Schostakowitsch - Cellosonate op. 40

  • Hallo allerseits,


    ich liebe Kammermusik – das musste zunächst einmal gesagt werden. :)


    Eines meiner Lieblingswerke ist die Cellosonate op. 40 von Shostakovich. Er schrieb sie im Jahre 1934, und soweit ich weiß ist es seine einzige Komposition in dieser Musikgattung.


    Diese Sonate ist voller Lyrik, voller Facetten, verschiedener Stimmungen und unerwarteter Wendungen – ein rundum schönes Werk, das ich immer wieder sehr gerne höre.


    Ich hatte mich seinerzeit u.a. für die aufgeführte Einspielung entschieden, weil die CD daneben noch die „Suite im alten Stil“ von Schnittke und die Cellosonate op. 19 von Rachmaninov enthält, die mir beide ausgesprochen gut gefallen. Schnittke erdachte eine humorige Mixtur aus Barock- und romantischer Musik…ich muss immer über die eingewebten schrägen Töne schmunzeln.



    Leonid Gorokhov - Russian Cello Works
    Schnittke:Suite im alten Stil (arr. Shafran)
    +Schostakowitsch:Cellosonate op. 40
    +Rachmaninoff:Cellosonate op. 19
    Mit Nikolai Demidenko, Klavier


    Ist ein Mensch da draußen, der meine Liebe zu diesem Werk teilt? ?(:D


    Gruß und gute Nacht,
    Cosima

  • hallo Cosima,


    ich habe diese sonate op. 40 als live-mitschnitt mit mischa maisky und martha argerich, jüngst bei der DG mit der suite italienne von strawinsky und prokofievs cellosonate erschienen. zwar ist maiskys intonation etwas 'wackelig', aber das temperament und die spontaneität beider akteure ist ein unikat. da mir vor allem die lustige suite italienne im gedächtnis haften geblieben ist, werde ich heute die schostakowitsch-sonate nochmal hören und dann berichten.



    gruß, siamak :rolleyes:


    p.s.: achte mal auf maiskys sitzgelegenheit am rechten bildrand :hello:

    Siamak

  • Moin,


    ich habe vor Jahren Maisky live im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie mit der Cellosonate gehört und war schwer beeindruckt. Obwohl ihm mitten drin eine Seite gerissen war, kam er wieder zurück ins Spiel. Er brauchte einige Minuten bis zur vollen Konzentration. Der Teil, den ich unfreiwillig doppelt gehört habe, war beim zweiten Mal deutlich schlechter.


    Ich halte übrigends seine Aufnahme der Cellokonzerte mit Michael Tilson Thomas für eine der besten Celloaufnahmen, die ich kenne.


    Grüsse aus Rhosgobel


    Radagast

  • Zitat

    Original von AcomA
    p.s.: achte mal auf maiskys sitzgelegenheit am rechten bildrand :hello:


    Ach, der Stuhl ist ja originell. :D


    Von Maisky besitze ich bislang noch gar keine Aufnahme. Er scheint wohl des öfteren Aufnahmen mit der Frau Argerich gemacht zu haben, man sieht die beiden ja auf diversen Covers zusammen.


    Der Hinweis auf die Cellokonzerte mit MTT klingt sehr interessant. Aber die Cellosonate ist ja leider nicht mit auf der CD. Ich finde sie so schön, dass ich mich zur Anschaffung einer weiteren Einspielung hinreißen lassen würde, obgleich ich die Gorokhov/Demidenko-Aufnahme wirklich gelungen finde.


    Gruß, Cosima

  • Hallo Cosima,


    falls Du noch einen Plattenspieler hast, kannst Du versuchen, Radu Aldulesco/ Albert Guttman zu finden (Eterna 826140), Kopplung mit Hindemith op. 11 Nr. 3. Meines Wissens gibt es auch eine Aufnahme von Daniel (Daniil) Shafran - die dürfte auf LP aber relativ teuer sein und ist, soweit ich weiß, nie auf CD herausgekommen. Ich kenne die Shafran-Aufnahme leider, leider nicht. Shafran müsste mindestens so "berühmt" wie du Pré sein, wenn die Cello-Welt gerecht wäre...


    Freundliche Grüße


    Heinz


    Kleine Ergänzung: Shafrans Aufnahme ist DOCH auf CD herausgekommen. Und wer begleitet ihn? Schostakowitsch selbst! Amazon.com bietet sogar Hörbeispiele der Sonate: http://www.amazon.com/exec/obi…-1926350?v=glance&s=music

  • Hallo Heinz, hallo allerseits,


    nein, einen Plattenspieler habe ich nicht mehr. Auch damals hatte ich nur so ein tragbares Mono-Dual-Modell, bei dem der Lautsprecher in der Abdeckhaube integriert war. In meiner Kindheit/frühen Jugend war ich kein besonderer Musik-Freak, weshalb er meinen Ansprüchen lange genügte – ich hörte zu der Zeit viel Radio und dann kamen ja auch schon bald die ersten CD-Player auf den Markt.


    (Übrigens am Rande: Meinen ersten CD-Player gewann ich in einem Preisausschreiben, er war damals der Hauptgewinn. Ich hatte ihn hernach 2 Jahre unbenutzt in der Ecke stehen, bis ich mir überhaupt von meinem zusammengesparten Taschengeld den Verstärker und die Lautsprecher und dann endlich die ersten CDs leisten konnte. Das war ein echter Schock für mich damals: Diese unglaubliche Klangqualität gegenüber meinen Schallplatten. :D)


    Aber der Hinweis auf Shafran/Shostakovich ist sehr interessant. Ich hörte eben in den 2. Satz (mein Lieblingssatz) der Sonate rein. Er ist hier ganz anders interpretiert als auf meiner vorliegenden Aufnahme: Weniger explosiv und temperamentvoll und viel langsamer, geradezu bedächtig. Da der Komponist selber begleitet, ist sie natürlich sehr interessant.


    Allerdings kaufe ich nicht so gerne aus dem Ausland (es sei denn über deutsche Zwischenhändler), weshalb ich mich nach einer hier erhältlichen Aufnahme umschaute. Und siehe da, es scheint sie zu geben:



    Daniel Shafran - Legendary Treasures Vol. 1
    Tschaikowsky: Chant d'automne;Valse Sentimentale
    +Schostakowitsch: Sonate für Cello & Klavier op. 40
    +Davidoff: Cellokonzert Nr. 2
    +Rakov: Humoresque & Serenade
    +Smetana: Skizzen op. 4
    +Chopin / Glasunow:Etüde Nr. 19
    Shafran, Schostakowitsch, Musinyan, Leningrad Philharmonic SO, Mravinsky


    Das scheint mir eine interessante Alternative zu sein. Allerdings kenne ich auch Shafran überhaupt nicht, bei den Cellisten habe ich ziemlichen Nachholbedarf. Wieso meinst Du, dass er zu Unrecht nicht so berühmt wie andere Cellisten wurde? Ist er - ähnlich wie die du Pré - früh verstorben?


    Gruß, Cosima

  • Zitat

    Original von Cosima


    Das scheint mir eine interessante Alternative zu sein. Allerdings kenne ich auch Shafran überhaupt nicht, bei den Cellisten habe ich ziemlichen Nachholbedarf. Wieso meinst Du, dass er zu Unrecht nicht so berühmt wie andere Cellisten wurde? Ist er - ähnlich wie die du Pré - früh verstorben?


    Gruß, Cosima


    Shafran hatte wohl das "Problem" aus dem falschen Land zu kommen!


    1949 und und 1950 gewann er bei internationalen Wettbewerben in Budapest und Prag gemeinsam mit Rostopowitsch der Ersten Preis.
    1937 - nur ausnahmsweise zugelassen, weil offiziell zu jung - gewann er den Allunionswettbewerb!


    Gruß

  • Nein, er ist nicht zu früh gestorben (ist um die 70 Jahre alt geworden). Aber im Westen wurden eben (von den russischen Cellisten) vor allem Piatigorsky und Rostropowitsch wahrgenommen. Und als er dann doch - etwa auf Einladung von Steven Isserlis - im Westen konzertierte, war er wohl schon über dem Zenit seines Könnens.


    Shafrans beste Aufnahme, die ich kenne, enthält Debussy (C-S) und Franck (Bearbeitung der V-S).


    Wenn Du nach "Daniel Shafran" googelst, findest Du eine englischsprachige Seite, die ihm gewidmet ist. Da gibt es mehr Informationen.


    Freundliche Grüße


    Heinz

  • hallo,


    ich habe nun die sonate f. v'cello und klavier op. 40 mehrfach gehört. ein typischer schostakovich der mittleren periode. der erste satz ist lyrisch und strukturdicht gehalten. das musikalische atmen von maisky und argerich ist 'blind' aufeinander abgestimmt. der 2. satz (allegro) kommt scherzohaft und wie so häufig, geht das temperament der beiden durch ! gleiches gilt für den letzten satz mit seinen grotesken und anspielungen an das jüdische melodiengut. maisky und argerich interpretieren auf einer sehr emotionalen ebene. ohne rücksicht auf verluste wird drauflos musiziert. ich erinnere nur an argerichs interpretation des 1. klavierkonzertes von schostakovich ! und genauso ist es hier. übrigens spielen die beiden seit 1978 immer wieder als duo oder gar im trio mit gidon kremer (siehe klaviertrio nr. 2 von schostakovich). das muss sich selbstredend auch in den darstellungen wiederspiegeln. es ist halt auch die tiefe freundschaft, die sich hier dem hörer vermittelt.


    gruß, siamak

    Siamak

  • Cosima,


    die bereits o.g. Aufnahme von D. Shafran kann ich nur empfehlen. Der Klang ist zwar leider etwas "historisch" aber das Zusammenspiel ist einfach toll und Shafran ist einfach ein Cellist, der weiß wie man dem Instrument wunderschöne warme Töne entlockt. Einfach wunderschon insb. in den innigen Passagen :D



    Kommt mir das nur so vor oder "ziriert" DSch hier 'ein Mädchen oder Weibchen' von W.A.M. ?

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  • Hallo allseits!
    Ich weiß, daß die letzten Eintragungen in diesem thread schon etwas zurückliegen, aber ich habe einige Anmerkungen zu dieser herrlichen Sonate zu machen:


    1. Für mich ist dieses Werk so schlüssig, perfekt, vielleicht aber auch "glatt", und ich möchte es (oje, jetzt wird es kritisch) als die "Appassionata" für Cello bezeichnen. Beides Sonate aus der mittleren Schaffnsperiode der Komponisten, sehr "perfekt", schlüssig (ich wiederhole mich), als Wiener möchte man sagen "knackig", und für Interpreten wie Publikum gleich beglückend.


    2. Es gibt eine Aufnahme von Shafran mit dem Komponisten selbst am Klavier, ebenso auch von Rostro mit Schostakowitsch.


    3. Shafran hat die Bratschensonate von S. für Cello eingerichtet, auch diese CD ist zu erwerben- habe sie leider nicht, dafür aber die Noten. Leider ist das ganze sehr hoch (und damit auch schwierig) für das Cello und der spröde Bratschenklang in der Tiefe geht damit verloren- übrigens das erste mal, daß mich die besondere Klangqualität diese Instrumentes so richtig angesprochen hat. Überhaupt finde ich die Bratschensonate (letztes Werk von Sch.) viel berührender und erschütternder. Vieles hier ahnt Schnittke voraus.
    Ich darf diesbezüglich die recht günstige Aufnahme von Mintz (gekoppelt mit Violinsonate) rückhaltslos empfehlen- eine meiner liebsten CDs überhaupt!


    4. Eine weitere Empfehlung für alle die sich in die Sch-Cellosonate verliebt haben: Schnittke Sonate Nr. 1 (und auch 2.)- ein ebenso fantastisches Werk und mittlerweile Pfichtstück für einige Cellowettbewerbe. Hier darf ich die Aufnahme von Ivashkin (mit Irina Schnittke am Klavier) empfehlen -ein Cellist, der sich sehr um die russische Celloliteratur bemüht und von dem ich noch NIE eine schlechte Aufnahme gehört habe.

  • Zitat

    vielleicht aber auch "glatt",


    Hallo flotan,
    Du empfindest den 3. (langsamen) Satz dann auch als glatt?
    Ne, da komm ich nicht mit, das ist einer der tiefschürfendsten langsamen Sätze, die DSCH geschrieben hat.


    Zitat

    gleich beglückend


    Na ja-beglückend...Ivan Monighetti sagte einmal zu dem langsamen Satz, er wäre die "Hoffnung auf ein besseres Leben, aber nach dem Tod".


    Auch der este Satz hat sehr eindruckvolle Stellen, die weit über eine "glatte" Komposition hinausgehen.
    Der Schluß zum Beispiel......


    Gruß,
    Michael

  • Hallo,


    Ich habe die (handsignierte !) Hyperion CD mit Alban Gerhard und Steven Osborne. Die Aufnahme gefällt mir persönlich sehr gut. Auf der CD ist noch eine Schnittke Sonate und einige klinere Stücke von Shostakovich und Schnittke.


    Ich finde die Cellosonate sehr schön und äusserst interessant. Sie ist menes Erachtens sehr "zurückgewandt" - immer wieder glaubt man, eine romantische Cellosonate zu hören...diese Illusion wird dann aber typischerweise von Shostakovich schnell "zerstört". Besonders gefällt mir der kräftige 2. Satz - Auch wenn er musikalisch an sich nicht besonders toll ist, so finde ich die Machart, insbesondere des Anfangs, sehr ansprechend.

  • Hallo raphaell,

    Zitat

    Auch wenn er musikalisch an sich nicht besonders toll ist


    Dieser Satz ist sehr skurill, besonders der Gegensatz zwischen dem brutalen Anfang und dem Spieldosenhaften Mittelteil mit den schönen Flageolett-Glissandi.
    Das finde ich musikalisch schon toll.
    Auch an sich.


    LG,
    Michael

  • Ja, über das „glatt“ habe ich mich auch gewundert. Bereits einige der vorherigen Beiträge fand ich teils am Rande des Unzutreffenden. Aber die Cellosonate op. 40 als „glatt“ zu bezeichnen? Nein, das ist dann doch zu viel! Die Bezeichnung als „Appassionata des Klaviers“ ist nach meinem Dafürhalten ebenfalls falsch, mit „glatt“ wohl auch unvereinbar.


    Anlass genug, um einige Worte darüber zu verlieren, wie ich diese Sonate verstehe – wenn mir auch die Noten nicht vorliegen.


    1. Cosima beschrieb die Sonate in ihrem Einleitungsbeitrag „als voller Lyrik, voller Facetten, verschiedener Stimmungen und unerwarteter Wendungen“. Sie versteht die Cellosonate als „ein rundum schönes Werk“ Meines Erachtens fällt sie mit dieser Einschätzung voll in die Falle. In welche? Wir werden sehen.


    2. Zunächst einige Worte zur Einordnung der Sonate in Schostakowitschs Schaffen.


    Es ist unrichtig, dass die Cellosonate „ein typischer schostakovich der mittleren periode“ sei, wie es AcomA geschrieben und Flotan wiederholt hat.


    Richtig ist, dass Schostakowitsch in jungen Jahren eine experimentelle Phase hatte (Aphorismen für Klavier, Sinfonien 2 und 3, die Nase) und die Cellosonate nicht derart experimentell ist, mithin keine direkten Bezüge zum Futurismus, zum Urbanismus, zur Maschinenmusik aufweist. Das bedeutet aber nicht, dass die Cellosonate zu Schostakowitschs mittlerer Periode gehört (Anmerkung: Ich finde diese Einteilung ohnehin blöd, zu Beethoven mag die Dreiteilung passen, bei Schostakowitsch macht sie meines Erachtens keinen Sinn). Gemeinhin wird die zweite Periode in Schostakowitschs Schaffen mit Beginn 1936 datiert, das Jahr also in dem der Artikel „Chaos statt Musik“ erschien. Fortan konnte Schostakowitsch sich keine Experimente mehr erlauben, war er gehalten, offiziell der Linie des sozialistischen Realismus zu folgen. Er tat es mit der bekannten Doppelbödigkeit (siehe als prominentes Beispiel das Finale der fünften Sinfonie). Vorher aber, also bis 1936, war Schostakowitsch weitgehend frei in seinem Schaffen. Die Bühnen- und Filmmusiken ausgenommen entstanden unmittelbar vor der Cellosonate die Oper „Lady Macbeth von Mzensk“ und das Klavierkonzert, unmittelbar danach die Suite für Jazz Orchester, das Streichquartett Nr. 1 und die vierte Sinfonie. Wir sehen, von einer mittleren Episode kann keine Rede sein.


    3. Das Verständnis der Cellosonate setzt meines Erachtens das Wissen darüber voraus, dass Schostakowitsch ein großer Freund der Humoreske, der Groteske, der Ironie war. Eine Eigenschaft, die er immer wieder in seine Werke hat einfließen lassen. Beispielhaft genannt sei die Verfolgung des Pianisten durch die Trompete im 1933 komponierten Klavierkonzert – Schostakowitsch pflegte zu dieser Zeit eine Freundschaft zu dem in Russland sehr bekannten Humoristen Soschtschenko.


    Schalten wir also den CD-Player an und lauschen der Cellosonate. Wir hören ein „sehr lyrisches und melodisches“ Werk, wie der Schostakowitsch-Biograph Meyer schreibt. Am Ende des ersten Satzes aber werden wir hellhörig. Was sind denn das für komische Töne des Klaviers? Komisch, na, schon vorbei. War wohl nichts. Dann der zweite Satz: Kräftige, perkussive Töne des Klaviers. Schon sehr stark für eine lyrische Musik, aber okay, geht noch. Beim spieldosenhaften Mittelteil – danke für den Begriff, Michael, sehr treffend – merkt der Hörer dann aber doch wieder auf. Gehört so etwas in ein sehr lyrisches und melodisches (Meyer), in ein rundum schönes (Cosima) Werk? Nein, eher nicht. Wohl ein Versehen. Da ging es mit dem Dmitri wohl wieder mal durch. Das Largo beinhaltet keine diesbezüglichen Überraschungen. Aber der vierte Satz. Wie beginnt der denn?! Das Thema ist doch, das ist doch keine ernsthafte Musik. Das ist doch derart simpel. Das ist doch wie ein Kinderlied (bitte nicht missverstehen, ich meine kein bekanntes, sondern nur die Simplizität)! Ist das ernst gemeint? Vielleicht, der Hörer wird unsicher. Im Mittelteil sollte der Hörer dann aber Gewissheit darüber erlangen, dass das nicht ernst gemeint sein kann. Dort nämlich spielt das Klavier auf einmal Läufe als befänden wir uns in einem Virtuosenkonzert aus dem 19. Jahrhundert! Es kann niemand annehmen, dass Schostakowitsch das ernst gemeint haben könnte. Gleich darauf ertönt abermals die Kinderlied-Melodie – in der Art einer Spieldose.


    Die Frage, ob das Lyrische, das Schöne ernst oder ironisch gemeint ist, ist also die zentrale Interpretationsfrage. Meiner Meinung nach ist die an den angeführten Stellen erfolgende ironische Brechung derart stark, dass von einem vollständigen Ernst gemeint nicht ausgegangen werden kann. Allerdings sind umgekehrt auch die lyrischen Stellen insbesondere des ersten Satzes derart schön, dass ebenfalls nicht von einem nur ironischen Werk die Rede sein darf.


    Meines Erachtens beginnt die Cellosonate lyrisch, wird dann aber immer stärker ironisch gebrochen. Dieses Changieren zwischen Ernst und ironisch gemeint zu treffen, scheint mir die zentrale Interpretationsaufgabe zu sein.


    Glatt? Nein, glatt ist das Werk nach dem Gesagten nun wirklich nicht.


    4. Interessant ist die Einordnung der Cellosonate in Schostakowitschs Kompositionsmodelle. Gängig ist folgendes Grobraster (s. dazu bereits oben): Vor 1936 schrieb Schostakowitsch wie er wollte. Nach 1936 schrieb er doppelbödig: an der Oberfläche wie das Regime wollte, unter der Oberfläche, aber immer hörbar, für die, die es hören wollten, weiterhin wie er wollte.


    In der Cellosonate findet sich – meiner obigen Einschätzung folgend – bereits vor dem ersten Scherbengericht das Modell der Doppelbödigkeit! Schostakowitsch schreibt ein lyrisches, schönes Stück Musik. Er entspricht damit den Forderungen der vorgegebenen Kulturpolitik (es muss nach Feierabend noch gut in das Ohr des Arbeiters hinein gehen). Unter der Oberfläche aber, bei genauem Hinhören, fällt die ironische Brechung auf. Und der Hörer, der solche Ironie schätzt, sieht vor seinem geistigen Auge Schostakowitsch über all die Kulturfunktionäre, all die Romantiker lachen...


    Aufnahmen besitze ich drei: die von Schostakowitsch mit Shafran aus 1946, die von Mörk und Voigt aus 1996 und die von Rosler und Würz aus 1997.



    Die Shafran/Schostakowitsch Aufnahme wird beherrscht durch den wunderschön voll-sonoren Ton Shafrans. Inbrünstig schön erklingen die lyrischen Teile. Schostakowitsch, selbst ein hervorragender Pianist, der nach der Komposition mit dem Werk auf Tournee war, spielt seinen Part vergleichsweise perkussiv. Wer auf der Suche nach Ironie ist, wird hier fündig. Aufgedrängt wird sie einem aber nicht, wenn die Spieluhr-Haftigkeit des Finales auch stark betont wird. Die Brilliant-Aufnahme habe ich bereits andernorts empfohlen (s. hier).


    Die Mörk/Voigt Aufnahme ist großartig. Mörk spielt bei weitem nicht so breit schwelgerisch wie Shafran. Der Lyrismus des Stückes ist stark zurückgenommen. Auch Vogt hält sich diesbezüglich zurück. Wunderbar der vierte Satz! Die Einfachheit des Themas wird bloßgestellt, das Interpretationsziel aufs Beste erreicht.


    Die Rosler/Würz Aufnahme finde ich erstaunlich gut. Interpretatorisch indifferent wird hier für mich unerwartet schön musiziert.


    Gehört habe ich vor kurzem die Maisky/Argerich Aufnahme. Sie gefällt mir gar nicht. Ja, was Maisky und (vor allem) Argerich aus dem Stück machen, ist fantastisch. Nur ist es eben nicht mehr das Stück. Man höre nur den Anfang des vierten Satzes. Bei Maisky/Argerich ist die Melodie nicht mehr schlicht. Die Melodie wird derart perfekt präsentiert, ja verziert, dass sie im Ergebnis zu einer anderen wird. Ich höre das, bin von der künstlerisch-handwerklichen Leistung beeindruckt, schüttele aber innerlich meinen Kopf. Außerdem, das sei hinzugefügt, mag ich keine Applaus-Platten. Die CD von Maisky/Argerich beginnt mit 37 Sekunden Applaus. Passt zum Stuhl, kann ich da nur sagen.


    Viel Spaß beim Hören wünscht
    Thomas

  • Eine Zusatzbemerkung noch: Nach dem oben Geschriebenen finde ich die Kopplung der Cellosonate auf der von Cosima abgebildeten CD mit der Suite in the Old Style von Schnittke sehr gelungen. Handelt es sich nach meinem Verständnis bei der Cellosonate ebenfalls um ein bewusst im old style (im lyrisch-romantischen) geschriebenes Werk, das ebenso wie Schnittkes Werk durch moderne Einsprängsel durch Ironie gebrochen ist.


    Thomas

  • Empfohlen sei auch die hier von Friedrich Kleinhapl, einem außergewöhnlich musikalischen Belgisch/Österreichischen Cellisten mit Griechischen Wurzeln: auch hier hört man Fleisch statt Noten, um einen Ausdruck Carlos Kleibers zu verwenden.


    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Ah, mit Andreas Woyke am Klavier.
    Woyke ist ein brillanter Pianist, ich wußte gar nicht, daß er jetzt in Graz arbeitet(kenne ihn flüchtig aus der Kölner Studienzeit).
    Die CD ist sicherlich lohnend!
    Gruß,
    Michael

  • Zitat

    Original von Michael Schlechtriem
    Ah, mit Andreas Woyke am Klavier.
    Woyke ist ein brillanter Pianist, ich wußte gar nicht, daß er jetzt in Graz arbeitet(kenne ihn flüchtig aus der Kölner Studienzeit).
    Die CD ist sicherlich lohnend!
    Gruß,
    Michael


    Auch deren Bahms-Einspielung!


    Leider haben die Tontechniker beim Schostakowitsch trotz SACD zwei Klangräume zuwege gebracht... X(

    Gruß ab


    ---
    Und ich meine, man kann häufig mehr aus den unerwarteten Fragen eines Kindes lernen als aus Gesprächen mit Männern, die drauflosreden nach Begriffen, die sie geborgt haben, und nach den Vorurteilen ihrer Erziehung.
    J. Locke

  • Liebe Freunde von op. 40!


    Zufällig entdeckte ich beim online-stöbern eine Besprechung verschiendener Einspielungen der Cellosonate (u.a. von Wispelwey und Lazic) im DSCH Journal No. 21. Judy Kuhn bringt in dieser Besprechung auf den Punkt, was ich oben mit langen Worten auszudrücken versuchte:


    "Shostakovich Cello Sonata is full of enigmas: why the muted Largo at the end of the first movement? Why the mechanistic repetition in the second movement, and the alternation of frenzied mania and slightly inebriated tiptoe music in the fourth? Is this a work of high tragedy or irrepressible puckish humour? Does this 1934 work represent the composer's turn to a new and simplified lyricism, or is it a slightly sardonic commentary on lyricism?"


    Ja, genau, möchte ich ausrufen. Jede Interpretation sollte eine Antwort auf die gestellte Frage anbieten. Judy Kuhn fährt fort:


    "Two new releases and Decca's re-issue of a 1988 Lynn Harrell/Vladimir Ashkenazy disc all present distinguished playing; a choice between them would depend in part upon how each listener prefers to resolve the puzzles posed by the work."


    So zeigt sich, dass eine schlichte CD-Empfehlung wenig weiterführend sein kann, insbesondere wenn der Empfehlend das Werk als lyrisch versteht, derjenige aber, dem sie empfohlen wird, als puckish.


    Viele Grüße, Thomas

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  • Hallo zusammen,
    In meiner Studienzeit in Basel habe ich oft mit der Klasse von Heinrich Schiff zusammen gesessen (Ich bin selber kein Cellist). Da wurde natürlich auch viel über Cellisten geredet, auch über Shafran. Der Grund warum Shafran im Westen nicht so bekannt wurde wie Rostro, liegt wohl in seinem extremen (schnellen und starken) Vibrato, was nicht wirklich kompatibel zum westlichen Geschmack war. Ich habe mal bei amazon in die Brilliant Cd´s reingehört und und vor allen Dingen bei De Falla und Bach hört man auch iin diesen acht Sekunden, dass das Vibrato schon etwas extrem ist. Ansonsten klingts aber sehr engagiert und auch extrem sauber (soweit man das bei je 8 Sekunden wirklich beurteilen kann, allerdings leppert es sich bei 10 Cd´s). Unter den Cellisten gilt Shafran vor allen dingen als Wahnsinnstechniker, der wohl auch sein ganzes Leben seine 10 Stunden täglich geübt haben soll. er wird in der Literatur gern als "Hexenmeister des Cellos" bezeichnet.
    Es gibt von der Shostakovich-Sonate übrigens eine sehr schöne Aufnahme von Thedeen, den ich mehr als Maisky schätze. Ansonsten auch noch eine Aufnahme mit dem erwähnten Monighetti, die aber so extrem schlecht aufgenommen wurde, dass man es sich fast nicht anhören kann.


    Gruss aus der Schweiz
    :hello:

  • Hallo liebe Taminoaner/Innen


    Eine Aufnahme die wir gerne anhören, stammt aus dem Jahre 2006. Paul Rivinius spielt Klavier und Johannes Moser Cello.



    :jubel:


    Moser spielt nicht ausschliesslich kultiviert tonschön mit mehrheitsfähigem Wohlklang. Er möchte die Grenze des Wohlklangs überschreiten. Er entlockt dem Cello alle erdenklichen Klangfarben mit grosser Intensität. Auch die hochromantischen Stellen der Sonate ersticken nicht im Vibrato.


    Der Klavierpart ist ähnlich intensiv wie beim Klavierkonzert Nr. 2 den Paul Rivinius mit brillanter Motorik beherrscht.


    Die Aufnahme wurde gekoppelt mit zwei weiteren hoch interessanten Sonaten von Moisey Weinberg sowie Boris Tchaikovky.


    Gruss
    romeo&julia