Beethovens EROICA meine EROTICA

  • EROICA meine EROTICA


    Diese "Liebesgeschichte" fing vor vier Jahrzehnten an, nämlich als ich Beethovens 3. Symph in Es-Dur op.55, die sogenannte EROICA, mit Sir John und dem BBC Symph.Orch. zum ersten Male hörte.


    Die Aufnahme ist von 1968, zwei Jahre später starb Barbirolli.


    Ich kannte die Eroica seit meinem 15 Lebensjahr von verschiedenenen Platten. Wenn ich mich recht erinnere, waren es Aufnahmen mit Karajan, Furtwängler, Bruno Walter, Erich Kleiber und Klemperer, die mir bekannt waren.
    Ich möchte alle Tamino Fans fragen, für die diese Symphonie eine besondere Rolle spielt....
    und zwar weil es einen nun bereits seit sehr langer Zeit sich herauskristallisierender "Brennpunkt" für mich gibt, der das Entscheidende bei der Interpretation dieser Symphonie zu sein scheint, natürlich in meinem ganz subjektiven Hörerleben.
    Es ist vielleicht nicht unwichtig zu bemerken, dass ich keine Partitur lesen kann und mich also nicht auf "Fakten" der Partitur, sondern nur auf mein Gefühl und meine allerdings recht gute Kenntnis dieses Werkes berufen kann.
    Ich komme zum "Knasusknackdibus", wie der Hamburger sagt. Das was sicher viele an dieser Symphonie fasziniert oder gar berauscht, würde ich für mich als großes dialektisches Pathos bezeichnen, denn die Sätze 1 & 2 sind für mich ein höchst emotional beladenes Zwiegespräch des Kampfes um menschliche Werte. Immer schon hatte keine andere Beethoven Symphonie (die teilweise ganz andere Schwerpunkte und Stärken haben) diesen speziellen Charakter, an dem ich manchmal drohte zu verglühen. Keine Angst, die verzehrende Leidenschaft beim Hören, löst sich ja früher oder später wieder, aber eben nur die EROICA kann dieses spezielle sinnliche -ähnlich wie ein Flitzbogen gespannt- Hörereignis bei mir auslösen. ........
    Und dann............
    so habe ich es zehn Jahre lang empfunden und teilweise darüber mit dem Kopf geschüttelt, oder sogar ein wenig verzweifelt reagiert:
    D E R B R U C H !!!!!
    nämlich : das Scherzo, der dritte Satz , dadadadadadadididdleda......
    "for heavens sake":.) :.). Meiner Begeisterung für das Gesamtopus hat natürlich auch dieses Gefühl : DA STEHEN SICH IN SATZ 1 & 2 EINERSEITS....und SATZ 3 & 4 ANDERERSEITS, zwei "unterschiedliche Welten" gegenüber, keinen Abbruch getan. Es geht ja nicht um VERSTEHEN, aber meine Irritation und auch Befremdung war jahrelang groß. Natürlich kann man sagen, daß erst Gegensätze dieser Art ein GROSSES GANZES aus der "Eroica" machen. Stimmig war das in meinem gefühlsmäßigem Erleben damals aber nie!


    Und dann fand ich in Kiel in einem Plattenladen eine Neuaufnahme der EMI mit besagtem Orchester unter Barbirolli.
    Meine alte Schallplatte habe ich eben gesucht...aber leider nicht gefunden, denn damals schrieb ich auf die Rückseite der Plattenhülle eine Art Glücksspruch der Befreiung und des Staunens.
    Sinngemäß:
    Das erste Mal ist der empathische Kreis geschlossen, Sir John singt auf allen Instrumenten, sein humanistisches Pathos durchdringt die Gegensätze der vermeintlich so widersprüchlichen beiden Teile der EROICA, beläßt ihnen ihre Eigengesetzlichkeit und Charakter und fügt sie zu aber einer atemberaubenden Einheit zusammen, die in vielen Farben leuchtet und sich zu einer außergewöhnlichen humanistischen Botschaft emporschwingt.
    Viele Jahre habe ich gesucht bis ich vor ca 5 Jahren diese für mich maßgültige Einspielung auf CD fand.(Einen Plattenspieler habe ich schon lange nicht mehr...aber das ist ein anderes Thema)


    Kennt jemand die Barbirolli-Eroica?
    Mein "Problem", das ich versucht habe zu beschreiben.....ist es jemand ähnlich ergangen, daß da zwei Welten aufeinanderprallen? (Sätze 1&2 versus Sätze 3&4) ????


    Es grüßt "Titan"

  • Hallo Titan,


    so ist das in Klassikforen - man schreibt einen begeisternden Beitrag über "sein Klangerlebnis", aber "keine Socke" interessiert sich dafür.
    Ich kann Deine Begeisterung allgemein (nicht in Bezug auf die Barbirolli-Aufnahme) nachvollziehen.
    :hello: Freue Dich das Du mit Barbirolli "die" Aufnahme für Dich gefunden hast, die Dir 100% zu liegen scheint.
    :wacky: Deine Überschrift gefällt mir übrigens nicht, weil die Eroica nun rein gar nichts mit eingefügtem "T" zu tun hat, auch nicht eine begeisterungswürdige Aufnahme.


    Das zwei Welten aufeinanderprallen (Sätze 1+2 vs 3+4), den Eindruck hatte ich nie. Ich finde dieses Meisterwerk sehr geschlossen: So muß es sein; so war es immer; so soll es immer bleiben.
    Meine erste LP in meinem Leben war die Eroica mit Klemperer (EMI). Seitdem habe ich sehr viele Aufnahmen gehört und gekauft.
    Als meinen langjähigen Favorit entwickelte sich dann Bernstein / Wiener PH (DG). Natürlich wollte ich später auch wissen, wie seine CBS-Aufnahme im Vergleich dazu ist. Diese ist seit 2007 mein Favorit: Bernstein/New Yorker PH (SONY, 1964, ADD).


    ;) Und ich freue mich auch meinen Favoriten gefunden zu haben, dem etliche Ergänzungen an guten Aufnahmen in meinem CD-Schrank zur Seite stehen. Dazu gehört Solti (Decca); Szell (SONY); Leibowitz (Chesky) mit Einschränkungen im 1.Satz; ja, und erst dahinter Karajan, dessen Aufnahmen der Eroica mir diesesmal etwas zu "hausbacken" erscheinen; am Besten sind davon noch die Aufnahmen von DG, 1962 und 1984.

    Zinman (ARTE), den ich erst gar nicht so geschätzt habe, kommt bei derzeit mir immer mehr ins Rampenlicht der beachtenswerten Aufnahmen, weil bei ihm Details hörbar werden, die bei anderen ungehört bleiben. Das was man bei ihm hört ist zunächst ungewohnt aber hat Klasse. Jedenfalls für meinen Geschmack mehr als der hochgejubelte P.Järvi (RCA) in jüngster Zeit .... das klingt mir zu abgehackt und dünn :untertauch:

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Zitat

    Original von teleton
    Hallo Titan,


    so ist das in Klassikforen - man schreibt einen begeisternden Beitrag über "sein Klangerlebnis", aber "keine Socke" interessiert sich dafür.
    Ich kann Deine Begeisterung allgemein (nicht in Bezug auf die Barbirolli-Aufnahme) nachvollziehen.
    :hello: Freue Dich das Du mit Barbirolli "die" Aufnahme für Dich gefunden hast, die Dir 100% zu liegen scheint.
    :wacky: Deine Überschrift gefällt mir übrigens nicht, weil die Eroica nun rein gar nichts mit eingefügtem "T" zu tun hat, auch nicht eine begeisterungswürdige Aufnahme.



    Das zwei Welten aufeinanderprallen (Sätze 1+2 vs 3+4), den Eindruck hatte ich nie. Ich finde dieses Meisterwerk sehr geschlossen

  • Sorry , ich kriege Zitat (auf Teleton) und meine Antwort darauf (rein technisch) noch nicht zusammen.
    Erstmal danke, Teleton, für die Antwort. Ich bin neu an Bord und damit
    kann ich leben, wenn auf meinen Artikel nicht gleich ein Dutzend Antworten kommen.
    Du scheinst ja die Barbirolli-Aufnahme mit dem BBC Orch (von 1968 ) zu kennen. (?) Das was ich da bei der Barbirolli-Aufnahme überschwenglich als Einheit zwischen den Teilen 1+2 einerseits und den Sätzen 3+4 andererseits empfinde, bezieht sich auf seinen satten (cellohaften) Musizierton als verbindendes Moment. Natürlich ist die EROICA ein in sich geschlossenes Meisterwerk.
    Es geht ja um die jeweilige sehr subjektive Wahrnehmung. Ich maße mir nicht an die EROICA als "erotische Symphonie" zu bezeichnen.


    Der Genensatz zwischen dem Ende des "Trauermarsches" (2.Satz) und dem Beginn des Scherzos (3.Satz) ist doch wirklich gewaltig.
    Natürlich ist dies die Absicht des Komponisten..................... aber "man" kommt in eine völlig andere Gefühlswelt. ....zumindest erlebe ich das schon immer so.


    Noch zu Deiner Anmerkung bezüglich der Übertitelung
    > BEETHOVENS EROICA meine EROTICA<
    Bisschen was fremdes und auch provokatorisches hat diese Aussage schon. Ich kann Deinen Einwand auch gut nachvollziehen, denn
    HEROISCH und EROTISCH sind zwei verschiedene paar Schuh.


    Ich will die EROICA natürlich nicht NEU übertiteln.
    In Anführungszeichen gehört das Wort EROTICA auf jeden Fall.


    Über sehr persönliche Eindrücke und Empfindungen in Zusammenhang mit einer Musik braucht es vielleicht manchmal einen "Hammer" oder zumindestens eine überspitzende Formulierung. Ich will mich nicht auf eine Hypothese versteifen....aber so wie der Gesang eines Interpreten durch sein Äußeres das Gefühl der Arie beim Zuhören verstärken kann, dem Ganzen sogar eventuell ein erotisches Flair aufsetzen kann.........


    so schafft Barbirollis Interpretation dieses starke gefühlsmäßige Reaktion bei mir.
    (er war übrigens selbst Cellist, was seinen überströmenden warmherzigen Ton vielleicht ein bisschen helfen kann zu erklären)
    ....also in diese Richtung macht die EROICA etwas mit mir, es ist ein starker Gefühlsrausch, vorallem bei den ersten beiden Sätzen.......den Gegensatz zur zweiten Hälfte hab ich bereits formuliert.
    Da diese Symphonie schon ein halbes Jahrhundert, diese Faszination auf mich ausübt, habe ich mich zu dieser Formulierung, die das Sinnliche (vielleicht zu dick aufgetragen) betont....
    hinreißen lassen


    Gruß................."Titan"

  • Nur so ganz nebenbei haben wir auch einen Thread zur Eroica:


    Beethoven: 3. Sinfonie "Eroica"


    Es ist (interessanter Weise!) der dritte Thread, der nach Eröffnung des Forum eingestellt wurde.


    =)

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli
    Nur so ganz nebenbei haben wir auch einen Thread zur Eroica:


    Beethoven: 3. Sinfonie "Eroica"


    Es ist (interessanter Weise!) der dritte Thread, der nach Eröffnung des Forum eingestellt wurde.


    Hallo Ulli
    Ich danke für den Hinweis.


    Der NEUEN "Taminos" Müh und Qual
    braucht durch Erfahrene (wie Dich)
    mal eine Angel
    so dass auch ein
    Anfänger wie der "Titan"fängt mal einen Aal


    Gruss..............."Titan"

  • Hallo Titan,


    ich nehme an, Du meinst diese Aufnahme:



    Ein besseres Bild konnte ich nicht finden.
    Das Label dieser Aufnahme ist Dutton. Die Aufnahme wurde sehr gut remastert und klingt jetzt vollblütig, packend und emotional.
    Wie Barbirolli hier das BBC Symphony Orchestra spielen lässt, ist in der Tat umwerfend und einmalig. Ich kann Deine Begeisterung mehr als verstehen. Barbirollis Zugang zur Eroica ist sehr subjektiv und eigenwillig. Er hebt sich von gängigen Interpretationsmustern radikal ab und geht seinen eigenen Weg. Der für ihn typisch warmherzige und involvierte Klang ist auch hier vorhanden. Allerdings produziert er keinen Schönklang, sondern ist immer außerordentlich Ausdrucksstark und dramatisch sowie von genauer dynamischer Abstufung. Dies ist natürlich besonders im ersten Satz von eminenter Wichtigkeit. Er nimmt die Struktur ernst, fächert die Partitur auf, ist sehr detailgenau, gibt den ruhigen Stellen genug Luft zum atmen, arbeitet die Steigerungen genau heraus und findet zu einer elektrisierenden Gespanntheit bei durchweg sehr gemessenen Tempi. Der Höhepunkt im Trauermarsch kommt markerschütternd. Heftiger habe ich ihn nur bei Giulinis LAPO-Aufnahme (DG) gehört, die noch eigenwilliger und langsamer als die Barbirollis ist.
    Es ist schade, dass diese Aufnahme nicht bekannter ist. Leider wird sie von den großen Namen überschattet und geht völlig unter. Sie ist wohl auch schon gestrichen. Dies ist absolut traurig. Wenn ich die Eroica höre, dann eben in dieser Aufnahme, in Giulinis sowie in Scherchens (die auf andere Weise extrem und provokant ist).
    Deine Betitelung als Erotica passt zu Barbirollis Aufnahme wirklich gut, da sie einer gewissen Fleischlichkeit nicht entbehrt, will heissen, sie bohrt sich in den Körper des Hörers und lebt dort weiter...



    Gruß,
    Agon


  • Hallo Agon
    Danke für Deine Antwort. Die Bemerkungen über Barbirollis Interpretation kann ich nur unterschreiben, wobei ich es nicht so klar definieren/formulieren könnte ohne Partiturkenntnisse. "Fleischlichkeit" ist eigentlich für seine überströmende Interpretation noch treffender. Mein Bezeichnung "Erotica" doch sehr subjektiv.
    Ich werde auf Deine Empfehlung hin SCHERCHEN hören. Welche Aufnahme ist Deines Erachtens die "Bessere" oder welche kennst Du?
    Orchester 2x Vienna State Opera Orchestra
    1. ) 18.9.1958 14.31- 13.18 - 5.23 - 10.18
    2.) Okt. 1953 14.47- 15.41 - 5.57 - 12.36


    Empfehlung???


    Gruß..............."Titan"

  • Hallo Titan,


    die Barbirolli-Aufnahme der Eroica kenne ich leider nicht. Da ich aber seine Einspielungen von Mahlers 5. und 6. habe, und daran lernen durfte, diese Werke neu zu hören, kann ich mir gut vorstellen, dass auch die Eroica mit Barbirolli etwas ganz Besonderes ist.


    Meine Favoriten für dieses Stück sind bis dato Klemperer und Bernstein (WPO, DG). Ich kenne leider nicht die von Teleton genannte Bernstein-Einspielung bei CBS mit NYPO. Auch Harnoncourt finde ich bei diesem Werk ganz exzellent (wie immer bei Beethoven).


    Järvi hat bewusst ein kleines Ensemble gewählt und kann da rein klanglich nicht so viele Register ziehen wie Karajan oder Bernstein. Ich kann nachvollziehen, wenn man das "dünn" nennt (Ähnliches gilt für seine Aufnahme der 7. etwa im Vergleich zu Kleiber), aber ich finde auch diese Einspielung Järvis anregend. Man muss nicht alles zur neuen Referenz hypen, doch es ist mehr als hörenswert, was Järvi da mit kleiner Besetzung macht bzw. machen lässt.


    Im Übrigen hat mir der Thread mit Deinem Startbeitrag (bis auf den überdenkenswerten Titel - alter Kritikersatz: no jokes with names) gut gefallen - ein solches Forum lebt von der Begeisterung für die Sache und von denen, die diese Begeisterung verbalisieren können, gerade bei einer eher unbekannten Einspielung. Diese Begeisterung kommt bei Dir absolut rüber. Toll!