Geschätzte Streitsüchtige,
ich glaube, das Thema wurde zwar immer wieder mal angerissen und diskutiert, aber einen eigenen Thread gibt es zu dem 'Problem' noch nicht.
Fakt ist, daß in der Barockoper viele männliche Rollen als Sopran- oder Altstimmen konzipiert wurden. Dies hing u.a. mit der damaligen Auffassung zusammen, daß das Alter der dargestellten Person die Stimmlage bestimmt - also: je jünger die darzustellende Person, desto höher die Stimme (geschlechtsunabhängig). Ein junger Liebhaber mußte demnach von einem jungen oder auf jung getunedten Mann im Sopran oder Alt gesungen werden. Hierfür gab es mehr oder weniger legal (das soll hier nicht das Thema sein!) die Castraten.
Ein weiterer Fall konnt für Skurrilität sorgen: Der Opernprimus nämlich nahm sich die Freiheit, für sich die Hauptrolle zu beanspruchen. Im Regelfall war dies ein Castrat (z. T. gab es bis zu drei, selten auch mehr Castraten, die in einer Oper mitwirkten). So kann es sein, daß ein im Alter fortgeschrittener Julius Cäsar von einem männlichen Sopran gesungen wurde.
Heute gibt es die Castraten nicht mehr - ich würde durchaus eine Wiedereinführung gutheißen, man müßte zu diesem Zwecke allerdings das zweckgebundene Alter der Majorennität herabsetzen, was sicherlich auch Banken, Versicherungen und vor allem Mobilfunkanbieter begrüßen würden.
Nun denn: Lange Zeit wurden die Castraten durch weibliche Stimmen ersetzt, da es keine andere Möglichkeit gab. Aus Kastratenrollen wurden Hosenrollen, die eigentlich keine waren oder sind. Allmählich setzt es sich (für mein Empfinden: Gottseidank) immer mehr durch, dass derlei Rollen wieder von Männern eingenommen werden, was zumindest optisch den Vorstellungen der damaligen Zeit am nächsten ist und damit auch einen Sinn ergibt. Die Stimmen der sogenannten Countertenöre (man unterscheidet zwischen Sopranisten und Altisten) werden auch immer besser und ausgefeilter, erreichen natürlich dennoch niemals (oder kaum) den Klang der echten Castraten (nebenbei sei angemerkt, dass es auch zur Zeit der Barockoper in Spanien Countertenöre gab, die auch eingesetzt wurden). Ob die Stimmen der Castraten sich nun so sehr von jenen der heutigen Counter unterscheiden, kann nicht mit völliger Sicherheit erwiesen werden, da es lediglich Aufnahmen des letzten Castraten Moreschi gibt, der ob seines fortgeschrittenen Alters und wegen der Aufnahmemöglichkeiten nicht sonderlich erwähnenswert klingt. Die Beschreibungen etwaiger Castratenstimmen aus jener Zeit könnten aber problemlos auch auf die Performances heutiger Countertenöre übertragen werden…
Gegen eine Besetzung solcher Rollen mit weiblichen Solisten habe ich zumindest bei einer visuellen Aufführung einer Oper Probleme. Es steht den Damen ja frei, eigene Alben herauszugeben, auf welchen sie Kastratenarien präsentieren. Dies wird ja auch gemacht und ist größtenteils sehr hochwertig. Wie gerne würde ich auch eine Einspielung des mozartschen Figaro besitzen, in welcher Cherubino mit einem männlichen Sopran besetzt ist: Auch, wenn diese Rolle von vorneherein als sogenannte Hosenrolle konzipiert ist, so war dies damals lediglich ein Kompromiss, da man zu dieser Zeit kaum noch Kastraten auf der Bühne haben wollte bzw. konnte.
Es darf munter diskutiert werden - meine Meinung werde ich aber nicht ändern
Viele Grüße,
Ulli