Der Kenner und der Profi

  • Der Kenner spielt mindestens ein Instrument (besser 2 weil Klavier und ein anderes Instrument, idealerweise singt er auch in einem Chor)
    Dadurch hat er schon automatisch ein wenig "absolutes Gehör" und bekommt mit, ob man in der Haupttonart ist oder woanders.
    Er kennt die Musikgeschichte und hat ein wenig Kontrapunkt und Harmonielehre drauf. Das "Standardrepertoire" ist ihm nicht fremd.
    Er kennt Stimmgattungen und Schlüsselstellen aus Opernlibretti.
    Ihm sind unterschiedliche Ansätze der Interpretations-Kunst und ihrer Schulen bekannt.


    Der Profi spielt Sinfonien aus der Partitur vom Blatt auf dem Klavier nach. Er kann auf Zuruf in einem beliebigen Stil improvisieren. Er verfügt nicht nur über das relative "absolute Gehör" eines Durchschnitts-Instrumentalisten sondern vollzieht jede harmonische Wendung aus dem "relativen" Zusammenhang der Akkordtöne ohne Partitur nach. Er kann Mängel der Interpreten an ihren technischen Problemen festmachen. Auf Abruf spielt er Schlüsselstellen des "Standardrepertoires" auf dem Klavier (und singt dazu).


    Stimmt's?


  • Das entspricht vermutlich ungefähr, dem, was im 18. Jhd. als "Kenner" bezeichnet wurde. Der weniger beschlagene Musikfreund war der "Liebhaber". Wobei ich nicht genau weiß, ob man nicht vielleicht noch mehr zwischen theoretischen u. praktischen Fähigkeiten differenzieren müßte. Liebhaber waren vielleicht auch die, denen Mozart Klavierunterricht gab, bei denen er aber mit den ersten Kompositionsübungen verzweifelte.
    Und ich kenne etliche Leute, die Instrumente spielen und/oder im Chor singen, aber relativ wenig Interesse bzw. nur oberflächliche Kenntnisse von Musikgeschichte oder -theorie haben.


    Zitat


    Der Profi spielt Sinfonien aus der Partitur vom Blatt auf dem Klavier nach. Er kann auf Zuruf in einem beliebigen Stil improvisieren. Er verfügt nicht nur über das relative "absolute Gehör" eines Durchschnitts-Instrumentalisten sondern vollzieht jede harmonische Wendung aus dem "relativen" Zusammenhang der Akkordtöne ohne Partitur nach. Er kann Mängel der Interpreten an ihren technischen Problemen festmachen. Auf Abruf spielt er Schlüsselstellen des "Standardrepertoires" auf dem Klavier (und singt dazu).


    Ein ordentlicher Korrepetitor oder Dirigent sollte das wohl in etwa draufhaben, wenn auch vielleicht nicht für das gesamte Repertoire. Auf viele andere professionelle Musiker dürfte es aber in dieser Universalität nicht zutreffen. Von außerordentlich guten Dirigenten wird überliefert, daß sie nicht nur Schlüsselstellen, sondern ganze Sätze und Sinfonien auswendig auf Verlangen vorgespielt haben.


    :hello:


    JR (kann viele Schlüsselstellen vorsummen oder -pfeifen (ein wenig schief), leider kein Klavierspielen dazu)

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Der Kenner - von was? Der Kenner großer Gesangsstimmen sollte schon die elementaren Begriffe der Gesangstechnik kennen, erkennen und idealerweise auch vormachen können. Also ohne ein Minimum an Gesangsausbildung wird es nicht gehen. Eher wäre noch das Klavier verzichtbar.


    Es wäre theoretisch sicher eher denkbar, dass ein angehender Kenner von Klaviersonaten (z. B. Beethovens) nicht Klavier spielen kann oder ein Kenner von Streichquartetten kein Streichinstrument spielt.


    Der Profi hat vielleicht andere Sorgen als die halb nachts um halb drei unvorbereitet und auswendig aus dem Ärmel zu schütteln. Der fragt sich vielleicht eher, wie er die nächste Saison so vorbereitet, dass er sich einerseits gut weiterentwickelt, andererseits das Publikum das Programm so interessant findet, dass es in die Konzerte strömt.


    In einem beliebigem Stil improvisieren zu können, ist z. B. bei Zwölftonmusik sicher extrem anspruchsvoll. Ich will nicht sagen, dass es gar nicht ginge, aber ich stelle es mir bei einer Stimmenzahl > 2 schon schwierig vor. Ansonsten ist stilgebundene Improvisation in gewissen Grenzen anhand bestimmter Formen recht gut erlernbar, Passacaglia, Fuge, Sonate, Nocturne, ... das geht schon, wenn man ernsthaft will.


    Nur die Vorstellung, ein "Profi" könne das alles automatisch, ist vielleicht nicht hilfreich. Kann ein Formel-1-Rennfahrer einen Motorwechsel vornehmen oder den Preis eines Gebrauchtwagens taxieren? Vielleicht ist noch nicht einmal klar, ob er mit einem Otto-Normal-Golf ein paar nette Kabinettstücke auf Schnee draufhat. Cui bono?

  • Zitat

    Original von Wolfram
    Der Kenner - von was?


    Das Obige meint natürlich einen gewissermaßen breitgefächerten Kenner. Sonst könnte man gleich meinen, der subtile Kenner der Ars subtilior bräuchte von Harmonielehre und klassischen Formen gar nichts wissen für sein Fachgebiet.


    Und ich habe kein Problem damit, meinem Kenner noch etwas Stimmbildung auf- oder einzuhalsen.


    Ohne Klavier geht nicht, finde ich.


    Der Profi ist natürlich eine Idealfigur und hat nichts mit einem professionellen Sänger/Instrumentalisten zu tun. Die können das Geforderte natürlich nicht, und ich würde es auch nicht bei jedem "ordentlichen" Korrepetitor und Dirigenten vermuten.


    Aber wir wollen ja nicht, dass sich jeder, der eine CD einlegen kann, gleich als Profi tituliert ...
    ;)

  • Der Profi, der Kenner und der Liebhaber (ein bisschen off topic)


    Die Unterscheidungskriterien für „Profi versus Kenner” von KSM sind gut überlegt, auch wenn man sie etwa ergänzen oder spezifizieren/verfeinern könnte/möchte. Dies ist nämlich immer möglich. Und der Übergang zwischen Profi und Kenner auf Grund von einer Reihe von Fähigkeiten bleibt notwendigerweise fließend.


    Wenn man von den allgemeinen Begriffen „Profi” und „Kenner” ausgeht, könnte man den Unterschied nicht in den Fähigkeiten selbst erfassen, sondern in der Funktion dieser Fähigkeiten. Man ist ein Profi, wenn man die erworbenen Fähigkeiten/Kenntnisse auf einem hohen Niveau verwenden kann/will. Und man ist ein Kenner, wenn sein Ziel das „Wissen” ist, nicht der Gebrauch. Der Profi muss natürlich über einen von der Gesellschaft stillschweigend angenommenen Kenntnisstand/Fähigkeitenrepertoire verfügen, um sein Können wirklich zielgerecht anzuwenden. Die gesellschaftliche Erwartung gegenüber diesem Kenntnisstand ist dabei nicht konstant, sie ändert sich, entwickelt sich.


    Während der Unterschied zwischen Profi und Kenner ein funktioneller ist, scheint mir der Unterschied zwischen Kenner und Liebhaber ein quantitativer und qualitativer zu sein.


    Der Liebhaber weiß bestimmend weniger als der Kenner. Der engagierte Liebhaber möchte aber ein Kenner werden. Und wenn sein Kenntnisstand entsprechend angewachsen ist, kann er damit rechnen, dass dieser quantitative Unterschied in eine qualitative umschlägt: dass er aus einem Liebhaber nun endlich zu einem Kenner geworden ist. Hier können die von KSM aufgezählten Erwartungen gute Dienste leisten.



    Der Musikliebhaber (nicht mehr off topic)


    Der Musikliebhaber ist am Anfang ein enthusiastischer Hörer. Wenn er ein Stück hört, ist er hingerissen von dessen Schönheit. Wenn er dann dasselbe Stück in einer anderen Interpretation hört, findet er das genauso schön. Und in der dritten Interpretation ebenfalls. Das wird ihm dann etwas unangenehm, denn er will ja mit der Zeit zu einem Kenner werden und Kenner müssen doch wissen, welche Interpretation gut und welche schlecht ist. Bei der vierten Variante merkt er plötzlich, dass ihm diese Variante doch weniger lieb ist. Aber da stellt sich meistens heraus, dass genau diese Variante von einem ganz besonders berühmten und hoch gepriesenen Interpreten stammt, und dann wird er noch mehr verwirrt, denn einen so berühmten Interpreten kann man doch nicht für weniger gut finden, wohin würde das denn führen…. Dieses unangenehme Gefühl zwingt ihn dazu, sich in die Musikliteratur hineinzulesen. Er erfährt zahlreiche wichtige Informationen, zum Beispiel darüber, wann Mozart in die Wiener Freimaurerloge eingetreten ist, welcher Komponist infolge einer Blutvergiftung gestorben ist und wie viel Sinfonien Haydn komponiert hat. Mit der Zeit lernt er auch zwischen den Vögeln und der Flöte zu unterschieden und kann zehn unbekannte Komponisten aus dem Stegreif herzählen. Diese und ähnliche Kenntnisse scheinen ihm jedoch weniger zur Kennerschaft zu verhelfen, zumal der Kenner sich ja auch in der Welt der Noten, Kadenzen, Tuttis und Synkopen, aber vor allem in der Welt des Kontrapunktes auskennen soll. Bald sieht er ein, dass er dazu mindestens ein Klavier und womöglich auch einige Erinnerungen an den Musikunterricht im Kindesalter nötig hätte. Das ist nun eine richtige Wasserscheide. Jung genug, kann er sich noch entschließen, einiges auch in diesem Bereich nachzuholen. Wenn er aber schon nicht mehr so jung ist, und wenn das alte Klavier seit vielen Jahren bei den Patenkindern gelandet ist (es hätte wegen der angewachsenen Zahl anderer wichtiger Dinge sowieso keinen Platz mehr in der Wohnung), dann lasst er es lieber sein… Aber innerlich gibt er es nie auf, einmal ein „Kenner“ zu werden.


    Mit besten Grüßen:
    Ein(e) Musikliebhaber(in)

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  • Ich hatte heute im Klavierforum einen neuen Thread zu diesem Thema angekündigt, dann aber glücklicherweise des Kurzzstückmeisters Statement noch einmal genauer gelesen wo er drauf hinwies sich erinnern zu können das Thema bereits einmal zu einem Thread verarbeitet zu haben.


    Ich suchte also solch einen Thread - und wurde fündig. Hier ist er biittesehr.


    Ich könnte an sich mit seiner Definition leben - auch wenn ich den Ansprüchen nicht gegügen würde - aber es gibt da aus meiner Sicht ein paar ungereimtheit - oder eine Lücke - je nachdem wie man es betrachtet.


    Daß es "Profis" gibt die keineswegs improvisieren können ist zwar nicht wissenschaftlich belegbar - aber der Verzicht der meisten Pianisten, spontane eigene Kadenzen zu spielen (das muß schon zu Mozarts Zeiten so gewesen sein) mag freundlicherweise als Erhärtung meiner Vermutung angenommen werden....


    Kommen wir zum Kenner. Die Bedingungen sind hier recht streng.
    Muß ein Kunstkenner malen können - oder genügt es wenn er über Stilrichtungen - Malweisen und typische farbgebung - sowie vorzugsweise gewählte Thematiken Bescheid weiß.
    Ist ein Farbchemiker, der einen gefälschten Rembrandt anghand der durch chemische Analyse gewonnen Erkenntnisse als solchen erkennt - ein Kenner oder ist er es nicht ?
    Ist ein Kunsthistoriker, der 3000 Bilder eines bestimmten Kulturkreises, bzw einer Malschule ich ist es von .


    Wie schaut es mit dem Gourmetkritiker aus ?
    Natürlich ist es von Vorteil wenn er es kann - aber ist das Bedingung ?


    Muß ein Musikkritiker wissen was in den Noten steht - oder braucht er lediglich "guten Geschmack" ?
    Ich würde sagen, daß letzteres offensichtlich der Fall sein muß - denn wie unterschiedlich setzen
    "Profis" doch diese Noten um.....


    Man könnte nun sagen, daß jene Person, die ich beschreibe der "Musikliebhaber" sei -
    und auch dagegen hätte ich heine Winwände -
    gäbe es da nicht folgende Textstelle


    Zitat

    Der Musikliebhaber ist am Anfang ein enthusiastischer Hörer. Wenn er ein Stück hört, ist er hingerissen von dessen Schönheit. Wenn er dann dasselbe Stück in einer anderen Interpretation hört, findet er das genauso schön. Und in der dritten Interpretation ebenfalls.

    (Beitrag Nr 5 in dieschem Thread)


    Ich wage die kühne Behauptung, daß in diesem Forum
    in Vergangenheit und Gegenwart (und vermutlich auch in Zukunft)
    zig User Interpretationen gehört haben, von denen sie NICHT hingerissen waren -
    und sie haben dies oft auch unmißverständlich bis bösartig artikuliert.
    Musikkenner oder Musikfreund - das ist die Frage ?


    Mein Definitionsvorschlag für "Musikkenner" wäre vorsichtig formuliert in etwa folgender
    Ein Klassikkenner ist ein Musikfreund, welcher eine gewisse Anzahl von Werken
    aus gewissen Bereichen in mehrfacher Interpretation gehört, bzw erlebt hat
    und sich über die verschiedenen Interpretationsansätze eine eigene Meinung gebildet hat,
    welche er so artikulieren kann, daß er die Zustimmung etlicher anderer Musikfreunde
    erringen kann.


    Ich weiß daß das noch nicht alles ist, worauf es ankommt - es soll auch nur ein "roter Faden" sein.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Mein Definitionsvorschlag für "Musikkenner" wäre vorsichtig formuliert in etwa folgender
    Ein Klassikkenner ist ein Musikfreund, welcher eine gewisse Anzahl von Werken
    aus gewissen Bereichen in mehrfacher Interpretation gehört, bzw erlebt hat
    und sich über die verschiedenen Interpretationsansätze eine eigene Meinung gebildet hat,
    welche er so artikulieren kann, daß er die Zustimmung etlicher anderer Musikfreunde
    erringen kann.


    Dann ist der Klassikkenner aber ein Produkt des 20. Jahrhunderts und zu Mozarts Zeiten gab es keine Klassikkenner?

  • Der Liebhaber weiß bestimmend weniger als der Kenner. Der engagierte Liebhaber möchte aber ein Kenner werden. Und wenn sein Kenntnisstand entsprechend angewachsen ist, kann er damit rechnen, dass dieser quantitative Unterschied in eine qualitative umschlägt: dass er aus einem Liebhaber nun endlich zu einem Kenner geworden ist. Hier können die von KSM aufgezählten Erwartungen gute Dienste leisten.

    Wie wäre es denn damit, wenn ein Kenner, der nur wenig kennt, Kontakt aufnimmt mit einem Liebhaber, der sehr viel kennt. Kann dann nicht auch ein Kenner von einem Musikliebhaber profitieren. Ich meine aber doch. Bei der Frage des Beurteilungsmaßstabes ist es eigentlich egal, wie oft ich ein und dasselbe Stück höre und vergleiche, ich kann meinen Geschmack ja nicht ab- oder ausschalten.



    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Hallo!


    Wenn mir ein Kenner oder "Professioneller" etwas über Oper oder konzertante Musik in einem längeren Referat erklärt, mag das wohl angehen. Aber dies heißt noch lange nicht, daß mir anschließend das besagte Stück besser gefällt. Bei mir entscheidet als Musikliebhaber noch immer der Genuß (Geschmack).



    Gruß Wolfgang

    W.S.

  • Zitat

    Dann ist der Klassikkenner aber ein Produkt des 20. Jahrhunderts und zu Mozarts Zeiten gab es keine Klassikkenner?


    Doch - aber es sind nun andere Voraussetungen gegeben.
    Ich kann mir HEUTE einen "Kenner" der nicht mindestens 5 verschiedene Einspielungen eines MAinstream-Werkes kennt - und eine Meing dazu hat - nicht mehr vorstellen. Zu Mozarts Zeiten war das natürlich anders.
    Mozart soll beispielsweise äusserst ungehalten gewesen seinn, wenn jemand eines seiner Werke nicht so interpretierte, wie Mozart es "aufgeschrieben" hatte. Er war also der Meinung, daß alles Wesentliche eines Werkes in den Noten stünde - eine Denkweise die heute kaum mehr als haltbar betrachtet würde.


    Ich stehe nun nicht gerade im Ruf ein Revoltionär zu sein, der die Radikale Anpassung von Werten und Begriffen an unsere Zeit forderte - indes ganz allmählich wandelt sich - ohne Zutun von aussen - das alles selbst...



    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ich kann mir HEUTE einen "Kenner" der nicht mindestens 5 verschiedene Einspielungen eines MAinstream-Werkes kennt - und eine Meing dazu hat - nicht mehr vorstellen.


    Das ist für mich eher kein Kenner sondern ein Liebhaber. Und in meinem Freundeskreis finden sich auch kaum Vertreter dieser Untergruppe von Klassikliebhabern. Ich selbst gehöre ja auch nicht dazu.


  • Dann ist der Klassikkenner aber ein Produkt des 20. Jahrhunderts und zu Mozarts Zeiten gab es keine Klassikkenner?


    Zu Mozarts Zeit gab es vor allem keine "Klassik" :D Musik, die älter als 30 oder 40 Jahre war, wurde nur von einer kleinen Teilmenge von historisch interessierten Kennern (und teils von Komponisten) gekannt und gespielt.

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  • Dann ist der Klassikkenner aber ein Produkt des 20. Jahrhunderts und zu Mozarts Zeiten gab es keine Klassikkenner?


    Ich würde sagen, auch die Definition des Klassikkenners wird sich über die Jahrhunderte hinweg verändern. Wobei es erst einmal interessant wäre, zu wissen, ob ein derartiger Begriff zu Mozarts Zeiten überhaupt existiert hat.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Mozart soll beispielsweise äusserst ungehalten gewesen seinn, wenn jemand eines seiner Werke nicht so interpretierte, wie Mozart es "aufgeschrieben" hatte. Er war also der Meinung, daß alles Wesentliche eines Werkes in den Noten stünde - eine Denkweise die heute kaum mehr als haltbar betrachtet würde.


    Das sehe ich nicht so. Mozart wandte sich wohl gegen einen zu freien Umgang mit dem Notentext im Sinne von improvisierenden Tendenzen. Heutzutage ist der Notentext sakrosankt (von Diskussionen um Wiederholungen und gelegentlichen Streichungen abgesehen). Daher würde sich Mozart über die heutigen Wiedergabegebräuche freuen. Es geht ja nur mehr darum, WIE der Notentext realisiert wird, und nahezu alle Bemerkungen, die von Komponisten überliefert sind, gehen in die Richtung, dass sie gegenüber unterschiedlichen Interpretationen eher großzügig eingestellt sind. Hauptsache, sie werden/wurden überhaupt gespielt...


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • traurig, wenn die armen Profis dann nur an die Kenner verkaufen können - wieviele Kenner nach der o.a. Definition hat hier das Forum? 10% ? Vermutlich ist auch ein Großteil der Moderation und Administration nicht im begnadeten Kennerstatus?


    Ich habe Ohren um zu hören, das reicht. Theorie langweilt mich, in welcher Tonart irgendwas geschrieben ist, ist völlig unerheblich, mit welchen Intentionen und in welcher geistesgeschichtlichen Tradition es geschrieben wurde, noch wesentlich unerheblicher;


    entweder es gefällt (mir), dann ist es gut, und es bedarf keiner weiteren Begründung, oder es gefällt nicht, und dann können alle Begründungen der Welt das nicht ändern.


    Und nein, diese Art arroganten Musikhörschnöseltums ist nichts, was ich in irgendeiner Weise zu ändern intendiere.

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  • Werte Leser,


    nun, das ist hier mal wieder sehr kategorisch. Ich bin defintiv ein Liebhaber der Musik Beethovens. Ich habe für mich festgestellt, das gerade die allgemein als schwierig bis unverständlich benannten Werke Beethoven`s mir einen noch nie zuvor gekannten Hörgenuss bereiten.


    Möchte man sich jetzt über diese Musik austauschen, ist die Musiktheorie nicht fern. Eine profunde Analyse kann ich in Büchern nachlesen, werde aber dort so mit Details bombadiert, das ein Musikstudium angebracht wäre. Das ist mir auch zu weg von der Musik!


    Ein gesunder Mittelweg ist gefragt. Man kann den Zauber der Musik auch ohne Musikstudium nachspüren. Das man eine Fuge erkennt, zum Beispiel, hilft ungemein, die Struktur eines Stückes zu erkennen. Innere Bezüge werden deutlicher, Zusammenhänge offen gelegt. Und es ist für mich ein unsagbarer Spass, die Fuge zu erkennen, dem Geheimnis dieses Konstruktes nachzuspüren.


    Werde ich so zum Musikkenner? Der Begriff ist wie ein Titel, er wird von außen verliehen. Dehnbar, interpretierbar, von so vielen Unwägbarkeiten abhängig, die nichts mit der Musik zu tun haben, das ich ihn fast schon negativ sehe, zumindest äußerst kritisch.


    Aber es macht Spass, über so etwas nachzudenken.


    Herzliche Grüße, besonders an Alfred,


    Thomas

  • entweder es gefällt (mir), dann ist es gut, und es bedarf keiner weiteren Begründung, oder es gefällt nicht, und dann können alle Begründungen der Welt das nicht ändern.


    Früher habe ich nie Käse essen mögen. Bis mich jemand dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht hat, was es dort alles zu schmecken gibt. Heute liebe ich Käse und bin dankbar, dass ich nicht bei meinem altem Standpunkt geblieben bin.


    Zu Wein könnte ich eine ähnliche Geschichte erzählen. Aber noch mehr zu Wagner, Mozart, Schubert usw. usw.


    Lieber m-mueller, "Begründung" ist vielleicht das falsche Wort. Aber ich bin dankbar, dass mich manchmal jemand darauf aufmerksam machte, was man an dieser oder jeder Musik gut und interessant finden könne. Und auch dafür, dass ich nicht bei meiner ersten Ablehnung geblieben bin.


    Ein Hoch auf die Begründungen und Hinweise!

  • Fein, dass Du es schwarz gepostet hast. Die es, Deiner priavte Meinung nach, nicht betrifft, werden, wie ich sie einschätze, großzügig darüber hinweg sehen.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Die es, Deiner priavte Meinung nach, nicht betrifft, werden, wie ich sie einschätze, großzügig darüber hinweg sehen.


    Öh - hä?
    Wenn ich schreibe, dass wahrscheinlich niemand im Forum meiner strengen Definition nach ein Kenner ist, dann betrifft das alle.
    :D

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  • Früher habe ich nie Käse essen mögen. Bis mich jemand dankenswerterweise darauf aufmerksam gemacht hat, was es dort alles zu schmecken gibt. Heute liebe ich Käse und bin dankbar, dass ich nicht bei meinem altem Standpunkt geblieben bin.


    Zu Wein könnte ich eine ähnliche Geschichte erzählen. Aber noch mehr zu Wagner, Mozart, Schubert usw. usw.


    Ehhhhh, Wolfram, so pauschal kommst Du nicht davon! Natürlich kann sich Geschmack wandeln, sogar der von Ignoranten. Mit Käse und Wein ist es mir vermutlich ähnlich gegangen wie Dir (aus Gouda wird Bleu d´Auvergne, aus weiß und eher lieblich wird rot und tanninreich). Auch Musikgeschmack kann sich mit der Zeit wandeln, aber es bleibt doch immer "Lusthören", es ist - zumindest bei mir - nicht edukativ und nicht angestrengt.


    Ach, und Thomas, Fuge erkenne ich auch - ist sozusagen meine Lieblingsspeise.

  • aber es bleibt doch immer "Lusthören", es ist - zumindest bei mir - nicht edukativ und nicht angestrengt.


    Lieber m-mueller,


    es sei fern von mir, von Dir etwas zu verlangen, was Deinem Innersten entgegen stünde.


    Alfred Brendel: "Je größer das Wissen, desto größer das Staunen". Die investierte Arbeit trägt Zinsen. Oder wie es ein Musikwissenschaftler mal sagte:


    Der botanisch unbeleckte Wanderer kommt an einer blühenden Bergwiese vorbei und erfreut sich an den bunten, satten Farben. Doch nach wenigen Minuten hat er sich satt gesehen und wendet sich gelangweilt ab.


    Der Botaniker hat dieselbe Freude beim Anblick. Doch dann verbindet er den sinnlichen mit dem geistigen Genuss. Er wundert sich, dass die eine Blume noch, die andere hingegen schon blüht, er wird aus der besonders intensiven Farbe einer anderen Blume auf bestimmte Mineralien im Boden schließen, er wird anhand der Flora Rückschlüsse auf die Mikrofauna dieser Wiese ziehen und wird sich freuen, wenn er das eine oder andere Insekt erblickt, das seine Vermutungen bestätigt ...


    ... so verbringt der wissende Botaniker eine reich gefüllte halbe Stunde auf derselben Wiese, von der sich der weniger wissende Wanderer nach wenigen Minuten gelangweilt abgewendet hat.


    Vermag Dich diese Aussicht nicht zu locken?

  • ja, schönes Plädoyer, und ich kann es auch recht gut nachvollziehen.


    Ich wüßte nichts von den Insekten, ich wüßte vermutlich nicht einmal etwas davon, daß die eine Blume noch und die andere schon...


    Du hast hier den Botaniker bemüht, also einen Spezialisten, der dies wissen und würdigen können sollte, es ist ja nun sein Spezialgebiet.


    Aber es gibt verschiedene Spezialisten für eine Bergwiese:


    Der Fotograf sieht auf der einen Wiese besonders reizvolle Farbzusammenstellungen, die er im Weitwinkelobjektiv abbildet, auf der anderen sieht er ein Insekt an einer Blume naschen, was er mit dem Teleobjektiv festhält, die dritte besucht er am frühen Morgen, um die verwehenden Nebel im Bild festhalten zu können..


    Der Landwirt sieht die Fruchtbarkeit des Bodens oder die vielen Steine, die ein Beackern mühsam machen...


    Der Architekt sieht, wie das Wasser den Hang herunterdrückt und berechnet die Leistung einer anzulegenden Drainage...


    Der Soldat sieht die Möglichkeiten, die höhergelegenes Gelände hinsichtlich einer zu haltenden Stellung bietet...


    Der Spekulant beurteilt die Wahrscheinlichkeit, mit der die Wiese mal zu einer Autobahn wird...



    Musik ist nur EINE, wenn auch eine wichtige, von VIELEN Möglichkeiten, seine knappe Zeit zu verbringen, insofern hoffe ich auf Dispens, wenn ich nicht in die mühselige Theorie einsteigen, sondern ausschließlich Lustgewinn realisieren möchte - was einschließen kann: Wiese jetzt, Bergpanorama 5 Minuten später, weil Wiese langweilig geworden....


    sicherlich unterschiedliche Herangehensweisen, nichtsdestotrotz gleichermaßen gültig

  • Der Architekt sieht, wie das Wasser den Hang herunterdrückt und berechnet die Leistung einer anzulegenden Drainage...


    Das ist aber eine sehr prosaische Sicht des Architektenberufes ...

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

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  • ja nu, sollte einen Bezug zu einer Bergwiese haben.


    Allerdings kenne ich auch nicht allzu viele Bauwerke, die mich an gefrorene Musik erinnern.

  • Der botanisch unbeleckte Wanderer kommt an einer blühenden Bergwiese vorbei und erfreut sich an den bunten, satten Farben. Doch nach wenigen Minuten hat er sich satt gesehen und wendet sich gelangweilt ab.


    Als passionierter Bergwanderer muss ich dazu etwas sagen:
    Noch nie habe ich mich von einer blühenden Bergwiese gelangweilt abgewendet! Zunächst wird das gute Stück eingehend fotografiert, dann erst geht es weiter dem Tagesziel entgegen. Auf diesem Weg erlebe ich dann weitere eindrucksvolle Bilder. Neulich traf ich dort oben einen der Wiener Philharmoniker, es ergab sich ein interessantes Gespräch ...


    Merke: Alles hat Vor- und Nachteile

  • Du siehst Dir JEDE blühende Bergwiese länger als mehrere Minuten lang an ??


    Vielleicht liegt ja mein Erstaunen auch daran, daß wir hier im Sauerland eigentlich keine Bergwiesen haben - eher Hügelwiesen.


    Ich bin also nichts als ein schlichter Hügelwiesenwanderer. Und man trifft hier nichtmal Sauerland-Philharmoniker, vermutlich auch deshalb, weil wir keine Gipfelkreuze haben.

  • Diese Kategorien stimmen nicht! Ich kenne einige Profis, also Leute, die davon leben, klassische Musik zu produzieren. (Es sind fast durchweg Streicher). Viele dieser Menschen, nicht alle, haben das absolute Gehör. Nur ein sehr kleiner Teil kann überhaupt wirklich improvisieren. Es zeigt sich immer wieder, dass hier reines Handwerk vorliegt. Ein gutes Beispiel sind m.E. Druckfehler. In den Noten finden sich immer wieder welche. Die meisten Profis spielen diese Fehler. Weil sie ja da stehen. das ist bestimmt auch irgendwie professionell. Und Exakt.
    Einzelne Musiker spüren aber, dass da etwas nicht stimmt und versuchen, es zu korrigieren. - gegen die Kollegen.
    Jetzt kommen wir zu einer Sichtweise, die der Idee dieses Threads, wie ich ihn verstehe, entgegenlaufen. - Kennerschaft gründet nicht auf der Fähigkeit, Instrumente zu spielen, das absolute Gehör zu haben, und auch nicht auf der Fähigkeit, zu Improvisieren.
    Achtung, jetzt wird es pathetisch! Kennerschaft beruht auf der Liebe zur Musik. Auf der Bereitschaft, sich ihr hinzugeben. Auf der Fähigkeit, die innere Emotionalität des Werkes aufzunehmen, zu rezeptieren, sich dadurch bereichern zu lassen.
    Versteht mich nciht falsch. Ich meine nicht, dass Können, Wissen und ERfahrung keine Rolle spielen. Aber im Endeffekt ist es die Seele, die die Musik erfährt, und dren Fähigkeiten sind sehr schwer in Worte und Kategorien zu fassen. Diese zu schulen, dazu ist die klassische Musik ein hervorragendes Instrument.
    Ich möchte gern meine These auf ein provokantes Statement reduzieren: Der wahre Kenner ist der, der von der Musik am tiefsten berührt wird, der ihr den Weg zum Herzen öffnet und sich überwältigen lässt.


    So! und jetzt schlagt auf mich ein!

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

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