Mainstream - Eigentlich ist ja alles schon aufgenommen - wozu Neuaufnahmen ?

  • Wozu Neuaufnahmen -


    Das mag mancher denken, denn der Backkatalog ist nahezu unüberschaubar.
    Wozu braucht man eine Aufnahme eines Beethoven-Klavierkonzerts, mit (als Beispiel) Lang Lang , wenn man es doch schon (midestens) dreimal im Kasten stehen hat, beispielsweise mit Backhaus, Brendel und Arrau? (na ja auf Kempff möchte ich auch nicht unbedingt verzichten)


    Vor dieser Problematik steht aber nicxht nur der Musikfreund, sondern vor allem die Tonträgerindustrie.


    Einerseits möchte man die alten Aufnahmen noch immer vermarkten, andrerseits neues, teureres auf den Markt werfen.
    Kommerziell richtig wäre, das Alte zu streichen, damit man einerseits keinen Vergleich mit der Vergangenheit hat, anrdreseits sich nicht selbst Konkurrenz durch ein Budgetprodukt macht, das in letzter Konsequenz vom Konsument sogar als "besser eingestuft wird, als die Neuaaufnahme...


    Streichpolitik,so effizient sie kommerziell sein mag, wird beim Kunden stets einen unangenehmen Eindruck hinterlassen, was also tun ?


    In der Vergangenheit wurden in der Tat entscheidende strategische Fehle gemacht, man hat vergesen seine einstigen Stars weiter so zu promoten, daß sie im Gedächnis der Klassikkunden . vor allem der neun und junge . präsent bleiben.


    Zugleich hat man Künstler "aufgebaut, deren Hauptvorteil ist, daß sie "sexy", sind - gut aussehen



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wie immer gut analysiert und überzeugend argumentiert. Nur Tonträgerproduzenten sollten neben allen voll verständlichen kommerziellen Interessen auch eine künstlerische Verantwortung haben, wie sie zum Beispiel die EMI unter Walter Legge hatte. Das heißt, dass die großen Produktionen der Vergangenheit nicht gestrichen, sondern erhalten und technisch verbessert immer wieder herausgebracht werden müssen. Da Kunst aber Gott sei Dank nicht statisch ist, sondern sich ständig weiter entwickelt, müssen ständig neue Künstler die Gelegenheit bekommen, ihre zeitgemäße Auffassung der Interpretation zu demonstrieren.
    Ein gutes Beispiel dafür ist der Liedgesang: Nach der Ära Schlusnus, Rehkemper Hüsch usw. kamen mit Fischer-Dieskau, Schwarzkopf, Prey usw. neue Interpreten, die den Liedgesang revolutionierten. Auch heute könnte mit Ouasthoff. Gerhaher und Co. ein neues Wendezeitalter heraufziehen.
    Genau diese Entwicklungen und Trends sollten die Tonträgerproduzenten erkennen und nutzen. das könnten Wege aus der Krise der Gesangskunst und der Stagnation der Tonträgerindustrie sein.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    In der Vergangenheit wurden in der Tat entscheidende strategische Fehle gemacht, man hat vergesen seine einstigen Stars weiter so zu promoten, daß sie im Gedächnis der Klassikkunden . vor allem der neun und junge . präsent bleiben.


    Was meinst Du jetzt: Dass Stars noch während ihres Schaffens wieder fallengelassen wurden? Oder dass man die historischen Aufnahmen nicht mehr so vermarktet?


    Man kann ja nicht alles groß vermarkten. Dass man im Zweifelsfall die aktuellen Künstler groß herausbringt, ist sicher kein "strategischer Fehler".
    :beatnik:

  • Zitat

    Was meinst Du jetzt: Dass Stars noch während ihres Schaffens wieder fallengelassen wurden? Oder dass man die historischen Aufnahmen nicht mehr so vermarktet?


    Beides snd Fehler.


    Ich meinte zwar zweiteres - finde aber Punkt eins durchaus interessant und diskussierenswert.


    Und mit dem möchte ich folglich beginnen.
    Egal wie sich die finanzielle Situation darstell, sollte man BEVOR man ein Projekt beginnt immer im Hinterkopf haben, daß es gegebenen falls ein totaler Flop wird - den man aber in der Lage sein sollte zu verkrqften.
    KANN man das nicht, dann hat man in der Vergangenheit schlecht geirtschaftet -selber schuld. Fehlschläge finanzielle Natur müssen eben einkalkuliert werden. Das "Fallenlassen" eines Künstlers mit dem man einen Vertrag hat ist ein ganz schreckliches Signal. Und zwar in jede Richtung,


    Der konkurrenz zeige ich, da´ß meine Mittel zu Ende gehen,
    Dem Publikum zeiger ich meine kaufmännische unbarmherzige Seite
    Den Künstlerkollegen halte ich vor Augen wie es ihnen ergehen könnte, enn sie mal die in sie gesetzten Hoffnungen nicht erfüllen.


    Lasst ein Konzern - ich nenne keine Namen - regelmäßig Künstler fallen - so darf er sich nicht wundern, wenn er in Hinkunft keine mehr bekommt.


    Nun komme ich aber zum Punkt mit den "historischen" Aufnahmen und deren Vermarktung. Hier muß man in Zukunft über dei Bedeutung "historisch" nachdenken - und den Begriff vielleicht im Bedarsfalle neu definieren. BISHER war es ja so, daß sich "historische" Aufnahmen auch durch ein "historisches " Klangbild, mit eingeschräntkem Frequenzgang, geringer Dynamik, fehelendem Stereo und hohem Grundgeräuschpegel ausgezeichnet haben.


    Wir haben aber heute bereit aufnahmen in den Archiven, deren Protagonisten seit einigen Jahrzehnten nichtr mehr unter den Lebenden weilen, die aber - abgesehen von geringem Grundrauschpegel - und manchmal nicht mal dem - von heutigen , aktuellen Aufnahmen nicht mehr unterscheiden. Soll heissen der Gebrauchswert entspricht in etwas dem einer heut gemachten Aufnahme - Spontan fallen mir da die Namen Karajan, Giuilini und Sinopoli ein. Aber selbsr Brendel, der ja glücklicerweise noch lebt - aber nicht mehr aufnimmt oder konzertiert - muß in gewisser Weise schon als "historisch" bezeichnet werden.


    Was ich nun mit solchen Aufnahmen mache, das ist eine Frage der Firmenphilosophie und der eingeschlagenen Strategie


    a) Ich belasse die Aufnahme im Katalog und preise sie als "Jahrhuntereinspielung" oder "Goldenes Zeitalter"
    Wichtig ist, daß der Interpret auch der folgenden Generation als
    "unverzichtbarer Künstler" imm wieder vor Augen geführt wird.
    DGG macht das mit HVK in geradezu vorbildlicher Weise....


    Da muß ich nicht mal in den Midprice Bereich - RCA und CBS sind jahrzehntelang auf dieser Schiene gefahren - und haben folgerichtig auch kaum Neuaufnahmen gemacht - es sei denn, ein "Jahrhundertereignis" findet statt, wie beispielsweise das "Golden Jubilee Concert 1975" wo Horowitz anlässlich seines 50 Jährigen Debüts in den USA (das Konzert 1925 war ein Desaster, weil sich Dirigent und Pianist nicht auf ein gemeinsames Tempo einigen konnte - aber über sowas redet man nicht) Rachmaninovs Klavierkonzert Nr 2 einspielte. Prompt wurde ein "Staatsakt" daraus gemacht - und die Leute standen Schlange.....


    b) Ich lasse die Aufnahme in der Versenkung verschwinden, streiche sie aus dem Katalog, vergesse abe nie, die PR dafür zumindest leise köchlen zu lassen. Damit erreiche ich Legendenbildung, was dazu führt, daß ich, wenn ich die beinahe verschimmelten Bänder in 25 Jahren aus dem Archiv hole, restaurieren und remastern lasse, die Einspielung teurer verkaufen kann - als je zu vor.....



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Andy Warhol meinte 1968: "In the future everyone will be world-famous for 15 minutes". Das ist natürlich überspitzt, aber es ist und war ganz normal, dass man kurzfristig berühmt ist und wieder aus der Mode kommt, Vivaldi ist es doch auch so gegangen, oder?


    Es wäre für eine CD-Firma sicher tödlich, würde sie eisern bei einmal gekürten Stars bleiben, 20 Jahre später würde das, was Alfred propagiert, wohl eher lächerlich wirken. Deshalb halte ich es im Gegensatz dazu sogar für sinnvoll, erst gar keine "Jahrhunderteinspielungen" anzupreisen, naxos und cpo fahren ja auch gut mit ihrer Strategie, Seriosität statt "Legendenbildung" zu betreiben.


    Wenn wir mal die Sängerinnen und Sänger beiseite lassen, welche PR-Flagschiffe haben wir denn? Selbst Rattle und Thielemann kommen mir nicht so besonders weihrauchbenebelt vor, und das gefällt mir gut so.

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  • Ich sehe nicht, wo man vergessen hat, einstige Stars zu promoten, sondern eher umgekehrt, dass dies sogar ad nauseam (und eher zu Lasten anderer Verblichener als junger Künstler) mit zB Karajan oder Glenn Gould geschieht.


    Es ist ja auch nicht so, dass keine Neuaufnahmen gemacht würden. Seit den 1980ern und 1990ern wird alles nochmal in "HIP" gemacht. Ungeachtet dessen, sind zB drei oder vier Zyklen der Beethovensinfonien im Erscheinen (oder vor kurzem erschienen), die nicht-HIP, wenngleich davon beeinflusst sind (Järvi, Vänskä, Pletnev und noch einer, Dausgaard?). Ebenso bei den Klavierkonzerten (Pletnev, Mustonen, Berezovsky, Fellner ???)


    Ich habe in letzter Zeit keine große Lust mehr auf die Klavierkonzerte, vielleicht habe ich da etwas verpaßt. Aber meines Wissens gibt es noch immer keine Aufnahme dieser Werke, die so "radikal" vorgeht, wie Scherchen und Leibowitz es bei den Sinfonien schon vor fast 50 Jahren getan haben. (Am nächsten kommt m.E. Gould in den ersten beiden Konzerten. Wer eine Aufnahme des 5. kennt, die so ähnlich dargeboten wird, wie Gould/Golschmann im 1. rangehen, sage mir bitte Bescheid!)
    Abgesehen davon, dass es anscheinend nicht so wenige Hörer gibt, die entweder an der neuesten SACD-Technik oder eben an Sichtweisen jüngerer Künstler Interesse haben, muss man nicht lange suchen, um selbst im Mainstream noch Desiderata zu finden.


    Es gibt z.B. nur eine HIPpe GA der Klaviertrios von Beethoven, die aber teils vergriffen ist (Castle Trio); die vermutlich überzeugendste HIP-Aufnahme der Klaviersonaten ist gerade erst im Erscheinen (Brautigam). Von den Streichquartetten gibt es bisher nur einzelne Werke in HIP, hauptsächlich op.18.
    Ein paar andere Werke, wo m.E gleich ob HIP oder nicht, noch kein Überangebot besteht bzw. kaum eine der vorliegenden Aufnahmen wirklich rundherum zufriedenstellend ist:


    etliche Händel-Opern und Oratorien
    Haydn: Späte Messen, etliche Sinfonien
    Beethoven: Messe C-Dur


    sicher noch mehr, nur kenne ich mich z.B. bei Schumanns Chorwerken nicht aus.


    Musikstücke werden in der Aufführung wirklich, Tonträger sind eine späte und eigentlich wesensfremde Errungenschaft. Ich glaube, dass nicht wenige Hörer immer neue Einspielungen nicht auf der illusorischen Suche nach der "besten" Interpretation anhören, sondern ebenso wie sich altbekannte Werke immer wieder neu im Konzert anhören (oder als Ersatz für Konzerte, je nachdem wo man wohnt usw.)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Bei den "alten" Aufnahmen fallen keine Produktionskosten an, außer, man bezahlt den einen oder gleich mehrere NERDS für ihre digitalen Kunststückchen.
    Deshalb glaube ich, das in der Krise und in der Zeit der noch immer währenden Klangverbesserungen alter Aufnahmen Neues schwer zu platzieren ist.


    Doch das wird ein Ende haben.


    Und dann werden Neuaufnahmen, allein schon wegen der Bekanntheit der Künstler sich wieder durchsetzen, doch wird das im Internet oder wie es dann heißen mag, geschehen und wer die Kohle dann kassieren wird?...Who knows!
    Hoffen wir,.. die Künstler.


    Gruß

  • Zitat

    naxos und cpo fahren ja auch gut mit ihrer Strategie, Seriosität statt "Legendenbildung" zu betreiben.


    Sooo kann man das nicht sagen


    cpo war von Anfang an als "Nischenlabel" angedacht, daß die "Nische" inzwischen sehr breit geworden ist - das sit eine andere Sache.
    Aber prinzipiell war das Rezept in etwa so zu verstehen, daß man sich vergessenen Komponisten vergangener Jahrhunderte widmete und ebens die Moderne, die sonst niemand aufnahmen wollte, betreute.
    Der Mainstream, dort wo "Stars" im Mittelpunkt stehen - wurde nie beackert. Das mag zwar durchaus ein erfolgversprechendes Rezept sein , aber man kann es nicht als Anregung gelten lassen, denn der Mainstrem ist nun mal das Herz der Klassik....


    Naxos hingegen setzte von Anfang an auf Low-Price-Politik. Klaus heymann hat einmal (sinngemäß) in einem Interview gesagt, er glaube persönlich nicht an "unwiederholbare Jahrhunderteinspielungen..."


    Als Brilliant Classics plötzlich als Konkurrent dastand, da mag er seine Preispolitik vielleicht kurzfristig in Zweifel gezogen haben ?....


    Die Deutsche Grammophon hiingegen hat mit ihrer Legendenpolitik jahrzehntelang erfolgreich operiert, grosse Stars - viele Jahre exklusiv im Programm zu halten..




    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das ist schon richtig, cpo nimmt eben das auf, was sonst kaum aufgenommen wird, macht da aber im Gegensatz zu Deiner Formulierung keine Unterschiede zwischen Moderne und früheren Epochen, d.h. auch in der Moderne werden tendenziell die vernachlässigten Stücke/Komponisten eingespielt (dass Schönbergs weniger berühmte Oper "Erwartung" bei cpo erschienen ist, ist insofern kein Zufall, ebenso, dass die "Jahrhundertoper" Moses und Aron nicht bei cpo erscheint).


    Und wenn der naxos-Chef sagt, er glaube nicht an Jahrhunderteinspielungen, so finde ich das ja durchaus seriös.
    :D


    Abgesehen von naxos und cpo möchte ich noch auf die Dirigenten verweisen, die ihr eigenes Label gegründet haben (Gardiner, Savall) und auch ohne "Legendenbildung" auskommen, und das obwohl Gardiner nur Mainstream-Repertoire einspielt (Bach, Brahms) und keine vernachlässigten Komponisten (was Savall recht viel macht).


    Mir ist inzwischen doch noch ein Dirigent eingefallen, bei dem ich den Eindruck habe, er wird vergleichbar mit Karajan mit dem Hauch des genialisch-Unberührbaren vernebelt: Harnoncourt.

  • Wir müsssen uns - um alles verstehen zu können- immer mit den Wurzeln eines Labels befassen, bzw mit der Motivation, mit der es gegründet wurde.
    So sagte der cpo Günder vor mehr als einem Jahrzehnt in einem Interview, man nehme (damals!!) ausschließlich Werke auf, die ihm ein persönliches Anliegen seien. Natürlich war das eine PR-Aussage, aber ein Stück Hintergrund wird schon da sein.


    Ich hatte den Eindruck, daß hier jemand modernes Programm machen wollte, und dieses mit unbekannten Komponisten der Vergangenheit finanziell "absicherte"


    Man kann mich nun fragen, warum ist das annehme, es könnte doch genau umgekehrt sein. Nun -die Cover der ersten Generation ware mit meiner Meinung nach scheusslichen modernen Motiven ausgestattet, die mich anfangs sogar vom Kauf abschreckten, Später hat man das Problem offenbar erkannt und hier den Stil gewechselt.


    Zitat

    Mir ist inzwischen doch noch ein Dirigent eingefallen, bei dem ich den Eindruck habe, er wird vergleichbar mit Karajan mit dem Hauch des genialisch-Unberührbaren vernebelt: Harnoncourt.


    Solche Dirigenten sind absoltu nottwendig, das Publikum verlangt sie, jene Unfehlbare, die immer wissen was zu geschehen hat....


    Und wenn es zeitgleich MEHRERE socher Giganten gibt - dann wirds erst kustig- Man kauft ALLE diese Aufnahmen und nimmt an der "grossen Welt" teil....


    Gardiner und Konsorten waren berühmt - aber vermutlich zu teuer, deshalb wurden sie von ihren Labels fallengelassen - Die Selbstvermarktung war hier nur logische Konsequenz....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich hatte den Eindruck, daß hier jemand modernes Programm machen wollte, und dieses mit unbekannten Komponisten der Vergangenheit finanziell "absicherte"


    Auf die Idee wäre ich bei cpo nie gekommen. Labels, die modernes Programm machen wollen, sehen anders aus (wergo, kairos, col legno, neos) - ich meine nicht nur die Cover-Bildchen.
    ;)


    Zitat

    Solche Dirigenten sind absoltu nottwendig, das Publikum verlangt sie, jene Unfehlbare, die immer wissen was zu geschehen hat....


    Mag sein, leider.
    :hello:

  • Es ist ein wenig verkürzt, auf den jahrelangen Erfolg nicht nur der DGG, sondern auch der anderen Majors hinzuweisen, als ob das an einer besonderen und überlegenen Strategie und nicht an anderen Zeiten gelegen hätte.


    Die Majors hatten in den 1960er bis weit in die 1970er Jahre einen expandierenden Markt, allein aufgrund der recht rapiden Wohlstandszuwächse weiter Teile der Bevölkerung. Und sie kalkulierten, etwa bei einer Opernaufnahme mit 7 Jahren oder so bis zum Erreichen der Gewinnzone der ursprünglichen Investition. Selbst damals konnte man mit Klassik zwar gut Geld, aber eben nicht das ganz schnelle Geld verdienen. (Darin dürfte der hauptsächliche Fehler in den letzten 10-20 Jahren gelegen haben, dass man plötzlich meinte, statt in 7 in 1-2 Jahren nicht nur die Kosten hereingespielt, sondern sogar Gewinne erzielen zu können).


    Schon in den 1970ern begann man aber mit massiver Zweitverwertung in preiswerteren Boxen und Reihen und versuchte mit "Quadro" u.a. technischen Neuerungen, in einem zunehmend gesättigten Markt, Boden gut zu machen. Abgesehen davon war der Markt, was geringfügig abseitigeres Repertoire betrifft, noch lange nicht so gesättigt wie heute.
    (Mein Zeitzeuge hierfür ist Schreibers Plattenführer von 1979. Man schaue mal dort unter Händel und Haydn, aber auch Bach, Mahler, Schostakowitsch, von Abseitigem gar nicht anzufangen, um den Unterschied zu 30 Jahren später zu sehen.)
    Das Alte Werk oder die Archiv Produktion legten noch bis in die 1980er nicht wenige Ersteinspielungen vor (oder jedenfalls Werke, die bisher kaum oder nicht in dieser Qualität eingespielt worden waren). Überdies dürfte das auch wesentlich billiger gewesen sein, da kleinere Besetzungen und jüngere, weniger berühmte Künstler.


    Ungeachtet aller dieser Faktoren habe ich mehrfach gelesen, dass die CD-Einführung Anfang der 1980er als Rettung einer damals schon kriselnden Industrie gesehen wurde. Dummerweise hat man dann wohl einerseits im Boom (von dem klar war, dass er nicht ewig währen konnte), Gagen, Honorare usw. explodieren lassen und obendrein eine Fülle von zB teuer produzierten Mainstreamaufnahmen (besonders Opern) auf den Markt geworfen, die niemals die Produktionskosten eingespielt haben (schon gar nicht in der erwarteten kurzen Zeit).


    Schließlich muss man wohl auch sagen, dass die "Legenden" ja nicht bloß von den Plattenfirmen gemacht wurden. Die allermeisten Künstler, die vor ca. 1925 geboren wurden, hatten ihren Ruf schon vorher, spätestens in den 1950ern errungen und die Plattenfirmen konnten davon einfach profitieren. Dass wir diesbezüglich in einer komplett medialisierten Welt wieder eine andere Situation haben als vor 50 Jahren, muss man wohl kaum betonen.


    :hello:


    JR

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    I knew the night had gone.
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    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Der Vergleich Karajan - Harnoncourt hinkt fast überall. HvK hat innerhalb von weniger als 30 Jahren (ca. 1960 - 1989) Werke des Standardrepertoires 2-4mal eingespielt, dazwischen einige wenige abseitigere Dinge (2. Wiener Schule, je eine Platte Honegger, Nielsen und Schostakowitsch).
    Harnoncourt hat in einem inzwischen längeren Zeitraum vielleicht ein gutes Dutzend Werke zweimal aufgenommen (Messiah, Bachs große Chorwerke, Haydns Oratorien, Mozarts Requiem, Brandenburgische Konzerte und ein paar Mozart-Sinfonien). Wenn Karajan um 1980 mal Schumanns "Genoveva" oder "Das Buch mit 7 Siegeln" eingespielt hätte, anstatt Sinfonien von Beethoven und Brahms nochmal digital, das wäre mal was gewesen.


    :hello:


    JR

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  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Ich habe ja nicht die zwei Dirigenten verglichen, sondern die Ausstrahlung, die das Bild hat, das von ihnen vermittelt wird.


    Meinetwegen, das scheint mir aber auch unterschiedlich.
    Ich halte aber schon den Unterschied der extremen Fokussierung auf einen Dirigenten, bei gleichbleibendem Repertoire, das nicht nur zweimal, sondern teils bis zu viermal und davon dreimal bei derselben Firma, wie im Extremfall der Sinfonien von Beethoven und Brahms bei Karajan/DG zu einer doch deutlich repertoiregeleiteten Diskographie bei Harnoncourt für relevant.


    :hello:


    JR

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  • Der Vergleich ist ja nur insofern zulässig - und so war er vermutlich auch gedacht - daß beinden ein gewisser "Unfehlbarkeitsanspruch"§ nachgesagt wurde, wobei gesagt werden muiß, daß zumindest Karajan den nie für sich reklamiert hat, ihn sehr wohl aber genossen hat, als er ihm angedichtet wurde.


    Harnouncourt ist heute der prägendste österreichische Dirigent, aber so etwas wie Karajan gibt es leider dereit nicht . und wenn ich leider sage´, dann wird man hier im Forum vermutlich zumindest innerlich widersprechen, die Herren der DGG werden vermutlich jedoch melancholisch lächlnd zustimmend nicken.


    Wer hätte denn das Zeug zu solch einer Leitfigur ?


    In erster Linie natürlich Thielemann . aber sein Repertoire ist zu spezifisch.


    Dann auch Norrington, aber eigentlich ist er gescheitert, er müsste ber DGG oder DECCA sein, um via PR zu einer Legende zu werden.


    Ansonst könnte ich keinen derzeit lebenden Dirigenten nominieren der auch nur in die Nähe von Karajan und Harnoncourt kommt..


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat Johannes:
    "Der Vergleich Karajan - Harnoncourt hinkt fast überall. HvK hat innerhalb von weniger als 30 Jahren (ca. 1960 - 1989) Werke des Standardrepertoires 2-4mal eingespielt, dazwischen einige wenige abseitigere Dinge (2. Wiener Schule, je eine Platte Honegger, Nielsen und Schostakowitsch).
    Harnoncourt hat in einem inzwischen längeren Zeitraum vielleicht ein gutes Dutzend Werke zweimal aufgenommen (Messiah, Bachs große Chorwerke, Haydns Oratorien, Mozarts Requiem, Brandenburgische Konzerte und ein paar Mozart-Sinfonien). Wenn Karajan um 1980 mal Schumanns "Genoveva" oder "Das Buch mit 7 Siegeln" eingespielt hätte, anstatt Sinfonien von Beethoven und Brahms nochmal digital, das wäre mal was gewesen".


    Hier möchte ich Johannes uneingeschränkt zustimmen und noch eines draufsetzen:


    Ich kenne kaum einen anderen Dirigenten als HvK, bei dem Quantität und Qualität so weit auseinander laufen. Natürlich hängt das mit der großen Masse zusammen, wovon ein Großteil überflüssig war und seinen Ruf zumindest angekratzt hat. Wenn man nur das "Beste" von ihm hat, ist das immer noch eine gewaltige Masse, die kaum ein anderer auf Tonträger gebannt hat.


    Gruß aus Burgdorf


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Zitat


    Original von Alfred Schmidt
    Wer hätte denn das Zeug zu solch einer Leitfigur ? In erster Linie natürlich Thielemann . aber sein Repertoire ist zu spezifisch.


    Noch, aber er ist ja noch nicht so alt, dass er es nicht auch erweitern könnte.
    Ich hoffe jedenfalls, dass er sich Stück für Stück aber ohne Hast das Hauptrepertoire erarbeitet.
    Durch einen netten Kollegen aus dem Forum habe ich schon in seine Beethovensymphonien hineinhören können.
    Das Spektakuläre war für mich, das es erfreulich unspektakulär klang, die Musik aber trotzdem oder gerade deswegen ordentlich und gut aufgeführt wurde - sowohl handwerklich, als auch im Hinblick auf das "eingehauchte Leben".


    Zitat


    Original von Alfred Schmidt
    Dann auch Norrington, aber eigentlich ist er gescheitert,


    ...ja, mit seiner eintönigen Klangästhetik wundert es mich, dass er überhaupt so bekannt wurde :rolleyes:


    Zitat

    ...er müsste ber DGG oder DECCA sein, um via PR zu einer Legende zu werden.


    Fast fürchte ich, dass Du damit recht hast.
    Ob die heutige PR-Maschine das tatsächlich einfach so hinbekäme? Wenn der Status "Legende" heute hauptsächlich von der Plattenfirma abhinge, dann wäre das schon etwas traurig.
    Früher war das aus meiner Sicht nämlich nicht der entscheidende Faktor, wenngleich die Werbung natürlich auch eine gewisse Rolle spielte.


    Denn zum Glück haben Dirigenten wie Furtwängler, Harnoncourt, Bernstein, Wand, Böhm, usw. ....nicht in erster Linie aufgrund irgendeiner Image-PR ihrer Plattenfirma, sondern aufgrund vieler zurecht als legendär geltenden Interpretationen, und aufgrund eines echten, ur-musikalischen, seriösen und individuellen Künstlertums ihren "legendären" Status im Bewusstsein der Klassikfreunde erlangt.
    Und Wand ist war ja "nur" bei RCA, Harnoncourt war früher bei TELDEC und nahm in den letzten Jahren für Harmonia-Mundi auf.


    Bernward Gerlach:


    Man kann m.E. aber doch über einige der von Herbert von Karajan nochmals digital eingespielten Beethoven- und Brahms-Aufnahmen durchaus froh sein, und dass nicht nur aus klangtechnischen Gründen.


    Es gibt da Einiges, dass ich nicht missen möchte, ja, dass ich für ganz hervorragend halte.
    Man muss da eben sehr differenzieren:
    Diese letzten digitalen Aufnahmen sind eben nicht durchgängig "überflüssige remakes" (was sich ja immer so schön leicht mit einer gewissen Geste z.B. in einer Amazon-Kundenrezensionen behauptet) sondern manchmal auch ein beeindruckendes, künstlerisches Vermächtnis.
    Bei der letzten "Neunten" von Beethoven etwa kommen so schwer zu vereinbarende Dinge wie auf der einen Seite Energie, hingebungsvolle Leidenschaft und auf der anderen Seite strahlende Perfektion im Orchesterspiel der Berliner Philharmoniker auf eine glückliche Art und Weise zusammen.


    So entstehen für mich Legenden - es muss schon eine ganze Menge "dahinter sein", damit Aufnahmen langfristig als "legendär" und unverzichtbar angesehen werden.


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Wenn der Status "Legende" heute hauptsächlich von der Plattenfirma abhinge, dann wäre das schon etwas traurig.


    Ich würde trotzdem sagen, daß das im Kern als Aussage richtig ist. man nenne mir einen "Superstar" der Klassikszene der NICHT bei einem MAJOR Label aufgenommen hat.


    RCA, (Immerhin steht das C in der Mitte für "COLUMBIA" und jenes für CBS ditto, TELDEC war eine Gründung von TELEFUNKEN und DECCA.


    Harnoncourt nahm eben für TELDEC auf - durch Harmonia mundi - ein hervorragendes LAbel übrigens - wäre er NIE so berühmt geworden, wie er heute ist.


    Wenn ich die Situation richtig einschätze, haben in der Vergangenheit Künstelr für mehr oder weniger große Label aufgenommen, bis sie für DGG interessant erschienen. Dann wurden sie "eingekauft", man machte einen Exklusivvertrag mit ihnen - und sie wurden mittels PR NOCH berühmter eals sie bis dato ohnedies schon waren.


    Mir fallen hier spontan Karajan (kam von EMI), Bernstein, Boulev (beide von CBS) und Horowitz (von RCA) ein.


    zu Norrington


    Zitat

    ja, mit seiner eintönigen Klangästhetik wundert es mich, dass er überhaupt so bekannt wurde


    Gerade deshalb. Es ist gegen den Strom geschwommen und wurde ursprünglich durch EMI promotet....
    Er hat Aufmerksamkeit erregt - und er hat den Wechsel von EMI zu Hänssler unbeschadet überstanden....


    ZUr PR bei Künstlern allgemein:


    Auch wenn dies vielleicht aus der Mode gekommen ist, bzw verdrängt wurde, so ist Werbung bzw PR nicht notwendigerweise dazu da, einen unfähigen oder mittelmäßigen Interpreten, eine unbrauchbare Ware anzubieten, sondern das kann auch mit durchaus hochkarätigen Waren, bzw Künstlern geschehen. Soll heissen, es ist sicher kein Fehler einen hervorragenden Dirgenten mittels PR der Zielgruppe der Käufer immer wieder ins Gedächtnis zu rufen....


    ZU Thielemann:


    Sicher sollte er , und wird er auch sein Repertoire erweitern, und er wird es sicher mit Bedacht tun. Denn es ist besser ein Spezialist mit erwiterten Randgebieten zu sein, als ein "Universaldirigent".- Zumindest ist das meine Meinung. (Er liest hier mit, das weiß ich definitiv, vielleicht lässt er uns zu desem Thema eine kurze Nachricht zukommen ?)


    Aber vielleicht ist seine Meinungsbildung zu diesem Punkt noch nicht abgeschlossen...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !