Sergio Fiorentino

  • Hallo,


    bisher liest man hier im Forum wenig über diesen Pianisten, der nach meiner Ansicht zu der Handvoll "großer" Pianisten gerechnet werden sollte, die auf dieser Erde weilten.


    Mich beeindruckt vor allem seine Phrasierungskunst (also das Zusammenfassen von Noten/Takten zu Phrasen), die ausgesprochen sinnvoll und stilsicher wirkt und auch immer dazu beiträgt, die Form einer Komposition zu verdeutlichen.


    Da Fiorentino sehr stilsicher spielt, fällt es mir schwer, Empfehlungen bezüglich besonders gelungener Tonaufnahmen geben. Vielleicht können das andere Forumsteilnehmer machen.


    Gruß


    Andreas

    De gustibus non est disputandum (über Geschmäcker kann man nicht streiten)

  • @ AH



    SERGIO FIORENTINO hat "Zelenka" ( hier posthum vertreten mit Schubert : Klaviersonate B - Dur D 960 ) und mich in der Zeit zwischen 2006 und 2007 auch eingehender beswchäftigt .


    Vielleicht ist es sein so überasu feinsinniges Klavierspiel , seine Phrasierungskunst , sein sowohl intellektuell scharfer Blick in die Noten wie auch seine kontrollierte ( zu kontrollierte ? ) Interpretation , die ihn doch nicht so mit einem charkteristischen " Fiorentino - Ton " im Ohr / Gedächtnis behalten lässt .


    Die von "Zelenka" besprochene B - Dur - Klaviersonate D 960 von Franz Schubert kann aber als Empfehlung gelten , weil Fiorentino....


    Aber dies soll der Hörer bitte selbst beurteilen .


    Soweit ich dies erinnere hatte Sergio Fiorentino von mir 7,5 von 10 Punkten seinerzeit bekommen .


    Ich würde mir diese CD erneut kaufen !


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Liebe Forianer !


    Und natürlich auch die veilen Mit - Leser !



    Sergio Fiorentino wird sehr unterschiedlich beurteilt .


    Dies liegt wohl primär an seinem Spiel , das abgewandt ist von
    der Vorstellung des Tastenlöwen mit der Riesenpranke und den dämonischen Bässen .


    Firentinos - mir bekannte - interessantesten Aufnahmen sind die von


    SCRIABIN u n d


    RACHMANINOV .


    Dagegen hat mich seine Interpretation der Werke von Frédéric Chopin nicht in den Bann gezogen .


    Leider kenne ich keine seiner frühen Aufnahmen , die aber erhältlich sind .


    Beste Grüsse ,


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

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  • Hallo,


    meine Lieblingsaufnahme ist die mit Werken von César Franck. Bach/Busoni Transkriptionen sind m.E. auch ausgesprochen gelungen, auch Scriabin und Rachmaninoff, ebenso wie Schubert und Chopin.


    Fiorentino ist nach meiner Einschätzung durchaus ein virtuoser Pianist, der auch ziemlich große Hände hat, so wirkt es zumindest auf Fotos.


    Gruß


    Andreas

    De gustibus non est disputandum (über Geschmäcker kann man nicht streiten)

  • Fiorentino-Freunde,


    es muss das Jahr 2005 gewesen sein, da heb ich Fiorentino "entdeckt" und war sehr erstaunt, dass ich den "Namen" bislang als Klavier-Liebhaber noch nocht gehört habe.


    Es scheint nicht allen fähingen Pianisten vorbehalten zu sein, bekannt zu werden. Nun, Firentino hat das überdurchschnittliche pianistische und stilitische Rüstzeug, dass ihn unter seinen Kollegen einer Agerich oder Pollini ebenbürtig erscheinen läßt.


    Zu meine Favoriten gehören die beiden Rachmnainoff Sonaten, denen er nichts schuldig bleibt. In der b-moll Sonaten läßt er seine Kollegen um strecken zurück. Besonders die d-moll Sonaten gewinnt unter seinen Händen an "klang und Form" (ich dürfte das irgendwo schon geschrieben haben) Selten habeich diese Sonaten so schön gehört.


    Seine Klangideal ist rund und weich....er spielt die Melodiebögen so natürlich aus! Seine pianistik ist.....überragend, so dass ich überzugt bin, dass er "Pianistisch" mehr vermag als Horrowitz (auch wenn dieser eine Klasse für sich ist).


    Als nächstes steht seine Liszt Sonate auf dem Program:-)
    Gruß Niko

  • Neapel 1927 - 1998, ist ein italienischer Pianist; er gewinnt 1947 den 1. Preis beim Klavierwettbewerb Monza, in dessen Jury Michelangeli (ABM) den Vorsitz führt, und der ihn aus Bewunderung von da an "den anderen Pianisten" nennt. 1958 debuttiert Fiorentino in der Carnegie Hall in New York, wo er mit Rachmaninov verglichen wird.
    Im Jahr darauf überlebt Fiorentino mit einigen anderen wenigen einen Flugzeugabsturz mit einer Rückgratlädierung.
    Er spielt darauf in London mit großem Erfolg, wo ihn Horovitz bewundert und muß dann aufgrund der Schmerzen die Konzerttätigkeit aufgeben und unterrichtet in Neapel am Konservatorium.
    1991 spielt er wieder in Rom und in Deutschland und scheint sichtlich erholt zu sein.
    1997 spielt er in Deutschland mit großem Erfolg das Klavierkonzert n. 3 von Rachmaninov, stirbt dann aber in seiner Wohnung in Neapel an Herzinfarkt.
    Sein Repertiore ist ungemein umfangreich, da er rasch lernte.


    Seine Einspielungen (in englischer Sprache):
    http://freenet-homepage.de/elumpe/SFDiscography.html


    Sicher ein ganz ganz großer Pianist des letzten Jahrhunderts


    LG Michael

  • Bei meinen Recherchen für mein Projekt eines historischen Interpretationsvergleiches von Chopins Sonate b-moll stieß ich auf den Namen Sergio Fiorentino. Selbst mir, der ich nun mit Klaviermusik aufgewachsen bin, sagte er absolut nichts. Nachfragen im Freundeskreis ergaben: das ist ein außergewöhnlicher Pianist. Also habe ich mir zu Weihnachten diese beiden Boxen gegönnt:



    Die erste enthält seine kompletten Berliner Aufnahmen von 1994-1997, zu haben (10 CDs) für nur 30 Euro.



    Die zweite enthält Mitschnitte einer Konzerttournee in Deutschland aus derselben Zeit, da ist die b-moll-Sonate dabei:


    Fiorentinos Biographie läßt einen an der historischen Gerechtigkeit und am Musikbetrieb insgesamt zweifeln. Ohne Zweifel ist er einer der ganz großen Pianisten des 20. Jahrhunderts gewesen - und selbst Kenner kennen ihn gar nicht oder kaum! Eigentlich unfaßbar! Obwohl Michelangeli ihn den "einzigen anderen Pianisten" nannte und Horowitz von ihm schwer beeindruckt war, nutzte ihm das nichts. Er blieb ein totaler Außenseiter, auch in Italien. Die tragische Wende in seiner Karriere war ein Beinahe-Flugzeugabsturz. Er zog sich eine zunächst nicht erkannte Rückenverletzung zu, wonach er nach Auftritten in der Carnegie-Hall seine Tourneen absagen mußte. Fortan wurde er von der Branache ignoriert, als nicht existent betrachtet. Das ist leider kein Einzelfall. Auch Lazar Berman ist so etwas widerfahren, wie er in seiner Autobiographie berichtet als warnendes Beispiel für andere. Als ihn das Sowjetregime wegen eines nicht linientreuen Buches im Gepäck übel schikanierte und einsperrte (er mußte sogar eine Einladung von Jimmy Carter ins weiße Haus absagen), ihn jahrelang nicht mehr ausreisen ließ und er schließlich wieder durfte, war er für die Musikbranche nicht mehr existent. Die großen Dirigenten, die in einst hofiert hatten, sie wollten von ihm nichts mehr wissen. Er bekam noch nichtmals Antwort auf seine Briefe. Das Business kennt offenbar keine Gnade mit solchen Biographien - die musikalische Qualität spielt da gar keine Rolle. Bei Fiorentino kommt hinzu, daß er ein sehr introvertierter und geradezu selbstlos bescheidener Mensch war. Einer seiner Schüler - er war ein wirklich bedeutender Lehrer - sagte über ihn, daß er kein "Ego" gehabt habe, sich noch nicht einmal seine Unterrichtsstunden bezahlen lassen wollte.


    Das Zustandekommen der Berliner Studioaufnahme ist bemerkenswert: In Rekordzeit in vier mal einem Tag erstellt - und das bei diesem titanischen Programm mit u.a. Liszts h-moll-Sonate, den beiden Rachmaninow Sonaten, der letzten Schubert-Sonate, Schumanns "Carnaval" und und und... Er brauchte praktisch keine Schnitte - seine Technik ist wahrlich singulär. Als die nächsten Sitzungen geplant wurden - mit Brahms und Debussy - kam die Meldung von seinem Tod - Herzinfarkt! Wieder so ein tragischer Moment einer erst abgebrochenen und dann unvollendeten Künstlerkarriere!


    Ich habe begonnen mit seinem Bach. Und das war genau richtig! Er gibt Bach wahrlich Größe und zeigt sich dabei als ein ganz großer Pianist. Da spielt er doch dieselbe Busoni-Transkription wie Horowitz bei seinem Carnegie-Hall-Comeback. Bei Horowitz ist das ein romantisch-hypnotischer Rausch, bei Fiorentino spielt eine große Orgel - mit Würde, mit schlichter Größe, mit der nötigen Ruhe und Versenkung, mit formaler Strenge, ohne aber jemals angestrengt zu wirken. Dann die 5. Französische Suite - das ist einfach berührend schön gespielt! Hinreißend - dazu immer mit italienischem Formsinn und barocker Lebendigkeit, die aber stets unaufdringlich bleibt. Besonders beeindruckt hat mich auch, wie er mit Rachmaninows Bach-Bearbeitung (Fiorentino bewunderte Rachmaninow als Pianist - eine Parallele zu Michelangeli!) umgeht. Rachmaninows spätromantische Tönungen bleiben äußerst dezent, zerstören das Barocke nicht. Das zeugt von Stilgefühl und hat Noblesse.


    Sein Schumann ist geradezu exemplarisch. Das ist die vielleicht bestinterpretierte Fantasie op. 17, die ich jemals gehört habe. Und das sage ich, der mit diesem Werk gewissermaßen aufgewachsen ist. Er trifft immer genau Schumanns Ton - "im Legendenton" klingt bei Fiorentino auch genau so. Er hat Sinn für die großen Steigerungen aber auch die innere Bewegtheit der Musik. Das ist notentreu, aber nicht skalvisch penibel gespielt. Er deutet den Text, gibt ihm dabei Sinn, seinen Sinn, der in die Tiefe der Musik dringt. Alles klingt immer absolut natürlich, behält eine klassische Schlichtheit, aber ohne jemals glatt zu sein. Dabei muß man sagen: Er hat einen schönen Ton, kann auf dem Klavier Singen. Klaviertechnisch gehört er zu den ganz Großen des Fachs. Liszts 2. Ballade kennt man von Horowitz, von Bolet, von Arrau. Die Geschichte ist die von Hero und Leander - da schwimmt einer zu einer Geliebten auf einer seeligen Insel jeden Tag. Das Meer wird immer wilder, bis er schließlich ertrinkt. So eindringlich wie bei Fiorentino kann man das von niemandem hören! Die Bedrohlichkeit der Baßfiguren (meisterhaft, seine Phrasierung!), die Angstschreie und schließlich den schauderhaften Moment des Ertrinkens. Auf der Insel angekommen steht die Zeit förmlich still. Das ist ganz große Interpretationskunst.


    Noch längst nicht habe ich alles gehört - den Schubert z.B. nicht, den Chopin, den C. Franck und den Rachmaninow...


    Ich kann nur sagen, der Klavierliebhaber, der diese 30 Euro nicht investieren will, dem entgeht wirklich etwas! Bei Youtube gibt es übrigens einige sehr sehenswerte Videos, wo er über Musik spricht - ungemein sympathisch. Der private Mitschnitt mit den Händel-Variationen von Brahms ist sensationell (gibt es leider nicht auf CD!).


    Der Bericht wird natürlich fortgesetzt! :)


    Beste Grüße
    Holger

  • Hier einige Youtube-Vidoes:


    Wirklich aufregend Chopins Etüde op. 10 Nr 4 - Zugabe nach einem Klavierkonzert von 1995:



    Sehr schön anzuschauen dieses Interview bei ihm zuhause - hier Teil 4 über Grifftechnik und Rachmaninow. Es zeigt ihn als eine ungemein charmante, sympathische Persönlichkeit, sehr klug, sehr spontan, er paraphrasiert äußerst souverän aus dem Gedächtnis, hatte offenbar ein riesiges Repertoire:



    Dieser amateurhafte Konzertmitschnitt von Brahms Händel-Variationen von 1997 beeindruckt mich besonders - das steht der für mich idealen Arrau-Aufnahme in nichts nach:



    Beste Grüße
    Holger

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  • Heute habe ich mich weiter eingehört: Fiorentinos Schubert ist in seiner Bescheidenheit aufregender als es jedes übertreibende Expressivo sein könnte: Die Impromptus D 899 sind unprätentiös, aber bekommen dadurch lyrisch Intensität. Nr. 4 hat sogar Schumannsche phantastische Züge. Die Sonate D 664 ist der Inbegriff von Schönheit - kantabel und ausgewogen, perfekt proportioniert. Der langsame Satz hat Intensität. ohne jemals aufdringlich zu sein. Überragend! Der Scriabin (1. und 4. Sonate) und auch die hochkomplexe Rachmaninow-Sonate Nr. 1 exemplarisch: Er hat Sinn für Proportionen wie sonst kaum jemand und versteht es, lang gezogene Steigerungen aufzubauen. Man freut sich schon auf die nächste Hörsitzung! :hello:


    Beste Grüße
    Holger

  • Und es gibt noch eine Neuauflage seiner Liszt-Aufnahmen, lieber Holger! Schau mal:


    Bin gespannt! Sehr gelungen finde ich aus der ersten Box auch die Aufnahme der B-Dur-Sonate, Fiorentino ist für mich einer der wenigen Pianisten, der die Gesamtanlage das Stücks bewältiget, ohne dass es zwischen zwei langsamen und zwei schnellen Sätzen zerfällt. Das hängt u.a. damit zusammen, dass er den vermeintlich leichten dritten Satz viel bedrohlicher und ernster spielt, als man es gewohnt ist, und plötzlich passt alles zusammen. Und wie er im ersten Satz die linke Hand in der Durchführung abtönt, das ist magisch. Vielleicht gibt es ja bald noch mehr zu entdecken, das neue Piano Classics-Label scheint ja für einige Entdeckungen gut zu sein!

    Viele Grüße,
    Christian

  • Lieber Christian,


    das habe ich ja noch gar nicht gesehen! Die Box muß ganz neu sein - offenbar die alten Aufnahmen aus den 60igern. Von Schubert habe ich von ihm heute die D 537 gehört - wirklich toll! Die B-Dur-Sonate kommt bei nächster Gelegenheit dran! :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Die B-Dur-Sonate von Schubert ist wunderbar gespielt - er gehört zu denjenigen, die sich an der fließenden Melodik orientieren. Warum läßt er nur die Expositionswiederholung weg?


    Auch die Sonate h-moll ist sehr souverän vorgetragen mit eigenen interpretatorischen Akzenten - einige Eingriffe in den Notentext wie Oktavierungen eingeschlossen.


    Beste Grüße
    Holger

  • Wäret Ihr so nett, diesen Thread in die Rubrik "Tastenlöwe" zu verschieben? Mit der Suchmaschnie findet man ihn sonst nicht. Da gehört er doch eigentlich hin!


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Ernst Lumpe ist diese Box mit den gesammelten Liszt-Aufnahmen von Sergio Fiorentino zu verdanken. Es gibt sie wirklich zum sehr günstigen Preis - bevor sie vergriffen ist, sollte man sie sich also >sichern<!


    Begonnen habe ich heute mit CD 4 - dem Mephisto-Walzer Nr. 1, 5 Ungarische Volkslieder sowie "Sposalizio", aus dem 1. Heft "Italien" der Annees de Pelerinage.


    Die Aufnahme des Mephisto-Walzers und von Sposalizio wurde in Paris 1962 gemacht im Salle Wagram, wo auch George Cziffra und Alexis Weissenberg Bedeutendes aufnahmen.


    Der Mephisto-Walzer zeigt einen wahrlich außergewöhnlichen Pianisten. Virtuosität, aber eine, die das Technische von Anfang an transzendiert. Das ist ein dämonisches Scherzo, ein teuflischer Spuk, mit einer stupenden Leichtigkeit vorgetragen, dabei immer klar und ohne jede theatralische Übertreibung. (Er forciert z.B. bei der virtuosen Sprungstelle im Schlußteil nicht das Tempo.) Fiorentino verblüfft dabei mit dem Wechsel von virtuoser Präsenz in intime Lyrik. Wirklich einmalig ist seine Gestaltung der Coda. Bei allen anderen Liszt-Interpreten ist das ein kurzes besinnliches Intermezzo, bei Fiorentino dagegen weitet sich das aus zu einem poetischen Epilog, einer Art nachträglichen Reflexion auf das Geschehene. Sehr beeindruckend!


    Die 5 Ungarischen Volkslieder sind sehr poetisch-nachdenklich und auch so gespielt - mit Bezügen zu den abstrakten Stücken des späten Liszt, besonders im letzten Stück, einem Lento.


    Auf "Sposalizio" war ich besonders gespannt - denn an diesem Zeugnis von romantischer Raffael-Bewunderung habe ich mich selbst als Amateur-Pianist versucht. Ein durchaus heikel zu interpretierendes Stück - denn man muß diesen besonderen Ton der kontemplativen Sinnlichkeit treffen, fein und zugleich schlicht. Der Schlußhymnus darf nicht zu aufdringlich-bombastisch wirken - es gibt also eine ganze Menge "Klippen". Auch hier findet Fioentino eine sehr eigene, wirklich nachhaltig beeindruckende Sicht. Der Beginn bekommt bei ihm etwas Choral-artiges und sehr Getragenes. Das ist sehr nachdenklich gespielt, wirklich klangschön, aber ohne die Musik zu verzärteln; es bleibt italienisch klar. Beim Schlußhymnus läßt es Fiorentino "heftig" werden im Sinne von innerer Erregung - wodurch er trotz der virtuosen Oktaven den Pomp vermeidet. Zu Beginn oktaviert er die rechte Hand nach oben - was aber sehr organisch wirkt. Der klanglich zauberhafte Schluß dann versonnen-versunken - eine wunderbare Aufnahme, die ich mir bestimmt noch mehrmals anhören werde! :) :) :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • CD 1
    Claude Debussy:
    Estampes
    D´un cahier d´esquisses
    Masques
    L´isle joyeuse
    Images Heft I u. II


    Aufnahmen RAI Mailand 26.3.1962



    CD 2
    Robert Schumann:
    Kreisleriana


    Maurice Ravel:
    Menuet sur le nom Haydn
    Prélude
    A la manière de Borodin
    Valses nobles et sentimentales
    Gaspard de la nuit


    Aufnahmen : RAI Neapel 1.12.1973 (Schumann), RAI Neapel 14.2.1987 (Ravel)


    Diese Live-Mitschnitte aus dem italienischen Rundfunk sind ein grandioses Fiorentino-Dokument, das einmal mehr die große Kunst dieses großen Unbekannten dokumentiert. Wirklich Gewicht hat Schumanns Kreisleriana. Das ist eine der bedeutendsten Aufnahmen, die von diesem so zentralen wie gleichermaßen schwierigen Werk romantischer Klaviermusik existieren: vergeistigte Virtuosität und Poesie! Dieser Schumann ist aufwühlend und unruhig, aber zugleich von einer schwerelosen Leichtigkeit – Fiorentino versetzt den erstaunten Hörer in eine romantisch-jenseitige Geisterwelt. Die „sehr innige“ Oktavenmelodie von Nr. 2 habe ich noch nie so betörend schön gespielt gehört. Er geht oftmals freizügig mit dem Notentext um – aber immer mit treffsicherem Einfühlungsvermögen eines „Wahlverwandten“ von Schumann. Nr. 7 ist mit einem schier unglaublichen Tempo gespielt – ein nahezu unendliches pianistisches Potential!


    „Aus einem Skizzenbuch” von Debussy – was für ein zauberhaftes Klavierspiel, ein betörender Klavierton! Impressionistisch-feine Bilder mit leiser Dramatik. Besonders eindrucksvoll ist „Masques“. Debussys Musik bekommt bei Fiorentino Ravelsche Züge untergründiger Raserei. L´isle joyeuse geradezu orgiastisch. Pianistisch olympisch – da muss sich selbst Horowitz ein wenig verstecken. Die „Estampes“ sind ein Ereignis: Geheimnisvoll schwebend „Pagodes“, unendlich schillernd, in irisierenden Bewegungen. Das ist Musik als absoluter Zauber. Fiorentino erlaubt sich Freiheiten – etwa der gedehnte Schluß in Jardins sous la pluie – aber sie führen zum Wesenskern der Musik, als ein Akt der Versenkung in die Klangatmosphäre. Unendlich nuanciert und doch klar hat Fiorentinos Debussy mystisch-symbolistische Qualitäten, strahlt eine Aura des Geheimnisses aus, des unendlichen Hintergrundes. Bei aller poetischen Freizügigkeit steht hinter all dem glasklares Kalkül. Bei Fiorentino „schwingen“ die Rhythmen in den kleinsten Notenwerten. (Hier wäre als Fußnote anzumerken: Für solche Mikro-Rhythmik bei Debussy hat dagegen ein Rafal Blechacz von heute keinen Sinn mehr!) Die Images Heft I zelebriert Fiorentino impressionistisch im ursprünglichsten Sinne: Klangereignisse, ausgekostet in all ihren schillernden Farben. Fiorentinos Klaviertechnik ist wieder einmal staunenswert – die Läufe wie gleißende Raketen auf dem Klavier in Reflets dans leau. Hommage à Rameau wird bei ihm zum erhabenen Stimmungsbild eines Grabmals – sehr getragen im gedehnten Zeitmaß. Mouvements beeindruckend mit seinen fluktuierenden Rhythmen. Klanglich ist das exquisit!


    Und der Ravel: Sur le nom Haydn schlicht empfindsam und mit schönem Ton gespielt. (Eine sehr gute Aufnahmetechnik von 1987 ist hier zu konstatieren.). Das Prélude ebenso empfindsam ohne zu verkitschen. Die Valses nobles et sentimentales wirklich glutvoll mitreißend – für mich eine der besten Aufnahmen! Scarbo aus Gaspard de la nuit hat einem Furor, den man sonst nur von Martha Argerich kennt.


    Ein Tondokument, dass wirklich klingende Musik ist und glücklich
    macht!

    Schöne Grüße
    Holger

  • Der späte Liszt ist für Interpreten eine Herausforderung. Liszt, der so hochromantisch beredt komponieren kann, alle Klangregister des Flügels ausnutzt, nimmt sich hier asketisch zurück: das grenzt schon an abstrakte Kunst und geht in Richtung Expressionismus, Musik ohne schönen und beschönigenden Schein. Die Ratlosigkeit, Verlassenheit, Verzweiflung, all das wird schonungslos offen gelegt mit einer auf Schönberg vorausweisenden harmonischen Kühnheit. Viele Interpreten macht das ratlos - sie greifen dann zum Mittel der Dramatisierung, weil sie mit dieser Sprachlosigkeit in Tönen nicht zurecht kommen.


    Fiorentinos später Liszt - die Aufnahmen stammen aus den 60igern - ist herausragend und wird der Radikalität dieser Musik wirklich gerecht. "Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen spielt er ohne jede barockisierende Affektivität, klassisch klar und gedanklich verinnerlicht. Eine Sternstunde sind die "Consolations" ("Tröstungen") - melodische Schlichtheit ohne jeden selbstgefälligen Glanz, die jedoch nie die Kontur der Phrase verliert, auch in dem vielgespielten Klangstück Nr. 3 (Lento placido), was dazu geradezu verleitet. "Nuages gris" sowie die beiden Trauergondeln gehören zum Abgründigsten, was an Musik jemals komponiert wurde. "Nuages gris" kann man vom Blatt spielen - aber wie schwierig ist das zu interpretieren! Bei Fiorentino hört man endlich mal den schwingenden Pendelrhythmus, der mit dem der Trauergondeln verwandt ist, weil er die Pause auf 1 wirklich mitzählt, was die meisten Interpreten nicht tun. Mit feinen Farbschattierungen und zugleich präzise gezeichnet ist das gespielt. Die Trauergondeln sowie R. W. Venezia (komponiert im Gedenken an den verstorbenen Richard Wagner) zeigen eine in sich vergrabene Seele mit leiser Expressivität bis hin zu verzweifelten Ausbrüchen ohne jede Theatralik: Musik, die in totaler Verlassenheit verhallt. Besser kann man den Ausdruck einfach nicht treffen.


    Dieser Liszt genügt höchsten Ansprüchen - mit einem Wort: Referenzwürdig! :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Der Kopfsatz ist nicht nur mit Moderato cantabile molto espressivo überschrieben, sondern Beethoven schreibt gleich zu Beginn unter das eröffnende Motiv als Spielanweisung con amabilita (sanft). Sanft-liebenswürdig und wirklich kantabel klingt dieser wunderschöne Satz bei Fiorentino mit der Reife eines Meisters. Das ist nicht nur mit einem schönen Ton gespielt, mit schlichter und nie aufdringlicher Intensität, mit Gespür für die formalen Proportionen, sondern auch mit feinsten Abstufungen und Sinn für die kleinen Details. Man merkt, daß er lange über diese Musik nachgedacht und sie von innen her vollständig durchdrungen hat. Das Scherzo leicht und mit Schwung mündet in ein Adagio, das wie eine Traumerinnerung aufsteigt. In der Fuge zeigt sich der erfahrene Bach-Interpret - Polyphonie, die sich schließlich in dynamisch drängende Bewegung auflöst - aber wiederum nicht gewaltsam. sondern sanft und organisch. Eine wunderbare Aufnahme, die man sich gerne nochmals anhört! :)

    Schöne Grüße
    Holger

  • Liszts imaginäre Reise durch die Schweiz steht für die Durchdringung von Literatur und Musik – was der Notentext durch die zahlreichen eingeschobenen literarischen Texte bekundet. Der Interpret muss also zugleich lesen und spielen – das Naturerleben, was die Musik feiert, ist ein wesentlich literarisch vermitteltes. Der reisende Romantiker entdeckt die „Natur“ der Alpenlandschaft zuerst in den Büchern, die er dann im „realen“ Naturerlebnis wiederfindet, welches dann schließlich zur Musik wird. Eine höchst komplexe, mehrfache Vermittlung. Liszts musikalische Wanderung beginnt mit der Tellslegende, inspiriert durch den Anblick der Tellskapelle am Vierwaldstätter See. Ein hymnischer Auftakt – der Freiheitskampf, der ein neues Zeitalter einläutet und nicht zufällig im Naturraum stattfindet, wo es allein Erneuerung geben kann, nicht aber in der überlebten Gesellschaft, welche im Grunde unfähig zur Selbsterneuerung ist. Liszt schildert im Mittelteil – nach einer choralhaften Eröffnung – das Revolutionsgeschehen: Fanfaren, welche die Bergechos vervielfältigen, das kurze Schlachtgetümmel, bevor ein Choral den Sieg hymnisch feiert mit massigen Glockentönen zum Ende als Symbol erreichten Friedens. Fiorentino beginnt sehr breit – dort steht zwar tatsächlich Lento – aber die Musik sollte auch nicht auf der Stelle treten, sondern singbar fließend bleiben. Er vermeidet ganz bewusst jeden Pomp – eine durchaus wohltuende Verinnerlichung, die allerdings nicht ganz zur Darstellung eines weltlichen Ereignisses passt. Bemerkenswert ist der Wechsel des Erzähltonsfalls – leider ist ihm das aber nicht vollständig gelungen. Es kommt nach dem Schlachtgetümmel kein hymnisch-feierlicher Ton auf und am Schluss steht die Musik – viel zu langsam – in isolierte Klangereignisse zerfallend einfach still – die Glockentöne vereinigen sich nicht mehr zu einem romantisch raumfüllenden Glockenspiel. Au lac du Wallenstadt – das Byron-Zitat mahnt, angesichts des weltlich Erreichbaren den höheren, himmlischen Frieden nicht aus dem Blick zu verlieren: der glatte Spiegel des Sees als Bild der Regungslosigkeit, der Ewigkeit. Zwar notiert Liszt Bögen über die Sechzehntelfiguren der linken Hand (mit einen irren Fingersatz, man soll die Quarte und dann Quinte mit 3-4-5 greifen – was muss er für riesen Hände gehabt haben! Ich muss da selbstverständlich umgreifen.), aber wichtig ist die Spielanweisung dolcissimo egualmente. Ein wunderbar poetisches Stück. Alfred Brendel wählte es als seinen „Abschied“ – als ultimative Zugabe seines letzten Konzerts. Bei Fiorentino kommt leider keine wirkliche Ruhe auf – die Bögen werden rhythmisch zu einer Art unaufhörlich sprudelnder Quelle, statt die glatte Oberfläche des Wassers zu symbolisieren und die Melodie trägt nicht wirklich, klingt ein bisschen dünn. Die anschließende Pastorale ist schön schlicht gespielt. Au bord d´une source wird fein ausgeführt, aber es fehlt dann doch etwas der zündende Funke, die Begeisterung. Bei Orage – dem Gewitter – handelt es sich um eine romantische Seelenlandschaft, wie das Motto von Byron es ausdrückt: Die Wetter der Natur sind zugleich die tobenden Stürme der eigenen Seele. Fiorentino spielt hier sorgfältig genau, aber ohne großen dramatischen Gestus, eine eher distanziert beobachtende Naturschilderung. Enttäuschend dann Vallée d´Oberman. Statt lähmender Skepsis und innerem Aufruhr, der Äußerung sentimentalischer Überspanntheit und Zerrissenheit, verlegt sich Fiorentino auf die Herstellung einer Tonmalerei, wobei der hymnische Schluss viel zu technisch äußerlich geraten ist. Die Hirtenweise und auch das Heimweh schön – aber auch das kann man intensiver und prägnanter spielen. Den Band beschließen die Glocken von Genf – die Liebe als Zielort der romantischen Reise – Genf war der Wohnort von Liszts damaliger Geliebter Marie d´Agoult. Auch hier fehlt der „Rausch“, die Melodie mit ihren Harfenklängen „schwingt“ nicht, reißt nicht mit. So entwickelt sich keine Emphase, welche die leidenschaftliche Schlussapotheose aufbaute, so dass das Fortissimo bei Fiorentino dann etwas abrupt steif und hart wirkt. Ich finde, dass dies nicht Fiorentinos stärkste Liszt-Aufnahme ist. Es fehlt an einem wirklich geschlossenen Konzept und Fiorentinos zweifellos sehr noble Zurückhaltung, die Reduzierung von Subjektivität, verträgt Liszts romantisches Selbstbekenntnis – nicht zufällig zitiert Liszt aus seinem Lieblings-Roman, Sénancours Oberman, zwei ganze Seiten im Notentext – dann doch nicht. Da hat später Lazar Berman die Maßstäbe gesetzt.


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Gerade höre ich Chopins Walzer (aufgenommen in Paris 1962) aus dieser zuletzt erschienen 10 CD-Box (für nur 25 Euro zu haben!!!) und bin beglückt. Eine ideale Aufnahme - Fiorentinos mühelosse Technik, furiose aber nie übertriebende Brillianz, Noblesse, bei einer immer "klassischen" Haltung und auch Sinn für die tief melancholischen Seiten in op. 34 Nr. 2 etwa zeigen ihn als idealen Interpreten von Chopins Walzer-Kosmos. Die Box mit einem lesenswerten Beitrag im Booklet über die Entstehungsgeschichte der Aufnahmen zeigt Fiorentinos Schwerpunkte: Chopin (es war 1956 eine Komplettaufnahme geplant), Schumann, Brahms (mit den Paganini- und Händel-Variationen), Bach, einem Mozart-Konzert, den Beethoven-Sonaten (Pathetique, Appassionata, Mondschein- und Waldsteinsonate) bis hin zu Rachmaninows Etudes tableaux op. 33.


    (Das Programm ist bei jpc abzuhören, auf das Cover-Bild klicken!)


    Schöne Grüße
    Holger