Zu "Besuch" bei Glenn Gould (Zum 77. *)

  • Glenn Gould...
    Dieser Name ist für Klassik- und insbesondere Klavierenthusiasten Programm! Er hat wie sonst nur relativ wenige (Liszt, Paganini od. Bernstein fallen mir da auf Anhieb ein) sozusagen eine Aura.
    Kaum ein Tastenkünstler hat seine Zuhörer jemals so polarisiert: Auf der einen Seite die Bewunderer seines eigenwilligen Anschlags, den man meist schon nach wenigen Sekunden heraushören kann, seines phänomenalen Gedächtnisses, das ihn auch bei Live-Aufnahmen von Zwölftonkompositionen nie im Stich ließ, seiner hochintelligenten Interviews und Aussagen zur Musik allgemein.
    Auf der anderen Seite die Nörgler seiner vielfältigen "Ticks" wie etwa, auch im Sommer im Wintermantel herumzulaufen, anderen Menschen nur im Handschuh den Gruß zu erwidern, bis zuletzt den uralten klapprigen Klavierstuhl aus seiner Jugend zu benutzen (er befindet sich heute im Museum in Ottawa). Oder auch die Nörgler einiger weniger Interpretationen, bei denen Gould tatsächlich von allen guten -musikalischen- Geistern verlassen gewesen zu sein scheint: Das gilt für Mozarts A-Dur-Klaviersonate, die der Kanadier, der heute seinen 77. Geburtstag gefeiert hätte (oder feiert?!), auf ein Schneckentempo reduziert, als wolle er sich über Mozart lustig machen, oder es gilt auch für Beethovens "Appassionata", die Gould erklärtermaßen schon immer zuwider war, was man während der ganzen Aufnahme gut hören kann.
    Ich füge hinzu den für mich eindeutig ärgerlichsten aller Gould-Ticks: Der von ihm selbst so bezeichnete blinde Fleck, der ihn für die Musik der Früh- und Hochromantik bis auf wenige Ausnahmen (Wagner [Orchester], etwas Schumann [Kammermusik], etwas Mendelssohn [Oratorien]) unempfänglich machte. Wegen dieses blinden Flecks haben wir von Gould nichts von Mendelssohn, nichts von Chopin, nichts von Liszt (Original), m.E. auch nichts von Schumann für Klavier Solo, und - geradezu unfassbar - nichts von einem der größten Melodiker überhaupt: Franz Schubert!
    Hingegen spielte das heutige Geburtstagskind reihenweise (Schön-)Berg, Webern, Krenek und andere "Kopfkomponisten" ein, deren Werke auf jeden durchschnittlichen Klassik-Freund quasi blutleer anmuten. Was für ein absurder Geschmacks-Spagat, den Glenn Gould als Interpret da vollbrachte: Vom Frühbarock (Byrd und Gibbons, der sein erklärter Lieblingskomponist war!) über den Barock (Händel,Bach) zur Wiener Klassik (H.,M.,B.) und von dort mit einem epochalen Sprung von rund 60 Jahren (i.W. lediglich Brahms ausgenommen) zur Spätromantik (Mahler,R.Strauss), gefolgt von den Zwölftönern.


    Der angeblich exzentrischste Pianist des abgelaufenen Jahrhunderts, nach allgemeiner Meinung, auch nach meiner persönlichen, zugleich der überzeugendste und kongenialste Interpret der Klavier- bzw. Cembalomusik Johann Sebastian Bachs, des von mir so empfundenen primus inter pares der Komponisten, wurde leider nur 50 Jahre alt und lebte praktisch sein ganzes Leben in seiner Geburtsstadt: Der kanadischen Metropole Toronto.
    Ob es ihn amüsieren würde zu erfahren, dass auch im Jahre 2009 der zentrale Bahnhof der Weltstadt Toronto - anders als die Bahnhöfe der auf der Fahrt passierten Klein- und Mittelstädte - den Reisenden beim Aussteigen aus dem Zug auf keinem Bahnsteig mit Hinweisschildern darüber informiert, in welcher Stadt er sich befindet? Für einen Kanadier kann es sich ja schließlich nur um Toronto handeln...
    Vermutlich eher verärgern würde ihn die Tatsache, dass auch 27 Jahre nach seinem Tod die Stadt, die soviele Gould-Memorabilia beherbergt, dem (Gould-)Touristen keine spezielle Gould-Tour anbietet. Als ich heuer Anfang Juni, vom Norden Detroits (USA) via Windsor (CND) kommend, auf seinen Spuren wandelte, weil mich die Neugier dazu zwang, endlich die Stätten Goulds (mit dem mich eine singuläre indirekte Beziehung verbindet, über die ich an dieser Stelle nicht sprechen möchte) mit eigenen Augen zu sehen, war ich vollkommen auf mich allein gestellt. Bereits sein Grab zu lokalisieren (ein Familiengrab gemeinsam mit den Eltern, wovon der Vater ihn mehr als zehn Jahre überlebte), grenzte trotz Kenntnis der Kennziffer des Gräberfeldes und trotz Mithilfe einer freundlichen verwitweten Portugal-Kanadierin meines Alters, die sich später neben dem Gould-Grab von mir fotografisch "verewigen" ließ, an ein Kunststück! Als es dann, völlig außer Atem, irgendwann gefunden war, beschlich mich ein Gefühl der Demut und Dankbarkeit: Man liest auf dem Grabstein die Anfangstakte der Goldberg-Variationen...
    Doch: Ist er denn wirklich von dieser Welt gegangen? Mein Besuch eines seiner Apartments in der Innenstadt, wo vom Dach aus - laut Kazdin - eine musikbegeisterte ältere Dame Goulds nächtliches Klavierspiel belauschte, ohne dass er je davon Kenntnis erlangte, könnte uns (fast) vom Gegenteil überzeugen: Eine aktuelle Hausbewohnerin um die 50, die gerade herauskam, erzählte mir, dass - ein einziges Mal - kurz nach ihrem Einzug in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Gould-Apartments zu später Stunde eine ganze Weile mysteriöse wunderbare Klavierklänge(!) zu hören waren, die sie nicht näher ergründen konnte, und für die sich auch kein Bewohner oder Gast verantwortlich machen ließ. Sie selbst sprach es aus: "Das ist ihre Art, mit uns zu kommunizieren...".
    Weil die Fahrt zu den querbeet über Toronto verstreuten Gould-Stätten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und ohne eigenes Auto fast nicht praktikabel ist, nahm ich mir ein Taxi, um eine weitere Wohnstätte anzusteuern: Das geheimnisumwitterte Hotel "Inn on the Park". Hier scheint er sich besonders wohl gefühlt zu haben und blieb etliche Jahre an diesem Ort wohnen. Der aus Indien oder Pakistan stammende Taxifahrer musste unfreiwillig schmunzeln, als ich ihm bei der Rückkehr zum Auto erklärte: Jetzt zu "32, Southwood Drive", ohne dabei zu verraten, dass es sich um das Elternhaus Glenn Goulds handelt. No problem! Zielsicher brachte er mich in die vornehme Villengegend im Südosten Torontos, keinen Kilometer vom Lake Ontario entfernt. Wäre er neugierig, könnte er sich freilich darüber erkundigen, was es mit dieser Adresse auf sich hat: Es ist eine Tafel aufgestellt, die über den Hintergrund dieses für Gould ganz besonders wichtigen Hauses informiert. Pech für mich: Leider hatte mein Fotoapparat keinen Strom mehr...
    Das waren nur ein paar Beispiele von Gould-Stätten in seiner Heimatstadt. Natürlich zählt dazu auch das CBS-Studio unweit des berühmten Fernsehturms, das heutzutage seinen Namen trägt, aber für Fremde nur bei Konzerten zugänglich ist, in Verbindung mit der davor befindlichen Gould-Skulptur, die ihn auf einer Bank mit Mütze sitzend zeigt.


    Fazit: Toronto lohnt wirklich einen Besuch, zumindest im Sommer, wenn es sich als bunte, wirbelnde Millionen-City präsentiert (mit unvergleichlichen Stadtführern!). Für alle Gould-Fans bleibt zu hoffen, dass die Stadt endlich ein Konzept ausarbeitet, wie Touristen die zahlreichen verstreuten Stätten des wohl berühmtesten Sohnes Torontos komfortabel erreichen können. Ich wage die Prognose: Die Gould-Tour wird kommen!


    Spätestens ... anno 2032 ...

    7 Mal editiert, zuletzt von PianoForte29 ()

  • Zitat

    Original von PianoForte29
    Glenn Gould...
    Oder auch die Nörgler einiger weniger Interpretationen, bei denen Gould tatsächlich von allen guten -musikalischen- Geistern verlassen gewesen zu sein scheint: Das gilt für Mozarts A-Dur-Klaviersonate, die der Kanadier, der heute seinen 77. Geburtstag gefeiert hätte (oder feiert?!), auf ein Schneckentempo reduziert, als wolle er sich über Mozart lustig machen, oder es gilt auch für Beethovens "Appassionata", die Gould erklärtermaßen schon immer zuwider war, was man während der ganzen Aufnahme gut hören kann.
    Ich füge hinzu den für mich eindeutig ärgerlichsten aller Gould-Ticks: Der von ihm selbst so bezeichnete blinde Fleck, der ihn für die Musik der Früh- und Hochromantik bis auf wenige Ausnahmen (Wagner [Orchester], etwas Schumann [Kammermusik], etwas Mendelssohn [Oratorien]) unempfänglich machte. Wegen dieses blinden Flecks haben wir von Gould nichts von Mendelssohn, nichts von Chopin, nichts von Liszt (Original), m.E. auch nichts von Schumann für Klavier Solo, und - geradezu unfassbar - nichts von einem der größten Melodiker überhaupt: Franz Schubert!


    Ist das wirklich so unfaßbar? Daß er mit Chopin und erst recht mit Schubert sehr wenig anfangen konnte, wenn er schon Mozart und vieles von Beethoven nicht leiden konnte?
    Wobei er einige Sachen von Beethoven wirklich hervorragend gespielt hat, was m.E. seine oft despektierlichen Äußerungen relativiert. Jedenfalls schade, daß es kein op.81a, 101 und 120 mit ihm gibt. Ein paar mehr Haydn-Sonaten wären auch nicht schlecht. Und CPE Bach!
    Bei Schumann, der ja ein großer Bach-Verehrer war und einige fast barocknahe Stücke schrieb, wundert mich die kategorische Ablehnung schon ein wenig mehr (und die Aufnahme des Klavierquartetts gefällt mir trotz mancher Trockenheit insgesamt sehr gut). Dito Mendelssohn.


    Zitat


    Vermutlich eher verärgern würde ihn die Tatsache, dass auch 27 Jahre nach seinem Tod die Stadt, die soviele Gould-Memorabilia beherbergt, dem (Gould-)Touristen keine spezielle Gould-Tour anbietet. Als ich heuer Anfang Juni, vom Norden Detroits (USA) via Windsor (CND) kommend, auf seinen Spuren wandelte, weil mich die Neugier dazu zwang, endlich die Stätten Goulds (mit dem mich eine singuläre indirekte Beziehung verbindet, über die ich an dieser Stelle nicht sprechen möchte) mit eigenen Augen zu sehen, war ich vollkommen auf mich allein gestellt. Bereits sein Grab zu lokalisieren (ein Familiengrab gemeinsam mit den Eltern, wovon der Vater ihn mehr als zehn Jahre überlebte), grenzte trotz Kenntnis der Kennziffer des Gräberfeldes und trotz Mithilfe einer freundlichen verwitweten Portugal-Kanadierin meines Alters, die sich später neben dem Gould-Grab von mir fotografisch "verewigen" ließ, an ein Kunststück! Als es dann, völlig außer Atem, irgendwann gefunden war, beschlich mich ein Gefühl der Demut und Dankbarkeit: Man liest auf dem Grabstein die Anfangstakte der Goldberg-Variationen...
    Doch: Ist er denn wirklich von dieser Welt gegangen? Mein Besuch eines seiner Apartments in der Innenstadt, wo vom Dach aus - laut Kazdin - eine musikbegeisterte ältere Dame Goulds nächtliches Klavierspiel belauschte, ohne dass er je davon Kenntnis erlangte, könnte uns (fast) vom Gegenteil überzeugen: Eine aktuelle Hausbewohnerin um die 50, die gerade herauskam, erzählte mir, dass - ein einziges Mal - kurz nach ihrem Einzug in unmittelbarer Nähe des ehemaligen Gould-Apartments zu später Stunde eine ganze Weile mysteriöse wunderbare Klavierklänge(!) zu hören waren, die sie nicht näher ergründen konnte, und für die sich auch kein Bewohner oder Gast verantwortlich machen ließ. Sie selbst sprach es aus: "Das ist ihre Art, mit uns zu kommunizieren...".
    Weil die Fahrt zu den querbeet über Toronto verstreuten Gould-Stätten mit öffentlichen Verkehrsmitteln und ohne eigenes Auto fast nicht praktikabel ist, nahm ich mir ein Taxi, um eine weitere Wohnstätte anzusteuern: Das geheimnisumwitterte Hotel "Inn on the Park". Hier scheint er sich besonders wohl gefühlt zu haben und blieb etliche Jahre an diesem Ort wohnen. Der aus Indien oder Pakistan stammende Taxifahrer musste unfreiwillig schmunzeln, als ich ihm bei der Rückkehr zum Auto erklärte: Jetzt zu "32, Southwood Drive", ohne dabei zu verraten, dass es sich um das Elternhaus Glenn Goulds handelt. No problem! Zielsicher brachte er mich in die vornehme Villengegend im Südosten Torontos, keinen Kilometer vom Lake Ontario entfernt. Wäre er neugierig, könnte er sich freilich darüber erkundigen, was es mit dieser Adresse auf sich hat: Es ist eine Tafel aufgestellt, die über den Hintergrund dieses für Gould ganz besonders wichtigen Hauses informiert. Pech für mich: Leider hatte mein Fotoapparat keinen Strom mehr...
    Das waren nur ein paar Beispiele von Gould-Stätten in seiner Heimatstadt. Natürlich zählt dazu auch das CBS-Studio unweit des berühmten Fernsehturms, das heutzutage seinen Namen trägt, aber für Fremde nur bei Konzerten zugänglich ist, in Verbindung mit der davor befindlichen Gould-Skulptur, die ihn auf einer Bank mit Mütze sitzend zeigt.


    Fazit: Toronto lohnt wirklich einen Besuch, zumindest im Sommer, wenn es sich als bunte, wirbelnde Millionen-City präsentiert (mit unvergleichlichen Stadtführern!).


    Glaube ich gern, daß das einen Besuch lohnt! Vielen Dank für den interessanten Bericht!


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Ist das wirklich so unfaßbar? Daß er mit Chopin und erst recht mit Schubert sehr wenig anfangen konnte, wenn er schon Mozart und vieles von Beethoven nicht leiden konnte?


    Es kommt wie immer auf die Perspektive an: Von Goulds exzentrischer, zumindest unkonventioneller Künstlernatur her betrachtet, die ihn einerseits Bach wie von einem anderen Stern spielen ließ und im gleichen Atemzug zum soeben verklungenen atonalen (Zwölfton-) Konstrukt den Kommentar „Ist das nicht großartig?“ sagen, erscheint es quasi konsequent, dass er den großen Melodiker Schubert nicht unbedingt verstehen musste, zumal er ja, wie Du richtig anmerkst, auch seine Probleme mit Mozart wie Beethoven hatte.
    Ich meinte mit „unfassbar“ freilich den Blickwinkel eines Pianisten mit Standard-Repertoire, aus dem die Wanderer-Fantasie, die Impromptus und all die anderen Klang-Delikatessen wie z.B. die späte vierhändige f-moll-Fantasie nicht wegzudenken sind.




    Zitat

    Original von Johannes Roehl
    Wobei er einige Sachen von Beethoven wirklich hervorragend gespielt hat, was m.E. seine oft despektierlichen Äußerungen relativiert.


    Meine Favoriten bei Herrn Rübenacker sind das Kaiserkonzert und die c-moll-Variationen.
    (Als Interpret der Spätromantik widmete Gould sich übrigens auch, in geringem Umfang, der Musik von Sibelius, Hindemith, Skrjabin und Prokofjew.)


    Die „despektierlichen Äußerungen“ sollte man wohl mit Vorbehalt bewerten. Gould war höchstwahrscheinlich nicht der „Mozart-Hasser“, den manche Journalisten aus ihm machen wollten. Sein Standpunkt war es, Mozarts musikhistorische Bedeutung insofern zu relativieren, als es ja Haydn war, der dem 24 Jahre Jüngeren den Weg ebnete und als der eigentliche „Pionier“ der Wiener Klassik gelten darf (Symphonien, Streichquartette, Klaviersonaten). Gould sah bei Mozart immer Haydns Verdienst und „Vorarbeit“ im Hintergrund, vermutlich auch diejenige von C.Ph.E. Bach. Zudem mochte er m.E. das allzu Heitere, Leichtlebige, Spontane in Mozarts Musik nicht. Und seien wir ehrlich: Mozart hat uns auch gar manche mittelmäßige Komposition hinterlassen.
    Warum der kanadische Ausnahmepianist und Kontrapunkt-Liebhaber jedoch nicht einmal mit einer der sieben großen Opern und den in den Fugatos neobarock wirkenden Requiem und Symphonien (z.B. Jupiter-) viel anfangen konnte, bleibt für mich schlichtweg rätselhaft ebensowie die Tatsache, dass Gould von den 23 Klavierkonzerten, die Mozart ausnahmslos auf der Höhe seiner Meisterschaft zeigen und in ihrer teilweisen Entrücktheit (z.B. KV 595) zu Goulds Naturell eigentlich perfekt passten, einzig und allein das c-moll-Konzert KV 491 einspielte. Hier hat Gould sich – und uns – viel genommen.


    An dieser Stelle sollte ein weiterer Gould-Tick nicht unerwähnt bleiben: Seine „Angst“, mit anderen Pianisten interpretatorisch verwechselt zu werden! Er wollte, fast möchte man sagen: wie ein trotziges Kind, jedenfalls wie ein stolzer, von seiner höchstpersönlichen „Botschaft“ an die Welt überzeugter künstlerischer Individualist immer und überall anders als alle anderen Musik zelebrieren, jedem Werk ein spezifisches, unverwechselbares Gould-Gepräge geben. Und ist ihm das nicht auf ganzer Linie gelungen?
    Mit dieser Angst vor der interpretatorischen Verwechslung korrespondierte offenbar eine ebensolche Angst vor der intellektuellen Verwechslung. Sprich: Da Mozart in allen Konzertsälen der Welt „everybody’s darling“, jedermanns Liebling, war und ist, tanzte Gould mit größtem Vergnügen aus der Reihe und gab Interviews zu Mozart, die Aufsehen erregen mussten, waren sie doch so grundverschieden von der Einstellung sämtlicher Zeitgenossen, egal ob Menuhin, Callas oder Bernstein, zum „Liebling der Götter“ aus Salzburg.
    Glenn Gould wollte provozieren, und er bewerkstelligte es so geschickt, dass immer der Eindruck entstand, er stehe mit seiner ganzen Überzeugung hinter dem, was er tut.
    Im Falle seines in holprigem Deutsch(!) radegebrochenen 15-minütigen Portraits über den „Fugenmeister Bach“ wüsste ich nicht zu sagen, ob Gould sich diese Pein mehr zum Zweck der Provokation denn der tiefen Verneigung vor dem Komponisten, mit dem sein eigener Name immer in Verbindung stehen wird, angetan hat.




    Wenn man die neuenglische vornehme Villengegend Torontos, in der Goulds Elternhaus liegt, besucht hat, kann man nachvollziehen, warum er von der Zeit und den gesellschaftlichen Wertvorstellungen seiner Kindheit bis zuletzt geprägt blieb und ungeachtet seiner musikalischen Neugier im Grunde doch ein konservativer Charakter war, der alles Hässliche, Laute und Schroffe, was unsere moderne Zeit oft kennzeichnet, aus tiefster Seele verabscheute.


    Der Zeitraum zwischen diesem Beitrag und meinem Kopfbeitrag entspricht jenen neun Tagen, die vor nunmehr 27 Jahren der unvergessene Glenn Gould seinen 50. Geburtstag überlebte. Wer damals kein Kind mehr war, wird sich – aus deutscher Sicht – leicht in den Herbst 1982 zurückversetzen können: Fast simultan mit dem Tode Glenn Goulds endete in Bonn die Ära Schmidt, und es begann die Ära Kohl.
    Heute, am 4. Oktober, ist Goulds Todestag. Inzwischen wissen wir, dass der vor seinem runden Geburtstag noch so voller Ideen und Zukunftspläne steckende große Pianist schon am 3. Oktober klinisch tot war, der Vater aber aufgrund des gleichzeitigen Geburtstags seiner zweiten Frau, Glenns Stiefmutter also, die lebenserhaltenden Geräte im Krankenhaus erst einen Tag später abschalten ließ.
    Auch zu einem Besuch in der Kirche Torontos, wo die Trauerfeier stattfand, kann ich Gould-Fans raten. (Mein Hotel befand sich zufällig in der Nähe.) Man hat diese im Inneren schöne, dabei relativ moderne Kirche m.E. mit Bedacht gewählt, um dem Abschied von dem kanadischen Nationalstolz G.G. einen besonders würdigen Rahmen zu geben.
    So ernst und angesichts des Lebensalters Goulds ja irgendwie auch traurig dieses Thema ist, lohnt es sich doch, noch einmal die Gould-Monographie seines langjährigen Produzenten und engsten Vertrauten Andrew Kazdin zur Hand zu nehmen (S. 167 ff.), wo er beschreibt, wie er sich seine eigene Ausrede bzw. Rechtfertigung gewissermaßen zurechtschusterte, um nicht zur Trauerfeier kommen zu müssen. Ich verrate nur soviel: Es hat mit der - auch mir keineswegs unbekannten - Angst vor dem Fliegen zu tun.

    2 Mal editiert, zuletzt von PianoForte29 ()

  • Auch ich finde es wirklich schrecklich schade, dass Gould die Hochromantik
    vergessen hat. Nach Fugen von Bach, Fugetten von Schumann. Oder die
    Winterreise von Schubert... das wäre es doch gewesen.


    Andererseits scheint mir Gould nur wirklich überragend als Bach-Interpret
    (auch wenn ich seine Beethoven-Sonaten ganz gerne mag, auch seinen
    Schönberg). Insofern haben wir vielleicht gar nicht viel verpasst.


    Und man stelle sich vor, er hätte die zweite Goldberg-Variationen-Aufnahme
    nicht gemacht, stattdessen zum Beispiel ein Impromptu von Schubert. 8o


    .

  • Hi


    Zitat

    Original von PianoForte29
    ...Der angeblich exzentrischste Pianist des abgelaufenen Jahrhunderts, nach allgemeiner Meinung, auch nach meiner persönlichen, zugleich der überzeugendste und kongenialste Interpret der Klavier- bzw. Cembalomusik Johann Sebastian Bachs, des von mir so empfundenen primus inter pares der Komponisten, wurde leider nur 50 Jahre alt und lebte praktisch sein ganzes Leben in seiner Geburtsstadt: Der kanadischen Metropole Toronto.


    Gut, ich gehöre zu den Nörgelern: seine Bach-Aufnahmen, sowohl der Goldbergvariationen - seien es die Aufnahme aus den 50gern, sei es die aus den 80gern - wie auch sein WTK finde ich nur schrecklich. Das ist kein Bach, hat nichts mit Barock-Musik zu tun. Da will sich nur ein Exzentriker präsentieren und verhunzt ohne Respekt vor der Komposition und dem Komponisten grandiose Werke. Gould ist ein reines Marketing und Medienphänomen.


    Sorry, aber ich kann das Getue um Gould nicht nachvollziehen.


    VG, Bernd

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  • Vorweg gesagt:
    Ich mag ihn nicht.
    Dennoch - ich besitze einige CDs von ihm- und nicht alles ist schlecht, am, liebsten ist mir seine Interpretation von Liszts Klaviertranskription der 5. Sinfonie von Beethoven.
    Interessant auch, daß ein Dirigient wie Leonard Bernstein mit ihm gemeinsam auftrat, vorher aber dem Publikum erklärte, es gäbe extreme Auffassungsunterschiede zwischen Gould un ihm selbst - er distanziere sich quasi von der folgenden Interpretation.


    Es handelte sich um das Brahms Klavierkonzert Nr 1, das per Rundfunk übertragen werden sollte. Der Mitschnitt des Konzert - samt Bernsteins Statement vor Beginn des Konzerts ist auf dieser CD enthalten:



    Das Ergebnis wurde damals recht unterschiedlich - mehrheitlich jedoch ablehnend kritsiert.


    Aber sind nich letzten Endes gerade solche Interpreten es, die die Klassikszene ins Gerede bringen - sie am Leben erhalten - und Aussenstehende neugierig machen ?


    In meinem Fall ist es so, daß ich trotz sehr kritischer Einstellung zu Gould doh immer wieder eine Aufnahme dazukaufe - einfach weil ich neugierig bin. Und diese Neugier ist letztlich der Motor des Sammlers, der ja fast alles schon mal gehört hat...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Sagitt meint:


    Gould provozierte gerne. Manchmal ging das schrecklkch schief, bei Mozart, bei BEETHOVEN kommen da sehr interessanter Ergebnisse heraus, bei Bach manches, was ich heute lieber von anderen Pianisten höre.


    Das wäre dann die Gegenprovokation. Die Aufnahmen von Gould sind trocken, manchmal langweilig.


    Wenn ich an die Konzerte höre,ziehe ich in jedem Fall Katsaris vor oder auch die neue Aufnahme vin David Fray.
    Bei den Suiten immer die Pires oder die Argerich oder Pogorelich.
    Beim wohltemperierten Klavier die wirklich provozierende Aufnahme von Christian Zacharias.


    So eine Einstellung würde Herrn G.G. sicher nicht gerade erfreuen.

  • Zitat

    So eine Einstellung würde Herrn G.G. sicher nicht gerade erfreuen.


    Das wohl kaum.


    Man muß aber der Fairness halber feststellen, daß Gould- lebte er noch - einerseits noch immer spielen könnte (Brendel spielte bis 75, Badura-Skoda spielt - Gott sei Dank - noch heute, etc...)- andrerseits aber auch seinen Stil und seine Art der Provokation geändert hätte.


    Man hat ja auch nach dem Ableben von Kempff und Backhaus - ohne jetzt mit Gould vergleichen zu wollen - auf sie vergessen, und darauf hingewiesen, daß ihr Stil antiquiert sei....


    Zudem ist es eine traurige Tatsache. daß man sich von Interpreten "abhört" und anderen den Vorzug gibt - Ich selbst sehe mich in dieser Hinsicht eher als Ausnahme.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Aber sind nich letzten Endes gerade solche Interpreten es, die die Klassikszene ins Gerede bringen - sie am Leben erhalten - und Aussenstehende neugierig machen ?


    Da stimme ich dir vollkommen zu ! Gould hat mit seiner zu seiner Zeit ungeheuren Medienpräsenz viel für die klassische Musik getan und ich kenne nicht wenige, die erst und nur über seine Aufnahmen an klassische Musik herangekommen sind. Dafür muss man ihm unbedingt dankbar sein !


    Mir selbst ging es ähnlich. Als ich in den achtzigern überhaupt anfing, solche Musik zu hören, war ich ein großer Bewunderer und Verehrer von Gould. Das lag aber eher an seiner exzentrischen Persönlichkeit, die uns damals vor Ehrfurcht erschauern ließ: Welch ein Genie !


    Merkwürdig nur, dass ich mir weder das WTK noch die Variationen gerne anhören mochte. Ich dachte, es liegt an der Musik, dass sie mir so fad vorkam. Dann hörte ich erstmals Richter mit dem WTK und mir gingen die Ohren auf ! Das war nicht langweilig und uninspiriert, sondern kraftvoll gespielt, mit einer Intention, die selbst ich verstand. Heute ziehe ich eher Koroliov oder Gulda vor. Bei den Variationen war es ebenso: erst über Weissenberg und letzthin Perahia fand ich einen Weg zu diesem Werk und heute gehört es zu meinen absoluten Lieblingsstücken.


    Obwohl ich ja eigentlich Aufnahmen mit dem Cembalo vorziehe...aber das ist ein anderes Thema...


    VG, Bernd

  • " [...] kraftvoll gespielt, mit einer Intention, die selbst ich verstand." Jaja,
    lieber Zatopek, so kann´s gehen. Im Übrigen finde ich nicht, dass Gould die
    Bach´schen Goldberg-Var. verhunzt, ich finde noch nicht mal, dass er sie
    besonders gegen den Strich spielt (wenn man z.B. seine mit der Aunahme von
    Maria Tipo vergleicht, die gemeinhin als recht konservativ gilt). Zudem: woher
    weißt du so genau, wie Bach es gemeint hat? Die HIP-Interpreten sind seit
    etwa 50 Jahren dabei, eben die Aufführungspraxis zu rekonstruieren, und sie
    sind noch lange nicht am Ende, im Barock, von Mittelalter und Renaissance
    wollen wir erst gar nicht sprechen.


    Das Gould Asperger hatte gilt mittlerweile als halbwegs sicher (tut mir ja auch
    leid, dass so viele Asperger hatten, ich kann nichts dafür), insofern war er halt
    ein bißl exzentrisch - nunja, nicht der Einzige.


    .

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  • Zitat


    Original von zapotek
    Das ist kein Bach, hat nichts mit Barock-Musik zu tun. Da will sich nur ein Exzentriker präsentieren und verhunzt ohne Respekt vor der Komposition und dem Komponisten grandiose Werke. Gould ist ein reines Marketing und Medienphänomen. Sorry, aber ich kann das Getue um Gould nicht nachvollziehen.


    Das Getue, wie Du es nennst, ist schon berechtigt.
    Ob Du es nachvollziehen kannst, ist eine individuelle Sache.


    PianoForte29 hat ja schon das phänomenale Gedächtnis des Pianisten erwähnt.
    Er hatte quasi das Bachsche Gesamtwerk für Klavier inklusive der Kunst der Fuge im Kopf und in den Fingern.
    Ohne grosse Vorbereitung konnte er es CD-reif spielen.


    Ich habe einige Filmauschnitte von Aufnahmesessions gesehen.
    Da hat er das gleiche Stück von Bach dreimal hintereinander gespielt, in drei verschiedenen Tempi und drei unterschiedlichen Interpretationen.
    Weisst Du eigentlich wie schwer, ja unter normalen Umständen eigentlich unmöglich das alles ist?


    Oder seine Fähigkeiten im polyphonen Spiel.
    Versuch einmal irgendeine Fuge aus der Kunst der Fuge oder dem WKT einzuüben und diese Klarheit und Unabhängigkeit hinzubekommen.
    Er beherrschte dies bei teilweise aberwitzig schnellen Tempi.
    Pianistisch ist er ein echtes Phänomen, dass es m.E. so nie wieder geben wird. Er geniesst auch unter Pianisten und Klavierlehrern einen Riesen-Respekt, und das aus fachlichen Gründen.
    Von mir aus kann man Bocelli als Medienphänomen bezeichnen, nicht aber Gould. Der war doch alles, bloss nicht everybodys darling.


    Zugegeben, seine Interpretationen sind meistens sehr eigenwillig.
    Alles spielt sich in seiner eigenen Gould-Welt ab.
    Das kann man mögen oder nicht. Aber man sollte es anerkennen.


    Ich würde erst gar nicht versuchen, ihm irgendetwas nachzuspielen, weil das nicht authentisch wäre.
    Ausserdem bin ich bei Bach hinsichtlich der Artikulation meistens nicht seiner Meinung.
    Für Bach finde ich eine reichhaltige Artikulation angebracht, weder nur Legato und auch nicht - wie häufig bei Gould- vornehmlich Non-Legato, sondern sprechend.
    Auf dem Klavier wirkt aber eine cembalistische oder organistische HIP-Artikulation meiner Erfahrung nach etwas gestelzt und überzeichnet, weshalb ich hier für eine stärkere Legato-Tendenz bin.
    Man kann den Gliederungssinn mancher Artikulationen auch mit feindynamischen Mitteln erreichen, was auf dem modernen Klavier dann natürlicher klingt.


    Trotzdem finde ich immer wieder einige seiner Aufnahmen, die mich absolut faszinieren.
    Die zweiten Goldberg-Variationen sind für mich seine beste Aufnahme überhaupt
    Weder Cembalo-Aufnahmen noch neuere Klavier-Einspielungen ( z.B. Hewitt oder Schiff) erreichen für mein Dafürhalten diese Klasse.
    Da konstruiert er sehr geschickt einen Zusammenhang zwischen den einzelnen Sätzen. Man könnte auf die Idee kommen, dass ein rhythmischer Grundpuls unter nahezu allen Variationen liegt, nicht nur die offensichtlichen Variationen über einem G-Dur-Generalbass.


    Aber auch einige seiner WTK-Fernsehaufnahmen finde ich sehr bemerkenswert, im Gegensatz zu manchem Präludium bzw. mancher Fuge aus seiner CD-Einspielung. Der Vergleich zu den Fernsehaufzeichnungen macht deutlich, wie unterschiedlich er oft die Stücke interpretierte.
    Ich kenne z.B. eine herrliche ruhige Fernsehversion des jungen Gould, bei der er die Es-Dur Fuge des WTK2 spielt. Kein Vergleich mit der hackig-schnellen CD-Aufnahmen.
    Da gibt es für Interessierte viel auf Youtube zu entdecken.


    Auf alle Fälle ist er einer der wichtigsten Bach-Pianisten der Musikgeschichte, selbst wenn er leider in vielen Musikschulen nichts Gutes "angerichtet" hat. Ich erinnere mich aus meiner Zeit, wie ich da regelrechte Non-Legato Exzesse über mich in Schülervorspielen ergehen lassen musste.
    Gould seine Eigenheiten funktionieren eben nur für Gould und für niemanden anders.
    Auch sonst ist er einer der ungewöhnlichsten und bemerkenswertesten Musikerpersönlichkeiten, die ich kenne.
    Phänomenal, wie er das Meistersinger-Vorspiel von Wagner auf dem Klavier darstellte. Er hatte die Musik wirklich in sich.
    Vor Leuten wie ihm, die etwas ganz Besonderes mitbekommen haben, habe ich den grössten Respekt.


    Seine Vorliebe für polyphone Strukturen ist mir persönlich auch sehr sympatisch, denn ich teile sie...
    Eine gute Fuge ist für mich die Spitze der Kompositionskunst.


    Gruss :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich glaube nicht, daß irgendeine von Goulds Bach-Interpretationen provokativ gemeint ist, auch die Brahms-Solo-Stücke nicht, die Haydn-Sonaten nicht, Schönberg und Hindemith nicht und auch nur einige wenige der Beethoven-Interpretationen.


    Im Falle von Bach muß man sich vor Augen halten, daß Gould mehr oder weniger eine neue Tradition, Bach auf dem Klavier zu spielen, begründet hat. Natürlich gab es vorher Pianisten, die einiges von Bach spielten (Edwin Fischer, Arrau, Serkin), aber seine Klavierwerke spielten damals im typischen Konzertrepertoire keine große Rolle, viele Pianisten bevorzugten eher die Arrangements von Busoni u.a. (oder hielten, wie Schnabel, Bachs Musik für zu intim für den Konzertsaal) und seit einiger Zeit plädierten gewichtige Autoritäten wie Landowska für das Cembalo. Die erste Aufnahme der Goldbergvariationen muß wie eine Bombe eingeschlagen haben (ich weiß auch nicht, ob es damals überhaupt mehr als eine oder zwei Alternativen gab). Es gab gar keinen wirklich etablierten "Bach-Stil" gegenüber dem er hätte provozieren können. Mal abgesehen davon, daß die 50er auch was Medienkreaturen eine andere Zeit waren als heute.


    Gould kam praktisch aus dem Nichts, er hatte keine berühmten Lehrer oder Förderer. Er hat sich seinen schnellen Ruhm schon durch sein Können verdient (Das Publikum in Moskau oder Leningrad oder Musiker wie Karajan oder Bernstein dürften sich kaum von Äußerlichkeiten haben blenden lassen.)


    Und der konsequente Ausstieg aus dem Konzertbetrieb spricht ebenfalls dagegen, daß es sich hier um ein Medienphänomen handelt. Er kann schließlich nichts dafür, daß seit seinem Tod Sony alle paar Jahre eine neue Gould-Edition herausbringt. Es scheint sich jedenfalls zu lohnen. Der in diesem Forum üblichen Argumentationsfigur (etwa im Falle Karajan, Brendel oder Kempff) folgend, muß also was dran sein... ;)


    Überdies würde ich vorschlagen, diesen mit einem sehr persönlichen Bericht gestarteten thread nicht für allgemeine Diskussionen zu nutzen, sondern einen der bereits bestehenden:


    75. Geburtstag
    nochmal 75.


    Extremist...


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)



  • Die erste Einspielung mit modernem Hammerflügel stammt von Claudio Arrau aus dem Jahr 1942, die aber erst 1998 veröffentlicht worden ist und zwar wie in Martin Elstes "Meilensteine ..." nachzulesen ist, Arraus Plattenfirma


    "auch mit der neu verpflichteten Landowska den Variationszyklus aufnahm und keine Repertoireüberschneidungen haben wollte",


    was natürlich keine Erklärung dafür ist, daß diese Aufnahme jahrzehntelang in der Ice-Box "schmorte".


    1952 erschien dann eine Aufnahme mit Rosalyn Tureck, gleichfalls auf modernem Hammerflügel (Veröffentlichung wohl noch in 1952).


    1955 hat Gould mit seiner 1. Studioaufnahme die Fenster für eine neue Bachsicht geöffnet.

  • Nach vierjähriger Ruhe dieses Threads bleibt nachzutragen, dass Glenn Gould heute abermals seinen Geburtstag feiern könnte, wenngleich die 77 des Threadtitels natürlich schon längst überschritten wäre.
    Ist er immer noch ein große Name wie ehedem? Oder dominieren mittlerweile nur noch gutaussehende, junge, stromlinienförmige Interpreten, die gefällig spielen, die Klavierszene? Gibt es heute noch Querdenker, Non-Konformisten, Provokateure wie ihn?

  • Gould ist m.E. nach wie vor der "Wiederveröffentlichungskönig", zumindest bei Sony/CBS. Gefühlt kommt alle zwei Jahre eine neue Box oder Neuauflage einer mehr oder minder vollständigen Edition heraus. Und ggf. ein "neu gefundener" Live-Mitschnitt mit der 20. Live-Aufnahme von Beethovens c-moll, Bachs d-moll-Konzert o.ä.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Ist er immer noch ein große Name wie ehedem?

    Glenn Gould war schon zu Lebzeiten ein umstrittener Künstler. Für seine Verehrer (zu denen ich mich zähle) wird er immer einer der ganz Großen bleiben.



    Gibt es heute noch Querdenker, Non-Konformisten, Provokateure wie ihn?

    Ja, die gibt es natürlich immer noch. Nur würde auch ein Glenn Gould in der heutigen Zeit nicht so hervorstechen wie er das in den 60er und 70er Jahren getan hat. Die Wirkung "übergroßer" Künstler ist auch immer nur aus der Zeit heraus, in der sie gewirkt haben, zu verstehen. Das gilt für Furtwängler oder Toscanini, für die Callas und eben auch Glenn Gould.

  • Die heutigen "Non-Konformisten" gehören manchmal in die Gould-Nachfolge (zB Mustonen, der beinahe noch extremer "staccatissimo" spielt) oder eher, vielleicht als Gegenreaktion, ins "romantische Lager": Pogorelich, Pletnev, Barto.
    Keine vollständige Liste, aber natürlich ist die besondere Eigenart Goulds nicht ohne weiteres zu wiederholen.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)