen es - zunächst mal richtig.


    Doch drehen wir den Spieß mal rum: Was dem Italiener seine Oper, ist dem Deutschen vielleicht doch eher die große Sinfonie, besser noch: Symphonie.


    Welche Sinfonie eines italienischen Komponisten des 19. Jhds. hätte denn heute noch irgendeine messbare Bedeutung? Da machen sich doch Fidelio, Freischütz und HänselUndGretel immer noch ganz gut ...


    Von Klaviersonaten, Streichquartetten, Liederzyklen usw. usw aus Italien mal ganz zu schweigen. (Ausnahmen bestätigen die Regel: Verdi schrieb ein Streichquartett, Donizetti m. W. auch.)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose