Das Tamino-Klassikforum als Mittler zwischen gestern und heute

  • Liebe Forianer


    Der wohl kritischeste Leser unserers Forums bin wohl ich - stets auf der Lauer nach neuen Strömungen - stets bemüht alte Threads wiederzubeleben.


    Manchmal ist derlei von Erfolg gekrönt - oft sogar überraschenderweise - oft verebben Themen im Sand. Ich bin bemüht Tendenzen zu analysieren, Interessen von Mitgliedern und Mitlesern zu erforschen, bzw zu wecken und zu fördern. Manchmal habe ich aber auch "schöpferischen Pausen" und denke "Es ist eigentlich alles gesagt"


    Letzteres stimmt natürlich überhaupt nicht, aber gelegentlich findet man nicht genügend Mitglieder für ein Thema, sei es aus mangelndem Interesse, sei es aus Mangel an vorhandenen Aufnahmen oder Mangel an Zeit. Daher möchte ich festhalten, daß ich den Erfolg oder Mißerfolg eines gestarteten Themas als langfristige Sache sehe, was heutige Mitglieder nicht interessiert, kann der Renner von morgen sein - und natürlich umgekehrt.


    Ähnlich verhält es sich mit Künstlern, wobei ja leider zumeist die Story, die hinter dem Künstler steht, auf mehr Interesse stößt, als seine musikalischen Leistungen bzw sein musikalisches Credo, was dazu führt, das manche wirklich hörenswerten Interpreten im Forum nur relativ wenig Beachtung finden. Ob ein Interpret politisch rechts- oder linkslastig ist dürfte heutzutage mehr Gemüter erregen, als das von ihm vertretene Repertoire, bzw dessen Gestaltung.
    Nun - ich kann und werde die Welt nicht ändern - was ich aber kann - oder zumindest versuchen werde ist - unser eigentliches Thema die Musik und deren Interpretation in den Vordergrund zu rücken - mit welchem Erfolg - das wird die Zukunft zeigen.


    Vielleicht sollten wir hier in diesem "Meta-Thread" ein wenig über das Thema "Gestern und heute " diskutieren.
    Ich überlege immer, was interessanter ist - gestrige Interpreten dem Vergessenwerden zu entreissen - oder heutige Interpreten bekannt zu machen - wobei BEIDE Gruppen in gewisser Weise eines gemeinsam haben: Es gibt relativ wenige Aufnahmen von ihnen - die gestrigen sind hier jedoch sogar ein wenig im Vorteil, weil es dereinst doch viele Aufnahmen gegeben HAT, die teilweise noch in den Archiven der Tamino-Mitglieder schlummern. Immer wenn ich über eine Lieblingsaufnahme referieren will, die ich besitze, die es aber nicht mehr am Markt gibt, komme ich in einen emotionellen Zwiespalt: Zum einen überkommt mich ein Gefühl des Triumpfes, weil ich den Zeitgeist wieder einmal überlistet habe, zum anderen eine gewisse Trauer, weil mir schmerzlich bewusst wird, daß diese Aufnahme sehr bald aus dem "öffentlichen Bewusstsein" verschwunden sein wird - so sie es nicht schon ist.....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    ich hoffe, dass zu diesem Thread noch möglichst viele interessante Beiträge folgen. Ob es "interessanter" ist, das Gestrige dem Vergessenwerden zu entreißen oder heutige Interpreten bekannt zu machen, vermag ich nicht zu beurteilen. Das hängt auch ein bisschen davon ab, wer die Gestrigen noch kennt, persönlich oder via Konserve. Aber eines steht für mich fest: Beides ist unabdingbar. Ich freue mich immer, wenn Anfänger nach ersten Erfolgen in Interviews auf ihre Vorbilder hinweisen, bei Tenören fällt da häufiger der Name "Wunderlich" als man glaubt. Der Nachteil in unserer heutigen medialen viel zu schnelllebigen Zeit besteht allerdings darin, dass gutes Material zu schnell verheizt wird und nach relativ kurzer Zeit Namen wie Schall und Rauch sind. Hier denke ich, sind die Kultur-Verantwortlichen aufgerufen, Einhalt zu gebieten, Als Beispiel möchte ich da auch Villazon anfügen, der bereits 2 Auszeiten genommen hat.


    Hoffen wir im Interesse der Kunst, dass es mit ihm bald wieder aufwärts geht.


    Grüße aus Burgdorf


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Lieber Alfred,


    deine Frage ist leichter zu beantworten, wenn du definierst, wieweit "gestern" bei dir zurückliegt und wann "heute" begann.


    :hello:

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zitat

    wenn du definierst, wieweit "gestern" bei dir zurückliegt und wann "heute" begann.


    Eine gute Frage - die sich allerdings nicht leicht beantworten lässt.
    Aber immerhin ist mir eines klar geworden. Die Gruppierung GESTERN versus HEUTE reicht nicht aus., es muß anders eingeteilt werden, zumindest um diesem Threadthema Genüge zu tun


    Es gibt nämlich DREI Gruppen


    Künstler von "gestern", die allmählich in Vergessenheit geraten sind, zum Teil, weil sie dem Zeitgeist von heuite nicht mehr entsprechen, teils weil sie verstorben sind, oder ihre Plattengesellschaft zugesperrt hat, oder sie nicht mehr die gewünschten Verkaufszahlen zustande gebracht haben - aber auch Künstler, bei Abhören von deren Aufnahmen offenbar wird, daß viles heutige lediglich unter "Mittelmaß" rinzuordnen ist, was dem Aufbau von heutigen "Stars" im Wege steht.
    Ich würde hier grpb Aufnahmen vom Beginn der Stereo-Ära (Mono- und Schellackaufnahmen sind ein Spezialfall und müssen anders gesehen werden) bis etwa 1990 annahmen - aber natürlich sind die Übergänge fliessend.


    ETABLIERTE Künstler von heute.
    Wir alle kennen sie scho an die 10-20 Jahre, ihre Namen sind bekannt,
    und sie sind sozusagen das "tägliche Brot" heutiger Opern- und Konzertveranstalter, sowie der Tonträgerkonzerne.
    Einige Weltstas, obwohl schon verstorben (Karajan, Pavarotti, Callas etc)
    und einige, deren Karriere sich schon dem Ende zuneigt, bzw schon beendet ist gehören in gewisser Weise auch in diese Kategorie. (Fischer Dieskau, Brendel etc)


    KÜNSTLER von heute


    Hier unterscheiden wir die sogenannten "SHOOTING STARS" (Lang-Lang, Stadtfeld, Fray. Schrott, Netrebko) welche quasi wie aus heiterem Himmel auf der (Klassik) Bildfläche erscheinen - und oft auch wieder ebenso rasch verschwinden - wenngleich hier keine Regel aufgestellt werden kann, von jenen, die im Konzert- und Opernleben zwar schon weitgehend Fuß gefsasst haben, dort wo sie auftreten jubelt man ihnen zu - aber der internationale Durchbruch und der große Schllplattenvertrag lassen noch auf sich warten - was letztlich auch mit der aktuellen Wirtschaftslage in Zusammenhang gesehen werden muß.



    In dieem Kontext sollte man sich die Frage stellen, welchen Interpreten man verstärkte Aufmerksamkeit schenken sollte.



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat:
    " In dieem Kontext sollte man sich die Frage stellen, welchen Interpreten man verstärkte Aufmerksamkeit schenken sollte."


    Natürlich ist den Künstlern von heute, egal ob sie wie aus heiterem Himmel auf der Klassik-Bildfläche erscheinen oder ganz normal (was immer man darunter auch versteht) der Vorzug zu geben. Die Zeiten, wo ein großer Nachholbedarf an Klassik bestand, sind vorbei. Anders wäre es auch nicht zu erklären, dass Callas, Dieskau, Schock, Wunderlich, Gedda, Prey, Dermota, Berry, Kmentt und viele andere (später Pavarotti, Carreras, Domingo) soviel eingespielt haben. Jedes Ding hat seine Zeit. Ich erlaube mir festzustellen, dass es heute viel schwieriger ist, Karriere im Klassikbereich zu machen, als vor 50 Jahren. Deshalb gilt mein Augenmerk den "Neuen", denn, aus welchen Gründen auch immer, können sie morgen schon zu den gestrigen zählen. Warum viele vielversprechende Künstler nach kurzer Zeit wieder in der Versenkung verschwinden (Fernando della Mora) und viele andere. Künstler von "gestern" hat die Schallplattenindustrie noch die Möglichkeit gegeben, Aufnahmen zu machen, zu einem Zeitpunkt, als der Zenit dieser Künstler bereits weit überschritten war. Den Weg vom jungen Sänger zum alten Sänger in den gleichen Rollen mittels Tonaufnahmen nachzuvollziehen, kann manchmal sehr schmerzhaft sein. Rudolf Schock klingt 1965 live in Göttingen auf der Bühne völlig anders als 1979 auf Platte.


    An gut gemeinten Ratschlägen hat es nicht gemangelt. August Everding fragte in jeder dacapo-Sendung, die meisten habe ich "gottseidank" aufgezeichnet, was würden sie einem jungen Sänger empfehlen. Immer kam die gleiche Antwort - sich stetig in einem kleinen Haus ein Repertoire erarbeiten und nicht zu früh in ein Fach wechseln, das der Stimme noch nicht gut tut.


    Die Wirklichkeit sieht völlig anders aus. Sobald irgendwo auf der Welt ein vermeintlicher "Star"
    erblickt wird, kommen die Angebote der großen Häuser. Es ist, wie bei Fussballprofis und Politikern, die nach höherem streben und wenn du einmal "nein" sagst, bist du weg vom Fenster. Und wer hat schon den Mut, der Wiener Staatsoper einen Korb zu geben, es sei den krankheitsbedingt. Wunderlich und Gedda erinnere ich mich, die Karajan/Legge bzw. Wolfgang Wagner einen Korb gaben, weil sie der Meinung waren, die Stimme ist noch nicht soweit. Nimmt heute darauf ein junger Sänger darauf noch Rücksicht, denn leben will er ja auch wovon.


    Das Verheizen von Stimmen in unserer schnelllebigen visuellen Zeit ist das große Problem.


    Liebe Grüße aus Burgdorf


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


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