Wird denn Bedeutung per Plebiszit entschieden ?

  • Wird denn Bedeutung per Plebiszit entschieden? - Diese Frage stellte Wolfram - rein hypothetisch im Kunstliedforum - und wollte die Frage vermutlich verneinend beantwortet haben.


    Ich jedoch - immer auf der Suche nach interessanten Forenthemen habe versucht die Frage wörtlich zu nehmen - nein ich habe es nicht versucht - die Frage hat sich mir wirklich aufgedrängt :


    WER entscheidet nun wirklich was "bedeutend" und was "unbedeutend" ist ?


    Ist die Zauberflöte nun ein Meisterwerk oder ein volkstümlich verdummendes Libretti ohne Sinn mit gefälliger Musik Mozarts als Beigabe ?


    Ist Zwölftonmusik "unanhörbar" bzw "Unkunst" und somit zu negieren - oder aber intellektuelle Tonsprache - einigen wenigen erleuchteten Vorbehalten.


    Soll Kunst "Freude und Genuss", bereiten und das Leben verschönern - oder tiefere Einsichten vermitteln die man sich unter Opfern und Unlustgefühlen erarbeiten muss ?


    Ich möchte nicht, daß diese Fragen hier beantwortet werden, sondern daß man sich die Frage stellt WER denn hier die Spielregeln aufstellt - und auch - ob sie überhaupt BEFOLGT werden ?


    Letzteres möchte ich doch näher erläutern:



    Wenn die Bevölkerung, sei es die ungebildete, sei es die gebildete - einen Komponisten, einen Stil, eine künstlerische Richtung geschlossen ablehnt, dann bedeutet das den Tod dieser Richtung


    Kritikerurteile, Diktatorenerlässe wirken hingegen nur, wenn sie in stillschweigendem Übereinkommen mit der Mehrheit der (relevanten) Personengruppe stehen, die das Gebotene konsumieren soll und will - oder aber auch NICHT will.....


    Wenn wir den letzten Satz gelten lassen, dann anerkennen wir, daß in letzter Konsequenz über Bedeutung oder Nichtbedeutung von Kunstwerken doch per Plebiszit entschieden wird



    Mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Um den Thread noch ein wenig anzuheizen:


    Wollen wir Schallplattenpreise per Chartliste vergeben?
    Wollen wir Nobelpreise per Volksabstimmung vergeben? Z. B. in Physik?

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Wenn wir den letzten Satz gelten lassen, dann anerkennen wir, daß in letzter Konsequenz über Bedeutung oder Nichtbedeutung von Kunstwerken doch per Plebiszit entschieden wird


    Haha ...
    Wenn dem so wäre, hättest Du aber nicht die Möglichkeit, klassische Musik kennenzulernen, dann würdest auch Du mit den Kastelruter Spatzen vorlieb nehmen müssen.


  • Lieber KSM !


    Stehen diese Spatzen denn nicht unter CD - Arten - Schutz der Firma Schrillton?
    Sind die " KaSpas" denn nicht sytemrelevant für die Tonträgerindustrie und somit für die Weltwirtschaft ?
    Die " Zahlen " der "b Märkte " sprechen doch ständig :
    So hat der Ur - Saturn - Laden in Düsseldorfs 'Am Wehrhahn' mit einem Umzug in ein noch anonymeres Gebäude seine Restbestände übergeben .
    Die Saturn-Leute wissen doch, dass die meisten der Klassikkunden die meisten Bestellungen via Internet bei amazon.com oder Preiser, Wien, tätigen .
    Leider werde ich so wohl nie das Grossproblem der rechten deutschen Elitezeitung , " BILD " ( Dir keine Meinung ) gelöst bekommen, ob denn André Rieu denn " endlich seine Stradivari " bekommen hat .


    Frank

  • Hey! Alfred hat von der Zauberflöte gesprochen! Wie kommt Ihr dazu, fast im selben Atemzug die Spastelruther Katzen zu erwähnen?

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  • Prinzipiell geht es bei der Beurteilung natürlich immer um die Gruppe die sich für eine bestimmte Musik interessiert - somit "Das Klassikpublikum"


    Was nützt es , wenn (als Beispiel) Ligeti für "bedeutend" erklärt wird, und (fast) niemand seine Musik hören will.


    Oder aber: "Welche "Bedeutung" gesteht ihr Vivaldi zu ?
    Musikwissenschafter der Vergangenheit haben ihn eher abqualifiziert, heute jedoch ist er ein Superstar. Ich erinnere mich, daß Mahlers Musk noch in den sechziger Jahren des 20. Jahrhunderts mit Worten belegt wurde, die ich hier nicht widergeben kann - heute wird er als Pionier der Moderne gefeiert - ob er in 20 Jahren noch gefeirt wird - das weiß ich nicht.


    WER entscheidet über "Bedeutung?" von Komponisten und Interpreten - Die Musikwissenschaft ????


    Daß I net lach´....!!


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Was nützt es , wenn (als Beispiel) Ligeti für "bedeutend" erklärt wird, und (fast) niemand seine Musik hören will.

    Was nützt es, wenn (als Beispiel) Einstein für "bedeutend" erklärt wird, und (fast) niemand seine Relativitätstheorie versteht.


    Solche Fragen sind sehr leicht gestellt. Darin liegt meiner Meinung nach die Gefahr einer populistischen Vereinfachung. Meiner unbedeutenden Meinung nach sind die Fragen falsch gestellt.


    Denn Ligeti und Einstein werden ja nicht für bedeutend erklärt, weil in dieser Erklärung per se irgendein Nutzen für irgendjemanden läge.


    Sondern es ist so, dass Menschen, die sich mehr mit zeitgenössischer Musik und theoretischer Physik beschäftigt haben als die meisten von uns, innerhalb ihres Zirkels von Insidern (da gebe ich Alfred Recht) mehrheitlich zur Auffassung gelangt sind, dass die Veröffentlichungen von Ligeti und Einstein gewichtiger und für den Fortschritt in ihrer jeweiligen Disziplin folgenreicher waren als vieles andere, was zeitgleich erdacht wurde. -


    (Wie dieser Mehrheitsbildungsprozess funktioniert, ob rational und demokratisch oder mafiös und weltverschwörerisch unterwandert, will ich hier nicht diskutieren. Ist auch nicht das Thema.)


    Aufgrund dieser stattgefundenen Meinungsbildung kam dieser innere Zirkel dazu, über das Werk dieser Herren mehr nachzudenken, als über anderes. Dies schlägt sich dann in entsprechenden Seminaren, Vorlesungen, Veröffentlichungen, Symposien, Tagungen usw. usw. nieder und irgendwann auch in Konzertprogrammen (Ligeti) oder Schulbüchern (Einstein und Ligeti). Wir haben in der 11. Klasse einige wenige Grundzüge der speziellen Relativitätstheorie gelernt und in der 13. Klasse im Musikunterricht Ligeti kennen gelernt.


    So entsteht das, was im Titel des Threads ein wenig vage mit "Bedeutung" bezechnet ist. Das kann kein demokratischer oder plebiszitärer Prozess sein, weil das Entscheidungsverfahren wichtig/weniger wichtig ein Maß von Sachverstand und Zeitaufwand erfordert, das für nicht-Insider kaum aufzubringen ist. Wir Ottonormalbürger können eigentlich nur darauf vertrauen, dass die Mehrheit der Experten eine gute Wahl getroffen hat.


    Im Falle Einsteins scheint dies so zu sein - sollte er falsifiziert werden, gibt man den Irrtum früherer Zeiten eben zu. Genauso wie die Musikwissenschaftler bei Mahler (oder bei dem Wagner/Brahms-Streit, Hanslick ...).


    Bei Ligeti kann ich nur für mich persönlich sagen, dass ich seinen Weg aus der Falle der seriellen Musik hochinteressant finde! Das haben zu dieser Zeit nicht viele gewagt, und noch weniger haben solch spektakuläre Stücke wie "Atmosphères" oder "Lux aeterna" geschrieben. Man muss sich einhören, klar. Aber diese Mühe und Arbeit lohnt sich - hat sich für mich bisher gelohnt.

  • Hallo Wolfram,
    volle Zustimmung zu Deinem Beitrag - nur über den Schluss sollten wir mal anderswo diskutieren:


    Zitat

    Original von Wolfram
    Bei Ligeti kann ich nur für mich persönlich sagen, dass ich seinen Weg aus der Falle der seriellen Musik hochinteressant finde! Das haben zu dieser Zeit nicht viele gewagt, und noch weniger haben solch spektakuläre Stücke wie "Atmosphères" oder "Lux aeterna" geschrieben. Man muss sich einhören, klar. Aber diese Mühe und Arbeit lohnt sich - hat sich für mich bisher gelohnt.


    Den Weg aus dem strengen Serialismus gingen in den 60er Jahren fast alle - nur Ligeti nicht, da er ja nie Serialist war ...
    Insofern ist Ligetis Weg in Hinblick auf die Problematik serialistischer Starrheit ("Falle" gefällt mir nicht so) besonders ... irrelevant.

    Um einmal entgegengesetzt zu übertreiben.


    Aber darum geht es hier ja nicht.
    Wenn Alfred meint, dass nur die Leute mitstimmen dürfen, die eine bestimmte Art von Musik mögen, dann darf er bei atonaler Musik ohnehin nicht mitstimmen und Ligeti würde außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs liegen. Allerdings läuft es ja nicht so, da die Bedeutung nicht vom Konsumenten bestimmt wird, der Konsument bestimmt nur die Beliebtheit.

  • Zitat

    Wenn Alfred meint, dass nur die Leute mitstimmen dürfen, die eine bestimmte Art von Musik mögen, dann darf er bei atonaler Musik ohnehin nicht mitstimmen und Ligeti würde außerhalb seines Zuständigkeitsbereichs liegen.


    Sehr schön - und dezent - gesagt - und vollkommen richtig.


    Aber es ist immer eine Frage der Skalierung.


    Würde man die Grenze bei atonaler Musik ziehen, wäre ich ausserhalb der Zielgruppe.


    Anders hingegen, wenn wir als Oberbereich "Klassische Musik" nähmen - dann wäre es in meinem Bereich "abzustuimmen.


    Im praktischen Extremfall: der Server wäre voll ausgelastet und ich müsste entscheiden wen ich für bedeutender hielte : Ligeti oder Mozart - das wäre dann doch in meinem Bereich.
    Wie würde diese Entscheidung ausgehen, wenn ich gar nicht mitspielte, und das Ergebnis den Forianern überließe ? -ein Mini-Plebiszit sozusagen ?


    Aber zum Glück sind noch genügend Kapazitäten auf dem Server vorhanden - und somit muß ich diese Entscheidung gar nicht treffen - und die Forianer auch nicht. Die Frage ist ja auch rein hypothetisch gedacht...


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Soll Kunst "Freude und Genuss", bereiten und das Leben verschönern - oder tiefere Einsichten vermitteln die man sich unter Opfern und Unlustgefühlen erarbeiten muss ?


    Manchmal kann Kunst beides!

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  • Lieber Alfred,


    ich kann das potenzielle Dilemma zwischen "Bytes für Mozart" und "Bytes für Ligeti" gut nachvollziehen. Wenn es so weit ist, sag bitte vorher Bescheid. Vielleicht gibt es ja auch Taminoianer, die hauptberuflich Serverkapazitäten verkaufen ... ... meine E-Mail-Adresse hast Du ja.


    Andererseits ist es so: Die CDs mit Musik von Ligeti, Stockhausen, Xenakis, Reich, Boulez usw. sind ja leider nicht ganz billig. Nix Brillant. Mid-Price ist schon reine Glückssache (etwa bei Steve Reichs "Music for 18 Musicians oder bei den verdienstvollen Ligeti-Editionen der DG, Sony und Teldec/Warner).


    Wenn ich überlege, wieviel Mozart, Clementi, Scarlatti, Haydn, Beethoven ich stattdessen dafür bekäme ...


    Das bedeutet, dass alle, die Musik nach 1950 über Tamino bei den Tamino-Werbepartnern bestellen, pro Minute bestellter Musik im Schnitt das Tamino-Klassikforum mehr fördern als diejenigen, die den Threads derjenigen erliegen, die permanent auf Brillant und Naxos hinweisen. (Das hat jetzt aber nix mit Relativitätstheorie zu tun ...)

  • Lieber Wolfram


    Jetzt mache ich etwas, das ich anderen verübeln würde - ich schreibe hier ZWISCHEN zwei ehemalige Beiträge neu dazwischen. Dies aber, weil ich sehe, daß hiedurch der Thread nicht unterbrochen wird - und ausserdem, weil ich - hätte ich diesen Beitrag schon seinerzeit gesehen - an dieser Stelle geantwortet hätte.


    Es hat bei Tamino -ungeachtet meiner persönlichen Vorlieben und Abneigungen - nie das Problem "Bytes für Mpzart" versus "Bytes für Ligeti" gegeben - es war ein rein hypothetisches Problem. Wenn der Server ausgelastet ist, dann kauft man eben Serverkapazitäten nach.


    Das haben wir übrigens erst vor kurzem gemacht als wir den Hoster wechseln mussten, Wir haben dereit 10 GB Speicherplatz frei, von dem wir im Augenblick etwas weniger als 2 GB benutzen - eine finanziell vertretbare Aufstockung auf 25 GB gäbe es als Option.


    Speicher ist im Augenblich also lediglich ein hypothetisches Thema......


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das was Wolfram und KSM schreiben finde ich schlüssig.
    Die Bedeutung (künstlerisch, kompositorisch, interpretatorisch, historisch oder wie auch immer) kann nur einschätzen, wer das entsprechende Fachwissen besitzt, Werk, Komponist, Interpret im allgemeinen Kontext einordnen kann. Sicher werden unterschiedliche Experten zu unterschiedlichen Auffassungen kommen, so daß auch ein gewisses "Mehrheitsprinzip" mit entscheidet, was letztlich als "bedeutend" angesehen wird.
    Danach entschiedet dann der Konsument, aber er entscheidet eben nicht über Bedeutung, sondern nur über Beliebtheit.
    Das erklärt, daß z.B. viele bedeutende Komponisten zumindest über Zeiträume unbeliebt und damit in der Versenkung waren.


    Andererseits - und das ist für mich der springende Punkt - kann der Konsument (notfalls unter mehr oder weniger sanftem Zwang von außen) Werke, Komponisten, Interpreten als beliebt einstufen, ohne sich um die Bedeutung zu scheren.
    Wobei ich vermute, daß diese Fehleinschätzungen umso häufiger werden, umso weiter man den Begriff "Konsument" fasst (Ein Konsument z.B. 12tonaler Musik wird sich tendenziell weniger irren, als ein Konsument klassischer Musik im engeren Sinne oder gar ein Konsument, der so alles in sich reinhört, von dem man ihm sagt, daß es gerade in ist.)



    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Ich würde mit dem Begriff "Experten" sehr vorsichtig umgehen. Kaum jemand hat im Laufe der Musikgeschichte (und nicht nur dort) mehr Unsinn verzapft als gerade sie, Ich erinnere an Mozarts Urteil über Clementi, jenes von Strawinsky über Vivaldi, die Urteile von Herrn Hanslick Haydn bezeichete Sammartini als "Schmierer" (oder war es "Notenschmierer ?) Was man über Mahler, Schönberg, Berg und Webern gesagt hat erspare ich Euch. Dann folgt noch der jener "Experte," der immer wieder gern zitiert wird, Adorno, und dessen Statements über Sibelius... Ich würde in Sachen der meßbaren Wissenschaften Experten gelten lassen (auch wenn sie irren konnen) in Sachen Weltanschauung und Musik jedoch nicht. Mit freundlichen Grüßen aus Wien

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Ich würde in Sachen der meßbaren Wissenschaften Experten gelten lassen (auch wenn sie irren konnen) in Sachen Weltanschauung und Musik jedoch nicht.


    Das wäre ein tolles Thema für einen neuen Thread!


    Übrigens wurde auch in den messbaren Wissenschaften geirrt. Der große Newton lehrte im 17. Jhd., dass Licht aus Teilchen bestünde. Der kleine Optiker Huygens meint dagegen zur selben Zeit, Licht sei eine Welle. Na ja, was hatte Huygens schon gegen Newton zu melden?


    Erst nach 1800 wurde Phänomene erkannt, die den Wellencharakter des Lichts eindeutig nahelegten - 1:0 für Huygens gegen Newton. Sensationell. Unglaublich.


    Und erst im 20. Jahrhundert - ich vereinfache jetzt unzulässig - dämmerte die Einsicht, dass beide Recht hatten.


    Ich könnte jetzt weitermachen mit nicht-euklidischen Geometrien in der Mathematik, gegen die heftigst polemisiert wurde, nicht anders als bei Wagner/Brahms. Von Goedels Erkenntnissen ganz zu schweigen.


    Das Irren der Experten ist doch völlig normal. Enttäuscht kann nur derjenige sein, der die "Experten" vorher vergöttert hat und dann feststellt, dass sie Menschen sind.


    Trotz ihrer Irrtümer vertraue ich immer noch lieber den Experten - unter Hinzuziehung dessen, was ich für den gesunden Menschenverstand halte (nach einem Bonmot von Einstein also die Summe meiner Vorurteile) - , als dass ich einem Dilettanten traue.

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  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich würde mit dem Begriff "Experten" sehr vorsichtig umgehen. Kaum jemand hat im Laufe der Musikgeschichte (und nicht nur dort) mehr Unsinn verzapft als gerade sie


    Diese Fehleinschätzung kommt ganz einfach daher, dass der Unsinn, den die nicht-Experten verzapft haben, nicht gedruckt wurde und uns daher nicht vorliegt.


    Ebenso wie der Unsinn, den wir hier verzapfen, in 200 Jahren auch nicht mehr rekonstruiert werden wird können.



    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich würde in Sachen der meßbaren Wissenschaften Experten gelen lassen (auch wenn sie irren konnen) in Sachen Weltanschauung und Musik jedoch nicht.


    Und wie hältst Du es in der Malerei? "Gilt" Otto Pächt bezüglich Rembrandt auch nicht mehr, als der durchschnittliche Museumsgast (denn die würden im Plebiszit mehr Stimmen haben)?

  • Zitat

    Original von Kurzstückmeister
    Und wie hältst Du es in der Malerei? "Gilt" Otto Pächt bezüglich Rembrandt auch nicht mehr, als der durchschnittliche Museumsgast (denn die würden im Plebiszit mehr Stimmen haben)?


    Es ist nun die Frage was man unter "durchschnittlicher Museumsgast" versteht. Aus begreiflichen Gründen werde ich mich hier zu diesem Thema nicht äussern.
    Aber Pächt ist natürlich schon eine Kapazität,
    Er stellt aber auch keine anfechtbaren Behauptungen auf (eine solche wäre beispielsweise, wenn er sagen würde, die Malerei habe sich von bescheidenen Anfängen bis zur heutigen abstrakten Kunst - und darüber hinaus -weiter entwickelt ) sondern bleibt in seinem Bereich.
    Auch Hildesheimer und Braunbehrens sind interessante Mozart-Experte - die sich das eine oder andere Mal irrten. Jegliche Forschung ist - bei aller Neutralität - ein Produkt ihrer Zeit - und somit vom Zeitgeist und von der Persönlichkeit des Forscher geprägt.
    Die Grenzen der Experten werden aber überall dort offensichtlich, wo es gilt eine Komposition oder ein Bild eindeutig einem Komponisten, bzw Maler zuzuschreiben. Hier versagen die Experten zumeist. Zum Glück für sie wird dieses Versagen erst ein halbes Jahrhundert - oder später später offenbar, wenn nämlich die übernächste Generation von Experten das einst Geschriebene für Humbug erklärt.....


    Mit freundlichen Grüßen aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich glaube nicht, das eine Diskussion über Expertentum und die damit verbundenen Irrungen und Wirrungen uns beim eigentlichen Thema desThread weiterbringt. (Es wäre aber sicher mal ein schönes Thema, zu überlegen, welchen Schaden Experten durch Fehlurteile in der einen oder anderen Richtung in Geschichte und Gegenwart angerichtet haben.)


    Mir ging es lediglich darum klarzustellen, daß ich der gleichen Meinung wie Wolfram bzw. KSM bin, nämlich, daß über Bedeutung (sofern das überhaupt als "Maßeinheit" taugt) nicht per Plebiszit entschieden wird, über Beliebtheit aber sehr wohl, und daß dieser Begriff der Beliebtheit von der Bedeutung völlig abkoppelbar ist.

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Das ist halt wie überall im Leben: nicht immer ist die Mehrheit ein Experte. Objektiv richtige Entscheidungen können auch ausgesprochen unpopulär sein. Deshalb trifft auch keine Regierung mehr irgendeine rational zu begründende Entscheidung, weil ja immer irgendwo Wahlen sind und niemand eine unpopuläre Entscheidung vertreten will.


    So ist es auch in der Kunst.


    Für mich selbst heißt das in der Musik (und der Kunst): ich kann Musik lieben aber nicht schätzen, umgekehrt oder in seltenen Fällen beides... im einen Fall geht es mir wie der Mehrheit: das Stück mag banal sein, aber hey, es klingt geil (um sich eines passenden zeitgenössischen Idioms zu bedienen - bitte dafür um Verzeihung), oder ich fühle, dass das Stück mir extrem viel beizubringen hat, ich mag es aber nicht so gerne hören.

  • Ich glaube, dass die Frage nach "falsch", "richtig" oder Hinweise auf einzelne "Irrtümer" von Experten nicht viel weiter führen. Zum einen kann man im letzten Fall ja immer wieder fragen, aufgrund welcher Expertise wir eine Äußerung von Mozart oder Clementi (die sich meines Wissens ohnhin nur auf dessen Spiel, nicht auf eine Kompositionen bezog, die bekannteren Klaviersonaten enstanden auch erst nach Mozarts Tod) oder Hanslick über Bruckner für "falsifiziert" halten? Wir könnten uns im Prinzip wieder "irren" und Hanslick, Wolf, wer auch immer, hätten mit ihren despektierlichen Äußerungen eben doch recht gehabt...


    Die Bedeutung Einsteins und der Relativitätstheorie liegt auch nicht in erster Linie darin, ob sie "richtig" oder "falsch" ist. Die ART ist ziemlich sicher nicht "richtig" im Sinne einer vollständigen oder letztgültigen Theorie oder exakten Abbildung der Wirklichkeit, weil sie mit der Quantentheorie nicht verträglich ist. Unabhängig davon war es eine epochale wissenschaftliche Leistung und, wenn man so will, ein Schritt zu einer möglichst guten Beschreibung der Wirklichkeit. So fragwürdig der Maßstab der "Wirklichkeit" in der Wissenschaft ist (weil wir uns eben immer irren und auch sehr erfolgreiche Theorien wieder revidiert werden können, zumal zum Zeitpunkt der Aufstellung einer wiss. Hypothese niemand alle Konsequenzen überblicken kann), wird er im Falle der Kunst völlig unbrauchbar. Wir haben keinen völlig externen Maßstab und wir brauchen auch keinen.


    Entscheidend ist daher nicht ein Plebiszit aller Hörer (oder nur der "Klassikhörer" oder der "Experten"). Entscheidend sind Taten, nicht Worte, Kommentare und Abstimmungen. Bedeutend sind Werke, die Musiker spannend genug finden, um sie auffzuführen (das ist ja in aller Regel auch die Vorbedingung dafür, dass ein Stück überhaupt "beliebt" werden kann!) und die andere Komponisten befruchten und inspirieren, ggf. auch provozieren. Das ist auch keine Definition, sondern ein Indiz. Für die "Bedeutung" insgesamt muss die Rolle in der Musikgeschichte sowohl in die Vergangenheit als auch in die Zukunft blickend, berücksichtigt werden: welche Strömungen greift ein Werk/Komponist auf, wie werden sie kreativ transformiert und welchen Einfluss hat dies dann auf Zeitgenossen und Nachfolger.


    viele Grüße


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
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    (Bob Dylan)

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  • Lieber Johannes,


    weitgehende Zustimmung! Ich denke, wir sind inhaltlich dicht beieinander.


    Hilfreich finde ich Deinen Hinweis auf die Zeitgebundenheit von Werturteilen. Wer weiß, vielleicht gibt man in hundert Jahren tatsächlich Hanslick mehrheitlich recht ... ?


    Und ich meine, dass es bisher in diesem Thread auch nicht um "richtig" oder "falsch", sondern nur um die Begriffsklärung "bedeutend/beliebt" und den Prozess der Zuordnung dieser Begriffe zu Kunstwerken (und zur Relativitätstheorie) ging.
    Zitat:
    Bedeutend sind Werke, die Musiker spannend genug finden, um sie auffzuführen


    Es gibt halt Werke, bei denen "spannend finden" nicht ausreicht. Zum Beispiel stellt "Le marteau sans maître" von Pierre Boulez wahnwitzige Anforderungen an die Ausführenden, ein paar Monate sollte man sich schon zur Vorbereitung nehmen. Ähnlich soll es mit einigen großangelegten Klaviervariationen von Max Reger sein - die vielleicht auch darum kaum zu hören sind, obwohl sie vielleicht nicht hinter Brahms' Händel-Variationen zurückstehen müssten. Auch bei einem Stück wie Stockhausens Helikopter-Quartett ist "spannend finden" vielleicht noch nicht ganz hinreichend, um sich zu einer Aufführung zu entschließen.


    Es gibt noch einen Grund, warum ich "Taten" alleine nicht als Kriterium für "bedeutend" ansehen möchte: immer noch wird "La Paloma" häufiger aufgeführt als Stockhausens "Gruppen".


    Ferner: Beliebtheit schlägt sich eben auch auf den Entschluss zu Aufführungen nieder. Wer als Konzertveranstalter Beethovens 9. programmiert, hat mit höherer Wahrscheinlichkeit ein volles Haus als wenn Stockhausens "Gruppen" angekündigt werden. Aus diesem selbstverstärkenden Prozess "Beliebtheit -> Aufführungszahlen -> Beliebtheit -> usw." jetzt wieder einen Gradmesser von "Bedeutung" abzuleiten, scheint mir nicht hilfreich.

  • Zitat

    Original von Wolfram
    Hilfreich finde ich Deinen Hinweis auf die Zeitgebundenheit von Werturteilen. Wer weiß, vielleicht gibt man in hundert Jahren tatsächlich Hanslick mehrheitlich recht ... ?



    Ich gebe ihm jetzt schon hinsichtlich Tschaikowskys Violinkonzert recht...
    Es geht mir auch weniger um die Zeitgebundenheit, sondern eben um die fortgesetzte Möglichkeit der Revision. Wir sind heute genausowenig letzte Instanz wie das Hanslick gewesen ist. Es gibt sicher viele Äußerungen, die nur polemisch gewesen sind. Aber oft ist ein "Fehlurteil" von Schumann oder Hanslick oder Adorno oder ähnlichen einigermaßen scharfsinnigen Experten erhellender als ein "richtiges Urteil" von Joachim Kaiser
    Deren Vorurteile und Verrisse sind ja nicht einfach Ausdruck eines anonymen "Zeitgeist", sondern beruhen auf gewissen Traditionen, ästhetischen Haltungen usw. Man kann über die streiten und viele waren oder sind sicher einseitig, aber wie gesagt, sie lassen das Besondere an manchen Werken vielleicht deutlicher erkennen als ein Nachplappern der Lobreden auf das inzwischen etablierte Repertoire.



    Zitat


    Es gibt halt Werke, bei denen "spannend finden" nicht ausreicht. Zum Beispiel stellt "Le marteau sans maître" von Pierre Boulez wahnwitzige Anforderungen an die Ausführenden, ein paar Monate sollte man sich schon zur Vorbereitung nehmen.
    Ähnlich soll es mit einigen großangelegten Klaviervariationen von Max Reger sein - die vielleicht auch darum kaum zu hören sind, obwohl sie vielleicht nicht hinter Brahms' Händel-Variationen zurückstehen müssten.


    Ich meinte mit dem flapsigen Ausdruck "spannend finden" natürlich, dass Musiker so begeistert sind, dass sie sich eben der entsprechenden Mühe unterziehen. Offensichtlich ist das bei Boulez' Musik seit ca. 60 Jahren der Fall. Völlig unabhängig, wie mir persönlich diese Werke gefallen, halte ich das daher für ein starkes Indiz für Qualität/Bedeutung/Faszination.


    Zitat


    Es gibt noch einen Grund, warum ich "Taten" alleine nicht als Kriterium für "bedeutend" ansehen möchte: immer noch wird "La Paloma" häufiger aufgeführt als Stockhausens "Gruppen".


    Von Häufigkeit war bei mir aber gar nicht die Rede. Es ging mir hauptsächlich darum zu betonen, dass hier keine Jury von Kritikern oder Publikum zusammentritt, sondern es eine "dynamische Praxis" gibt, in der Musik entsteht, aufgeführt und rezipiert wird. Der anderer Punkt ist, dass ein "Plebiszit" von Publikum (und vielen Kritikern) erst stattfinden kann, wenn sich Musiker bereits entschieden haben, ein Stück (häufiger) aufzuführen. Die "Experten" sind die Musiker und v.a. auch andere Komponisten und bei denen ist weniger wichtig, was sie sagen, sondern wie sie auf ein Stück reagieren, nämlich es spielen oder nicht bzw. kompositorisch reagieren.
    Und nochmal zu Klarstellung: Das Stück ist nicht bedeutend, weil Musiker davon begeistert sind, sondern umgekehrt. Aber daher ist die Begeisterung usw. eben ein Indiz für Bedeutung.


    Zitat


    Ferner: Beliebtheit schlägt sich eben auch auf den Entschluss zu Aufführungen nieder. Wer als Konzertveranstalter Beethovens 9. programmiert, hat mit höherer Wahrscheinlichkeit ein volles Haus als wenn Stockhausens "Gruppen" angekündigt werden. Aus diesem selbstverstärkenden Prozess "Beliebtheit -> Aufführungszahlen -> Beliebtheit -> usw." jetzt wieder einen Gradmesser von "Bedeutung" abzuleiten, scheint mir nicht hilfreich.


    Man darf natürlich "Gruppen" nicht mit der längst etablierten 9. 180 Jahre nach ihrer Entstehung vergleichen, sondern mit ihrer Rezeption, sagen wir, bis 1850. Angeblich hat Habeneck in Paris das Werk in den 1830ern ein knappes Jahr! geprobt, bevor er die erste dortige Aufführung dirigierte.


    "Gruppen" ist m.E. gar kein schlechtes Beispiel für meine These: ein wahnsinnig aufwendiges Werk, das ungeachtet dessen nicht so selten aufgeführt wird, weil es offensichtlich entsprechend begeisterte Musiker und Publikum gibt.


    viele Grüße


    JR

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  • „Bedeutung“ in der Kunst ist wohl im Wesentlichen zeit- und personengruppenspezifisch.


    In der als viel präziser empfundenen Physik ist es auch nicht viel anders, die meisten Leute halten Einstein für einen großen Physiker, weil sie den Namen wiedererkennen und der Name mit dem Image eines großen Physikers verbunden ist. Was sein Beitrag zur modernen Physik war, werden andererseits nur Wenige mit etwas umfangreicherer Allgemeinbildung wissen. Und die „Schönheit“ oder Bedeutung der Entwicklung der Tensormathematik, um die Allgemeine Relativitätstheorie formulieren zu können, wird nur dann nur noch sehr wenigen Spezialisten klar sein.


    Korrektheit ist auch kein Kriterium, die Physiker selbst halten Newton für ihren Bedeutendsten, auch wenn die Klassische Mechanik inzwischen als Spezialfall der Relativitätstheorie erkannt wurde, die ihrerseits irgendwann (vielleicht) einmal in eine GUT (Grand Unified Theory) eingehend wird, in der dann sich dann Quanten und Gravitationsfeld wieder in den Armen liegen.


    In der Musik gibt es aber, wie doch schon oft hier diskutiert, nicht einmal das Kriterium der „Schaffenshöhe“ (in der Physik wäre das so etwas wie die Anzahl der zutreffenden Vorhersagen, die neu aus der Theorie abgeleitet werden können) , sondern es ist schlicht ein Konsens einer Gruppe von Leuten, die einem Werk oder einer Person das Kriterium „bedeutend“ zumessen. Vergrößert man die Gruppe um weitere Personen, verschwindet die Bedeutung meist schnell wieder (außer bei einigen der Allgemeinheit aktiv bekannten Marken wie Mozart oder Beethoven), und die Kastelruter Spatzen übernehmen.


    Verkleinert man die Gruppe, werden sich ebenfalls Bedeutungsverschiebungen ergeben, weil zwar vielleicht Stockhausen in einer spezifischen Gruppe insgesamt gegenüber Nono als bedeutender empfunden wird, Subgruppen aber sehr anderer Meinung sein können.


    Ebenso ist Bedeutung alles andere als zeitinvariant, Bach erschien die längere Zeit zwischen seinem Tod und heute als eher unbedeutend.


    Und das verbindet dann schließlich Musik und Einstein: alles ist relativ.