Interpretenruhm -Tonaufnahmen versus Livekonzerte

  • Die Frage ist eigentlich ganz einfach:
    Was ist für den Künstler wichtiger, das Absolvieren regelmäßiger Konzerte, die seinen Ruhm begründen, dei es durch Mund zu Mund Propagande oder Rezensionen in lokalen bzw Fachzeitungen - oder
    die Präsenz im Plattenstudio (Tonträgerstudio) ?


    Im ersten Fall funktioniert die Sache so, daß ein vom Publikum im Konzertsaal stets bejubelter Künstler seinen bestehenden Ruhm dazu einsetzt, mittels Aufnahmen auf CD seine Finanzen aufzubessern


    Der zweite Fall ist völlig anders gelagert,
    hier wird im Studio eine Kunstfigur geschaffen, welche ihren Ruhm vorzugsweise aus Tonaufnahmen herleitet.
    Gelegentlich tretten diese Stars auch öffentlich auf, um zu zeigen, daß es sie wirklich gibt. Der Konzertauftritt wird eher als lästig , nicht besonders einträglich - und als riskant eingestuft....


    Werden heute überhaupt noch beide Methoden praktiziert ?
    Welche ist Eurer Meinung nach die erfolgreichere, effizientere ?..


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ein Sänger, der nicht mit dem Publikum komunizieren will, nur Aufnahmen macht, ist in meinen Augen ein synthetischer Sänger. Gründe dafür können sein, hohes, nicht zu bewältigendes Lampenfieber, Angst vor Rezensionen, Bequemlichkeiten inkauf zu nehmen, sei es zu reisen, vielleicht aus dem Koffer zu leben, Angst vor der eigenen Courage.


    Die erfolgreichere Methode ist sicher die, in der der Sänger die Nähe des Publikums hat, die Atmosphäre, die ein Sänger braucht und nicht zuletzt den Beifall.


    Die Präsentation NUR im Studio Aufnahmen zu machen, ist meist trocken, es fehlt das Publikum, die Technik ist hier maßgebend, doch für Sänger mit Lampenfieber vielleicht ideal.


    Eine Aufnahme nur als Nebeneinnahme sehe ich nicht so, der Bekanntheitsgrad wächst mit den Aufnahmen, doch vorsicht, CDs sind nicht Realität, sie verfälschen oft und wenn man die Stimme in natura hört, ist man oft enttäuscht.
    Dazu gehört auch die Presse, die letztendlich oft einen Star aus einem Sänger macht.

  • Zitat

    Original von musica
    doch vorsicht, CDs sind nicht Realität, sie verfälschen oft und wenn man die Stimme in natura hört, ist man oft enttäuscht.


    Wie wahr. Meine Gesanglehrerin war eine Fan von Schwarzkopf. Bis sie einmal bei einem Recital war.
    "Furchtbar", so sagte sie, "das Pfeifen bei Atmen ist so störend... Das wird bei Aufnahmen offensichtlich weggeputzt".


    Das geschah um 1962-63. Und dennoch bin ich noch immer pro-Schwarzkopf. :D


    LG, Paul

  • Ich war mal bei ihr zum Meisterkurs. Sie war sehr streng, sehr Madame, aber sie hat mit allem was sie sagte recht. Nicht jeder mochte ihre Art, doch sie war eine sehr gute Lehrerin und eine hervorragende Sopranistin.


    Doch auch sie hat glaube ich nie Geistliche Werke gesungen, oder weiß jemand mehr darüber. Aber das wär ja jetzt OT. :untertauch:

  • Zitat

    Original von musica
    Doch auch sie hat glaube ich nie Geistliche Werke gesungen, oder weiß jemand mehr darüber. Aber das wär ja jetzt OT. :untertauch:


    Ja, ich. Meine Karajan Mozart Messe. Buah. :stumm:

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  • Frau E. Legge - Schwarzkopf ( so unterschrieb sie immer nach ihrer Heirat mit Walter Legge ) hat zum Beispiel das


    R E Q U I E M von V E R D I



    gesungen .


    Es hält sich immer noch das Gerücht , dass ursprünglich Maria Callas in dieser Aufnahme singen sollte .


    Legge hat dann E. Schwarzkopf " durchgesetzt " .


    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Künstler, die als Kunstfigur im Studio entstehen? Da fällt mir bei den Pianisten Glenn Gould ein, der sich sehr früh vom Konzertbetrieb zurückgezogen hatte , um sich hernach lediglich aus seinem eigenen Tonstudio vernehmen zu lassen.


    Sodann Joseph Schmidt. Der Mann war schlichtweg zu klein geraten. Filme, gut, das ging, Bühne indes nicht.


    Den meisten Künstlerm wird es indes darum zu tun sein, vor Publikum zu musizieren. Die Schallaufzeichnung ist ja noch vergleichsweise jung, und es gibt einige der älteren Künstler, denen sie suspekt und fast gleichgültig war(Knappertsbusch, Furtwängler, Johanna Martzy, Trio Santoliquido, Quintetto Chigiano, bei den jüngeren Carlos Kleiber oder Sergiu Celibidache).


    Umgekehrt: so viele Kapazitäten, wie es exzellente Musiker gibt, um eigene Platten aufzunehmen, gibt der Markt über die Schallplattenindustrie nicht her. So ist denn die Tonaufzeichnung nach wie vor ein Sonderfall im Musikgenuss: sie ist lediglich eine Schallkonserve.


    Bei sogen. Live-Mitschnitten sollte man sich übrigens nicht der Vorstellung hingeben, daß da tatsächlich die unverfälschte Wiedergabe eine Konzertes zu hören ist: Bis zu 600 Schnitte auf 20 min Musik sind nicht ungewöhnlich.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Ich denke nur beides in Kombination kann das beste hierbei sein. Künstler die man auf CD's hört, schaut man sich auch gerne Live an. Durch die CD kommt der Wunsch auf das Konzert. Aber Livehörer wollen den Künstler vielleicht auch mit nach Hause nehmen, via CD. Durch das Konzert kommt der Wunsch zur CD.


    Es erscheint mir wie ein Gegensatz der zusammengehört. Fehlt der eine Teil, wird das andere nur schwer, oder gar nicht funktionieren.
    Was sich finanziell mehr lohnt weiß ich nicht.


    :hello:



    C.

  • Thomas hat weiter oben einige Dirigenten genannt, die diverse Aversionen gegen das Studio hatten. An anderer Stelle wurde im Gegenzug mal festgestellt, daß etwa Sir Georg Solti v. a. ein Studio-Dirigent gewesen wäre, dessen Wagner und Mahler live den Erwartungen nicht standgehalten hätte.
    Kann das wirklich sein? Ich kenne einige Live-Auftritte Soltis (durch Video, versteht sich), und mich beeindruckte er jedesmal (Mozart-"Requiem" zum 200. Todestag 1991, Beethovens IX. 1986 live, "Egmont"-Ouvertüre 1996 live usw.).


    Da heutzutage ohnehin fast nur noch Live-Aufnahmen gemacht werden, haben wir kaum mehr eine Wahl. Glücklicherweise merkt man das dank der modernen Tontechnik bei richtiger Bearbeitung gar nicht mehr, Huster usw. können offensichtlich mittlerweile quasi vollständig herausgefiltert werden. Und die Live-Atmosphäre bleibt dennoch erhalten. Also gar nicht sooo schlimm, wie ich früher oft dachte.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Zitat

    Original von Thomas Pape
    Künstler, die als Kunstfigur im Studio entstehen? Da fällt mir bei den Pianisten Glenn Gould ein, der sich sehr früh vom Konzertbetrieb zurückgezogen hatte , um sich hernach lediglich aus seinem eigenen Tonstudio vernehmen zu lassen.
    ...


    Das kann man so nicht sagen. Gould war eine Berühmtheit, als er sich vom Konzertbetrieb zurückzog. Nur als solche bekam er von CBS in seiner Heimatstadt Toronto ein Tonstudio mit zwei Technikern zur Verfügung gestellt, die jederzeit zur Verfügung standen, wenn er im Studio musizieren wollte.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Zitat

    Original von Joseph II.
    ...
    An anderer Stelle wurde im Gegenzug mal festgestellt, daß etwa Sir Georg Solti v. a. ein Studio-Dirigent gewesen wäre, dessen Wagner und Mahler live den Erwartungen nicht standgehalten hätte.
    ...


    Ich glaube nicht, dass man das so sagen kann. Wagner wird er live wohl nur in seinen Zeiten als Opernchef gespielt haben. Ein Mitschnitt des 1. Aktes Walküre aus München (1949) ist auch sehr gut. Außerdem muss er sich einen gewissen Ruf als Wagner-Dirigent geschaffen haben, sonst hätte die Decca ihn für die erste eigene Einspielung einer Wagner-Oper (Rheingold) nicht einmal in Betracht gezogen (er kam zum Zug, als John Culshow mit der Arbeitsweise von Hans Knappertsbusch nicht zurecht kam). Nach seiner Opern-Karriere fällt mir im Moment nur der Bayreuth-Ring ein, der mir allerdings noch nie auf Tonträger untergekommen ist.


    Auf dem Konzertpodium hat er sich in seiner langen Zeit als Chef der Chicagoer drüben einen exzellenten Ruf erarbeitet. Auch ein Solti wird nicht Jedermanns Geschmack sein, aber darüber hinaus kann man seinem Mahler wohl nicht viel vorwerfen.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Der Thread hat sich sinngemäß ein wenig von der Fragestellung entfernt - ist aber sehr interessant geworden, daher erlaube ich mir auch, der von Euch vorgegebenen Richtung (bzw Themenerweiterung) zu folgen.


    Zitat

    Die Präsentation NUR im Studio Aufnahmen zu machen, ist meist trocken, es fehlt das Publikum, die Technik ist hier maßgebend, doch für Sänger mit Lampenfieber vielleicht ideal.


    Es gab durchaus Interpreten, mit Sicherheit beispielsweise der Pianist Clifford Curzon, aber auch Walter Gieseking (er soll die Abbey Road Studios als "Folterkammer" bezeichnet haben) die speziell in Studios Lampenfieber verspürten, der Eindruck "für die Nachwelt" zu spielen ist schon eine große Belastung - zumindest für manche Menschen.


    Heute mag das anders sein, aber vor ca 50 und mehr Jahren war eine falsche Note am Klavier bei Live-konzerten kein Beinbruch - im Studio jedoch schon....


    Auch wenn man Schnitte (angeblich) nicht hört - Künstler hören sie...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Lieber Alfred,
    Lampenfieber muss sein, doch es muss sich in Grenzen halten. Im Studio ist kein Publikum vor dem man mit zitternden Beine singt, dass sieht das Publikum. Die Stimme wackelt und eine Unsicherheit kommt auf, gesungene Passagen im Konzert kann man nicht wiederholen, im Studio schon. Dort wird alles herausgefiltert und der Gesang ist perfekt.


    Gerade ein Sänger, der vor dem Publikum Auge um Auge steht, anders wie bei Instrumentalisten, die ihre Noten vor sich haben, darf man seine Unsicherheit und Lampenfieber nicht anmerken.


    Es ist sicher auch umgekehrt der Fall, dass man im Tonstudio Angst vor der Technik hat und es ist gewöhnungsbedürftig.


    Wie dem auch sein, Live und Studio verbinden, damit auch der Nachwelt was bleibt, ist wohl die beste Lösung.

  • Nun, ich empfinde beim Livekonzert eine größere Anspannung als im Studio - oder besser: eine andere:


    Im Konzert hat der Interpret nur eine Chance, nur einen Moment. Die Zeit kann nicht angehalten werden, das Musikstück bewegt sich durch die Zeit, und das wars. Alles was war, ist, und es lässt sich weder korrigieren noch zurückdrehen. Der Interpret hat also die volle Verantwortung für den Moment.


    Im Studio empfinde ich eine andere Anspannung; Zeit ist Geld, Zeit ist Geduld (der anderen). Also muss ich möglichst schnell und ohne viele Takes eine besonders gute Einspielung hinzaubern, und dabei nicht die kleinste Schwäche zeigen. Das Problem ist wohl heute wegen des hohen tontechnischen Standards und der Möglichkeit der pausenlosen Manipulation weniger groß als noch vor Jahrzehnten. (Welcher Interpret einer Toneinspielung kann noch von sich sagen: "Hör mal, das bin ich"? Für mein Gefühl sehr unbefriedigend.)


    Nun noch eine Tendenz: Während der Interpret im Livekonzert eher die Möglichkeit vorfindet, sich emotional vom Publikum und der Gemeinschaftsatmosphäre leiten zu lassen bzw. dazu erheblich beiträgt, was sehr lebendig und erlebnisreich sein kann, wird er im Studio diese Art von Emotionen eher beiseite lassen und sich vielmehr "sachlich" auf den Kern der Musik einlassen, was, diesmal mehr bezogen auf das Innenleben der Komposition, sehr konzentriert und auf eine andere Art ebenfalls sehr lebendig sein kann.


    Als Zuhörer ist mein Gefühl erheblich eindeutiger: Konservenmusihören ist eine wunderbare Möglichkeit, ohne großen Aufwand verschiedene Interpretationen und Kompositionen kennenzulernen, damit arbeiten und vergleichen; ein Erlebnis kann mir dagegen nur das Livekonzert bieten.


    Ich denke, dass so mancher Interpret während seines Vortrags auch Zuhörer ist...


    Nun konkreter zur Ausgangsfrage: Im Gegensatz zur "Ware" Künstler ist der "wahre" Künstler weniger Sklave seiner Gier nach Ruhm.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

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  • Zitat

    Original von Uwe Schoof
    ein Erlebnis kann mir dagegen nur das Livekonzert bieten.


    Lieber Uwe,


    Irgendwann in den siebziger Jahren hörte ich eine Livesendung der Matthäus Passion im Rundfunk. Aus einer Kirche in Deventer.
    Zweites Teil. Der Baß mußte seine Arie "Geb mir meinen Jesum wieder" singen. Die erste Strophe war vorbei. Er war mitten in der zweiten Strophe und hatte plötzlich einen "blackout". Stammelte noch was unsinnige Worte und schwieg. Die Begleitung wurde weiter gespielt bis das Ende der Arie erreicht war.


    Ich bekam Magenschmerzen als ich das hörte. Habe ein ganzes Teil der Passion danach nicht bewußt gehört. So sehr hat mich dieses Ereignis beschäftigt.
    Auf sowas verzichte ich gerne.


    LG, Paul

  • Ganz genau, lieber Paul, das meine ich.


    Beim Livekonzert sind Menschen aktiv, mit all ihren Schwächen und Gefühlen. Alleine die Tatsache, dass etwas schiefgehen könnte, dass etwas Unerwartetes eintritt bzw. dass nicht absehbar ist, wie das Konzert wirklich wird, macht ein "Erleben" möglich.


    Die Magenschmerzen hätte ich an Deiner Stelle sicherlich auch bekommen; das ist das Risiko. Ich bekomme ja schon Magenschmerzen in Erwartung einer hohen Hornstelle im piano.


    Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)