Carl Orff, Das Spiel vom Ende der Zeiten

  • Carl Orff (1895-1982)


    De temporum fine comoedia
    Das Spiel vom Ende der Zeiten


    Oratorium


    Libretto von Carl Orff in Anlehnung an den Kirchenvater Origines

    Uraufführung 1973 bei den Salzburger Festspielen

    Regie: August Everding
    Bühnenbild: Günther Schneider-Siemssen
    Orchester: Kölner Rundfunk-Sinfonie-Orchester unter der Leitung von Herbert von Karajan


    Ausführende:
    Christa Ludwig – Peter Schreier – Josef Greindl - Rolf Boysen (Sprecher) Lorand –Marsh –Griffel – S. Anderson –Killebrew –Lövaas – Tomowa Sintow –ngervo –Loulis - Geisen – Wegmann – Helm – Anheisser – Frese – Patzalt – Jokel – Diakov - Carmeli

    Charaktere:
    9 Asiatische Sibyllen
    9 Anachoreten
    Menschen der Endzeit
    Luzifer


    Ort und Zeit: Der Erdplanet in ferner Zukunft




    ERSTER TEIL: DIE SIBYLLEN:


    Neun Wahrsagerinnen verkünden unter Wehgeschrei die Schrecken des Weltgerichtes. In Salzburg sitzen die Langhaarigen in einem Baum und erklären dem Publikum, dass der Egoismus die Quelle allen Übels ist und Besitzgier die Kriege anheizt. Deshalb ist die Menschheit verdammt und nicht mehr zu erlösen. Das Los der letzten Planetenbewohner wird schrecklich sein. Der Baum löst sich auf, die Sibyllen schweben in der Luft und setzen ihre pessimistischen Kommentare fort.


    Carl Orff teilt die Auffassung der Sibyllen nicht. Er ist der Ansicht, dass es gar kein Strafgericht geben wird. Die Situation zielt darauf ab, dass alle Schuld am Ende der Zeit vergessen ist und Sanktionen überflüssig machen. In seiner Philosophie stützt der Komponist sich auf einen sonderbaren Heiligen aus dem frühchristlichen Alexandria – er heißt Origines, nicht ganz so prominent wie Augustinus - und denkt sich als Neuerung für die Zeit danach materielose Geschöpfe vernünftiger Denkungsweise.


    Materie ist nämlich ein Fluch und als einst die Engel gegen ihren Schöpfer rebellierten, bekamen sie zur Strafe Materie zugeteilt. Der eine mehr der andere weniger, je nach Volumen der Schuld. Nach der Auffassung von Origines ist Materie der Rohstoff erkalteter Liebe. Da die Welt nun einmal aus Materie besteht, ist die Schöpfung die Konsequenz der Sünde. Wenn genug gesündigt worden ist, wird die Welt vernichtet und danach ist alles wieder so schön wie es einmal war.


    Die Sibyllen sind nicht zu belehren und bleiben bei ihrer Meinung. Sie schweben über unserem wunderschönen Globus und prophezeien, dass die Gerechten – sofern es überhaupt welche gibt - nicht gerettet und mit den Gottlosen zugrunde gehen werden. Alle Elemente werden verschwinden. Es gibt kein Feuer zum Kochen mehr, kein Wasser zum Trinken, keine Luft zum Atmen und keine Erde um Blumensamen auszulegen. Das Himmelsgewölbe stürzt zusammen und danach ist es nur noch dunkel.


    Zweiter Teil: DIE ANACHORETEN


    Schlechte Aussichten, aber glücklicherweise stimmen die Gelehrten mit den Kraken des Unheils nicht überein. Die Anachoreten - man muss sich diese Art von Geschöpfen wie Säulenheilige vorstellen - können sich ein Strafgericht durchaus vorstellen, in dem nach Würdig und Nichtswürdig sortiert wird. Selbst der Teufel hat Anspruch auf einen fairen Prozess. Aber die Verbüßung von Schuld erfolgt nicht in allzu ferner Zukunft, sondern jederzeit. Kleine Sünden bestraft der liebe Gott sogar sofort. Aber ein Kalenderdatum, wann die Welt nun tatsächlich untergeht, wissen sie die Kirchenväter auch nicht.


    Da man aber zu einem Resultat kommen möchte, wird ein breitgeflügelter Traumgott bemüht, dem die seltsamen Theologen mehr Kompetenz zutrauen, als den asiatischen Sibyllen. Die Traumbilder, die vorgegaukelt werden, sind allerdings nicht erhebend. Vor allen Dingen signalisiert er zum Ende der Zeiten einen völligen Verfall der Wohnkultur, denn die Lebewesen kriechen aus Löchern. Keines hat mehr ein Gesicht und alle wirken wie schwarze Ameisen. Um überhaupt ein Gesicht zu haben, setzt man eine Maske auf. Davon gibt es aber nur zwei Sorten im Handel, eine für das Glück und eine für das Entsetzen.


    Verlassen und verloren führen ihre Wege ins Nichts. Alle sind tief beunruhigt, für das Ende der Zeiten ungenügend vorbereitet zu sein. Besonders bemerkenswert ist die Feststellung, dass die Sonne implodiert ist. Der Aufschrei der Massen richtet sich gegen einen leeren Himmel. Die Erde ist kahl gefegt. Man verliert ständig den Boden unter den Füßen, denn die Erdkugel rotiert wie wahnsinnig.


    Die Anachoreten können nicht länger beschönigen, denn sie müssen ihre Auffassung den Sibyllen annähern. Die letzten Menschen rufen und flehen gegen einen Himmel, der stumm bleibt. Man erwartet, dass dem Spuk endlich ein Ende gemacht wird, aber Gott schweigt und der Mensch dialogunfähig geworden, ist mit sich allein.


    DRITTER TEIL: DIES ILLA


    Plötzlich kommt Rettung aus einer Gegend, aus der man sie zuletzt erwartet hätte. Luzifer erscheint - der Lichtbringer. Vor Urzeiten hat er schon einmal Feuer machen wollen, war aber beim Weltenschöpfer mit seiner Idee nicht gut angekommen. Es gab Kompetenzgerangel, welches den Höllensturz Luzifers zur Folge hatte. Der gefallene Engel öffnet nun die Pforten der Unterwelt, damit die Menschen ohne Sonne nicht frieren müssen und das Auge auf dem Planeten überhaupt noch etwas erkennen kann. Noch begreifen die Menschen nicht, dass der Höllenfürst es gut meint, denn im Feuer wird bekanntlich geläutert. Am Horizont taucht ein gigantisches Auge auf, welches aber bald in tausend Stücke zerbricht, weil es an der Aufgabe, alle Schandtaten dieser Welt zu kontrollieren, scheitert.


    Nun wird es Zeit, den zu allen Zeiten verkannten Luzifer ein bisschen zu beschreiben. Er ist der einzige, der noch ein Gesicht hat. Alles, was an ein Reptil erinnert, fällt von ihm ab. Neuen Erkenntnissen gehorchend, können die Malereien von Hieronymus Bosch nicht mehr ernst genommen werden. Der Höllenfürst nimmt den Helm ab und lange rote Haare fluten über seine Schultern. Entzücken breitet sich aus. Wird er es sein, der die Menschheit wieder zu neuen Ufern führt?


    Eine neue Einheit von Geist und Materie wird verkündet. Die alte Schöpfung muss vernichtet werden, damit aus diesem Vakuum der reine Geist entstehen kann. Und wie sieht der nun aus? Eine gigantische weiße Lichtscheibe, die am Horizont aufgeht.


    Nun ist dem Besucher klar, was Carl Orff, von einer aufwendigen Dekoration unterstützt, vermitteln will: Die ewige Gerechtigkeit würde sich zu sehr verzetteln, wenn sie die kleinliche Bestrafung begangenen Unrechts bis ans Ende der Zeiten aufschieben würde. Der Verwaltungsaufwand wäre nicht in den Griff zu bekommen. Deshalb ist es angemessen, dass schon jeder zu Lebzeiten auch seine Sünden abbüßt, damit erst gar keine Schuldenberge anlaufen.


    Am Ende der Zeiten geht es nur um die Neuschaffung des Universums und man sollte diesmal wirklich versuchen, Murx zu vermeiden.


    Beitrag von
    :angel:
    Engelbert

  • De temporum fine comoedia
    (Das Spiel vom Ende der Zeiten – Virgilia)
    von Carl Orff.
    Text vom Komponisten.
    Die griech. Texte der Sibyllen sind den Büchern II, III, IV, V, VI, VII der Sibyllinischen Weissagungen entnommen. Der Hymnus An den Traumgott entstammt der Sammlung Orphischer Hymnen, der Dämonenbann den Carmina burana.
    Uraufführung: 20.8.1973 Salzburger Festspiele
    mit Colette Lorand • Jane Marsh • Kay Griffel • Sylvia Anderson • Gwendolyn Killebrew • Kari Lövaas • Anna Tomowa-Sintow • Wolfgang Anheisser • Siegfried Rudolf Frese • Anton Diakow • Boris Carmeli • Christa Ludwig • Peter Schreier • Josef Greindl.


    Orchester des WDR Köln
    Chor des WDR Köln,
    RIAS Kammerchor Berlin,
    Tölzer Knabenchor
    Regie: August Everding
    Dirigent: Herbert von Karajan
    Chorleitung: Gerhard Schmidt-Garden


    De temporum fine comoedia (Das Spiel vom Ende der Zeiten) ist die letzte große Komposition von Carl Orff.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)