Stuttgart PARSIFAL

  • Staatsoper Stuttgart, 28.03.2010


    Premiere PARSIFAL



    Ein Stück von Calixto Bieito mit der Musik von Richard Wagner.



    Musikalisch meiner Meinung nach eine hervorragende Premiere. Die Titelpartie singt
    Andrew Richards und er meistert diesen Parsifal sehr gut. Auf gleichem, sehr hohen Niveau
    Gregg Baker (Amfortas), Stephen Milling (Gurnemanz), Matthias Hölle (Titurel). Sein Timbre mochte ich nicht so sehr, daher an dieser Stelle Claudio Otelli als Klingsor und
    in Spitzentönen manchmal leider etwas schrill: Christiane Iven als Kundry.


    Die Inszenierung spielt in einer zukünftigen Zeit, die Welt bzw. was davon noch existiert, in diesem Fall eine zerstörte Brücke, lebt nach der Katastrophe. Hier hat sich eine Gruppe Gralsritter zusammen getan. Soweit ist das ja dann auch ganz passend. Wenn denn da nun nicht eine Gruppe „Engel“-Kinder ins Spiel treten würden, deren eines von Gurnemanz bis auf die Unterhose entkleidet (ist der Skandal der katholischen Kirche hier ganz aktuell verarbeitet?) und zu Tode geprügelt. Selbiges Opfer ist nun zugleich der von Parsifal laut Libretto erlegte Schwan, den er Gurnmanz entreißt. Spätestens an dieser Stelle ziehe ich das Programmheft zu Rate und lese hier, das der Engel-Schwan das Liebesmahl des Grals ist.


    Klingsors Zaubergarten ist dann auch mehr die gleiche Einöde wie im 1. Aufzug und die Blumenmädchen gleichen eher in Plastik verpackten Zombies, als verführerischen Wesen. Warum Klingsor bei seiner Beschwörung Kundrys mit dieser eindeutige Koitus-Bewegungen darstellt bleibt mir auch mit dem oben genannten Programmheft verborgen. Aber zumindest im Duett Kundry-Parsifal darf Parsifal auf einem Plastikbagger fahren und die Erinnerung an seine Mutter bedeutet hier auch, das Kundry ihm die Brust gibt. Alleine schon aus dieser Konstellation macht es beinah schon Sinn, dass sich Kundry nach der Zerstörung des Zauberreiches die Zunge abschneidet.


    Gurnemanz ist in der vergangenen Zeit, ja wir sind schon im 3. Aufzug, erblindet und Kundry hochschwanger. Ich bin mir sicher, dass ich dieses so nicht bei Wagner gelesen habe, aber wie im Titel schon angedeutet, schrieb der für Stuttgart ja nur die Musik… Der Karfreitagszauber mutiert in diesem Parsifal zu einer Ankleideaktion für Parsifal als Herz-Jesu-Figur, die Heilige Quelle, deren Wasser sehr freigiebig über alle drei Darsteller verteilt wird, stammt hier aus einem bekannten Discounter und auch mit Weihrauch wird nicht gespart – das Theater wird zur Kirche. Zum Liebsmahl für das letzte Bild wird der greise Titurel in der Wanne seines Sohnes Amfortas erschlagen. Die Erlösung erfolgt natürlich auch hier durch Parsifal, der beide, Titurel und Amfortas zum Leben erweckt und sich selbst opfert. Zurück bleibt eine immer noch hochschwangere Kundry, die sich an Dosenfutter versucht.


    In dieser Spielzeit gibt es noch 4 Aufführungen in Stuttgart. Während des Heimwegs musste ich an eine Kupfer-Inszenierung an der Berliner Lindenoper in den 1980iger Jahren denken und feststellen: ich bin ein Staubi, ich will keine Regietheater sehen…

  • Ja, so was hatte ich befürchtet. Wenn ich mir den Bieito ansehen oder auch durchlese, dann habe ich auch oft das Gefühl. dass ich lieber ein Staubi bin....
    Bin ja mal gespannt, was noch für Kritiken kommen.

  • Nein, lieber Peter Fiedler, Du bist kein Staubi sondern - nachdem was Du schilderst - ein Realist - und ein Retter. Retter deshalb, weil wir vor- hatten den neuen Stuttgarter" Parsifal" zu besuchen. Nach den grauenvollen Schilderungen von Dir werden wir unseren Kulturetat sinnvoller verwenden, als ihn mit dem Besuch einer solchen Regieuntat zu vergeuden.
    Ich wundere mich allerdings immer warum wir Traditionalisten oder besser gesagt Realisten uns selbst in die Ecke der "Staubis" stellen und fast entschuldigend argumentieren, wenn wir einen bestimmten, das Werk nicht verhunzenden Regiestil einfordern. Die Anhänger des falsch verstandenen Regietheaters argumentieren m. E. aggressiver und haben keine Hemmungen, denen die einen anderen Standpunkt einnehmen, Rückständigkeit, Rigidität, konservative Provinzialität bis hin zu bestimmten politischen Grundhaltungen zu unterstellen.
    Gott sei Dank wird in verschiedenen Threads bei Tamino offen und fair
    über die Problematik von zeitgemäßen Interpretationen diskutiert.
    Auf jeden Fall, lieber Peter, hast du heute meinen Gallenfluß in Wallung gebracht.
    Herzlich
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Das klingt wirklich schrecklich. Angeblich komm der Bieito nächstes Jahr auch für Fidelio nach München. Mir graut es jetzt schon...
    Was mich interessieren würde ist, wie so ein "Regisseur", der nicht nur die Werkvorlage grob missachtet, sondern seine Aufführungen regelmässig mit brutalsten Gewaltszenen sowie Tätigkeiten anreichert, die im täglichen Leben normalerweiese eine Strafanzeige wegen "Erregung öffenlichen Ärgernisses" nach sich ziehen könnten, einen derart grossen Erfolg beim Feuilleton hat.
    Ich kann das einfach nicht verstehen. Das ist für mich einfach so etwas wie "verkehrte Welt"... :kotz:

  • Hallo,
    ich habe gestern Abend eine erste Kritik aud D-Radio-Kultur gehört und der unvermeidliche Herr Doppler sagte, dass die Inszenierung Wagners Musik zu "Filmmusik" degradiere,,,schöne, sehr gut gespielte, aber eben die visuellen Erlebnisse nur unterstützende Musik. Das ist wohl beabsichtigt, hat aber mit Operninszenierung nichts zui tun. Die Sänger seien durchaus "gut" gewesen, sie seien wohl alle typgemäß "gecastet" worden. Das sagt doch alles!
    Das Primat des Visuellen in unseren Medien macht vor der Oper nicht Halt....und damit meine ich keineswegs, dass ich "Rampensänger" mit Nulleradius bevorzuge....die intelligente, dem Werk angemessene, es respektierende und interpretierende Regie ist es, die mir vorschwebt...Selbstbespiegelung und eitle Mätzchen interessieren mich nicht.


    Lg
    Fides :hello:

    La vita è bella!

  • Ach du meine Güte. :no:


    Eine Schande für die Oper. Nicht mal vor dem "Parsifal" hat man noch die notwendige Achtung.


    Sowas gehört sich sofort abgesetzt.


    Wieso geben sich Orchester und Sänger für so etwas her? Würde öfter mal ein entschiedenes Nein erfolgen, würden dem Entartungs-Theater seine Grenzen aufgezeigt. Wäre ich Dirigent oder Sänger, würde ich bei so einer Verunstaltung nicht dirigieren bzw. singen und das Ganze durch die Presse auch vollmundig publizieren lassen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Entartungs-Theater?


    Bei diesem Begriff wäre ich wirklich vorsichtig. Ich bin bestürzt, daß Sie in diesem Forum einen solchen Begriff in den Mund nehmen. Aber vielleicht möchte Sie ja in dieser Ecke stehen?!

  • Mit Fundamentalisten ist es leider unmöglich zu diskutieren.


    Außerdem ist es sowieso außerordentlich problematisch, über Aufführungen zu urteilen, die man nicht selber vor Ort miterlebt hat.


    Ich habe die Aufführung nicht gesehen, dafür bin ich aber auf dieses kurze Video gestoßen, das die Staatsoper Stuttgart freundlicherweise produziert hat:


    http://www.staatstheater.stuttgart.de/oper/service/ (anschließend auf "Mediathek" gehen)


    Hier hat man wenigstens kurze Einblicke in die Produktion.


    Eine der wichtigsten Aufgaben des Regisseurs und Bühnenbildners ist es, auf der Bühne eine künstlerisch fruchtbare Atmosphäre zu schaffen, eine fremdartige und eigentümliche Welt, in der sich die Personen besonders im "Parsifal" befinden. Dies ist nunmal kein rationales Stück (wie eigentlich keines von Wagner), sondern ein mit vielen Anspielungen, Ungereimtheiten und Seltsamkeiten versehenes Stück. Der Regisseur muß diese widerstrebenden Elemente nun in seine Inszenierung einbinden und daraus möglichst ein sinnfälliges Ganzes machen. Dies ist harte Arbeit.


    Auf den ersten Blick strahlt das Bühnenbild für mich eine düstere Atmosphäre aus, die mich durchaus in ihren Bann schlägt. Die Personenregie wirkt sehr durchgearbeitet und aufeinander abgestimmt. Mich würde diese Aufführung durchaus interessieren.



    Agon

  • So eine ganz offensichtliche, ja sogar als solche gekennzeichnete Verzerrung des Werkes ("Ein Stück von Calixto Bieito mit der Musik von Richard Wagner"), aus der gar kein Hehl mehr gemacht wird, kann man aus der Warte des Opernbesuchers, der sich einen "Parsifal" von Wagner erwartet, m. E. durchaus als "entartet" bezeichnen, ohne in irgendeine Ecke gestellt zu werden. Oder wer würde Seine Eminenz Kardinal Meisner, Erzbischof von Köln, der jüngst dieselbe Wortwahl gebrauchte, allen Ernstes als NS-Sympathisanten bezeichnen? Wer solch provokante Inszenierungen uns darbietet, braucht sich nicht wundern über provokante Reaktionen. Vielleicht ist dies gar die Intention des Herrn Bieito, um den angeblichen nach wie vor vorhandenen Faschismus der Deutschen offenzulegen. Ich bin davon überzeugt, daß solch eine Inszenierung auch in Österreich, Frankreich, Großbritannien oder (insbesondere) in den USA auf Unverständnis und berechtigte Kritik stieße. Sind wir jetzt wirklich schon so weit, daß man seinem Unmut keine Luft mehr machen darf?

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Danke für den Linktipp. Auch auf mich macht die Inszenierung einen interessanten Eindruck. Auch sonst volle Unterstützung Deines Beitrages.


    Mal schauen, vielleich kommt dieser Parsifal ja als DVD?


    Beste Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Hallo,


    nicht gleich so heftig...


    Auch wenn dem PARSIFAL das Weihfestspiel anhaftet, ich denke er muß nun nicht uinbedingt zelebriert werden und frommes oder frömmelndes Staunen auslösen. Aber ich denke, ich möchte den Parsifal so sehen, wie die Geschichte von Wagner geschrieben. Und ja, auch da darf "action" dabei sein, so lange es dem Ganzen dient.


    Und bitte, es gibt noch 4 Vorstellungen in dieser Spielzeit: ansehen, und dann hat die Dsikussion eine Basis, die sicherlich die verschiedensten Meinungen und Gedankengänge hervorbringt.


    Peter

  • Ich habe mir den gerade angeschaut, und auf mich machen diese Figuren auf der Bühne einen durchaus interessanten, aber auch verstörenden Eindruck, was an sich nicht falsch finde.
    Eine DVD der Produktion würde mich auch interessieren. Ich kenne Bieitos Don Giovanni, wo er sich die ganzen fiesen Bilder durchaus spart, aber dennoch viele interessante Personen auf die Bühne stellt.

  • Eigentlich postiv, wenn schon ein Bericht über eine Inszenierung solche Reaktionen auslöst. Das beweist wie lebendig Tamino ist.
    Nur eine große Bitte: Es wäre schön, wenn wir politische Aussagen und Schlussfolgerungen ausklammern würden, selbst wenn ein so fleißiger, kompenter Diskussionspartner, wie Joseph II. einen zugegeben diskussionswürdigen Begriff verwendet. Wir geraten sonst in ein stürmisches Fahrwasser, das uns wegführt vom Meinungsaustausch über die Oper und das wäre sehr schade.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Bieito weckt immer wieder die Emotionen, selten gibt es soviel Buh und Bravo gleichzeitig. Ich hab den Holländer gesehen und fand ihn sehr aufregend und gelungen, enorm spannend und nie gegen die Musik inszeniert. Die Bilder in dem kleinen Film machen einen neugierig. Auch ein Troubadour in Hannover gehört mit zu den spannensten Opernabende die ich so erlebt habe, aber auch das war harte Kost. Es gab aber auch wirklich öde Inszenierungen wie Bajazzo/Caveleria Rusticana, wo alle Vorurteile wie Gewalt um der Gewalt willen und überflüssige Obszönitäten bestätigt wurden.
    Schade das es nur sowenig Aufführungen gibt. Hat man Angst vor leeren Rängen?
    Wenzeslaus

  • Liebe Parsifal - Freunde !


    Ich bin überzeugt , dass wir ein so komplexes und auch langes Werk wie den Persifal in einer besprochenen Ausfführung doch idealerweise selbst gesehen und gehört haben sollten .


    Thomas ( Papes ) Hinweis auf eine mögliche DVD finde ich eine sehr sinnvolle Lösung des Diskussiongegenstandes .


    Die Heranziehung von Kardinal Meisner ist deswegen nicht hilfreich, weil wir nicht wissen, ob er die Aufführung zumindest gehört hat und überhaupt ein Kenner von Wagneropern ist .


    In den meisten Fragen der Moraltheologie und des Kirchnrechtes kann ich mit Herrn meisner keine Übereinstimmung finden , aber dies ändert nichts daran, dass er das Recht haben müsste , so er sich äussern würde , seine Meinung über diesen Parsifal zu sagen oder zu schreiben .


    Kardinal Meissner hat schon Familien in Glaubenfragen so tief gespalten , dass man nur staunen kann .


    Zur allgemeinen Beruhigung derer, die in Kardinal Meissner das " Böse " erblicken und Schlimmes von ihm befürchten : Herr meisner ist nur etws mehr als 5 ( i. W. fünf ! ) Prozent der 18 Millionen Bürger in NRW bekannt .


    A b e r : War das Thema nicht eigentlich die Stuttgarter " Parsifal " - Aufführung ?


    Einen besinnlichen Abend !


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Zitat

    Original von Agon
    Mit Fundamentalisten ist es leider unmöglich zu diskutieren.


    Diesen Eindruck habe ich im Laufe der vielen Regietheater-Diskussionen bei Tamino auch erhalten. Und genau wie die Traditionalisten angeblich befürchten müssen, ins rechte Eck gestellt zu werden, muss man als Verfechter des Regietheaters befürchten, im linken Eck gesehen zu werden.


    Zitat

    Original von Joseph II.
    So eine ganz offensichtliche, ja sogar als solche gekennzeichnete Verzerrung des Werkes ("Ein Stück von Calixto Bieito mit der Musik von Richard Wagner"), aus der gar kein Hehl mehr gemacht wird [...]


    Das war eine Meinungsäußerung von Peter Fiedler.


    Zitat

    Original von Joseph II.
    Vielleicht ist dies gar die Intention des Herrn Bieito, um den angeblichen nach wie vor vorhandenen Faschismus der Deutschen offenzulegen.


    Sicherlich nicht. Aber wenn man mit solch

    Zitat

    Ziemlich untertriebenes Original von operus
    zugegeben diskussionswürdigen


    Begriffen wie "entartet" jongliert, muss man sich nicht wundern, dass mancher sich unwillkürlich fragt, welche Ansichten der Autor des Beitrags zur Freiheit der Kunst hat...



    Auch ich habe mir das Video angesehen und es war das erste Mal, dass mich die Musik nicht gelangweilt hat, sondern durch die kraftvollen Bilder zu einem Erlebnis gemacht wurde. Die Bilder von Parsifals Brandmarkung und Gurnemanz' Selbstkasteiung sind sehr gelungen. Bieito ist immer provokant, er ist oft dreckig und schwer verdaulich, aber seine Regie hat immer Kraft.



    Enttäuscht und bestärkt:
    :hello:

  • Ich habe mir auch den Videoausschnitt angesehen (der natürlich auch nur einen kleinen Eindruck vermittelt) und bin ganz verstört, aber durchaus im positiven Sinne. Ich denke, dass der Parsifal sich durchaus anbietet, in einer Endzeit angesiedelt zu werden und dann kann es nicht ästhetisch sein.


    Es bleibt schwere und harte Kost, aber hier habe ich wirklich einmal das Gefühl (beruht wie gesagt nur auf diesem kleinen Ausschnitt), ob wir es leiden mögen oder nicht, dass ein zur Musik und der Aussage passendes Bild gefunden wurde. Das ist wahrlich nicht die einzig mögliche Deutung, aber es ist eine und die schmerzt. Ich denke, wenn ich die Möglichkeit hätte, würde ich mir diesen Parsifal antun (und das ist wirklich das richtige Wort), nicht gerne und mit einem gewissen Unbehagen. Aber ich bin überzeugt, es würde mich weiter bringen. Und dazu ist Oper auch da und mit Sicherheit so ein Werk wie der Parsifal.


    Bei vielen Inszenierungsbeschreibungen hab ich immer das Gefühl, Bieito vergeht sich am Werk, und ich muss auch diese Orgien von Gewalt und Sex nicht mehr sehen. Hier aber entdecke ich das nicht.


    :hello: Gustav

  • Zitat

    Original von Agon
    Mit Fundamentalisten ist es leider unmöglich zu diskutieren.
    Agon


    Sind wir schon wieder so weit?


    Natürlich kann und darf Jeder seine Eindrücke wiedergeben und es ist ebenso Jedermann/frau unbenommen, diese Inszenierung zu besuchen oder nicht.


    Vielleicht arbeitet das "Regiegenie" bereits an der Fortsetzung "Parsifal remastered", in der wir darüber aufgeklärt werden, wer Kundry geschwängert hat. Etwa der Meister höchstselbst?


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    Original von Siegfried
    Vielleicht arbeitet das "Regiegenie" bereits an der Fortsetzung "Parsifal remastered", in der wir darüber aufgeklärt werden, wer Kundry geschwängert hat. Etwa der Meister höchstselbst?


    Anscheinend soll es Parsifal gewesen sein. :no:


    Ich finde sowas einfach gegen den Strich gebürstet. Vieles deutet darauf hin, daß Parsifal ein asexueller Asket ist. Genauso: Wieso erschlägt bitte Gurnemanz (sic!) diesen Knaben, der der Schwan sein soll (schon diese Übertragung ist gewagt)? Parsifal erschießt ihn doch! Das ist das komplette Gegenteil. Woher kommen also diese "Geistesblitze" des Herrn Bieito?


    Er will provozieren, genau. Nur wird das allmählich langweilig.


    Wieso diese Inszenierung so ein großer Wurf sein soll, nur weil sie Wagners Libretto-Anweisungen konsequent mißachtet, ist mir ein Rätsel. Ist Wagners Handlung wirklich so erbärmlich zeitgebunden, daß man sie fürs Publikum des 21. Jahrhunderts de facto umschreiben muß? Wenn ja, wäre dies ja verheerend für die Kunst.


    Und ja: Wenn ich deswegen ein Fundamentalist oder Schlimmeres bin, dann sei es eben so. Ich stehe jedenfalls zu der Ansicht, daß Werktreue vorzugehen habe vor böswilliger Verzerrung oder gar kompletter Umdrehung der Tatsachen.


    Das Regietheater des Herrn Bieito hat mit dem Wieland Wagners nichts gemein. Letzterem stehe ich durchaus empfänglich gegenüber.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph II.!


    Ich bin wahrlich kein Anhänger infantiler Povokationen und verquaster Regieeinfälle, wie ich sie, gerade auch in Hamburg, bis zum Überdruss genießen musste. Und ich bin auch kein Freund von sinnlosen Gewalt- und Sexexzessen auf der Bühne und auch nicht von Bieitos Arbeiten, so weit ich sie aus Ausschnitten kenne. Aber dieses Viedeo hat mich sehr bewegt.


    Warum nun Gurnemanz das und das tut und Parsifal ebenso kann ich nicht beantworten, können wir alle nicht, die wir die Inszenierung nicht vollständig gesehen haben. Ich kann auch nur von den kurzen Ausschnitten urteilen, die ich gesehen habe. Aber wie gesagt, die haben mich getroffen, und ich glaube, Parsifal ist so darstellbar. Es heißt ja nicht, das dies die endgültige Deutung ist. Es ist eine von vielen, eine sehr harte und brutale, aber eine mögliche.


    :hello: Gustav

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  • Darstellbar ist fast alles. Nur hier wird das Stück in nicht mehr tolerierbarer Form umgedeutet, wenn Parsifal Kundry schwängert und dann eben nicht mehr der reine Tor ist, der nach Wagners Idee allein
    die Erlösung bringen kann.
    Herzlicht
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber operus!
    So wie ich das Regiekonzept verstanden habe, und ich kann mich da wiederum nur auf den Videoausschnitt beziehen, ist es angesiedelt in einer Endzeit und damit in einer völlig degenerierten Gesellschaft. Damit ist es aber auch ein, möglicherweise überzeichneter, Kommentar zu unserer heutigen Zeit (Stichwort: "Untergang des Abendlandes"), abgesetzt von der Idealvorstellung, die wir anstreben und die hier durch Musik und Libretto noch verkörpert wird. Und dieses bewusste Auseinanderklaffen macht es, denke ich, wirklich spamnend, gibt uns neue Einsichten und verletzt die Wagnersche Musik und sein Werk überhaupt nicht, da diese weiterhin die Idealvorstellung bleiben.


    Aber ich muss immer wieder betonen, ich rede, wie wir fast alle, über bruchstückhafte Informationen aus zweiter Hand.


    :hello: Gustav

  • Die mittlerweile zum Tamino-Erkennungszeichen mutierte Hetze gegen aktuelle Regisseure ist wirklich grauenvoll.


    Warum soll ein altes Stück nicht radikal und/oder abstrakt gedeutet werden?


    Nur, weil es irgendwelche Betonköpfe nicht sehen wollen?


    Bieito provoziert gerne, na und, das macht Schlingensief auch. Sie lassen das Publikum nicht kalt, polarisieren es, fordern zu Diskussionen heraus, stellen liebgewonnene Standpunkte und Einsichten in Frage. So soll es sein. Das ist (Musik-)Theater. Ich will mich in der Oper jedenfalls nicht langweilen, aber es passiert leider allzuoft. Viele Regisseure wagen nämlich gar nichts mehr, sind nur noch glatt, abgedroschen, leer und angepasst. Das ist das Schlimme. Jemand wie Bieito hat wenigstens noch einen unverkennbaren Personalstil und sein Thema, nämlich Sexualität und Brutalität. Da kann er die Stücke von mir aus auch etwas "umdeuten", wenn er eine packende Aufführung zustande bringt.


    Ich würde mir jedenfalls freiwillig keine Otto Schenk oder Wolfgang Wagner - Inszenierung ansehen wollen. Das würde mir nichts bringen. Ich würde mich zu Tode langweilen, würde das Interesse am Werk verlieren und den Bereich "Oper" für mich als interessante Kunstform abhaken.
    Und soweit muss es nicht kommen.


    Darüberhinaus finde ich es unerträglich, mir eine Oper auf Video oder DVD anzusehen. Das ist dermaßen artifiziell und kalt und reine Zeitverschwendung.



    Agon

  • Lieber Agon !



    Deine vehemente Meinung für eine bestimmte Regierichtung ist der Diskussion wert .


    Der letzte Satz, den ich Dich zu überdenken bitte , ist definitiv nicht haltbar !


    Ich wäre als Schüler oder Student frph gewesen, wenn as das Ler- und Lernmittel DVD gegeben hätte ! Wer im Opernbereich eta die Zeffirelli - Inszenenierung der "TRaviata " kennt und die New Yorker oder andernorts aufgeführte Opern , etwas die Wiener " Bohème " ( wieder mit Franco Zeffirelli ) , der wird Di rbestätigen , welche grosse Kraft darin liegt !


    Im wisschnschaftliche Bereich ist dies gar nicht mehr wegzudenken .


    D V D s - auch hier bei Stuttgarter "Parsifal " - sind doch ein sehr wichtiges Hilfsmittel , auch um junge Menschen an die Klassische Musik heranzuführen .


    Insofern hat GUSTAV völlig Recht, dass nur derjenige heutzutage etwas über ien Gesamtaufführung etwas sagen und schreiben kann, der die Aufführung persönlich miterlebt hat .


    Viele Grüsse



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin


  • Lieber Agon,
    ich gebe Dir in vielen Punkten recht (zumal mir die offensichtlich grundsätzliche Ablehnung von inszenatorischen Deutungen, die von Librettoanweisungen abweichen und die den Wieland als modernisierungskühnes Feigenblatt sich anzwecken auch ziemlich auf den Stift geht).


    Nun, das Ablehnugsvokabular qualifiziert (oder disqualifiziert, je nach Sichtweise) die jeweiligen Beiträger, und mein Rat ist: einfach in solchen Threads nicht schreiben.


    Für das Medium DVD oder ganz allemein filmischer Aufzeichnung hätte ich insofern eine Lanze zu brechen, als es ja eine Deutung der Deutung ist. Im Theater muss ich mich halt um den "Spaziergang im Bilde" bemühen (mutmaßlich mit Hilfe eines Opernglases). Jede Sitzposition im Theater verändert meinen Eindruck vom Ganzen, sowoihl akustisch als auch visuell. Du hast recht, wenn Du die Aufzeichnung als "artifiziell" bezeichnest. Je nach Qualtität der Kamerafühung ergibt sich indes ein Erkenntnisplus. Ich selber gehe da von den Klaviervideos aus. Am meistn faszinieren mich die, bei denen ich zumeist die Händer der Pianisten sehe. Ein verzückter Gesichtsausdruck bringt mir da wenig Erkenntnisgewinn.


    Mit der Oper verhält es sich da ähnlich. Aber das wäre fast einen eigenen Thread wert, nämlich: Sind manche Operninszenierungen überhaupt dem Medium "Bühne" angemessen? Oder gehen sie nicht eher von einer Zwangsblicklenkung aus, wie sie dem Medium Filmaufzeichnung immanent ist?


    BTW: beabsichtigst Du, zum Stuttgarter "Parsifal" zu reisen? Bin selber wenig reisefreudig (was Opern betrifft, bei Pianisten steigt meine Bereitschaft schon), aber der Parifal scheint nicht uninteressant. Obwohl...Köln-Stuttgart...macht eigentlich nur Sinn, wenn sich dabei auch ein paar Taminos träfen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Hallo Frank und Thomas,


    eine Fernsehaufzeichnung kann nie das LIVE-Erlebnis ersetzen.
    Ich hoffe, da sind wir uns einig.


    Im TV brächte ich gar nicht die Geduld auf, mir einen 5 1/2 stündigen Parsifal anzusehen (inkl. Pausen).


    Euren Ausführungen bezüglich dem Medium DVD zu Dokumentationszwecken schließe ich mich an.



    Agon

  • Zitat

    Original von Agon


    eine Fernsehaufzeichnung kann nie das LIVE-Erlebnis ersetzen.
    Ich hoffe, da sind wir uns einig.


    Da sind wir uns absolut einig. Allerdings würde ich schon die Geduld aufbringen, mir diesen Parsifal als Konserve anzutun, eben des ganz anderen Mediums wegen. Ob es da ein Vorteil ist, mittendrin für eine beliebig lagne Zeit pausieren zu können, vermag ich indes nicht zu sagen.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Lieber Agon,


    ich bemühe mich immer, keinen grundsätzlichen Konflikt zwischen sogenannter werkgetreuer Inszenierung ( was ist das überhaupt?) und dem sogenannten Regietheater zu akzeptieren. Im Grunde geht es um eine packende Realisierung des Werkes egal in welchem Stil. Darf ich in diesem Punkt Übereinstimmung voraussetzen?
    Es erstaunt mich, dass Du eine Hetze gegen moderne Regisseure und Inszenierungen im Tamino-Forum konstatierst. Ich habe dagegen Eindruck als ob die "Erneuerer" wesentlich engagierter und in der Wortwahl härter argumentieren.
    Würde ein "Traditionalist" posten, er würde sich keine modernen Inszenierungen ansehen, würde er zurecht als ewig Gestriger
    bezeichnet. Wie kann es dann ausgedrückt werden, wenn Du ausführst, dass Du Dir keine Inszenierung von Otto Schenk oder Wolfgang Wagner ansehen würdest? Wie viele hast Du selbst erlebt? Zum Beispiel war die Ringinszenierung von Wolfgang Wagner in Bayreuth 1960 - 64 mit der genialen Idee der segmentierten Scheibe als Spielfläche und einer weitgehend leeren Bühne, damals eine kühne Tat. Heute würde sie eher als konservativ bezeichnet. Zu bedenken ist nur, dass 46 Jahre dazwischen liegen und viele andere Regisseure die Idee einer einzigen Spielfläche als Handlungsebene aufgegriffen und vielfältig modifiziert haben. Ich meine auch, dass weniger die Regie im Mittelpunkt der Diskussion steht. Es ist mehr die eigenmächtige Umdeutung des Werkes, das auf den Kopf stellen des gewollten Sinnes des Komponisten und die Provokation um der Provokatrion willen gemeint.
    So lange unsere Diskussion jedoch sachlich und wertschätzend im Ton und gegenüber dem Partner bleibt darf sie ruhig kontrovers sein, weil dadurch die Gegensätze schärfer und damit erkennbarer hervortreten.
    Deshalb trifft mich der von Dir verwendete Begriff "Betonkopf" auch nicht. Im Gegenteil, wenn dies zutreffen würde, wäre ich durch den harten Schädel fester und unangreifbarer. Nur meine Frau, die Tamino weitgehend mitliest, protestiert heftig. In ihren Augen bin ich ein ganz "Weicher und Lieber" und immer noch für viel Neues offen.
    Dir und allen Taminos liebe Grüße und alle guten Wünsche zum Osterfest
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Thomas ,


    lieber Agon !



    Ich habe absolut nichts dagegen , auch eine "Parsifal" auf DVD anzusehrn und zu hören .


    Dies hätte den enormen Vorteil , dass wir diese wie andere Opern ( oder auch Aufführungen in Schauspielhäusern ) auch im kleineren Kreis diskutieren könnten .


    Wer weiss nach rund 6 Stunden , um beim Parsifal zu bleiben, denn noch, was es an unter Umständen wichtigen Details gegeben hat ?


    Neben den visuellen Eindrücken des im Opernhaus einmaligen Sehens ( mit der Einschränkung der Platzproblematik, auf die Du Thomas ausdrücklich hingewiesen hattest ) stellt sich doch reflexartifg die Frage : W e r , von wenigen Dirigenten abgesehen , kann die Partitur denn auswendig ?



    Viele Grüsse



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Ich würde es übrigens auch begrüßen, würde diese Inszenierung noch auf DVD erscheinen, damit man sich ein vollständiges Bild machen kann. Die Details, die bislang durchschimmerten, könnten in der Tat ein Bild gezeichnet haben, das negativer herüberkommt, als es in der Wirklichkeit ist.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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