Musik- oder Inszenierungskritik

  • Um es noch einmal Aufzugreifen, das leidige Thema der Krise in der Gesangskunst, die wir nicht erst seit Frida Leider haben, welche keine Isolden Stimme besaß, oder seit Birgit Nilsson, deren Stimme für Studiozwecke zu durchdringend war. Herr Brug hat es letztens in der Welt " Opernschwindel" auf den Punkt gebracht. Die Krise liegt hier auch noch an einer anderen ganz entscheidenden Stelle . Nicht die Gesangskunst als solche steckt nämlich hier in der Krise, denn seinen wir doch einmal ganz ehrlich, wann haben sie denn zum letzten mal in der Tagespresse bei einer Opernkritik etwas über Gesangskunst lesen können. Ausführlich wurde doch immer nur etwas über die Inszenierung geschrieben und im letzten Zweizeiler, ja wer hätte es gedacht, während dieser Opernaufführung wurde auch gesungen. Wie ? Ganz nett, Höhensicher, etwas gequetscht, Rollendeckend, aber was heißt das? Ganz ehrlich, das hätte ihnen doch ihre 90 jährige Großmutter ebenso erzählen können, so wie auch ihr 11 jähriger Neffe. Und hier liegt er meiner Meinung nach begraben, der oft herbei zitierte Dorfköter. Wir haben es hier ganz offensichtlich mit Inszenierungsfachleuten zu tun bekommen, die den eigentlichen Musikfachkritiker abgelöst haben. Es scheint heute einfacher zu sein sich mit Inszenierungen auseinander zu setzen, als sich mit Gesangskunst und Gesangsinterpretation. Wir können uns heute zum Beispiel ein sehr genaues Bild darüber machen wie Frau Schröder-Devrient oder Jenny Lind geklungen haben müssen, da wir die Kritiken von Zeitzeugen und Opernkritikern haben, die sich detailliert mit ihrem gesanglichen und darstellerischen Wirken auf der Bühne auseinandergesetzt haben. Das bleibt vielen heutigen Sängern erspart. Der Primadonnenkult um Sänger und Dirigenten ist zu mindest in der Opernkritik dem der Regisseure gewichen. Und somit können unsere Nachfahren in 100 Jahren zwar noch sehr genau Nachlesen wie auf den Bühnen Inszeniert worden ist, nicht aber wie tatsächlich gesungen wurde, das geht aus den Kritiken kaum hervor. Aber dafür haben wir ja heute Gott sei es gedankt die Livemitschnitte, diese werden im Gegenzuge aber dafür dann von unseren Fachleuten der Fachpresse totgeschwiegen.


    Sven Godenrath

  • Lieber Sven,


    Das von Dir beschriebene Phänomen ist vielschichtig, ein komplexes System sozusagen. Vor hundert Jahren gab es eiinge anerkanne Kritiker, die vermutlich in der Beurteilung von Stimmen und Stimmtechnik geschult waren. In einer Kritik wurde dann das Gehörte für den Durchschnittshörer aufbereitet. Der hatte in der Egel das Beschriebene gar nicht gehört und musste hinnehmen was da stand.
    Es war auch in der Regel die einzige Möglichkeit eine Gesangsleistung der Nachwelt (auch der am Folgetag) mitzuteilen.
    Heute schaut die Sache doch ein wenig anders aus. Venige Kritiker getrauen sich Urteile über Stimmen oder gesangliche Leistungen zu fällen, zu groß ist das Heer der Amateurkenner oder vermeintlichen Kenner. Zudem kann man - bei Bedarf - etliches nachprüfen - und auch wiederlegen. Dazu ist eine gewisse Subjektivität gekommen, die das Verletzen von hergebrachten Regeln erlaubt, ja gelegentlich sogar bejubelt. Die Kritiker sind sich immer öfter uneins, was deren Reputation auch nicht grade verbessert.
    In 100 Jahren wird man selbstverständlich noch etwas über heutige Gesangskunst wisen. Wohl nicht durch Gesangskritiken sonder an Hand von Tonaufnahmen....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !