Und plötzlich ist's ein Meisterwerk - was Interpretationen zu leisten vermögen

  • Sicher kennen einige das phänomen: lange jahre hört man immer mal wieder ein ganz bestimmtes werk, schätzt es, aber es gehört noch lange nicht zu den lieblingswerken oder gar zu den (eigenen oder allgemeinen) 'sternstunden' der musik.


    und dann ... ja, dann lernt man eine interpretation kennen und alles ändert sich schlagartig:


    heute geschehen bei einer aufnahme, an die ich gar keine soo großen erwartungen hatte:


    neeme järvis aufnahme des requiems von dvorak (milne, cargill, auty, rose, london phil. orch and choir; lpo)


    ich komme aus dem staunen gar nicht mehr heraus: dramatik, schnellere tempi als gewohnt, hervorragende detailarbeit, hingabe und endlich einmal ein chorklang, der nicht im 'fett' ertrinkt, sondern schlank und beweglich agiert, was eine extreme durchhörbarkeit im orchester ermöglicht (was eigentlich jeder romantischen chormusik gut täte). auch wenn ich um die mankos der solisten weiß und auch die geliebten röhrenglocken vermisse: eine WAHNSINNSAUFNAHME.


    endlich liebe ich dieses werk, sehe, daß es ein MODERNES werk ist, irrsinn, was dvorak hier bewirkt: stammeln, machmal fast sprechen denn singen, fahle farben, stocken et et et


    villeicht sein meisterwerk ...



    doch nun die eigentliche frage, wer hat dies auch schon erfahren an anderen beispielen?

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Zitat

    doch nun die eigentliche frage, wer hat dies auch schon erfahren an anderen beispielen?


    Beispiele ? Da müsste ich doch einige Zeit nachdenken.....


    Aber generell kann ich bestätigen, daß mir dieses Phänomen bekannt ist, und daß ich mir oft die Frage gestellt habe, welche Werke denn nun höher einzustufen seien, jene, die stets die gleiche Qualität bewahrten, selst wenn sie auf dem Kamm geblasen werden, oder jene wo ein gerinfügig schnelleres oder langsameres Tempo, eine Klangfarbe des Soloinstruments über Gelingen und Mißlingen des Konzerts entscheidet.


    Ich würde dazu tendieren, solche Werke nicht als Meisterwerk einzustufen, sondern als gelegentliche Sternstunden der Interpretation.


    Das was man als "meisterlich" empfindet steht nicht in den Noten, ist lediglich eine kurze Befindlichkeit des Werkes, wenn es speziell interpretiert wird....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo zusammen,


    für Werke, die durch eine bahnbrechende Interpretation zu Meisterwerken geadelt wurden, gibt es natürlich Beispiele.


    Da wäre etwa das Violinkonzert von Robert Schumann, das nie zu größerer Bekanntheit fand, bis Gidon Kremer eine epochale Aufnahme vorlegte:



    Dass seine spätere Aufnahme des Werkes mit Harnoncourt noch gelungener ist, ändert daran nichts.


    Auch Dvoraks Fünfte wurde durch eine herausragende Aufnahme ins Rampenlicht katapultiert:



    Manchmal wird vergessen, dass selbst ein Herbert von Karajan hin und wieder Ausgrabungen machte. Am prominentesten vielleicht in der Alpensinfonie von Strauss - Initialzündung für eine späte Renaissance des monumentalen Werkes:



    Ferner zählen wohl die meisten der Aufnahmen des Concerto Köln aus der Ära Werner Ehrhardt zur Kategorie "Und plötzlich ist's ein Meisterwerk": Werke von Joseph Martin Krauss, Jan Kritek Vanhal, Leopold Kozeluch, Antonio Rosetti, Francesco Durante u. v. a.
    m.



    Auch Reinhard Goebel wäre zu nennen.

  • Also bei mir ging dank Marc-André Hamelin's grandioser Einspielung von Freederic Rzewski's "The People United" postmodernem Klavierwerk plötzlich ein Licht auf ;) Diese Aufnahme gewann nach meinem Erinnerungsvermögen sogar eine Grammaphone Jahres-Auszeichnung in England. Mindestens für mich war dies dank Hamelin plötzlich ein modernes Meisterwerk mit entfernter Verwandtschaft zu Beethoven's überragenden Diabelli's.



    Viele Grüsse
    Pianomania

    "Die Welt ward ihm Klavier. In Terzen, Quinten, Oktaven sprang sein Denken, Dur und Moll spannte sein Herz."
    Carl Sternheim

  • Die Überschrift würde ich so nicht so stehenlassen wollen, denn ich denke, dass ein Meisterwerk per se ein Meisterwerk ist und nicht erst durch eine meisterhafte Interpretation zu einem wird.
    Nehmen wir nur die Klaviersonaten von Mozart, Schubert und Beethoven, jedes für sich ein Meisterwerk, auch wenn es hier wie da besonders oft gehörte gibt. So wird die Sonate Nr. 14 cis-moll op. 27, Nr. 2 von Beethoven gewiss viel häufiger gehört als seine Sonate Nr. 27 e-moll op. 90, obwohl diese bestimmt ein genauso großes Meisterwerk ist wie jene.
    Besonders glückhafte Momente erlebt man jedoch dann, wenn Meisterwerke von großen Interpreten überragend interpretiert werden, wenn, um nur ein Beispiel zu nennen, Sviatoslav Richter die letzten drei Beethoven-Sonaten interpretierte.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Ich gkaube wir sollten Überschriften von Threads nicht allzu wörtlich nehrmen Auch das von mit hier vorgestellte Werk ist ein Meisterwerk, wenngelich es Leute gibt, die aus ziemkich durchsichtigen Gründen Richard Strauss jegliche Fähigkeit Meisterwerke zu schreiben, absprechen wollen. Indes habe ich die zweifellos vorhanden Qualität des Stückes erst in der weiter unten abgebildeten Aufnahme unter Kempe empfinden können. Kein Karajan, kein Karl Böhm können hier mithalten. Sie wird vermutlich jedoch bereits gestrichen sein..... Hat diese Aufnahme aus dem Stück ein Meisterwwerk gemacht ? Nein - sie hat nur enhüllt, daß wir es hier mit einem solchen zu tun haben. mfg aus Wien

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Dem kann ich nur voll zustimmen, lieber Alfred.


    Ich habe in früher Jugend schon Till Eulenspiegels lustige Streiche kennen gelernt und als 17-Jähriger in der ausverkauften Halle Münsterland in Münster ein Live-Konzert mit Herbert von Karajan und den Berliner Philharmonikern erlebt, als diese Ouvertüre Don Juan op. 20 und im Anschluss daran (mit Henryk Szering) Brahms' Violinkonzert und dessen 2. Symphonie gaben. So etwas bleibt einem unvergesslich und hat damals mein Interesse für die sinfonische Musik Richard Strauss' gefestigt.


    Was nun Rudolf Kempe betrifft, so kann ich dessen Gesamtaufnahme der Orchesterwerke Strauss' wärmstens empfehlen, die ich in der (momentan anscheinend nicht greifbaren) Lizenzausgabe von Brilliant besitze, die aber deckungsgleich mit der hier abgebildeten ist:



    Hier sind neben den bekannten symphonischen Dichtungen auch die Hornkonzerte (mit Peter Damm), das Oboenkonzert (mit Manfred Clement), das Violinkonzert (mit Ulf Hoelscher) oder Schlagobers op. 70 oder die Josephslegende op. 63 oder die Tanzsuite nach Cembalo-Stücken von Francois Couperin enthalten. Die 9CD-Box stellt eine ähnliche Sammlung mit Aufnahmen von David Zinman weit in den Schatten.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).