Morten Lauridsen

  • Ave-Maria-Vertonungen gibt es ja wie Sand am Meer; einige Wenige kenne ich, Monteverdi, Bach, Mozart, Bruckner usw.
    Die für mich Eindrucksvollste stammt von dem Amerikaner Morten Lauridsen, geb. 1943. Wer sich nun ein unhörbares 12-Tonwerk vorstellt - Nein!
    Lauridsen versteht es ganz ungewöhnlich
    1. gängige Klangvorstellungen mit modernen Harmoniefolgen und Antiphonen in Kirchentonarten zu einer beeindruckenden, hörbaren Einheit zusammen zu fügen.
    2. eine auf den 1. Höreindruck gar nicht sofort wahrnehmbare komplizierte Satztechnik zu verwenden
    3. und das scheint mir das Wichtigste: Den tiefen Sinngehalt des Textes so in Musik auszudrücken, wie es Worte einfach nicht können. Dabei geht es nicht um wortmalerische Programmmusik im Stile der z. b. Smetana'schen "Moldau" oder Wortüberhöhungen wie bei Bach, nein: Ich kenne kein Werk, das Anrufung in Vertrauen, Hingabe und Empathie so ausdrückt wie Dieses; dabei geht es nicht um christl. Inhalte, sondern ganz allgemein um die zuvor genannen Werte.


    Das Werk gibt es auf CD hyperion SACDA 674492 mit dem ausgezeichneten Chor "Polyphony" und der "Britten Sinfonia"; dazu gibt es noch "Lux aeterna" (sehr hörenswert) und Weiteres in superber Klangqualität.



    zu oben 2.
    Auf der Naxos-CD 8.559304 gibt es 5 Rilke-Vertonungen zu hören (in franz. Sprache) mit "The Elora Festival Singers" aus Kanada. Bei dem 5. Gedicht ist die variationsreiche Satztechnik von Lauridsen leicht zu erkennen.



    Ich freue mich auf Feedbacks und einen regen Gedankenaustausch.
    Ich bin Neuling bei "Tamino" und dies ist meine 1. Forumserfahrung überhaupt -wenn ich also etwas falsch mache, bitte um Hinweis und Korrektur wie es besser zu machen ist.


    der "zweiterbass"

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

    3 Mal editiert, zuletzt von zweiterbass ()

  • Hallo,


    Fortführung meines 1. Beitrages zu Lauridsen:


    Auf der Naxos-CD gibt es neben den Rilke-Vertonungen die "Mid Winter Songs" nach Gedichten von Robert Graves zu hören.
    Hier wird der musikalische Ausdruck schon viel expressiver. Währed bei den Rilke-Vertonungen das Klavier eine untergeordnete Rolle spielt, ist bei den Mid Winter Songs das Klavier teilweise solistischer Hauptakteur oder gleichberechtigter Partner des Chores, was zu sehr reizvollen Klangbildern führt.


    Oft habe ich bei Lauridsen den Eindruck, er versteckt - nur kurz angedeutet - Dissonanzen, dies gilt auch für die Rilke-Vertonungen - andere Komponisten "baden sich" in Dissonanzausbrüchen.


    Neben den o. g. Werken sind noch die "Six Fire Songs" ein Ausschnit aus "Lux aeterna" und "O magnun mysterium" auf der Naxos-CD; diese Werke sind auch auf der hyperion-CD (siehe 1. Beitrag zu Lauridsen) enthalten, zu der ich noch gesondert Stellung nehme.


    Die interpretierenden Chöre auf beiden CDs sind 1. Klasse; dabei finde ich die "Elora Festival Singers" eine Spur durchsichtiger, natürlicher, währden die "Polyphony" einen homogenen Chorklang entfalten, der seinesgleichen sucht (dabei wage ich nicht zu entscheiden, wieviel daran der Tonmeister "Schuld hat").


    3. Beitrag zu Lauridsen folgt in Kürze.


    Ich bin auf Feedbacks gespannt.


    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zitat

    Original von zweiterbass[..]
    Das Werk gibt es auf CD hyperion SACDA 674492 mit dem ausgezeichneten Chor "Polyphony" und der "Britten Sinfonia"; dazu gibt es noch "Lux aeterna" (sehr hörenswert) und Weiteres in superber Klangqualität.


    Hallo,


    schön das sich hier mal wieder etwas in Sachen Chormusik tut. Die Chormusik von Morton Lauridsen ist in der Tat etwas ganz besonderes und gehört zu meinen Lieblingen.


    Zu der von Dir erwähnten Aufnahme verweise ich einfach mal auf meine Vorstellung vom Ensemble "The Polyphony":


    Vorstellung des Vokalensembles "Polyphony"


    Die Naxos-CD kannte ich noch gar nicht. Dafür kenne ich aber die Elora Festival Singers und bin sehr angetan. Vermutlich also eine Einspielung, dieman sich bilnd kaufen kann. Hiermit auf meine Liste aufgenommen :)


    Liebe Grüße, der Thomas. :hello:

  • Hallo Thomas,


    danke für Deine Anwort.


    Ich nehme noch gesondert Stellung dazu.


    Bitte, sieh' Dir doch auf diesem Forum "Komponisten" meinen Beitrag zu Hugo Distler an.


    Ich werde mich in den nächsen Tagen auf dem entspr. Thread noch vorstellen.


    Bis dahin


    viele Grüße vom
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo,
    wie bin ich zu Lauridsen gekommen?
    Herbstlicher Spätnachmittag - Autoradio/BR-Klassik, Lux aeterna - ich war wie elektrisiert - 4 Tage später hatte ich die CD mit "Polyphony".


    Musik spricht zuerst auf emotionaler Ebene an und hier an 1. Stelle sind neuro-biologische Vorgänge am Walten, dann kommen die Hörgewohnheiten und Erfahrungen des Hörers ins Spiel. Ich schweife hier vom Thema Lauridsen etwas ab und beziehe mich auf eine lebahfte Diskussion aus dem Jahr 2008 bis Anfang 2010, angestoßen von Thomas(chorknabe).
    Atonale Musik stellt die dem Menschen eigene Konstruktion des Ohres und die daraus folgende Verarbeitung der tonalen Eindrücke auf den Kopf. Konsonanz, Dissonanz und deren Auflösung sind der Bauplan, darauf ist Emotion eingestellt.
    Atonale Musik bringt die äußerst komplizierten und nur z. T. erforschten Vorgänge in der Verarbeitung der tonalen Höreindrücke im neuro-biologischen System völlig aus dem Gleichgewicht. Dazu kommt: Musik, besser die Abfolge von nicht verbalen Höreindrücken, war vor der Sprache da - nicht umgekehrt - deshalb kann Musik Sprache besser verständlich machen (Verweis auf meinen Beitrag zu Hugo Dislter). Zu diesem Fragenkomplex kann ich das "rororo Taschenbuch Musikpsychologie" ISBN 978 3 499 55661 8 empfehlen.
    Was will/wollen atonale Musik, sinnlose Sprachfetzen vermitteln, wie in einen Dialog mit dem Hörer treten, was will der Komponist dem Hörer vermitteln, wie das in der Evolution angelegte "Anspringen" der Emotion erreichen?


    Nun wieder Lauridsen und Lux aeterna:


    Lux aeterna ist quasi ein Requiem, das sich sowohl textlich und demzufolge auch in der Abfolge nicht streng an die Liturgie hält und vom musikalischen Ausdruck weniger - kaum - vom Schrecken des Todes (und seiner vermeintlichen? Folgen) ausgeht, sonderns viel mehr Trost und die "Freude auf die Ewigkeit" vermitteln will. Es ähnelt daher von der Diktion eher dem Requiem von Faure, als den sonst üblichen Vertonungen, angefangen von den vielen Mozart-"Varianten" und nicht endend, aber besonders extrem, bei Berlioz' Requiem. (In einem gesonderten Beitrag werde ich das Requiem von Faure mit dem von Durufle vergleichen, Letzteres in 2 Aufnahmen, 1x mit dem Komponisten als Dirigenten und 1x mit Michel Legrand/Ambrosian Singers/Philharmonia Orchester.)
    Lauridsen hat die Arbeit an dem Werk mehr Mals "verschoben", sie aber dann in zeitlichem Zusammenhang mit dem Tod seiner Mutter zu einem wahren Meisterwerk gebracht.


    Introitus: ...exaudi... Stimführung, Harmonik, Dynamik - ein Kontrast zu
    den ersten 4 Textzeilen
    ...Requiem eternam... einstimmig, quasi "Orgelpunkt", ohne Dynamik
    (= ewige Ruhe)


    In te, Domine...: Ein Vergleich von "Tua ad..." mit "Miserere..." und "In te..."
    erklärt die Kunst der Textverdeutlichung Lauridsens


    Veni, Sanctus...: Ist es wirklich eine Frage, warum Lauridsen diese Tonsprache
    wählt?


    Es ist lohnend, jede einzelen Textzeile des ganzen Werkes so zu hinterfragen.


    Zu den 6 italienischen Madrigalen nur: Welch ein unvergleichlicher Schluß am Ende des 6. Madrigals - wie kann man Text so sensibel und überhöht in Musik verwandeln ohne Spur von Lautmalerei.


    Das Ave Maria habe ich schon in meinem 1. Beitrag zu Laurdisen erwähnt.


    Ubi caritas hat u. a. auch Durufle vertont - ein Vergleich lohnt - und geht nach meiner Meinung sehr zu Lauridsen aus.


    In meinem 1. Beitrag zu Lauridsen habe ich die 2 CDs bereits bildlich vorgestellt.
    Bei Durufle handelt es sich um die CD


    Viele Grüße (und die Hoffnung auf Reaktionen)
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo Chorknabe,
    wir Beide sind ja sehr gerne im Chorwerk zu finden. :-)
    Hast Du "Oh magnum mysterium" schon mit Deinem Chor gesungen?
    Wir werden es dieses Jahr auf die Beine stellen.


    Herzliche Grüße,
    Cameratavocale

  • Hallo, liebe "Noch-nicht-Lauridsen-Freunde",


    damit Mann/Frau sich einen 1. Höreindruck von "Lux aeterna" machen kann und sich dann die CD kauft, habe ich nun folgendes aktive Link (nur draufklicken!) eingefügt:


    http://www.youtube.com/watch?v=nhfrG_AsbxQ


    Ich empfehle die CD zu kaufen, die ich auf meinem 1. Beitrag als CD-Cover eingestellt habe, die von "hyperion" - es ist nicht die Aufnahme des Links!


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler



  • Hallo,


    unter dem Kompositionstitel „Les Chansons des Roses“ hat Lauridsen 5 Gedichte aus dem von Rilke in frz. Sprache verfassten Zyklus mit 24 Gedichten „Les Roses“ ausgewählt und vertont - die Nr. IV, XII, VIII A-Cappella, nur V mit Klavierbegleitung.
    Ich meine, dass es die Komposition wert ist, sich etwas näher mit ihr zu befassen
    Der frz. Text in dieser Reihenfolge nun in deutscher Sprache:






    IV Es une seule fleur: Doch haben wir dir vorgeschlagen,
    den Blütenkelch bis an den Rand zu füllen.
    Begeistert warst du, diesen Kunstgriff
    in deinem Überfluß zu wagen.


    Fühltest dich reich, um hundertmal
    du selbst zu sein aus einer Blume;
    hingegeben wie die Liebende…
    Hast aber nie an anderes gedacht.



    XII Contre qui, rose: Rose, gegen wen
    habt Ihr die Dornen
    angenommen?
    Euer freudiges und feines
    Empfinden hat Euch wohl
    dazu gezwungen, diese scharfen
    Waffen auszuwählen?


    Aber vor wem schützt Euch denn
    solch übertriebene Armierung?
    Wieviel Feinde habe ich schon
    von Euch hinweggejagt,
    die nichts erschreckte.
    Vom Sommer bis zum späten Herbst
    habt Ihr – im Gegenteil – verletzt,
    was man an Sorgfalt aufgewandt.


    VIII De ton reve trop plein: Von deinem Traum erfüllte Blume, -
    die in sich selbst zahlreich erscheint
    durchnäßt, als hätte sie geweint –
    du beugtest dich über den Morgen.


    Deine sanften Kräfte, schlafend
    im Ungewissen des Verlangens,
    entfalten jene zarten Formen
    zwischen Herz und Wangen.



    XI La rose complete: Ich habe ein solches Bewußtsein von deinem
    Wesen, vollständige Rose,
    daß reine Zustimmung dich mit meinem
    feiernden Herzen vermählt.


    Ich amte dich, als wärest du,
    Rose, das ganze Leben,
    und fühle mich von dir erwählt;
    Freund einer solchen Freundin.



    V Dirait-on: Hingabe von Hingabe umgeben in Kreisen,
    Zartes rührt an Zärtlichkeiten…
    Man sagt, es sei dein Inneres, das
    sich streichelt ohne Unterlaß;


    sich in sich selber streichelt, bis
    es leuchtet im eignen Widerschein.
    Sinnend fällt dir das Thema ein.
    vom unerhörten Narziß.




    Als große Überschrift über seine, d. h. die Kompositionen welche ich von Lauridsen kenne, kann m. E. geschrieben werden, er versteht es auf seine ganz spezifische Weise, Dissonanzen so zu “verstecken“, dass sie als solche nicht/kaum wahrgenommen werden können – weil er sie mit nicht alltäglichen Akkordverbindungen (die Akkorde selbst sind nie ungewöhnlich) miteinander verschlingt, verwebt. Die daraus entstehende Harmonik ist so typisch, dass, wer Lauridsen schon mal gehört hat, ihn an seiner Tonsprache sofort erkennt. (Das mag auch daran liegen, dass die Anzahl der Werke Lauridsens überschaubar ist.)


    Für diesen „Liederzyklus“ ganz speziell gilt (weshalb es nicht sinnvoll ist, sich sehr im Detail zu verlieren, weil damit der innere Zusammenhang verloren geht) :
    Der Liederzyklus ist mit sehr feinem Stift und weichem Pastellton gezeichnet, d. h. sehr vorsichtige Dynamik (nie extrem), eigentlich eingängige Melodien und eine durchsichtige, abwechslungsreiche, selten direkt sich festlegende Harmonik (vielleicht ein Widerspruch in sich, aber typisch Laudridsen).
    Die einzelnen Gedichte, deren Verse und Verszeilen variabel wiederholt werden, sind keine Strophenvertonungen. Die Melodie/das Thema von V ist in allen anderen Liedern(Chansons) enthalten, das gilt aber für alle Melodien/Themen aller Lieder untereinander, sodass ein durchkomponierter Liederzyklus entsteht, deren Lieder aufeinander musikalisch engen Bezug haben – das gilt aber auch für die Harmonik, die unmerklich variiert wird, aber in ihrem Charakter unverändert bleibt – und dennoch nicht eintönig wird – sodass ein sehr einheitlicher und trotzdem unterschiedlicher Klangeindruck entsteht (das liest sich nur widersprüchlich) - das gilt auch für Satztechniken homophon, polyphon (kanonartig, fugenartiger Einsatz), die sich ansatzlos miteinander vermischen.


    Ein anderer Versuch, Lauridsens Komposition zu beschreiben, deutlich zu machen: Es gibt 4 verschiedene Melodien/Themen, die in den Liedern erklingen; diese Themen zerlegt er in (wie viele?) Module und variiert dabei nur ganz unmerklich Melodiebögen, Harmonik, Akkordfolge, nur die Dynamik bleibt unverändert; aus diesen Modulen entwickelt er mosaikartig für jedes Lied etwa „Eigenes“ – aber – daraus wird insgesamt kein Stückwerk, nichts Konstruiertes - sondern ein äußerst einfühlsamer, fein ziselierter, durchkomponierter kleiner Liederzyklus.

    Die ersten 4 Gedichte sind rein A-Cappella und Lauridsen nützt diese Art der Vertonung, um dem Unfassbaren, dem Geheimnisvollen der Rosen (im gesamten Zyklus von Rilke) mit der schwebenden, sich nicht festlegenden Harmonik und Satztechnik musikalischen Ausdruck zu verleihen.
    Erst ab V kommt das Klavier zum Einsatz und wirkt dabei homophon und polyphon mit.
    Ist die letzte Verszeile von V der Grundtenor für Lauridsens Komposition? Dafür spricht, dass er nur V mit Klavierbegleitung komponiert, damit die Klangstruktur deutlich abhebt. quasi durch die Klavierbegleitung den Schwebezustand von Harmonik und Satztechnik beendet und so zu seinem/r Ende Aussage der Komposition kommt.


    https://www.youtube.com/playli…BTuQnY9L6efxhrJba_EvyJ7Lc
    Videos 1-5 sind gesperrt, 6-14 z. T. doppelt, leider vom Niveau einigermaßen entfernt von der CD, die ich, nicht nur wegen ihrer Ausgeglichenheit (Tempo!), für ausgezeichnet halte.


    Es freut mich, wenn ich als besonderer Freund Lauridsenser Chormusik (nicht nur H. Distler) den einen oder anderen Leser mit diesem Beitrag „auf meine Seite ziehen kann“.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Hallo zweiterbass,


    ich finde Lauridsen und O Magnum Mysterium auch ganz hervorragend
    - aber es ist schon eine ganze Weile her, daß er das geschrieben hat.


    Weißt Du, ob er was Neues rausgebracht hat?

  • Magnum Mysterium ist geistlich und mit ...Roses kaum/nicht vergleichbar.


    Neues... darauf warte ich schon lange - ich versuche mich schlau zu machen (wenn ich Zeit habe).


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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