Massenet: Le Roi de Lahore - Venedig 2005

  • REZENSION OPER DVD



    Massenet: Le Roi de Lahore


    Libretto von Louis Gallet


    Aufzeichnung aus dem Teatro La Venice di Venezia im Februar 2005


    Inszenierung: super, phantastisch, ausschließlich handlungsbezogen
    Bühnen-Sets: exotisch-phantastisch, verrückbar, überraschende Gags
    Kostüme: pseudo-regional, Kopfbedeckung obligatorisch
    Bewegungstherapie: lebhaft, wohldurchdacht
    Gestik und Mimik: aufwändig, aber nicht ausufernd
    Ballett als Einlage im dritten Akt: absolut super, erotisch,
    Tiere: 1 Elefant auf Rädern als Reittier für Indra
    Beilage: deutsche Einführung, kein Libretto (wie üblich) Inhaltsangabe: kläglich


    Generelle Beurteilung : SEHR GUT


    Dauer etwa 180 Minuten


    Ausführende:


    Alim: Giuseppe Cipali
    Sitâ: Anna María Sánchez
    Scindia: Vladimir Stoyanov
    Indra: Federico Sacchi
    Kaled: Christina Sogmaister
    Timour: Riccardo Zanelatto


    Chor und Orchester des Teatro La Fenice,
    Chormeister: Amanuela di Pietro
    Dirigent: Marcello Votti
    Regie: Arnaud Bernard
    Szene: Alessandro Camera
    Kostüme: Carla Risotti
    Choreographie: Gianni Sanrucci




    EINFÜHRUNG UND BEURTEILUNG


    Jules Massenet entwickelte ein feines Gespür, für das, was die Pariser liebten und wovon sie nicht genug bekommen konnten. 'Der König von Lahore' war sein erstes Werk von Bedeutung, der sich eine Kette nicht abreißender Erfolge anschloss. Mit seinem Exotismus stand Massenet nicht am Anfang einer Entwicklung - andere Berühmtheiten wie Meyerbeer, Bizet und Lalo hatten den Opernbesucher auch schon ins exotische Indien entführt.


    Massenet wollte zu Beginn seiner Laufbahn auf Nummer sicher gehen und folgte dem Kielwasser. Instinktiv entschloss er sich für ein Sujet, von dem er wusste, dass es ankam. Gerade 34 Jahre alt, lächelte Fortuna ihm zu. Der Direktor der Grand Opéra, Halanzier-Dufresnoy, lud ihn in seine Villa am Place Vendôme ein und schenkte ihm genügend Aufmerksamkeit, sein neues Werk auf dem Klavier vorzuspielen. Den Zuschlag bekam der Glückliche sofort und auch die Zusicherung, dass man keinen Prunk scheuen würde, sein Opus groß herauszubringen.


    Ganz in Vergessenheit geriet der 'König von Lahore' nie, obwohl andere Meisterwerke des Franzosen wie Werther, Manon und Thais, höhere Aufführungsziffern erreichten. Was ist nun das besondere an seiner Indien-Oper?


    Bleiben wir doch zunächst beim Libretto von Louis Gallet. Er siedelt seine Geschichte auf zwei Ebenen an: Die Handlung spielt zunächt im Diesseits und siedelt dann im dritten Akt über ins Jenseits. Das ist der Indra-Himmel, der sich vom christlichen Himmel doch ein wenig abhebt, weil in seinen Räumlichkeiten auch Rüsseltiere erlaubt sind. Im Abendland singen die Seligen Halleluja-Chöre, während im Indra-Himmel Ballett getanzt wird und Kinovorführungen stattfinden. Wenn die Beleuchtung für den Abendstern ausfällt, muss der Elektriker kommen. Das Protokoll ist nicht ganz so streng, wie das spanische Hofzeremoniell. Die Neuzugänge werden mit Handschlag begrüßt und dürfen sogleich Programm schauen. Hochgestellte Persönlichkeiten geben in einer Schnupftabaksdose ihre Visitenkarte ab. Eine Ballerina wird hochgehoben und überreicht Indra, der auf einem Elefanten sitzt, die Anmeldung des Besuchers, dessen Stirn bleich geworden ist.


    Es sei kurz eingeschoben, dass Sitâ den Beruf einer Hindupriesterin ausübt und sich dem Verdacht ausgesetzt sieht, nicht sittsam gewesen zu sein. Doch ihr heimlicher Besucher war der König selbst und das entlastet ihre Ehre. Jedoch der Herrscher wird im zweiten Akt wegen seiner 'gotteslästerlichen Liebe' vom Brahmanenpriester Timour bestraft und in die Wüste geschickt. Dort wartet der fremdgläubige Mahmud auf ihn, der mit seinem Heer Krieg gegen ihn führen will. Alin verliert die Schlacht, den Mut und auch das Leben. Scindia, der sich die Königsrolle zutraut, greift nach der Hand Sitâs, die ihn aber wegschiebt.


    Alim gefällt es im Indra-Himmel, der aussieht wie eine gigantische Voliere, nicht übermäßig, obwohl gegen die Belustigungen nichts einzuwenden sind. Er bittet Indra um Urlaub, weil auf Erden noch Thronstreitigkeiten zu regeln sind und er und dort seine Liebste zurückgelassen hat.


    Nun, ein kurzfristiger Urlaub wird bewilligt, mit seinem Körper aus Haut und Haaren darf er sich auf Erden wieder bemerkbar machen. Nun begegnet er dem Thronräuber, der ihn anpöbelt: “Was willst Du hier, bist Du nicht tot?“ Eine gute Frage, die des Librettisten Phantasie vor heikle Aufgaben stellt. Nun soll aber verraten sein, dass Sitâ ebenfalls den Tod in dem Moment findet, als der Urlaub auf Erden von Alim zu Ende ist. Ein Umstand, der beiden erlaubt auf einer anderen Fläche gemeinsam glücklich zu werden.-


    Venedig hat sich nun des Stoffes angenommen und man darf sagen, dass es dem Teatro hervorragend gelungen ist, das Publikum bis zum letzten Augenblick zu fesseln. Die Inszenierung ist originell und verzichtet auf alberne Verfremdungen jeder Art. Die Aufbauten auf der Bühne versetzen den Zuschauer exakt in den Rausch, der erforderlich ist, um eine bizarre fremde Welt zu erleben. Die Handlung ist dramatisch und eingetaucht in jene süßen Harmonien, die bis heute Massenets Erfolgsrezept ausmachen. Das Theatererlebnis versetzt die Seele des Zuschauers in Schwingungen.


    Die Leistungen der Sänger pendeln zwischen angemessen und hervorragend. Große bekannte Namen kommen nicht auf. Der Darsteller des Indra verfügt über das erforderlichen Volumen einer angenehmen Bassstimme, Alim befindet sich ständig in Aufregung und die Sitâ von Anna María Sánchez ist einfach pfundig. Verbleiben wir noch ein Weilchen bei den Stimmen. Die Sánches hat einen Sopran, den sie in der Höhe mühelos auf Volumen trimmt. Mit dem Tenor, der durch ein hellgefärbtes Timbre positiv absticht, muss die Primadonna sich abstimmen, damit er nicht permanent zugedeckt wird. Das klappt vorzüglich, da man aufeinander Rücksicht nimmt und sie ihn auch 'zu Wort kommen' lässt. An darstellerischer Hingabe stehen sich beide nichts nach und schwingen sich immer wieder nach oben. Dem Scinida fehlt für einen Intriganten ein wenig die Diabolik und der Hoherpriester könnte in Übereinstimmung mit seiner Erscheinung etwas mehr Schwärze in seinen Bass legen.


    Die Stimmen nach persönlichem Wohlgefallen in eine Rangliste gebracht: Alin = 1, Sitá = 2, Indra = 3, Scindia = 4, Kaled= 5, Timour = 6.


    Herausragend ist die vorzügliche Regie und Bewegungs-Therapie. Die Beleuchtung wechselt im ersten Akt von tief-dunkelblau zu hellgelb. Die Einfälle des Bühnenarchitekten sind extravagant – denn die großen Kuppeln sind zu verschieben, drehen sich und zeigen Innenleben. Der vorzüglichen Inszenierung, die sich im konservativen Bereich mit zeitgemäßem Einschlag bewegt, gebührt der erste Preis.


    Alles in allem: eine Aufführung, die Wohlgefallen auslöst, und das begeisterte Publikum zu überschwänglichen Ovationen veranlasste.


    Der Kauf der DVD kann einem breiten Publikum empfohlen werden! Sinnvolle Untertitel in deutscher Sprache erleichtern das Zurechtfinden im Text.


    Die Bonynge-Inszenierung von 1979 sollte man als Alternative nicht aus den Augen verlieren. Die Gesangsolisten der CD haben Rang und Namen, es sind: Sutherland, Tourangeau, Lima, Ghiaurov, Milnes, Morris, Tomlinson; dazu ein französisch-englisches Libretto im Karton.



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