Der große Opernvergleich 5. Palestrina

  • 1. Über Pfitzners Palestrina


    Einer der heute kaum aufgeführten Komponisten ist Hans Pfitzner
    Als Christian Thielemann vor gar nicht langer Zeit " Von deutscher Seele " aufführte und sich der Rundfunk zu einer Übertragung entschloß, vollführte die Ansagerin des Abend vor ihrem staunenden Publikum einem Kotau.
    Man konnte sich gar nicht zur genüge für Herr Thielemann und für den Sender entschuldigen dieses Werk aufgeführt zu haben, geschwegieden es überhaupt zu senden.
    Aber nicht nur Christian Thielemann der in Pasero auch den Palestrina 2001 zur Aufführung brachte, auch die Hamburger GMD Simone Young scheint hier keinerlei Berührungsängste zu zeigen und brachte unlängst ebenfalls Pfitzners Palestrina in München zur Aufführung, eine DVD liegt jetzt vor.
    Hoffen wir, das andere diesem Beispiel folgen werden.


    2. Über Hans Pfitzner


    Hans Pfitzner wurde am 5. Mai 1869 in Moskau geboren.
    Der Vater spielte Geige, die Mutter Klavier.
    1897 wurde Hans Pfitzner Lehrer und Kapellmeister in Berlin, 1907 Dirigent in München, zwischen 1908 - 1918 Konservatoriumsdirektor und Opernleiter in Straßburg, wechelste schließlich für kurze Zeit nach München, wurde dann Leiter einer Meiserklasse für Komposition in Berlin und später auch in München.
    Am 22.05.1949 verstarb er in Salzburg.
    Einige seiner musikalischen Werke sind auf CD zugänglich.
    Zu den wichtigen mir bekannten CD Veröffentlichungen zählen zum einen " Von deutscher Seele " mit Trude Eipperle, " Das dunkle Herz " mit Yve Yännicke unter Leitung von Rolf Reuter, "Das Herz" ebenfalls unter Rolf Reuter, "Der arme Heinrich" mit August Seider unter der Leitung von Hans Altmann, "Die Rose vom Liebesgarten" mit Bernd Ahlendenhoff, Trude Eipperle unter Robert Heger und eine Lied Edition mit Kaufmann, Pregardien und Vermillion.
    Desweiteren hat Hans Pfitzner mehrerd Sinfonien für die Schallplatte eingspielt, mir zugänglich wären bisher Ludwig van Beethovens 1, 3, 4, 6 und 8 und Schumanns 3. Sinfonie, der 2 Satz in einer EMI LP Edition die frühen Jaghre der Schallplatte.
    Hans Pfitzner hat sich kompositorisch nie einem Zeitgeschmack gebeugt und mag seiner Zeit als weniger modern gegolten haben, aber wie Otto Klemperer schon so treffend feststellte, modern kommt von moodern.
    Bei seinem Palestrina hat Pfitzner ähnlich wie Richard Wagner nicht nur die Musik komponiert sondern auch das Libretto geschrieben.
    Die Uraufführung erfolgte am 12.06.1917 in München.


    3. Die Aufnahmen bis 1990


    Der Tenor Julius Patzak wurde gleich zweimal in der Titelpartie festgehalten, zum einem am 24.07.1951 aus München unter der Leitung von Robert Heger und zum anderen 1952 aus Köln unter der Leitung von Richard Kraus in beiden Fällen sang Hans Hotter ( dem in Wien für kurzem eine Ausstellung gewidmet war ) den Borromeo.
    Robert Heger ist bietet uns hier im Vergleich mit Richard Kraus eindeutig der musikalisch differenzierte Interpretation.
    Der Morone wird von Ferdinand Frantz der eindeutig über die stimmlich reicheren Mitteln verfügte als sie vergleichsweise Dietrich Fischer Diskau zur Verfügung standen.
    Wobei in der Aufnahme unter Richard Kraus der Papst mit Gottlob Frick eindeutig besser besetzt wurde als in der früheren mit Georg Wieter und auch Anny Schlemm ist eindeurtig die besser Interpetin verglichen mit Käthe Nentwig.
    Beide Aufnahmen werden allerdings von der aus Wien stammenden Aufnahme vom 16.12.1964 ebenfalls unter Robert Heger, was die Besetzung der Frauenrollen, Sena Jurinac ( Ighino ) und Christa Ludwig ( Silla ) in den Schatten gestellt.
    Als Papst erleben wir hier wieder den unvergleichlichen Gottlob Frick.
    Der Palestrina wird hier von dem leider viel zu früh verstorbenen Fritz Wunderlich gesungen.
    Den Morone gibt Walter Berry und der Borromeo wird von Otto Wiener, der in zahlreichen Mitgeschnitten der Opern Richard Wagners uns noch gegenwärtig ist, gesungen.
    Musikalisch weniger genau´ erleben wir dann vom 01.08.1955 aus Salzburg unter Rudolf Kempe, dafür aber sehr stimmgewaltig, Max Lorenz in der Titelpartie.
    Ighino wird hier von der vor kurzen verstorbenen Elisabeth Söderström ( überragend als Interpretin der Werke von Janacek unter der Leitung des ebenfalls zu früh verstorbenen Sir Charles Mackkerras ) gesungen.
    Auch hier erleben wir wiederrum Gottlob Frick in der Rolle des Papstes und Ferdinand Frantz als Morone.
    Den Borromeo singt hier Paul Schöffler.
    In weiteren Rollen zu hören, Otto von Rohr ( 2 teilige CD Edition Hamburger Archive für Gesangskunst ), Walter Berry, Alfred Poell und Otto Wiener.
    Silla wurde hier von Jean Madeira gesungen.
    Während der Münchneropernfestspiele erleben wir den wohl schwächsten Sänger der Titelparite, Richard Holm und auch die Frauenrollen wurde mit Hanny Steffek ( Ighiro ) und Ingeborg Bremert ( Silla ) weniger ausdrucksstark besetzt.
    Einzig Heinz Imdahl ( Lohengrin, Tannhäuser, Liebesverbot ) als Morone, Hans Hotter als Borromeo und Kurt Böhme als Kardinal von Lothringen vermögen hier zu überzeugen.
    Das Dirigat von Joseph Keilberth läßt verständlicherweise keine Wünsche offen.
    Die Studioproduktion unter der Leitung von Rafael Kubelik fährt mit Nicolai Gedda, Helen Donath, Brigitte Fassbaender, Dietrich Fischer Dieskau, Karl Ridderbusch, Bernd Weikl und Hermann Prey eine Topbesetzung für diese Oper auf und kommt dennoch an die frühen Mitschnitte nur schwer heran.
    Den absoluten Tiefpunkt der Palestrina Diskographie aber wurde mit der 1986 /1988 entstandenen Produktion mit Peter Schreier, Siegfried Lorenz, Carola Nossek und Rosemarie Lang erreicht.
    Soviel gediegene Langeweile wie hier erlebt man nur sehr selten.
    Schade, zumal Otmar Suitner hier dirigierte.
    Ein anderer Livemitschnitt, leider nur Fragmentartig erhalten, stammt aus Wien vom 16. Mai 1981 mit James King in der Titelpartie und Kurt Rydl als Kardinal.
    Die Frauenrollen sind mit Renate Holm und Margarete Hintermeier weniger gut besetzt.
    Das Dirigat von Heinrich Hollreiser ist dennoch hervorragend.


    4. Die Aufnahmen ab 1990


    Der bereits zu Beginn erwähte Mitschnitt von 2001 aus Pasero mit Christian Thielemann am Pult wird hervorragend dirigiert und ist mit Ruth Ziesek und Thomas Moser ( auch wenn er seine Rollenvorgänger nur schwerlich zu erreichen vermag ) in der Titelpartie gut besetzt.
    Eine durchweg gelungene Produktion.
    In den Mitschnitt unter Simone Young hatte ich seinerzeit im Rundfunk verschiedentlich kurz reingehört und kann daher nur etwas zum Orchesterklang sagen, welcher sehr überzeugend war.
    In wie weit dieser überzeugende Klang allerdings seinen Weg auf die DVD, die ich noch nicht kenne, gefunden hat vermag ich noch nicht zu sagen.


    5.


    5.01. Die zu empfehlenden Aufnahmen


    1973: Rafael Kubelik; Nicolai Gedda, Dietrich Fischer-Dieskau, Helen Donath, Brigitte Fassbaender, Karl Ridderbusch



    5.02. Die zu empfehlenden Live Mitschnitte


    1951: Robert Heger; Julius Patzak, Georg Wieter, Ferdinand Frantz, Hans Hotter, Käthe Nentwig, Katja Sabo


    1964: Robert Heger; Gottlob Frick, Walter Berry, Otto Wiener, Fritz Wunderlich, Sena Jurinac, Christa Ludwig



    5.03. Nicht zu empfehlen


    1986/1988: Otmar Suitner, Hermann Christian Polster, Hans-Joachim Ketelsen, Siegfried Lorenz, Günther Leib, Peter Schreier


    __________________
    Sven Godenrath

  • Lieber Sven Godenrath,


    vielen Dank für deine fundierte Darstellung. Zwei Dinge möchte ich anmerken:
    Da ist zum einen die ambivalente Haltung zum Nationalsozialismus, die, obwohl es hier ja "der Kunst gilt" meines Erachtens nicht fehlen darf. Pfitzner hat die Nazis herbei gesehnt und ist dann von ihnen quasi nicht aufgeführt worden. Er war zwar mythomanischer Nationalist, andererseits konnten die Nazis mit seinem auf Verzichtsidealen basierenden, von Schopenhauer her kommenden Kunst- und Philosophieverständnis überhaupt nichts anfangen. Sie wußten nur nie ganz genau, ob sie Pfitzner als "Armen Irren" oder gefährlichen Quertreiber einstufen sollten. So kam er irgendwie durch und der Nationalsozialismus ist an ihm hängen geblieben. Die Qualität seiner Werke mindert das natürlich nicht. Sie sind halt sehr spröde, nach innen gewendet, mit wenig Dramatik, ohne Appellstruktur.


    Meine zweite Anmerkung betrifft "Palestrina", sein Opus magnum, im Allgemeinen und den Salzburger Mitschnitt unter Kempe im Besonderen:
    Dass Lorenz etwas über den Daumen singt, stimmt, aber er verströmt Resignation, Tragik und Inspiration. Umwerfend ist hier das Ende des ersten Aktes, die Erscheinung der "neun verstorbenen Meister der Tonkunst". Das Ensemble mit Frick, Wiener, Berry, Kmentt u.a. hierfür ist einmalig und Kempes Dirigat an der Stelle ist ungeheuer: magisch, verführerisch und doch scharfkantig. Da hört man, wie modern Pfitzner, der sich selbst als zu spät kommenden Romantiker sah, komponieren konnte. Diese zwanzig Minuten - komplett freitonal!! - gehören zur experimentellsten Musik des 20. Jahrhunderts!!



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    Bitte ENGELBERT einen LEERBEITRAG (ein Wort ist nötig, da sonst keine Speicherung möglich) hier anhängen

    Der Jugendtraum der Erde ist geträumt
    Grillparzer
    Macht nix!
    grillparzer

  • Wenn man in die kürzlich erschienene DVD hineinhört, lässt sich sich durchaus eine Entscheidung fällen, ob man sich der Einspielung aus München mit Simone Young zugeneigt fühlt oder nicht. Mein erster Eindruck von der Inszenierung war extrem positiv, obwohl lindgrün gewandete Haubentaucher mir auf dem Jungfernstieg noch nie begegnet sind. Sie lockern den spröden Text ein wenig auf und bringen frischen Wind in Pfitzners liturgisches Gedönse. Endlich berkommt man Regie-Theater auch einmal von der angenehmen Seite zu spüren und Christopher Ventris scheint der Partie des Palestrina durchaus gewachsen zu sein. Unfreiwilliger Humor sorgt für Ablenkung und lässt den Zuschauer die anstrengenden Textpassagen unbeschadet bis zum Schluss durchstehen. War die Sixtinische Kapelle einer Damengesellschaft auch untersagt, so so darf Palestrina in seinem privaten Palais grün angestrichene Kanarienvogelweibchen so viele halten wie er will – der Ausstatter freut sich und das Publikum genießt es.




    Einstweilen ist die Anschaffung der Kubelik-Kassette als Standardwerk des 'Palestrina' dem Opernfan eine Pflichtübung. Das Erscheinen in den siebziger Jahren wurde sehnsüchtig erwartet und der DGG gelang es sogar, sich Nicolai Gedda für die Titelpartie von der EMI auszuleihen. Die Bezeichnungen auf der Besetzungsliste zergehen auf der Zunge. Namen wie Fischer-Dieskau (Borromeo) – wie immer er auch phrasiert -, Morone (Weikl), Prey (Graf Luna!), van Kesteren (Patriarch von Assyrien), lassen das Herz höher schlagen.


    Die beiden Jungen wurden als Hosenrolle von Fassbaender und Donath optimal begriffen. (Zu dieser Zeit habe ich in der Hamburger Staatsoper die Fassbaender life erlebt, als sie den Ochs von Lerchenau zusammenbrüllte.) „Wunder ist Möglichkeit“ lautet auch eine Headline in der sorgfältig ausgestatteten Kassette – damals herrschten noch LP-Zeiten. Heute wird zum Nutzen des Verbrauchers der Inhalt dieser Kassette von einem Billigpreis-Label zum Spottpreis verramscht.



    Der User ist hart gefordert, sich die ausufernden Monologe von Borromeo und Palestrina im Detail zu Gemüte zu führen. Zugeflogen kommt nichts. Es handelt sich um den ewigen Generationskonflikt: Die alten wollen im Gewohnten verweilen und die Jugend drängt es zu neuen Ufern. Man muss nicht religiös orientiert sein, um die Oper zu genießen, man kann ganz einfach die Sache nur von der psychologischen Seite betrachten. 'Palestrina' ist schlechthin das Meisterwerk, welches abgewandt vom Wagner- und Strauss-Rummel der deutschen Opern-Romantik den krönenden Abschluss verlieh, bevor mit Zemlinsky und Schreker die Klassische Moderne der neuen Zeit ihren Stempel aufdrückte.


    Ich würde dem Kauflustigen jetzt den Rat geben, sich die DVD in jedem Fall als Lockmittel anzuschaffen, aber die CD zusätzlich wegen des dokumentarischen Wertes hinzuzukaufen. Das Libretto ist zum Studium unumgänglich! Die meisten Sammler besitzen wahrscheinlich die LP aus den siebziger Jahren noch und dürfen sich glücklich schätzen.


    Wer gern in die Tiefe gehen möchte, kann sich den historischen Müll von Lorenz und Patzak nocheinmal hochkochen. Wie Sven Godenrath ganz richtig sagt, erübrigt sich die Einspielung mit Schreier. Frick ist ebenfalls nebensächlich, weil es sich bei der Partie von Pius IV. lediglich um eine Wurze handelt.



    Die Inhaltsangabe der Oper von Raphael bitte im Opernführer von TAMINO nachschlagen!


    Freundlichen Gruß



    Engelbert