PR für "Klassische Musik" -professionell oder dilettantisch ?

  • Oft gebiert ein Thread einen anderen.
    Dieser hier ist ein indirektes Produkt vin diesem:


    Hat Klassische Musik eine Zukunft ?


    Irgendwie wurde dort über die Selbstdarstellung der Klassik, die Wirkung auf die nicht teilhabende Aussenwelt gestreift, die PR für Klassische Musik hinterfragt, ja selbst der Begriff"Klassische Musik" in Frage gestellt.


    Hier sind ja schon wieder weitere Themen enthalten, aber versuchen wir doch die Frage(n) mal zu konkretisieren, zu analysiern - bevor wir uns überhaupt an den Versuch einer Beantwortung von Teilaspekten dieses Themenkomplexes wagen.


    Zunächst mal die allererste Frage:


    WARUM beschäftigen wir uns überhaupt mit der Frage warum andere Leute, bzw die überwiegende Mehrheit der Klassischen Musik nichts abgewinnen kann ? Ist es ein verkapptes kommunikatives Verhältnis, daß man scheinbar den unstillbaren Drang in sich spürt andere an seiner Freude teilhaben zu lassen ?


    Die Frage, warum denn der Anteil der Klassikhörer so gering ist, wurde zwar gelegentlich schon im forum behandelt, aber das ist urlange her . wir sollten das erneut analysieren - aber in einem speziellen weiteren Thread.


    Kommen wir zum eigentlichen Thema, nämlich dem der PR, was nicht notwendigerweise mit Vermarktung zu tun haben muß, ober es in den meisten fällen doch hat.
    PR - ich würde Public Relations mit "Beziehungen zur Öffentlichkeit - übersetzen - was die Aufgabe eventuell anders darstellt, als wenn ich sie mit "Werbung" oder "Imagepflege " gleichsetze, wobei eher noch "Imagepflege" als Begriff bei mir durchginge. Leider wird aber aus PR meist Werbung, denn man muß sich die Frage stellen, wer macht eingetlich PR im Klassikbereich, aus welchen Motiven macht er sie - und welche Methoden wendet er an.


    Welches Image hat denn "klassische Musik" in der Gesellschaft heute, welche Gesellschaftsschichten kommen hier als Zielgruppe in Betracht, welch nicht- oder eher weniger ?


    Welches Image wird der Klassischen Musik durch die derzeitige PR verpasst, wie war das in der Vergangenheit, bzw gab es da überhaupt PR - oder zuminderst etwas Vergleichbares ?


    Warum ist die PR von heut mehrheitlich so wie sie ist, welches sind ihre Botschaften an das Publikum, die Zielgruppe ?


    So, das sollte fürs erste genügen, obwohl das Thema weit komplexer ist, mir wären noch weitere 10 Fragen eingefallen....


    Ach ja- eine noch am Schluß, sie ist schon im Threadtitel versteckt:
    Was ist denn eigenlich der Unterschied zwischen einer professionellen und einer dillettantischen PR ? - immer auch Klassische Musik bezigen, wei es im Konzertsaal, der Oper oder auf Tonträger....




    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • PR ist dann professionell, wenn sie den gestellten Auftrag erfüllt. Das kann heißen, bestimmte Konnotationen zu einem Produkt beim Adressaten enzuprägen ("Freude am Fahren" - wie es bei einem bekannten süddeutschen Automobilbauer heißt; "Der Geschmack von Freiheit und Abenteuer" - wie es ein großes Unternehmen der Tabakindustrie in unsere Köpfe brachte).


    Ich blicke auf die aktuelle Anzeige auf der Rückseite von FonoForum April 2010. Die Deutsche Grammophon wirbt dort unter der Überschrift "Eine Klassik für sich." für vier neue Aufnahmen. Zunächst mal ist die Überschrift gut gewählt: Sie erscheint in der vertrauten gelb-weißen Kartusche der DG fettgedruckt in Majuskeln. Die Marke ist hier das Produkt. Der Leser dechiffriert: "Eine Klasse für sich" - der Anspruch auf Qualitätsführerschaft (die besten Musiker, die besten Aufnahmen, die beste Technik usw.) wird hier in die Hirne gebrannt. DG kann so werben! Ein Label wie Berlin Classics oder Oehms würde damit nur Verwunderung erzeugen. Die senden andere Botschaften.


    Links oben auf dem optisch günstigsten Platz ist Anna Netrebko mit ihrem neuesten Album "In the still of night" angebildet mit dem Text:


    Endlich, der russische Liederabend aus Salzburg.
    "Netrebko und Barneboim verzaubern" Süddeutsche Zeitung


    Was wird suggeriert? Netrebko legt eine Lied-CD in ihrer Muttersprache vor - lange erwartet ("Endlich!"). Es wird nichts über Werke und Interpretation gesagt, sondern das, was die CD auslöst: verzaubern. (Man vergleiche mit dem Slogan von BMW. Kein Wort über Technik, aber Freude am Fahren - das antwortet auf die Frage: Was fühlt der Käufer?)


    Einen anderen Ansatz geht DG bei der Bewerbung der neuesten CD von Anne-Sophie Mutter, rechts oben auf dem zweitbesten Platz der Anzeige zu sehen:


    "Wie Liebesbriefe, von zarter Hand geschieben, klingen diese drei Sonaten für Klavier und Violine von Johannes Brahms in dieser Neuaufnahme"


    Das spricht den Experten an! Korrekte Reihenfolge: Klavier und Violine. Klar: Eine Brahms-Violin-CD hat eine andere Zielgruppe als die Netrebko-Scheibe. Dennoch wird hier mystifiziert, es wird Interesse erzeugt: Liebesbriefe!! War da nicht was bei Brahms ... Clara Schumann ... ? Das CD-Cover passt hundertprozentig dazu: Anne-Sophie Mutters Gesicht im Halbprofil, mit viel Weichzeichner, so dass nur die Mitte des Bildes am wenigsten unscharf ist. Der Rest verschwimmt ... "von zarter Hand geschrieben" - Bild und Text gehen Hand in Hand. Toll.


    (Hoffentlich ist die Interpretation besser. Brahms - der Fortschrittliche! [Arnold Schönberg]).


    Also: Die Zielgruppe sind hier die Halbwissenden.


    Usw. usw. Insgesamt eine professionelle PR. Man erkennt die Zielgruppe und dass die PR gut darauf abgestimmt ist. Dass man einige Aussagen durchschaut, wenn man nicht in die Zielgruppe gehört, ist etwas anderes. Außerdem kann die PR-Agentur auch falsch oder schlecht gebrieft worden sein. Dann ist die PR immer noch professionell, bedient nur eine falsche Zielgruppe oder die richtige Zielgruppe mit falschen Botschaften.


    Es gibt also mindestens noch eine weitere Eben bei der Beurteilung von PR.

  • Lieber Wolfram,
    Besten Dank für Deinen fundierten Beitrag.
    Interessant ist jedoch, daß selbst die professionelle PR der Deutschen Grammophon derzeit nicht funktioniert. Oder aber sie funktioniert - lediglich hat sie keine Auswirkungen auf die Gesamtszene, Warum das so ist will ich hier zumindest ansatzweise zu beleuchten versuchen.


    Zitat

    Es gibt also mindestens noch eine weitere Eben bei der Beurteilung von PR.


    Aber Ja - es gibt etliche. So wie Du es beschrieben hast, habe ich übrigens die Sache noch gar nicht gesehen.


    "Eine Klassik für sich" - welch hübsches Wortspiel, das jedem Klassikgebildeten ein Lächeln entlockt - und ein Kopfnicken dazu.
    Denn wenngleich das hier im Forum gerne bestritten oder angeprangert wird - die meisten Klassikliebhaber halten sich im Grunde ihres Herzens doch für "etwas Beasseres"


    Die beschriebne Taktik : Beste Aufnahmetechnik - Beste Künstler- Beste Musik - für die elitärsten Menschen des Universums. - ist uralt und war immer schon eine besondere Domäne der Schllplattenindustrie (Klassik) und hier in besonderem Maße der Deutschn Grammophon.


    Karajan am Gelblabel - das war unschlagbar...


    Aber inzwischen hat man diese Taktik - jahrelang, wenn nicht länger -gegen eine andere ausgetauscht.


    Man hat Stars aus Billigländern "eingekauft" - genau das was Naxos auch praktiziert - und sie dann zum "Superstar" aufgebaut.


    Bedauerlicherweise klafft hier aber zwischen synthetischem Image und der Realität ein unüberbrückbarer Abgrund.


    Das Peinliche (ja "peinlich" ist hier das richtige Wort) daran ist lediglich, daß dieser Unterschied von den Klassikliebhabern sehr wohl wahrgenommen wird - von den Auftraggebern der Werbung jedoch zumeist nicht.


    Man vermarktet Klassische Musik wie ein Waschmittel - professionell und delletantisch zugleich.


    Eine Werbelinie, die schinbar in der Popmusik gut funktioniert wird unverändert im Klassikbereich eingesetzt.


    Man nehme einen coolen Typen oder eine Sexy Interpretin, möglichst in Jeans oder irgendwi in sportlichen Designerklamotten, und rede den Leuten ein "Das ist einer wie Ihr - aber er liebt klassische Musik -Schaut her wie cool der ist - Wollt ihr nicht auch so sein wie er ?"


    Ob diese Strategie je aufgehen wird ? Ich zweifle daran.


    Ich werde in den nächsten Tage hier in diesem Thread erläutern welche Art der Werbung ich für effizient halte, bzw welche Einfluß auf MEIN Kaufverhalten ausübt.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    "Eine Klassik für sich" - welch hübsches Wortspiel, das jedem Klassikgebildeten ein Lächeln entlockt - und ein Kopfnicken dazu.


    Das Zitat ist doch das Allerpeinlichste.
    :kotz:


    Zitat

    Die beschriebne Taktik : Beste Aufnahmetechnik - Beste Künstler- Beste Musik - für die elitärsten Menschen des Universums. - ist uralt und war immer schon eine besondere Domäne der Schllplattenindustrie (Klassik) und hier in besonderem Maße der Deutschn Grammophon.


    Es ging mal in die Richtung - heute werden die "besten Aufnahmen der besten Musik" an Brilliant verkauft oder modern im Archiv.


    Zitat

    Man nehme einen coolen Typen oder eine Sexy Interpretin, möglichst in Jeans oder irgendwi in sportlichen Designerklamotten, und rede den Leuten ein "Das ist einer wie Ihr - aber er liebt klassische Musik -Schaut her wie cool der ist - Wollt ihr nicht auch so sein wie er ?"


    Ob diese Strategie je aufgehen wird ? Ich zweifle daran.


    Auf der Homepage von DG ist aber momentan nichts davon zu spüren. Wo ist da der Unterschied zu Karajan und Mutter in den 80ern?

  • Hallo miteinander,


    Alfred hat folgende Frage in den Raum gestellt:


    Zitat

    WARUM beschäftigen wir uns überhaupt mit der Frage warum andere Leute, bzw die überwiegende Mehrheit der Klassischen Musik nichts abgewinnen kann ?


    Ganz einfach, würden sich mehr Leute mit Klassik befassen, wäre die Marktsituation besser, es würde mehr Neuaufnahmen geben, angefangene Zyklen würden vollendet, einen bessere Archivpflege wäre da und auch die Bereitschaft, mal ein bißchen ein Risiko mit eher unbekanntem einzugehen und wir könnte wieder einen Status wie vor 25, 30 Jahren erreichen.


    Wendet man sich mit diesen Fragen nun an die Musikindustrie, wird man postwendend auf die entsprechenden Absatzzahlen verwiesen. Da für selbige nun der Hörer verantwortlich ist, drängt sich sofort die Frage auf, warum er das, das und das hört, aber nicht Klassik.


    Zitat

    Welches Image hat denn "klassische Musik" in der Gesellschaft heute, welche Gesellschaftsschichten kommen hier als Zielgruppe in Betracht, welch nicht- oder eher weniger ?


    Welches Image hat die Klassik in der Gesellschaft?
    In unserer auf jugendlich getrimmten ein absolut erwachsenes und zwar mit allen Vor- und ganz besonders allen Nachteilen: Bürgerlich, spießig, miefig, konservativ, autoritär, ernst, Spaß verderbend, fordernd, unmodern, schrullig, kompliziert und wie halt sonst so die Jugend das Alter sieht, wobei selbiges jetzt wohl schon mit 30 angeht, wenn man die ganzen Ü 30 - Party s anschaut, die allenthalben propagiert werden.


    Die Zielgruppe ist daher eine erwachsene und zwar so eine, die sowohl die Fähigkeit, als auch die Bereitschaft besitzt, sich auf auf etwas komplexere, kompliziertere Dinge einzulassen und solche auch versteht, also eine mit einem gewissen Bildungsniveau. Wenn man diese Zielgruppe als bürgerlich bezeichnet, liegt man selbstverständlich nicht falsch, jedoch muss einem klar sein, dass dieser Begriff etwas kurz greift und z.T. auch negativ belegt ist.


    Anstatt nun diese erwachsene Zielgruppe erwachsen anzusprechen, wird sie schlicht und einfach so angesprochen, wie die junge.


    Zitat

    Eine Werbelinie, die schinbar in der Popmusik gut funktioniert wird unverändert im Klassikbereich eingesetzt.


    Und zwar auf eine derart blöde Art und Weise, dass der Kenner nur noch nach dem Motto "Augen zu und durch" verfahren kann, derweil der interessierte Laie ob einer Darstellung, die irgendwo zwischen Melitta-Mann und Abführjoghurt angesiedelt ist, einen Bogen um die Ware macht.


    Klassisches Beispiel dafür ist die DG. Wenn die mit dem Spruch "Eine Klassik für sich" Werbung machen, dann stellt sich für mich - resultierend aus meinem Erfahrungsschatz - doch sofort die Frage, ob das überhaupt was für mich ist, ist es doch schon verdammz lange her, dass die DG zuletzt etwas für mich gehabt hat.
    Und wenn jetzt die DG auch nur noch eine Tonträgergesellschaft unter vielen ist, es hat einmal eine Zeit gegeben, da war sie marktführend und hat durchaus einen Einfliuss auf das Ansehen der Klassik als solcher gehabt.


    Das andere Extrem ist das:


    Zitat

    Man nehme einen coolen Typen oder eine Sexy Interpretin, möglichst in Jeans oder irgendwi in sportlichen Designerklamotten, und rede den Leuten ein "Das ist einer wie Ihr - aber er liebt klassische Musik -Schaut her wie cool der ist - Wollt ihr nicht auch so sein wie er ?"


    Plumpes Anbiedern der übelsten Art, das dazu angetan ist, die ganze Sache in ihr Gegenteil zu verkehren: Was muss das für ein Zeug sein, dass so eine Werbung braucht?


    Wobei das Schlimme dabei ist, dass diese beiden Werbestrategien nicht am Produkt verharren, sondern durchaus auf auf die Darstellung der Klassik als solcher ausstrahlen. Siehe dazu nur die diversen Echo-Preisverleihungen oder gewisse Samstag Abend Shows, wo der ein oder andere Interpret (immer der Interpret, nie die Musik!!!) einen Gastauftritt haben, um dann ihre Wette abzugeben.


    Viele Grüße
    John Doe

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Bei den großen Labels der klassischen Musik hatte es bis zur Jahrtausendwende jedes Jahr die dicken CD-Hochglanzkataloge gegeben,in denen ich wiederholt geblättert hatte.Das hatte zur Folge,daß ich mir die eine oder andere CD auch gekauft habe.Heute muß man sehen,woher man seine Information über Neuerscheinungen bekommt.
    Sofern man auf das Internet zurückgreifen kann,ist man einigermaßen aktuell informiert.Aber worauf soll der Internet-Nichtbenutzer zurückgreifen? In CD-Läden stöbern? Wo findet man die noch? In den großen Verkaufsmärkten wird interessante Klassik nicht angeboten.Und die kleinen Musikläden um die Ecke haben längst geschlossen.Wo also soll man sich mit Klassik-CDs versorgen,wenn nicht über das Internet?
    Das scheint mir für PR wichtig zu sein.Was nutzt die ganze PR,wenn man keine Einkaufsmöglichkeiten mehr hat?
    Ich kann noch von Glück reden,da ich den Saturn in Köln Hansaring (Das Saturn Stammhaus) häufig aufsuchen kann.Das ist das reinste CD-Paradies,auch für den Klassikliebhaber.Dort kann man Stunden verbringen,um nach CDs zu suchen.Aber ich kenne auch andere Saturn-Filialen und dort ist meistens mit Klassik-CDs nichts los.
    Die dicken Kataloge gibt es nicht mehr und somit haben auch die kleinen Labels eine größere Chance,ihre CDs unter die Leute zu bringen.
    Die kleineren Labels,die sich manchmal auch sehr spezialisiert haben,profitieren wahrscheinlich von der Unfähigkeit der großen Labels hinsichtlich der Vermarktung ihrer Produkte.
    Auch in technischer Hinsicht bieten kleinere Labels oftmals SACDs an,was Universal nach 5 Jahren der Vermarktung aufgegeben hat und EMI überhaupt nicht angeboten hatte.
    Wenn ich an Labels wie AliaVox oder Harmonia Mundi ,Pentatone,Anima Eterna denke,so scheinen diese mit der Vermarktung keine Probleme zu haben,da sie sich an einen speziellen Kundenkreis wenden.
    Die großen Labels haben das Problem,es allen gerecht machen zu müssen und richten sich in erster Linie an eine Kundschaft,die am meisten Umsatz verspricht.Und das sind nunmal die,welche die Klassik-CDs kaufen,die sich in den aktuellen Verkaufshitparaden finden und die ich mir deshalb nie anhören würde.
    Beworben werden auch nur CD-Neuerscheinungen.Jeden Monat etwas anderes.Ältere CDs muß man schon selber finden.Selbst im Internet findet man bei den Labels keine Listen vergangener CD-Serien mehr.Für den Sammler,der eine ältere Serie zusammentragen will,tun die Labels nichts.Es gibt keine Kataloge mehr,wo man nachsehen kann.
    Der Klassikliebhaber wird vernachlässigt.
    Die wahren Perlen der Klassik muß man sich selbst zusammensuchen und die findet man immer häufiger bei kleinen Labels.

    mfG
    Michael

  • Zwar bin auch ich ein Internet-User, aber ich möchte Schneewittchen in ihrem Punkt ausdrücklich zustimmen.


    Diese dicken (und kostenlosen!) Hochglanzkataloge vermisse ich doch sehr.
    Ich habe noch einige ältere der DG und der Decca/Teldec und blättere zwischendurch immer wieder gerne darin. Auch wenn sie über die Aufnahmen selbst wenig Informationen boten, so wurde man doch wenigstens auf die bestehenden Produkte aufmerksam - nicht nur auf die Neuerscheinungen.
    Viele meiner Kaufentscheidungen sind dadurch angeregt worden, oder wenigstens meine Neugier, in bestimmte Aufnahmen vor dem Kauf hineinzuhören.


    Von der traumhaften CD-Abteilung des Saturn-Stammhauses habe ich durch einen Musikerkollegen auch schon gehört - beneidenswert.


    Da JPC seine Klassikabteilung in Bielefeld geschlossen hatte ( der Markt sei gesättigt....) muss mein Vater, der noch aus der Nicht-Online-Generation kommt, darauf hoffen, dass sein Sohn, in Norwegen lebend, ihn über interessante Aufnahmen informiert und ihm diese dann über das Netz bestellt.
    Er kann auch versuchen, bei Saturn rein zufällig und von deren Seite unabsichtlich auf eine gute und für ihn neue Klassik-CD zu stossen, bzw. er könnte kann sich CDs aus der Musikbibliothek (über deren Existenz man sehr froh sein kann) leihen.
    Die neuesten Aufnahmen haben die natürlich nicht, und sie können natürlich auch nur eine Auswahl anbieten, allein schon deshalb, weil sie ja auch die viel stärker nachgefragten CDs aus anderen Musikgenres im Programm haben müssen.


    Man setzt offensichtlich nicht mehr auf die älteren Kunden, obwohl die ja am meisten Geld für Klassik-CD-Einkäufe übrig hätten.
    Aus meiner Sicht ist so etwas in der Tat eine dilletantische, fehlgeleitete Vertriebspolitik.


    Die hier gemachten Aussagen Alfreds und Wolframs zur heutigen top-professionellen und gleichzeitig dilettantischen PR decken sich leider auch mit meinen Eindrücken.


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Lieber Alfred,


    ich stimme Dir zu: Die Werbung der DG ist professionell und dilettantisch zugleich.


    Sie ist erkennbar professionell ab dem Briefing der Agentur bzw. Marketing-Abteilung durch die Geschäftsleitung: Der erhaltene Auftrag wurde mit handwerklichem Können korrekt umgesetzt. Das ist professionell.


    Sie ist dilettantisch in der Beauftragung: Wer regelmäßig CDs mit klassischer Musik kauft und ein wenig Einblick in Musik- wie Interpretationsgeschichte hat, wird die Versuche, die Produkte mit dem Gelbetikett an die Frau bzw. den Mann zu bringen, belächeln oder gar peinlich finden. ("Eine Klassik für sich." - "Wie Liebesbriefe, von zarter Hand geschrieben ...")


    Das Dilemma der Geschäftsleitung ist aber auch klar: Der typische Klassik-CD-Käufer hat die Brahms-Sonaten (wie vieles anderes auch) bereits mehrmals im CD-Regal stehen, und die großen Klassiker, die das Spießrutenlaufen vergleichender Diskographien einigermaßen blessurenfrei überlebten, längst gekauft. Warum sollte er noch einmal Brahms in der Besetzung Mutter/Orkis kaufen, die ja schon bei Beethoven allerhand Kritikerschelte einstecken musste?


    Vielleicht ist es weniger die PR, als die Produktstrategie, die gescheitert ist. Ja, früher war Karajan ein Produkt - aller Kritiker der HvK-Gegner zum Trotz: Ein vorzeigbares und marktfähiges Produkt.


    Alfred hat auch da Recht, wo er sagt, dass man heute versucht, solche Produkte zu synthetisieren. Dudamel. Netrebko. Wo ist eigentlich der Pianist Luisada geblieben?


    Eine gelungene Produktstrategie war m. E. die Serie "The Originals". Darin finden sich in der Tat sehr viele überdurchschnittlich gelungene Aufnahmen, die im mittleren Preissegment mehr als attraktiv sind. Hier war das Produkt selbst Werbung genug. (Die überflüssige Hofberichterstattung in den Beiheften hat man ja erst nach dem Kauf bemerkt.)


    Unverständlich ist mir, dass einiges Hervorragendes aus dem Archiv der DG nicht mehr zu haben ist. Spontan fallen mir die Streichquartette von Beethoven, Schumann und Brahms mit dem Melos-Quartett ein. Aber auch vom Hagen-Quartett ist längst nicht mehr alles zu haben, so etwa das Streichquartett Nr. 15 G-Dur D887 von Franz Schubert. Hier würde ich sofort die höchste Preiskategorie akzeptieren (um €20,- pro CD).


    Bei der PR bin ich bereit, Zugeständnisse zu machen, wenn DG versucht, neue Kundenkreise zu erschließen. Das Problem ist halt, dass die Musik, die beworben werden soll, für die Zielgruppe etwas erklärungsbedürftiger sein mag, als die zehn bis fünfzehn Wörter, die man maximal in einen Werbesatz bringen kann. Das ist eine widersprüchliche Anforderung in sich. Es ist ein wenig so, als ob man für Quantenmechanik oder Relativitätstheorie eine Werbung erfinden wollte. Kurz und knackig geht das nicht, ohne die Sache zu verfälschen oder so blumig und wolkig zu bleiben, dass es die Eingeweihten graust. - Oder?

  • Also ich glaube ich möchte mal ein wenig Farbe in diesen Thread bringen: Ja, mich freut die Pop-Kultur in der Klassik-Werbung; ich finde es super, dass frische unverbrauchte und dazu noch schöne Gesichter gezeigt werden und neue Künstler an die Frau und den Mann gebracht werden sollen. Ich finde es sogar super, wenn Netrebko und Co mehr oder weniger bekleidet auf der Bühne durch die Betten hüpfen und vielleicht nur "zweitklassik" singen. Endlich wird wieder über Klassik geredet, füllen sich die Häuser und neue, junge und alte Leute fühlen sich inspiriert, sich mit dem Thema auseinaderzusetzen und ist man erstmal auf den Geschmack gekommen, kommt man schon von ganz allein dahinter, was gut oder schlecht ist und es dürstet einen nach mehr Qualität und wenn nicht, tant pis, dann kaufen sie halt weiterhin überteuerte Karten für "Designerkünstler" oder deren CDs und spülen kräftig Geld in die Kassen. So bleibt wenigstens diese Kulturform erhalten und es wird einen satten Nährboden geben, hochwertige Künstler zu gebären, denn auch für diese wird es dann eine größere Nachfrage geben.
    Jeder "elitäre Dünkel" ist meiner Meinung nach fehl am Platz. Ich freue mich über jeden interessierten Jeansträger in der Oper mehr als über aufgetakelte Pseudointellektuelle; nur kommt der Jeansträger nur, wenn man ihn neugierig macht und dafür braucht es einer Zielgruppenorientierten Werbung, hat er dann erstmal Feuer gefangen, wird er auch irgendwann wie der weiland beturnschuhte Joschka Fischer früher oder später im Anzug auflaufen. Werbung ist ja schließlich nicht dafür gemacht, denjenigen anzusprechen, der sowieso kauft oder kommt.
    Ich kann dann immer noch zuhause meine 50er-Jahre Monoaufnahme hören und mich daran erfreuen, dass ich es besser weiß.

    Beste Grüße, KFB
    _________________________________________
    Being individual is more important than being popular

  • Gerade bin ich auf die Webseite der DG gegangen, die ich zunächst einmal recht langsam fand.
    Der Katalog ist nun online - allerdings muss man wissen, was man sucht.
    Ich habe jetzt einmal "Kozena" und ansonsten keine Vorgaben in die Suche eingegeben. Bis die 28 Ergebnisse erschienen, dauerte es wieder eine Zeit.
    Wenn ich mir vorstelle, dass ich mich durch das Gesamtprogramm durchklicken müsste, dann schliefe ich wahrscheinlich irgendwann auf meinem Stuhl vor dem Bildschirm ein.


    Bei den Neuerscheinungen geht es meinem Eindruck bald nur noch um die Künstler, nicht mehr um die Komponisten und deren Werke.
    Aus meiner Sicht ist das keine gute Entwicklung.


    Warum das traditionsreiche Gelblabel ausgerechnete einen mit einem indischen Zupfinstrument herausbringt, verstehe ich auch nicht so recht.
    Nichts gegen seine Kunst, seine Herkunft oder seine Musik.
    Es ist eben nur so, dass ich aus meinen Kindheits- und Jugendtagen die DG als ein klassisches Label für hochwertig aufgeführte europäische Klassik ( von Mittelalter bis Boulez) kennengelernt habe, und ich von dieser Marke nicht unbedingt Worldmusic erwarte.


    Und ja, sie bringen auch noch Bach-Produktionen heraus, z.B. diese hier:



    Aber auch hier geht es offensichtlich mehr um die Künstler als um die Kunst, mehr um die Ausführenden als um den Komponisten und schon gar nicht um die Inhalte, die für den Komponisten beim Komponieren wichtig waren.
    Das sieht man nahezu symbolisch am sonst eigentlich nicht so schlecht gemachten Cover ( Bach ist nur ganz klein im hinteren rechten Eck) als auch an der Programmgestaltung.


    Diese Reihenfolge ist schon ein für mich schwer verdaulicher Vorgang.
    Erst hört man " Gebt mir meinem Jesum wieder" (aus der Matthäus-Passion) und danach dann " Wann kommst Du mein Heil" aus einer Adventskantate.
    Erst wird einem der Herr Jesus weggenommen und dann fragt man wieder "wann kommst Du, mein Heil?"
    In diesem Stil geht es lustig quer durch den Gemüsegarten weiter.
    Eine Arie aus dem Weihnachtsoratorium ( natürlich mit Violine, damit die Hillary was zu tun hat) fehlt nur noch.
    Zudem finde ich die sich einseitig durchs CD-Programm ziehende Besetzung mit Solovioline ermüdend.
    Bach hätte so etwas nie gemacht.


    Wenn ich also die wunderbare Arie "Wann kömmst Du mein Heil" unbedingt mit der Schäfer hören will ( Sopranistinnen wie Carolyne Sampson wären mir lieber gewesen), dann doch besser im inhaltlichen und von der Spielweise her überzeugenderen Kontext der neuen Harnoncourt-Aufnahme, selbst wenn der handwerkliche Standard dieser Scheibe aus irgendwelchen Live-Gründen nicht an viele andere gute Studio-Aufnahmen Harnoncourts heranreicht.
    Oder man nimmt gleich Koopmans Gesamtaufnahme...


    Nicht dass man sich falsch versteht: Ich sage nicht, dass auf dieser neuen DG-Platte schlecht gespielte/gesungene Musik zu hören ist.
    Aber ich mag diese willkürliche, nur auf die Besetzung ( und damit der Präsentation von Stars) abzielende Zusammenstellung von geistlicher Musik überhaupt nicht.


    Wenn man in ein gutes Restaurant geht, sind die Menüs für deren hervorragende Speisen mit viel Gefühl so zusammengestellt, dass sie auch zusammenpassen.
    Warum sollte man es also bei einer Bach-CD als Plattenfirma derart anders machen? :wacky:


    Nun denn, ich werde es nicht ändern können... :(
    Sie meinen wohl, dass man Bachs Musik nur noch so verkaufen kann.


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Tamino Beethoven_Moedling Banner
  • Hallo miteinander,


    Glockenton sagt:


    Zitat

    Man setzt offensichtlich nicht mehr auf die älteren Kunden, obwohl die ja am meisten Geld für Klassik-CD-Einkäufe übrig hätten.


    Dem ist voll beizupflichten, geht man doch bei den großen Labels dazu über, die Marketingstrategien, die im Pop-Bereich greifen, 1 zu 1 auf die Klassik zu übertragen mit der Folge, dass immer mehr der Interpret in den Mittelpunkt gerückt wird und nicht mehr die Musik. Bei der Gestaltung der CD als solcher verläßt dann aber die Marketingexperten meist der Mut und sie liefern ein Produkt ab, dessen Optik nachgemacht, banal und nichtssagend und noch dazu völlig austauschbar ist. Die von Glockenton angeführte CD "Bach Violin and Voice" könnte doch rein von der Optik her auch eine Aufnahme für irgend ein Trio eines anderen Komponisten sein, genauso gut, wie das Bild als solches auch in der Apothekenrundschau drin sein könnte als Reklame für die Bäderabteilung eines Kurhauses der gehobenen Preisklasse.


    Karl Friedrich Börne sagt:


    Zitat

    Ja, mich freut die Pop-Kultur in der Klassik-Werbung; ich finde es super, dass frische unverbrauchte und dazu noch schöne Gesichter gezeigt werden und neue Künstler an die Frau und den Mann gebracht werden sollen.


    Wenn es denn so wäre und wenn denn die neuen Künstler auch einmal etwas anderes bringen würden, als das Standardrepertoire.
    Stattdessen verharrt man in gepflegter Banalität auf Hochglanzpapier und hofft, dass sich der Kunde noch eine weitere Einspielung eines Werkes kauft, dass eh schon fünf- oder sechsmal bei ihm im Regal steht.


    Zitat

    Ich finde es sogar super, wenn Netrebko und Co mehr oder weniger bekleidet auf der Bühne durch die Betten hüpfen und vielleicht nur "zweitklassik" singen.


    Solange man das sieht und eventuell auch mitmacht ist ja das ganz nett, da kann es sehr wohl sein, dass die optischen Qualitäten der Sopranistin ihre akustischen weit überflügeln und man vor lauter Schauen das Hören vergisst. Die Ernüchterung folgt aber spätestens dann, wenn die Aufnahme im CD-Spieler läuft, fehlen doch da die optischen Reize, derweil die sängerischen Mängel um so deutlicher hervortreten.


    Zitat

    Werbung ist ja schließlich nicht dafür gemacht, denjenigen anzusprechen, der sowieso kauft oder kommt.


    Das stimmt schon, aber Werbung hat halt auch einen nicht unerheblichen Einfluss darauf, wie das beworbene Ding allgemein in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird.


    Viele Grüße
    John Doe
    :hello:

  • Ich finde es schon erstaunlich, wie schnell der Thread sich auf die Vermarktung von Klassik-CDs fokusiert hat. Als ich Alfreds Einleitung gelesen hatte, dachte ich, hier muss ich passen, da ich keine Ahnung habe wie man für Klassische Musik werben kann als durch die Aufführung von klassischer Musik selbst.


    Mein persönlicher Beitrag, um Leute für klassische Musik zu interessieren, ist durchaus bescheiden. Aber ich bin ja auch nur Musik-Konsument. Und so kann ich nur eines machen, nämlich über klassische Musik reden. Z.B. über das letzte Konzert in der Alten Oper, oder einen tollen Beitrag im Fernsehen, oder auch was man so an CDs hat bzw. was gerade auf dem iPOD läuft. Mundpropaganda eben. Im schlimmsten Falle langweilt man sein Gegenüber, aber das darf einen nicht abschrecken. Im besten Falle entdeckt man Gleichgesinnte, mit denen man sein Hobby teilen kann. Und für Leute, die nur so nebenbei an Klassik interessiert, wird man als "Experte" zum Ansprechpartner, bei dem sie ihre Fragen mal loswerden können. Und ich staune: es gibt mehr Leute, die hin-und-wieder gerne mal klassische Musik hören, als man denkt. Nur redet keiner von sich aus darüber.


    Ist der Kontakt hergestellt, ist der nächste Schritt das Teilen. Wenn es z.B. ein tolles Konzert in Frankfurt gibt, dann potentiell interessierte Kollegen, Bekannte und Freunde ansprechen und sie zu einem gemeinsamen Konzertbesuch einladen. Alleine würde sich nie jemand aufraffen, gemeinsam aber macht so ein Event auch viel mehr Spaß. Und die, die man vergessen hat anzusprechen, wollen beim nächsten Mal aber unbedingt dabei sein. Und wichtig ist auch, wenn's den anderen gefallen hat, man selber an der Interpretation aber einiges zu bemängeln hätte, den anderen ihre Freude am Gehörten zu belassen.


    Zum Teilen gehört für mich auch, das eigene CD-Archiv zur Verfügung zu stellen, so dass sich Interessierte gezielt Komponisten und/oder Werke aussuchen können, die schon immer mal interessiert haben, aber nie wussten, ob der Kauf einer CD sich lohnen würde. So verleihe ich gerne was aus meinem CD-Archiv auch mal für längere Zeit. Klassik muss man ja in Ruhe genießen.


    Zum Teilen gehört für mich auch, die eigenen Hör- und Wissensquellen offen zu legen. Heute wird ja z.B. über Pod-Casts eine ganze Menge angeboten. Wikipedia ist eine unschätzbare Anlaufstelle für erste Informationen für klassische Musik (es ist von Vorteil, wenn man mehrsprachig aufgewachsen ist). Und das Internet-Radio bietet ja auch einiges an klassischer Musik. Und nicht zuletzt darf der Hinweis auf Klassik-Foren wie Tamino fehlen.


    Über Reden und Teilen kann man Neugier an der klassischen Musik erwecken. Was daraus wird und wie weit es geht, das steht in den Sternen. Wichtig ist: man sollte niemanden zu seinem Glück zwingen. Man kann nur ermutigen: wer z.B. keine Opern mag, soll das auch ruhig dürfen und nur nicht gleich die ganze Klassik verdammen. Vielleicht sind andere Bereiche der Klassik ansprechender. Klassik ist ja Gott-sei-Dank ausgesprochen vielfältig. Man muss nur den richtigen Startpunkt finden, der Rest kommt dann schon von selbst. Die beste Werbung ist doch die Musik an sich.


    Und man muss Geduld haben. Mein Bruder, der Jahrzehnte lang sich nie für klassische Musik interessiert hatte, benötigte nun für seine Urlaubsfilme entsprechende Hintergrundmusik. Und nun hört er sich die Klassik und entdeckt dabei einiges, was ihm gefällt, ohne dass er es für sein Projekt gebrauchen könnte. So findet man manchmal auch neue Klassikhörer.


    So mache ich als Dilettant Werbung für Klassische Musik. Und wie werbt ihr für klassische Musik?


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Ich vergass eben, unter den geteilten Wissensquellen das Verleihen von Fachzeitschriften wie FonoForum, BBC music magazine oder Gramophon anzuführen.


    Was die darin aufgeführte Werbung für neue CDs angeht, muss ich gestehen, dass die mich in der Regel nicht anspricht. Insbesondere die DGG interessiert mich zunehmend weniger. Denn meist gibt es ja nur das Klassik-Standard-Programm in neuen Einspielungen. Langweilig. Aber den Ankündigungen von Neuerscheinungen bei Hyperion, harmonia mundi France, Chandos oder CPO schenke ich gerne meine Aufmerksamkeit. Das Angebot ist dort vielfältiger. Aber gekauft wird sowieso bei JPC oder Amazon. Und insofern ist die dortige Werbung die wichtigste. Stcihwort Schnäppchen.


    Die meisten Einkäufe wurden in letzter Zeit allerdings durch Klassik-Foren wie Tamino angeregt. Allein schon die "Heute Gehört" und "Heute Gekauft" Threads sind mir manchmal Anregung genug, meine Sammlung zu komplettieren. Insofern ist dieses Forum eigentlich eine einzige Werbeplattform für klassische Musik. Und selbst wenn eine Aufnahme mal angefeindet wird, dann findet sich hier aber auch irgendwo doch noch ein Fürsprecher, der tapfer dagegen hält. Weshalb man sich eine eigene Meinung bilden muss, und die CD dann doch kauft.


    Wenn ich mir das so überlege, müsste Tamino doch eigentlich von der Musikindustrie gesponsert werden. Hier ist doch sicherlich 10% der Kaufkraft der Klassikbranche versammelt.


    Was mir aber an den besagten Zeitschriften auffällt, ist das dort eher bescheiden Werbung für Klassikkonzerte gemacht wird. Offensichtlich ist die Werbung an den lokalen Litfaßsäulen und die Propagierung der Programme im Internet ausreichend.


    Gruß enkidu2

    Nach Schlaganfall zurück im Leben.

  • Zitat

    Original von enkidu2
    Ich finde es schon erstaunlich, wie schnell der Thread sich auf die Vermarktung von Klassik-CDs fokusiert hat. Als ich Alfreds Einleitung gelesen hatte, dachte ich, hier muss ich passen, da ich keine Ahnung habe wie man für Klassische Musik werben kann als durch die Aufführung von klassischer Musik selbst.


    Ich finde das einen sehr wichtigen Hinweis. Klassische Musik ist nicht identisch mit CDs und natürlich müssen diese CDs wie andere Produkte mehr oder weniger sinnvoll beworben und vermarktet werden. Wobei ich zugeben muss, dass ich die Liebesbrief-Charakterisierung der Brahms-Sonaten sehr dümmlich finde, selbst wenn ein Satz dort "amabile" bezeichnet ist, so passt es ingesamt überhaupt nicht (man nehme die d-moll-Sonate...)


    Im Grunde ist ein Marketing mit Jugend und Sex nicht weniger dämlich als eines mit Luxus oder traditionell-bürgerlicher Solidität (oder was auch immer einem vorschweben mag). Die Musik ist soviel großartiger als das Marketinggequatsche, dass hier immer ein Mißverhältnis bestehen wird.
    Diese Besonderheit kann man aber eben nur selbst erfahren



    Ich finde sehr lobenswert, was Du machst. Selber muss ich zugeben, dass ich derartige Werbung kaum mehr mache, seit ich als Teenager meine Geschwister damit verprellt habe, und später im Studium einige Versuche ebenfalls wenig gefruchtet haben. Nun hat meine Schwester vor ein paar Monaten mal von sich aus nach einigen Klassikstücken (ausgehend von Mendelssohns Sommernachtstraum) gefragt, da habe ich ihr natürlich ein paar CDs mitgegeben. Was sie davon gehört hat, weiß ich aber nicht genau.


    Mein Werben beschränkt sich daher eher darauf, im Internet und bei den wenigen persönlich bekannten Klassikfreunden, auf Musik, die diese noch nicht kennen, aufmerksam zu machen.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)


  • Das finde ich eine etwas unfaire Kritik. Recital-Platten der einen oder anderen Art gibt es seit Jahren, auch solche, die Stars manchmal nur um der Stars willen zusammenbringen. Immerhin ist der Schriftzug "Bach" am größten auf dem Cover (anders als bei etlichen Karajan-Editionen...)
    Ich werde mir diese CD sicher auch nicht kaufen, aber mich stört nicht, dass es sie gibt. Zumal die DG bzw. Archiv ja alle Passionen usw. in mehrfacher Ausführung im Katalog hat, es also nicht stimmt, dass sie sonst keinen Bach mehr anbieten würden. (Auch wenn die Neuaufnahme der Matthäuspassion unter McCreesh schon ein paar Jahre zurückliegen mag, so wurde diese damals als ziemlich spektakulär empfunden).


    Es handelt sich bei der Bach-Anthologie ja durchweg um Originalstücke, die ungeachtet des fehlenden Zusammenhangs (den könnte man genaugenommen auch beklagen, weil wir heute Kantaten ohne Predigt und Gottesdienst zuhause auf CD anhören), durchaus Hörer gewinnen könnten, die die Kantaten bisher für abschreckend oder langweilig hielten.
    Es ist im Grunde eine etwas ungewöhnliche Art "Wunschkonzert", wie wir es bei Opernarien schon lange kennen, und vereinzelt auch bei geistlicher Musik.


    :hello:


    JR

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    Original von Johannes Roehl
    Das finde ich eine etwas unfaire Kritik. Recital-Platten der einen oder anderen Art gibt es seit Jahren, auch solche, die Stars manchmal nur um der Stars willen zusammenbringen.


    Ja, vielleicht wird meine Kritik an dieser Stelle zu hart und muss schon fast als unfair bezeichnet werden.
    Immerhin machen sie ja eine Bach-Produktion, und auf diese Weise werden wunderbare Arien wie "Wenn Trost und Hülf ermangeln muss" einem breiteren Publikum bekannt. Das alles ist ja erst einmal positiv.


    Zudem machen sie es ja wirklich nicht schlecht, wenn wir schon einmal dabei sind:

    Vom Standpunkt einer historisch informierten, lebendig sprechenden Spiel- und Singweise her, gefällt mir der Continuo-Cellist schon sehr gut.
    Ich finde auch, dass die Vokalisten ihre Sache ordentlich und anhörbar machen.
    Bei der Violinistin höre ich viele gute Elemente zeitgemässen Bachspiels, allerdings auch einen mir an manchen Stellen immer noch zu schweren Bogenstrich.
    Ähnlich wie der Cellist müsste sie m.E. bei den entsprechenden Tönen dynamisch zurückfedern und insgesamt sich einer reicheren Detaildynamik und Tongebung bedienen.
    Wenn man o.g. Arie von Marie Leonhardt auf ihrer Stainer-Geige kennt, dann wird man hören, in welchen Bereichen Hilary Hahn ihre stilistischen Studien ggf. noch erweitern könnte.
    Die grösseren melodischen Zusammenhänge erkennt sie aber sehr gut, und geigerisch/spieltechnisch ist das, was sie da macht ohnehin über jeden Zweifel erhaben.


    Also: Es handelt sich hier nach meinem Dafürhalten keineswegs um eine niveaulose, schlechte Aufnahme! Im Gegenteil, hier ist eine sehr schön interpretierte Musik eingefangen worden, insbesondere dann, wenn man die einzelnen Arien für sich genommen betrachtet.


    Die Frage der Produktionspolitik (z.B. Gesamtaufnahmen oder Recitals) scheint mir hier durchaus mit dem Bereich der PR zusammenzuhängen.


    Diese Einspielung hier



    ist von der Art als auch von der Aufmachung her in meinem Augen und Ohren eine konservative, klassische (und auch ganz hervorragende) Klassikproduktion.
    Startet die DG, die zurecht auf eine glorreiche Vergangenheit zurückblicken kann, heute noch solche Projekte?
    Die sicher spektakuläre MP mit McCreesh ist ja auch schon einige Jahre her.
    Suzuki ist ja in der glücklichen Lage, dass er die Einspielungen seiner Kantaten und geistlichen Werke von Bach ( und mehr) bei BIS ungehindert zu Ende bringen kann. Wie man hört, verkaufen sich diese Aufnahmen auch gut. Ob er das auch unter dem Gelblabel hätte machen können, ist eben die Frage.


    Wenn durch die PR (auch im Konzertbereich) und die Produktionspolitik/Werbung bei CDs etc. zunehmend der Eindruck entsteht, dass der Komponist nur noch die Nebenrolle eines Steigbügelhalters für den eigentlichen Klassikstern spielt, dann gefällt mir das irgendwie nicht.


    Eine solche Kritik zu äußern, halte ich für legitim.


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    WARUM beschäftigen wir uns überhaupt mit der Frage warum andere Leute, bzw die überwiegende Mehrheit der Klassischen Musik nichts abgewinnen kann ? Ist es ein verkapptes kommunikatives Verhältnis, daß man scheinbar den unstillbaren Drang in sich spürt andere an seiner Freude teilhaben zu lassen ?


    Ich denke schon, dass das im Wesentlichen so ist. Klassische Musik ist wunderschön und bereitet große Freude und die Leute, die sie nicht hören, wissen gar nicht was sie verpassen.


    Für mich ist es übrigens dasselbe mit Büchern. Ich lese sehr viel und kann überhaupt nicht nachvollziehen, dass es Menschen gibt, die das nicht tun. Ich versuche auch ab und an Nichtleser dadurch zu bekehren, dass ich ihnen mal ein Buch schenke, von dem ich denke, es könnte ihnen gefallen - in der Regel wird das Buch aber dann gar nicht gelesen. (Ich verschenke auch nur Bücher, die ich selber schon gelesen habe.)


    Übrigens finde ich es einfacher, jüngere Menschen (Jugendliche) für Klassik zu begeistern als schon Erwachsene. Bei letzteren stößt man oft auf größeren Widerstand.


    Mir persönlich begegnet Werbung für klassische Musik übrigens äußerst selten.

    Viele Grüße,


    Marnie

  • Zitat

    Mir persönlich begegnet Werbung für klassische Musik übrigens äußerst selten.


    OI nein, sie begegnet Dir andauernd, Du nimmst sie nur nicht bewuaar wahr, Sei es die Handykennung
    Deines Nachbarn in der Ubahn, oder die einschmeichelnde Melodie in der Parfümwerbung, die Sinatur eines Fernsehsenders, die "Europahynme", ja auch im Kaufhaus und Supermarkt wird klassische Musik eingesetzt, sowie in der Telefon-Warteschleife von Großunternehmungen, Ämtern und Fluggesellschaften. Überall da wo man meint den Kunden bei Laune halten zu müssen - denn es besteht ein weitverbreiteter Irrglaube, daß Klassische Musik einen beruhigenden Einfluß auf die Psyche ausübt........ :hahahaha:


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    OI nein, sie begegnet Dir andauernd, Du nimmst sie nur nicht bewuaar wahr, Sei es die Handykennung
    Deines Nachbarn in der Ubahn, oder die einschmeichelnde Melodie in der Parfümwerbung, die Sinatur eines Fernsehsenders, die "Europahynme", ja auch im Kaufhaus und Supermarkt wird klassische Musik eingesetzt



    Zwischen Verwendung von klassischer Musik und Werbung für klassische Musik besteht allerdings doch ein Unterschied! Wenn in einem Woody Allen Film ein Schubert-Stück als Filmmusik verwendet wird, ist das ja auch keine Werbung für Schubert, sondern schlicht ein Stilmittel von Woody Allen. Analog sind deine Beispiele zu sehen.
    Werbung für klassische Musik würde ich so verstehen, dass Produzenten von klassischer Musik (Komponisten, Interpreten, Konzertveranstalter, Plattenfirmen, etc) versuchen, den Verkauf von klassischer Musik zu beeinflussen. Dass Woody Allen das womöglich auch tut, mag sein, aber er ist halt kein "Produzent" von Schubert Musik und es ist ihm wahrscheinlich auch egal ob die Verkaufszahlen steigen.


    Gruß,
    Tobias

  • @ Von Rossum


    In der Tat.


    Werbung ist stets zielgerichtet.
    Und ich war in meinen Gedanken fälschlicherweise bei PR.
    Nun gut, wenn Woody Allen in einem seiner Filme klassische Muisik verwendet, dann ist das vermutlich auch noch keine PR es sei denn die Klassikindustrie (welch grässliches Wort) beeinflusst den Filmproduzenten, eine bestimmte Melodie einer bestimmten Aufnahme in den Film einzubauen.


    Tamino ist in gewisser Weise auch PR für Klassische Musik - allerdings sind die Hintergedanken nicht vorzugsweise kommerziell, sondern mir geht es darum eine gewisse Lobby der Klassikhörer zu bilden und Einfluß auszuüben.


    Wie ich erst heute (ähh gestern) durch einen Zufall erfahren habe, gab es ein Symposium zum Thema "Klassische Musik im Internet"
    Tamino wurde dort erwähnt - allerdings nicht unbedingt positiv, ein derart kritisches Forum mit rigiden Aufnahmeregeln scheint vielen ein Dorn im Auge zu sein - und ist als Instrument der Massenvermarktung von klassischer Musik ungeeignet, Offensichtlich werden wir eher als Störfaktor gesehen.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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    Original von van Rossum



    Zwischen Verwendung von klassischer Musik und Werbung für klassische Musik besteht allerdings doch ein Unterschied! Wenn in einem Woody Allen Film ein Schubert-Stück als Filmmusik verwendet wird, ist das ja auch keine Werbung für Schubert, sondern schlicht ein Stilmittel von Woody Allen. Analog sind deine Beispiele zu sehen.
    Werbung für klassische Musik würde ich so verstehen, dass Produzenten von klassischer Musik (Komponisten, Interpreten, Konzertveranstalter, Plattenfirmen, etc) versuchen, den Verkauf von klassischer Musik zu beeinflussen. Dass Woody Allen das womöglich auch tut, mag sein, aber er ist halt kein "Produzent" von Schubert Musik und es ist ihm wahrscheinlich auch egal ob die Verkaufszahlen steigen.


    Das sehe ich auch eher so.


    Ich empfinde ein Handyklingeln oder das Einspielen klassischer Musik in einem Film, oder das Gedudel in Kaufhäusern oder gerne auch beim Zahnarzt :D (weil so beruhigend) nicht als Werbung.


    Wobei ich gestehen muss, dass ich es nicht gut haben kann, wenn jemand bei der Arie "La donna è mobile" aus dem Rigoletto sagt: Ah, das kenne ich, das ist aus der Choco Crossies-Werbung :(
    Ich würde das aber nicht als Werbung für klassische Musik ansehen.

    Viele Grüße,


    Marnie

  • Zitat

    Ah, das kenne ich, das ist aus der Choco Crossies-Werbung
    Ich würde das aber nicht als Werbung für klassische Musik ansehen

    .


    Ohne ernstlich widersprechen zu wollen, so ist es dennoch ein Zeichen, welche BEDEUTUNG die Werbung der "klassischen Musik" beimisst, die schönste freiwillige PR, die man sich denken kann.


    Klassische Musik wird hier mit "edel" und "Oberschicht" assoziiert,
    meiner Meinung nach sehr vorteilhaft für das Genre



    Wir brauchen Krimis wo der Held, Kommissar, oder Priovatdetektiv eine Marotte in Sachen "klassischer Musik" hat (vielleicht schreib ich mal sowas), ein verkappter Pianist (ähnlich wie Sherlock Holms, der - allerdings schlecht - Geige spielte) ein Plattensammler immer auf der Suche nach einer raren Klassik-CD, oder ein leidenschaftlicher Opern- oder Konzertbesucher....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt


    Ohne ernstlich widersprechen zu wollen, so ist es dennoch ein Zeichen, welche BEDEUTUNG die Werbung der "klassischen Musik" beimisst, die schönste freiwillige PR, die man sich denken kann.


    Stimmt, das sehe ich genau so.

    Viele Grüße,


    Marnie

  • was gestern "out" war, kann morgen "in" sein


    Deutschland z.B., jahrelang ein scheinbarer Hort der Mustergültigkeit und Langeweile... international in
    die Bundesliga - international in
    Wandern - Sehr in, war mal extrem out


    Klassische Musik ist immer eine Alternative zur zunehmend gleichförmiger (und langweiliger) werdenden Popmusik - Radiosender spielen inzwischen alle fast dasselbe Programm, nämlich das, was per Marktforschung als nicht umschaltverdächtig getestet worden ist, überall hört man den gleichen Brei.


    Klassische Musik ist eine Möglichkeit, die furchtbare Gleichförmigkeit zu durchbrechen - wobei ein genervter Jugendlicher natürlich auch beim alten Pop (Beatles, Stones, Van Morrison etc.) landen kann und zur Zeit wahrscheinlich landen wird - aber es bedarf nur eines prominenten Auslösers, und Klassik (Best of...) landet auf den CD-Tellern der jungen Generation.


    Schaunmama...

  • Musiker auf der Grenze
    Sie leben nicht davon, doch sie leisten Beachtliches


    Zwischen den professionellen Musikern und den Liebhabern hat sich in den letzten Jahrzehnten eine Zwischengruppe herausgebildet, die weder in die eine noch in die andere Gruppe passen. Sie bestreiten ihren Lebensunterhalt nicht von dieser Tätigkeit, aber sie musizieren auf einem Niveau, das oftmals an das von Berufsmusikern heranreicht, so hoch auch der Anspruch ist, der an letztere gestellt wird. Dies lässt sich im Bereich der (Kammer-)Chöre wie auch in vergleichbaren Instrumentalensembles beobachten. Oft ist die Grenze nur schwer auszumachen, wie mehrfach ein Frankfurter Wettbewerb für Laienmusiker ergab: Ist eine Sängerin mit klassischer Ausbildung als Laie einzustufen, nur weil sie mittlerweile Ehefrau und Mutter wurde und nur sporadisch auftritt?


    Wie auch immer, entscheidend ist die Lebensqualität, die der aktive Umgang mit Musik für einen Erwachsenen bringen kann, umso leichter, wenn nicht die Existenz von der erfolgreichen Aufführung abhängt. Wie viele haben sich in ihrer Jugend gewünscht, ein Instrument zu spielen, oft taucht dieser Wunsch wieder auf, wenn eigene Kinder problemlos eine derartige Möglichkeit erhalten, manchmal ohne sie recht zu würdigen. Eine andere Situation tritt ein, wenn das Ausscheiden aus dem Beruf plötzlich Freiräume öffnet; ein Aspekt, der in den letzten Jahren immer mehr an Bedeutung gewonnen hat.


    Eine lange Tradition hat die Pflege in Chören, vom ländlichen Gesangverein bis zum Oratorienchor; hier bietet das Kollektiv dem Einzelnen Schutz und Deckung. Anders sieht dies beim Sologesang aus, hier geht es nicht ohne eine langjährige systematische Schulung. Doch dann taucht das nächste Problem auf: Wo finden sich angemessene Auftrittsmöglichkeiten? Gewiss bieten sich Gelegenheiten im kirchlichen Rahmen, bei Chorkonzerten oder literarischen Veranstaltungen. Doch verlangt dies ein Netzwerk an Kontakten, wenn die Auftritte nicht allzu selten werden sollen. Hier sann eine ehemalige Sängerin auf Abhilfe. Fünf Jahre ist es her, dass die künstlerische Leiterin einen lockeren Verbund von Sängern gründete, die sich regelmäßig zu Arbeitstagen oder Konzerten treffen. Die modernen Medien machen es möglich, dass man sich über große Entfernungen hinweg unter dem Motto „Bel Canto Ensemble“ hinweg zu gemeinsamen Projekten vereinigt. Auszuräumen ist hier ein naheliegendes Mißverständnis: der Begriff „Ensemble“ meint nicht einen Chor sondern eine Vereinigung von Solisten, die sich allenfalls gelegentlich zu Duetten oder größeren Ensembles zusammenfinden, in der Regel aber solistisch auftreten. In den vergangenen Jahren kam eine stattliche Reihe erfolgreicher Veranstaltungen zusammen, wie Konzerte und workshops.


    Angesichts derartiger eindeutiger Erfolge ist es erstaunlich, dass diese einzigartige Initiative noch immer nicht die Förderung erfährt, die sie zweifellos verdient. Was die Initiatorin fast täglich an Zeit und Energie aufwendet, um die einzelnen Veranstaltungen zu organisieren, geeignete Räumlichkeiten und Instrumente, Dozenten und Teilnehmer zu finden, lässt sich ohnedies nicht in Euro und Cent aufrechnen. Hätte sie das Gleiche in einem städtischen Rahmen geleistet, so wäre sie längst mit dem Kulturpreis oder der Ehrenbürgerschaft ihrer Gemeinde ausgezeichnet worden. Doch über viele Hunderte von Kilometern verpufft die Wirkung. Es gibt so viele Kulturförderungen. Doch wer schlägt sie für eine Maßnahme vor? Viele Mitglieder sind dankbar für die Möglichkeit, in attraktivem Rahmen aufzutreten. Aber sie können (und wollen?) nichts dazu beitragen, dass dieses Angebot bekannter wird. Bisher spielt sich alles in einer verkehrten Welt ab. Schließlich darf es nicht heißen „Was kostet es, wenn wir hier auftreten?“ sondern „Was ist es Ihnen wert, wenn wir in Ihr Haus ein attraktives Konzert bringen?) Erst vor kurzem gestaltete das Ensemble ein ansprechendes Konzert in Hamburg - als Benefizkonzert!
    Wer aber sammelt für die Kosten des Ensembles: die Reisespesen, den Pianisten usw.?


    Quelle: Gerhard Schroth Eschborn/Wiesbaden

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  • Ich sehe das so:


    Marktforschung und Marketingstrategien gab und gibt es mehr als genug. Das ist auch an den Herrschaften der Klassik-PR nicht vorübergegangen. Professionell KONZIPIERT ist also durchaus ein Großteil der Werbung. In vielen Fällen (nicht nur bei der (klassischen) Musik) ist die WIRKUNG aber dilettantisch.


    Man könnte auch sagen, die Werbung wird professionel konzipiert, aber enthält falsche Ideen und Zielsetzungen. Denn das Problem an der Klassik-PR ist, dass sie in dem Sinne Werbung macht, dass die das "Star-" und "Superstargehabe" der modernen U-Musik "abkupfert".


    Die Namen der großen Komponisten und Interpreten (inklusive Dirigenten) sind GENAU NICHT der Punkt, den Nicht-Klassikhörer nicht kennen. Es ist das musikalische Wesen, wozu Ihnen der Zugang fehlt (weshalb immer reservierte Vorbehalte genannt werden, die da lauten die klassische Musik sei "zu steif, zu gebildet, zu elitär, ZU WENIG GEFÜHLSBETONT im Besonderen (die jungen Leute heute wollen in der Musik aufgehen, in ihren extrovertierten Gefühlen mit ihr "eins" werde, ABDANCEN eben").


    Aber eben: Die Klassik-PR bemüht sich nicht DIESES eigentliche "Problem" "in den Griff zu bekommen" - sondern wie meint wenn sie die Komponisten und Interpreten der Klassikwelt in den Sprachgebrauch der Pop-Musik hineinzwängen würden sie eher Gefallen der U-Musik Hörer finden. Aber diese Namen kennen viele dann doch besser als man denkt (aber leider: sie kennen sie eben meist nur in dem billigen Zusammenhang wie die PR sie vermarktet). Und hier liegt das Problem: Wenn man diese Namen kennt, aber auch Klassikhörer ist, dann mag einem das dilettantisch vorkommmen, aber man schmunzelt wenigstens noch darüber. Wenn man aber kein Klassikhörer ist, so MUSS einen die Werbung teils extrem lächerlich vorkommen. Was dann eben nur wieder die oben genannten Vorurteile letztlich untermauert.


    Auf der Rückseite des JPC-Courier war neulich zu lesen:


    "Deutschland ist berühmt für seine Komponisten. - Jetzt auch für seine Sänger!" (ich weiß nicht mehr, wessen neue CD da beworben wurde)


    Da sag ich nur noch "Hallo????". Ich fand das so lächerlich, dass ich schon wieder nurnoch vergnügt drüber lachen konnte. Aber wenn ich mir vorstelle in dieser Situation kein Klassikhörer gewesen zu sein? Ich hätte wohl gedacht, dass "Klassizisten" an Größenwahn leiden und tatsächlich nen elitären Knall haben.


    Nicht ganz so krass, aber doch vom Ansatz her ist das das Problem, was meiner Meinung nach der Klassik-PR zu grunde liegt.


    :hello:


    nach längerer Zeit mal wieder:


    Peter

  • Hallo Peter Pasdzierny,


    du führst folgende Vorbehalte von Nicht-Klassikhörern an:


    Zitat

    die klassische Musik sei "zu steif, zu gebildet, zu elitär, ZU WENIG GEFÜHLSBETONT im Besonderen (die jungen Leute heute wollen in der Musik aufgehen, in ihren extrovertierten Gefühlen mit ihr "eins" werde, ABDANCEN eben").


    Ich habe das weiter oben mal in dem Begriff "erwachsen" zusammengefasst - etwas, dass sehr wohl auch positiv aufgefasst werden kann. D.h. die ganzen Vorurteile, die der Nicht-Klassikhörer da jetzt anführt, sind nur die negativen Aspekte einer wertneutralen Eigenschaft oder Sache, die durchaus auch ihre guten Seiten hat.


    Statt nun letztere herauszuarbeiten und zu betonen, bestätigt man gleichsam erstere, in dem man die U-Musik-PR nachäfft. Dass damit der ganzen Klassikszene ein Bärendienst erwiesen wird, das wird irgendwie übersehen. Den Klassik hat ja sehr wohl auch noch einen optischen Aspekt, nämlich ihr Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit, dass sich eben aus der Gestaltung der CDs, einschlägiger Websites und der Präsentation in den Medien zusammensetzt.
    Anstatt eine gewisse Sachlichkeit, eine gewisse Seriosität walten zu lassen, kommt dabei immer öfter ein pseudojugendliches Anbiedern heraus, das - wie du richtig festgestellt hast - einem Nicht-Klassikhörer extrem lächerlich vorkommt, "was dann eben nur wieder die oben genannten Vorurteile letztlich untermauert."
    Und wie der gute alte de Sade in einer seiner Revolutionsschriften schon festgestellt hat, um einer Sache wirklich zu schaden, um sie wirklich zu Grunde zu richten, dann muss man sie lächerlich machen.


    Viele Grüße
    John Doe
    :hello:

  • Zitat


    Original von Peter Pasdzierny
    Es ist das musikalische Wesen, wozu Ihnen der Zugang fehlt (weshalb immer reservierte Vorbehalte genannt werden, die da lauten die klassische Musik sei "zu steif, zu gebildet, zu elitär, ZU WENIG GEFÜHLSBETONT im Besonderen (die jungen Leute heute wollen in der Musik aufgehen, in ihren extrovertierten Gefühlen mit ihr "eins" werde, ABDANCEN eben").


    ....gut erkannt, wobei diese Charakterisierungen der klassischen Musik leider krasse Vor- und Fehlurteile der Leute sind.
    Meine Liebe zur klassischen Musik ist gerade in der Kindheit und vor allem in der Jugendzeit derart heftig aufgeflammt, dass ich immer noch dafür brenne. Das Erleben dieser Zeit war für meinen späteren Werdegang unglaublich wichtig.
    Mich hätte niemals etwas interessiert, was ich als zu steif, zu gebildet, zu elitär, zu wenig gefühlsbetont usw. empfunden hätte.
    Ich wollte im Strom gewaltiger Gefühle baden und habe dies auch z.B. mit Beethovens Musik getan.
    Im meinem Jugendraum habe ich mich mit meinem AKG-K340 -Kopfhörer
    auf dem Kopf zu dieser Musik wie ein Verrückter bewegt, war nach der 9. Symphonie komplett reif für die Badewanne....und bin vor allem innerlich unglaublich angerührt worden.
    Als Jugendlicher hast Du geradezu eine Sucht nach gewaltigen und erschütternden Erfahrungen.
    Obwohl ich heute viel bewusster und analytischer höre, Musik durchaus auch als Arbeit empfinde, und es schon einer ausgewählt guten Komposition und Aufführung für derart eruptive Gefühlsempfindungen bedarf, habe ich mir die emotionale Intensität dieses jugendlichen Sturm und Drangs zum Glück bewahren können.


    Dieses "der Musik aufgehen", mit ihr" in ihren extrovertierten Gefühlen mit ihr eins werden" kann die Klassik also durchaus auch und gerade für einen jungen Menschen bieten.
    Es ist eben - wie von Peter eben schon gesagt- der fehlende Zugang, der aufgrund von Umwelteinflüssen irgendwie verbaut sein muss.
    Nun hatte ich dadurch, dass in in unserem Hause "Musik" eben "nur Klassik" bedeutete, den heute wohl sehr seltenen Vorteil, dass ich schon als Kind damit ganz selbstverständlich aufwuchs. Mein Interesse für Hifi-Technik führte mich dazu, dass ich mit Papas Anlage spielen wollte - und da gab es eben nur Klassik-LPs.


    Wie man heutzutage mit den Mitteln der PR auch junge Leute für die klassische Musik gewinnen könnte, wenn man denn wollte (wobei andere Faktoren wie Früherziehung etc. viel wichtiger wären), kann ich auch nicht so leicht beantworten.


    Ich schätze ja durchaus die alten Cover mit Fotos von gestrengen alten Herren wie Böhm oder einfach schönen Landschafts- und Wolkenbildern... vielleicht ist das auch schon Nostalgie.
    Aber ob ich meine Söhne damit begeistern könnte....? Wohl eher nicht.


    Soll man, um auch Jugendliche zu erreichen etwa mit englischen Sprüchen wie " Be drunk in your emotions -B E E T H O V E N" ankommen? ;)


    Die Klassik-PR nimmt junge Menschen wahrscheinlich gar nicht als Zielgruppe wahr - womit sie wohl einräumen, dass sie selbst nicht daran glauben, dass die Klassik eine Zukunft hat ( siehe der andere Thread)


    Wir sind uns einig, dass dieses Abkupfern des "Star- und Superstargehabes" der modernen U-Musik der falsche Weg ist, allein schon deshalb, weil er von der Musik wegführt.
    Dass klassische Musik sehr wohl eine extrem emotionale und erfüllende Sache gerade für junge Leute sein kann, könnte vielleicht ein besserer Ansatz sein.
    Dabei sollte jede Werbemaßnahme - auch die unkonventionellen- dem Niveau des "Produktes" Klassik Rechnung tragen.


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Hallo Glockenton,


    du sagst:


    Zitat

    Wie man heutzutage mit den Mitteln der PR auch junge Leute für die klassische Musik gewinnen könnte, wenn man denn wollte (wobei andere Faktoren wie Früherziehung etc. viel wichtiger wären), kann ich auch nicht so leicht beantworten.


    Muss man das überhaupt? Oder anders gesagt, für welche Altersgruppe haben denn Bach, Beethoven, Bruckner und Berio eigentlich komponiert?


    Wenn ich mich zurückerinnere, wie wir als Pubertierende am Gymnasium mit Schillers Don Carlos getriezt worden sind, verwundert es mich nicht, dass ich jetzt Verdis gleichnamiger Oper deutlchst den Vorzug gebe.


    Meines Erachtens spiegelt die Akzeptanz der Klassik innerhalb der Gesellschaft auch die Einstellung der selbigen zu den unterschiedlichen Altersstufen wieder. Wenn sich eine Gesellschaft "for ever young" an die Brust heftet und sich einer hemmungslosen Verherrlichung der Jugend hingibt, dann bleibt dem mittelalten, mittel gebildeten Michel Deutsch doch gar nichts anderes über, als sich auf jung zu trimmen und sich Mickey German zu nennen. Oder anders gesagt in so einem Umfeld gehört schon ein gehöriges Maß an Selbstbewußtsein dazu, auf Klassik zu beharren und sich somit gegen den Strom zu stellen.
    Wie weit das nun konkret zutrifft, kann jeder an sich selbst überprüfen.


    Viele Grüße
    John Doe
    8)


  • Da drücke ich mal kurz auf die Tränendrüse und erinnere mich an meine Schulzeit, wo ich wirklich Probleme mit meinem Musikgeschmack hatte. Erst kurz vor dem Abi wurde die Toleranz größer aber trotzdem war ich bei vielen der Außenseiter.


    Aber natürlich muss auch die klassische PR sich den Gegenbenheiten anpassen. Da viele Menschen heute nur nach ihren eigenen Befindlichkeiten gehen, wählt auch die PR eine Sprache wo sie sich wieder finden kann. Auch ich schreibe viel in die Kritiken rein, was die Musik ausgelöst hat, was ich beim Hören für Assoziationen hatte. Aber wo für uns reiner Ausdruck aufhört und die Technik beginnt, da ist bei anderen Schluss. Wenn ein Sänger technische Fehler macht, hören das nur wenige, manche erahnen nur einen fehler ohne ihn benennen zu können. Aber vor 20 Jahren war mir das auch noch egal, da spielte es nur die Rolle ob die Musik mich mitreißen konnte. Lange Spran-Arien waren für mich nicht interessant, das kam erst im Laufe der Jahre.
    Da ich also aus eigener Erfahrung weiß, dass klasssiche Musik mitreißen kann, und man es den Leuten nur zeigen muss, dann darf auch die Sprache dafür auch durchaus reißerisch sein.


    Auch die Bild hat schon über völlig verkorkste Inszenierungen geschrieben (z.B.: Entführung an der komischen Oper, Berlin). Auch wenn ich lieber das Fachblatt lese, finde ich es dennoch gut, dass Oper auch mal an anderer Stelle zur Sprache kommt.

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