Bildbetrachtung - Hans Holbein: Die Botschafter

  • Liebe Kunstfreunde


    Trotz eines nicht gerade glänzenden Starts der neuen Serie Bildbetrachtung gibt mir der Verlauf auf lange Sicht den Mut hier weiterzumachen, der Thread von Brueghels "Bauernhochzeit" hat in den letzten Tagen doch einiges Interesse hervorgerufen und einige interessante Kommentare hervorgebracht.


    Geplant ist derzeit pro Monat 1 bis 2 Bilder - fürs erste aus dem 15. 16. und 17 Jahrhundert - dann sehen wir weiter


    Heute steht ein weltbekanntes Meisterwerk von Hans Holbein (geb 1497 oder 1498 in Augsburg; † 29. November 1543 in London),Hofmaler Heinrichs VIII auf dem Programm. Gemalt wurde es 1526 in Mischtechnik Öl und Tempera auf Eichenholz und besitzt die beachtliche Größe von 207 mal 209 ,5 cm. Es hängt in der National Galerie London, wo ich es im Original gesehen habe - und ich muß sagen, es sist ein beeindruckendes Bild von äusserster Lebensnähe, etwas das Holbeins Portraits ja generell auszeichnet, aber hier kommt noch die überdimensionale Größe hinzu - vielleicht ist es aber auch meine Erinnerung die alles verklärt, es muß über 30 Jahre her sein, daß ich in London war.



    Aber nein - das Bild ist in der Tat eine der absoluten Spitzenleistungen der Malkunst. Es handelt sich um ein Doppelportrait, denn die abgebildeten Personen gab es wirklich (Jean de Dinteville, französischer Botschafter in Lavour und Georges de Selve, Bischof ebendort.
    Das Bld ist einerseits voll von Symbolik, die wir vermtlich gar nicht alle erkennen können. Was aber sollen all die Gerätschaften die hier aufgebaut sind ? Was ist noch auf dem Bild zu sehen, das einer Erklärung bedarf. Nachlesen verdirbt viel von dem was ich Euch mit dieser Threadserie bieten will. Die Kunsthistoriker, die unter uns weilen mögen sich fürs erste ein wenig zurückhalten, um anderen nicht die vergnügliche Arbeit des Betrachtens, Ausdeutens und Beschreibens abzunehmen, aber natürlich sollen sie nach ein paar Tagen behutsam einige Hinweise geben. Man darf ja nicht vergessen, daß solche Bilder mehr waren als bloße Portraits, sie sollten zum Nachdenken, zur Erbauung beitragen - und man sollte viele Stunden davor verbringen - kein Wunder, wenn man bedenkt wie teuer solche Gemälde waren,...


    Viel Spaß beim Betrachten
    und Verfassen der Kommentare


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Danke für diese Kunst-Threads! Finde ich extrem interessant. Eine Frage an Alfred - wirst Du vielleicht später auch Bilder der klassischen Moderne (z.B. Guernica - habe ich erst vor einem Monat in Madrid gesehen und war total beeindruckt) oder auch Hieronymus Bosch beschreiben? Im Prade sind ja ziemlich viele Werke des "El Bosque" zu sehen und ich habe mir dabei gedacht - ich weiß nicht was der genommen hat als er dies alles malte - aber DAS will ich auch :D

    Hear Me Roar!

  • HAllo,


    auch ich finde diese Galerie-Idee sehr schön: virtuelle Kunstspaziergänge also.


    Was mich an dem Holbein-Bild als erstes interessieren würde, ist, was dieses diagonale Objekt zu Füßen des französischen Botschafters sein soll. Es wirkt irgendwie verzerrt, so als ob Holbein hier nicht mit der Perspektive klargekommen wäre.


    Ansonsten ist dieses Bild weit vor dem Barock anzusiedeln, ich erkenne auch keine Symbole, die - wie Folorian meint - direkt auf diesen Zusammenhang hinweisen.


    Eher scheinen mir eine ganze Menge astronomischermathematischer oder geografischer Arbeitsmittel das Bild zu prägen, ebenso wie die Laute und die Flöten (?) rechts daneben.
    Vielleicht soll das auf das breite Interesse der beiden Herren hinweisen, die sowohl Weltkenntnis als auch musische Neigung beinhaltet.


    Grüße


    tukan

  • Das Holbein-Bild war ursprünglich dafür gedacht, es über einen Türbogen zu hängen. Wenn man unter dem Bild hindurchschreitet, entzerrt sich das merkwürdige Objekt: zu sehen ist ein Totenschädel. - Memento mori...


    .

  • Zitat von Florian Voß

    Das Holbein-Bild war ursprünglich dafür gedacht, es über einen Türbogen zu hängen. Wenn man unter dem Bild hindurchschreitet, entzerrt sich das merkwürdige Objekt: zu sehen ist ein Totenschädel. - Memento mori...


    Danke für den Hinweis, Florian. Jetzt erkenne ich es auch. Also memento mori auch schon im Späthumanismus. Passt auch!


    Aber erkläre doch bitte mal, wie sich der Totenkopf entzerrt, wenn man unter dem Bild durchschreitet.


    Grüße


    tukan

  • "Die Anamorphose des schräg im Bildvordergrund stark verzerrt dargestellten Totenschädels löst sich dann zu einer normalen Ansicht auf, wenn man von der Horizontalen in einem Winkel von 27° von rechts her auf das Bild des Schädels herabschaut. Man muss das Bild von unten links betrachten und sieht dann einen stark verzerrten Totenkopf.


    Bei einem Blick von diesem Punkt aus im Winkel von 27° nach oben kreuzt eine vom Auge ausgehende gedachte Linie erst die astronomischen Instrumente, dann das linke Auge Dintevilles, und schließlich das hinter einem grünen Vorhang fast verborgene Kruzifix am linken oberen Bildrand. Die Anamorphose kann somit, nach North, als Anweisung an den Betrachter verstanden werden."



    Dass das Bild zur Hängung über einen Türrahmen geplant war, habe ich vor Jahren in irgendeinem Buch gelesen, frag mich nicht wo...



    .

  • Hallo Florian,


    danke für die exakte Erläuterung.


    Ich habe mich eben - zur großen Freude meiner Mitmenschen - rechts unten vor meinen Labtop gekniet und deine dargestellte Position zu simulieren versucht, wobei ich natürlich nicht den 27° Winkel genau getroffen habe, aber immerhin den Totenschädel besser erkannt habe.
    Jetzt habe ich auch noch das Kruzifix gefunden und muss nun meine erste Annahme über das Bild revidieren.


    Grüße


    tukan

  • Bevor dieses Konversationsthema und das schöne Bild im Dickicht der Themenblocks verschwinden, dachte ich, ich komme kurz noch einmal zu ihnen zurück. Aus zwei Gründen.


    1.
    Albert hat natürlich recht, wenn er daran denkt, durch das ständige Googeln mag man die eigenen, gerade aufkeimenden Gedanken und Gefühle einfach verlieren. Ich würde trotzdem für das Googeln plädieren. Natürlich weiß man, dass das nur Daten sind und nicht einmal hundertprozentig zuverlässig, im Gegenteil. Trotzdem ist das eine so wundervolle Möglichkeit! Und seitdem die Rolle des Interpreten (Leser, Zuschauer….) am Zustandekommen des Kunstwerks immer höher eingeschätzt wird, kann das wohl auch eine Art Pflicht sein, möglichst viel zu „wissen“. In diesem Sinne habe ich – trotz des Winkes „Möglichst nicht googeln“ – sofort mit dem Googeln angefangen, umso mehr als ich mich noch so ganz blass erinnerte, von dem Bild in bestimmten Zusammenhängen Einiges gehört zu haben, nur wusste ich nicht mehr, was…. Das Googeln ist bei diesem Bild besonders interessant!


    2.
    Der andere Grund, warum ich noch einmal auf dieses Bild zu sprechen komme, ist eine echte Gretchenfrage.


    Dass es um einen auffallenden Kontrast geht, liegt (ohne Googeln….) klar auf der Hand: Die äußere Kraft von Macht, Reichtum, Schönheit, Pracht, Lebenslust auf der einen Seite -- und die innere Kraft von Wissen, Nachdenken, Sich-Vertiefen, Enträtseln-Wollen, eventuell Sich-Fürchten, dabei Einschüchtern-Wollen und aber auch Zur-Kenntnis-Nehmen auf der anderen. Dass die zwei Seiten durch die Utensilien noch verstärkt werden, ist auch eindeutig: der Himmelsglobus und der – zwar umgestürzte….- Erdenglobus auf der einen, die Messgeräte der Wissenschaft und Philosophie (Zeit!) auf der anderen. (Apropos Musikinstrument: zu welcher Seite soll das gehören??? )
    Nun meine Frage:
    Ist es Euch auch aufgefallen, wie ähnlich die beiden Gesichter sind? Kommt es nur daher, dass beide den gleichen Bart (und Schnurrbart) tragen? Wird es durch die Proportionen (Konstruktion) des Bildes verstärkt? Oder geht es einfach darum, dass Menschengesichter in einer gegebenen Epoche alle ein bisschen ähnlich sind? Oder versteckt sich dahinter ein anderes Ziel, das wohl ungemerkt bleiben sollte – wenn überhaupt - , es geht hier ja um zwei Portraits! Oder eben nicht? War das nur der Vorwand, um dahinter etwas ganz Anderes darzustellen?



    :hello:

  • Über die Jahre geht eine Bildvorlage aus dem Internet verloren. Deshalb poste ich das geheimnisvolle Bild erneut.



    Die entzerrte Ansicht des mit der Technik der Anamorphese gemalten Totenschädels sieht so aus. Man ist nicht gezwungen, sich unter den Bildschirm zu verkriechen. ;)



    In googleartproject kann man das Gemälde in höchster Auflösung betrachten, so wie es für einen Museumsbesucher nie möglich ist.


    Übrigens: Das aufgeschlagene Seite des Gesangbuches zeigt das Kirchenlied „Komm Heiliger Geist“ in Luthers Übersetzung.



    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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  • Nach langer Zeit habe ich diesen Thread wieder zu Gesicht bekommen, und ich danke moderato, daß er ihn quasi ausgegraben und ergänzt hat. Einige wenige Fragen sind noch offen, beispielsweise nach dem Symbolgehalt der gezeigten Instrumente und sonstiger weltlicher Kostbarkeiten. Soweit mir bekannt waren dies Geschenke des französischen Königs Franz I an Heinrich VIII, der ja - seinem schlechten Ruf zum Trotz - ein sehr gebildeter Mann war, sowohl musisch, als auch naturwissenschaftlich. Das Bild datiert übrigens von 1528
    Auch die Identität der beiden abgebideten Botschafter ist bekannt: Es handelt sich um Jean de Dinteville (1594.1555)- links im Bild - und rechts davon Georges de Selve.


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich bitte sehr, diese und ähnliche Reihen fortzusetzen; dabei ist es nicht nötig, mehr als ein Bild pro Woche zu bringen. Ein kunsthistorischer und historischer Kommentar ist mir immer willkommen.
    In meinem Wiener Semester 1964/65 war ich fast jeden Tag im Kunstmuseum und habe mir Bilder gründlich angesehen, oft habe ich mich unter eine Führung gemischt. Eiserner Grundsatz: nie mehr als 2 Bilder!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Im googleartproject kann man sich jeden Millimeter des Bildes in höchster Auflösung ansehen. Faszinierend, was ich da alles erkennen kann. Jedes Craquelé, die kleinen Risse in der Oberfläche, sehe ich wie unter einer Lupe.


    Da sich unser Forum mit Musik beschäftigt, habe ich mir die musikalischen Aspekte in diesem Tafelbild betrachtet.


    Die Instrumente, die Laute und die Flötenrohre im Futteral, liegen auf dem unteren Tablar des Gestelles. Sie liegen dem Totenkopf am nächsten. Das Memento mori wurde bereits erwähnt.


    Ich frage mich, weshalb Hans Holbein der Jüngere das aufgeschlagene Gesangbuch auf der Seite des deutschen Kirchenliedes "Komm heiliger Geist" in Luthers Übersetzung zeigt. Veni sancte spiritus lautet der lateinische Text. Keine der portraitierten Personen beherrschte die deutsche Sprache, nehme ich an, da beide Männer französische Gesandte waren. Der Maler stammte aus Süddeutschland und war Bürger von Basel.


    Das Lied auf der rechten Seite kann ich nicht zuordnen. Kennt jemand das Lied auf dieser Seite? ... die zehen gebot die uns gebaut (?) unser Gott Vater ( ...) kann ich in der letzten Zeile entziffern.


    In eine Seite des kleinen roten Buches ist ein Holzstab geschoben. Ich sehe Bruchzahlen, die Neunerprobe und schliesse daraus, dass es sich um eine Abhandlung zur Division in einem mathematisches Lehrbuch handeln muss. Die Mathematik ist eng verwandt mit der Musik.


    Eine Saite der Laute ist gerissen. Ganz hinten ist etwas auf die Rundung der Laute geschrieben, das ich nicht entziffern kann.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Zitat

    Ich frage mich, weshalb Hans Holbein der Jüngere das aufgeschlagene Gesangbuch auf der Seite des deutschen Kirchenliedes in Luthers Übersetzung zeigt.

    In einem mir zur Verfügung stehenden erläuternden Text wird behauptet, daß dies ein versteckter Hinweis darauf ist, daß Georges de Selve dem Protestantismus nahe stünde.



    Zitat

    Keine der portraitierten Personen beherrschte die deutsche Sprache, nehme ich an, da beide Männer französische Gesandte waren.

    Da bin ich mit nicht so sicher, denn George de Selve war im Laufe seines Lebens Botschafter in verschiedenen Ländern, die Daten stammen von der französischen Wikipedia - Seite


    Botschafter in England (1533),
    in der Republik Venedig (20 Jänner 1535 - 18 Juni 1536),
    in Rom (1536),
    in Deutschland (1539)
    in Wien (angekommen im April 1540),
    anschliessend in Spanien (1540)


    Gute Beobachter werden gewiss bemerkt haben, daß ich weiter oben im Thread 1528 als Entstehungsjahr genannt, habe, eine andere Quelle nennt das Jahr 1526. Die Datierung auf 1533 scheint indes die überzeugendste, weil die Quelle, die dieses Datum nennt, feststellt, dass die mathematisch-astronomischen Instrumente sämtlich auf das Datum 11. April 1533 zwischen 15 und 16 Uhr hinweisen (ich kann diese Behauptung allerdings nicht überprüfen)


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !