HAYDN Joseph: 'Die sieben letzen Worte' (Klavierfassung) Hob. XX:1C

  • Jedweder Text ist blos durch die Instrumental Music dergestalt ausgedrückt,
    das es auch den unerfahrensten den tiefsten Eindruck in seiner Seel erwecket.



    Hallo,


    ich denke, für alle vier Fassungen der 'Sieben letzten Worte unseres Erlösers am Kreuze' ist ein eigener Thread notwendig, da sonst zuviel vermischt wird. Da ich diese Musik über alles liebe und verehre, übernehme ich auch den Part der Threaderöffnungen.


    Hier kurz zur Entstehungsgeschichte:


    1785 oder 1786 erhielt Haydn den Auftrag, als Fasten-, Karfreitags- bzw. Passionsmusik ein Orchesterwerk zu schreiben, dessen Sätze die 'Sieben letzten Worte' darstellen sollten. Davor sollte der Bischof die Worte zitieren und im Anschluß an die Vertonung eine Meditation darüber abhalten. Auftraggeber war der Domherr der Kathedrale des spanischen Cádiz. Das Werk war haydnseits am 11. Februar 1787 fertiggstellt und wurde am Karfreitag, den 6. April 1787 in der (unterirdirschen) Höhlenkirche Santa Cueva uraufgeführt. Der Originaltitel lautete: Musica instrumentale sopra le sette ultime parole del nostro Redentore in crose, ossiano sewtte sonate con un' intruduzione ed al fine un terremoto.


    Die Aufgabe, sieben Adagios, wovon jedes gegen 10 Minuten dauern sollte, aufeinander folgen zu lassen, ohne den Zuhörer zu ermüden, war keine von den leichtesten. Dies schrieb Haydn im Vorwort, welches er für die spätere Ausgabe beim Verlag Breitkopf verfasste. Diese Aufgabe ist ihm mehr als gelungen! Die Orchesterfassung erschien als Opus 47 (nicht als Partitur, 'nur' in Stimmen) bei Artaria in Wien.


    In chronologischer Folge entstand als nächstes die Streichquartett-Fassung Hob. III:50-56 (Opus 48 bei Artaria). Einer Anekdote zu Folge war ausschlaggebend, daß einige Orchestermusiker vor oder nach der Probe noch vom Blatt spielten - es handelte sich offenbar um eine Streichquartettformation, die Haydn dazu anregte, die Fassung ridotto in quartetti (reduziert auf StrQ) selbst anzufertigen.


    Als Opus 49 wurde die Fassung für Tasteninstrument herausgegeben.


    Die Chorfassung ist ebenfalls nicht allein auf Haydns Mist gewachsen: 1795 wohnte Haydn im Passauer Dom einer Aufführung seines Werkes bei, zu welcher der dortige Kapellmeister Joseph Friedbert Singstimmen komponierte. Haydn nahm sich eine Abschrift mitund beauchtragte seinen Sekretär Elßler, eine Partitur seiner Orchesterfassung mit leeren Zeilen für den Chor, Solistenquartett, 2 Clarinetten und 2 Posaunen anzufertigen. Die Lücken füllte Haydn mit Noten auf Texten von Baron Gottfried van Swieten, welcher auch die Texte für Haydns 'Schöpfung' und 'Jahreszeiten' verfasste und zuvor händelschen 'Messias' für die deutsche Sprache Bearbeitete (Fassung Mozart). Zu dieser Fassung komponierte Haydn eigens ein Interludium in a-moll für reinen Bläsersatz, welches zwischen der IV. und V. Sonate zu spielen ist.


    ~ ~ ~


    In diesem Thread geht es primär um die Fassung für Klavier solo und secundär natürlich auch um alle anderen Tasteninstrumente (s.w.u.). Nach längerem Stöbern habe ich endlich eine Notenausgabe gefunden, die einigermaßen brauchbar ist:



    Josph Haydn [1732-1809]
    Die sieben letzten Worte...
    authorisierte Klavierfassung


    Erschienen ist der Satz bei Doblinger [Wien/München] und kostet satte 22,95 €.


    Daraus ergeben sich folgende Satzfolgen:


    L'Introduzione: d-moll, 51 Takte
    Sonata I: B-Dur, 104 Takte
    Sonata II: c-moll (endet in C-Dur), 108 Takte
    Sonata III: E-Dur, 128 Takte
    Sonata IV: f-moll, 131 Takte
    (Introduzione II: a-moll, 71 Takte)
    Sonata V: A-Dur, 128 Takte
    Sonata VI: g-moll (endet in D-Gur), 102 Takte
    Sonata VII: Es-Dur, 103 Takte
    Il Terremoto: c-moll, 123 Takte


    Rein auf die einzelnen Sonaten bezogen sind die Taktzahlen ganz interessant in ihrer erst aufsteigenden (Höhepunkt: Sonata IV) und dann wieder fallenden Anzahl (die Sonata VII liegt etwas daneben).


    Das beigefügte Textmaterial des Doblinger-Druckes der Klavierfassung ist auch recht aufschußgebend: Denn die Klavierfassung ist definitiv nicht von Haydn selbst, sondern lediglich von Haydn autorisiert:


    [...] Übersende die Correctur der 7 worth in allen drei gattungen, unter anderen belobe ich den Clavierauszug, welcher sehr gut und mit besonderen Fleiss abgefasst ist.


    Das schrieb Haydn am 13. Juni 1787 an den Verlag Artaria, bei dem die '7 worth' in der Orchesterfassung als op. 47, in der Streichquartettfassung als op. 48 und in dieser Klavierfassung als op. 49 erschien. Heute erhielt ich vom Landesmuseum Burgenland in Eisenstadt eine Kopie des Artariaerstdruckes, der nach erstem Sichten etliche Fehler aufweist.


    Der Erstdruck hat folgenden Titel:


    Copmposizioni del Sig. Giuseppe Haydn
    Sopra le sette ultime Parole del nostro Redentore in Croce


    Consistenti in
    Sette Sonate


    con un Introduzione ed al Fine un Teremoto


    ridotte


    Per il Clavicembalo Forte-Piano
    Opera 49.
    in Vienna presso Artaria Compagni


    Da möchte ich schon noch vergleichen, denn die mir vorliegende Ausgabe ist tatsächlich eher ein Klavierauszug mit so manch unspielbarer Stelle, an der die Improvisationskunst gefragt ist, andere Stellen wiederum sind etwas zu dünn mit unterschiedlichen Noten besiedelt.


    Die oben beschriebene 2. Introduktion (Interludium) für die Chorfassung wurde für die Doblinger-Ausgabe - der Vollständigkeit halber, von Haydn hingegen nicht autorisiert :D - vom Herausgeber Erich Benedikt für Tasteninstrument bearbeitet und hinzugefügt.


    Das Spielen aus der Klavierfassung macht mir jedenfalls dennoch sehr große Freude. Außerdem möchte ich natürlich noch hörend erfahren, was Immerseel und Brautigam aus diesen 'leeren' Stellen in der Klavierfassung machen.


    An vergleichbaren Einspielungen besitze ich:



    Roland Brautigam, Fortepiano



    Jos van Immerseel, Hammerklavier


    Die Doblinger-Ausgabe ist untertitelt mit 'Autorisierte Fassung für Klavier, Cembalo und Orgel'. Da ich weitere Threads für Haarspalterei halte, sollten die beiden Möglichkeiten der Einspielung auf Cembalo und Orgel in diesem Thread ihren Platz finden:



    Vincent Genvrin, Orgel Clicquot de Saint-Nicolas de Champs a Paris
    Brandneu erschienen :]



    Aapo Häkkinen, Clavichord


    Auf die einzelnen Aufnahmen gehe ich noch im Detail ein. Alleweil kann der Thread mit Begeisterungspostings für dieses Werk gefüllt werden.


    :hello:


    Ulli


    Weiterführende Links:


    HAYDN Joseph: 'Die sieben letzen Worte' (Oratorienfassung) Hob. XX:2


    HAYDN Joseph: 'Die sieben letzen Worte' (Streichquartettfassung) Hob. III:50-56


    HAYDN Joseph: 'Die sieben letzen Worte' (Orchesterfassung) Hob. XX:1

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo,


    es gibt neben der Sonata V (Mich dürstet) für mich noch ein weiteres Highlight in diesem Haydn-Opus: Der 'Bachsche Zwitter-Akkord' (vide) - Schlag 1 von Takt 121 (rH: f'-c''-f'', lH: des):



    :jubel: :jubel: :jubel:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Eigentlich gehört es ja ins Orgelunterforum - aber da es nur ein Arrangement für Orgel ist, welches sich auf die besprochene Klavierfassung bezieht, belassen wir es zunächst mal hier:




    Sehr interessant, eine der bedrückendsten Interpretationen... nach dem Hören brauche ich erstmal eine Erholungsphase.


    Durch die verschiedenen Registraturen auf der Orgue François Henri Clicquot de l'église Saint-Nicolas des Champs à Paris, gespielt von Vincent Genvrin (welcher auch die Transkription vornahm), kommen hier natürlich sphärische Klänge zum Vorschein, die keine der authentischen oder autorisierten Fassungen leisten kann. Man fühl sich komplett dieser Welt enthoben und in eine andere Dimension versetzt.


    :faint:


    L'Introdutzione - Grand chœr & Récit de Hautbois
    Sonata I - Flûtes
    Sonata II Récit de Trompette & Dialogue de Hautbois
    Sonata III - Récit de Hautbois
    Sonata IV - Chœr de Voix humaine & Récit de Cornet
    Sonata V - Grand chœr, Nazard & Trompette d'Echo
    Sonata VI - Grand chœr & Récit de Cornet
    Sonata VII - Quatuor de Hautbois & Voix humaine
    Il Terremoto - Grand chœr


    Die Registraturen lesen sich ja wie eine französische Speisekarte! Die voix humaine klingen für mich eher nach einer elektrischen Heimorgel Marke Bontempi - ansonsten finde ich die Registraturen sehr gelungen (sie kommen vor allem recht unerwartet, wenn man die Notenfolge kennt). Die Cornets klingen sehr autentisch (nach Horn) und das Oboenquartett erinnert mich zeitweilig an die Wiener Flötenuhr(en). Besonders gefällt mir natürlich nach wie vor die schmerzliche Sonata V, zumal es mich bei den derzeitigen Temperaturen auch ziemlich dürstet und es hier z.Zt. wegen der vielen Minifruchtfliegen auch deutlich nach Essig duftet...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)