Interpretationen des Schubertlieds im Wandel der Zeit

  • Liebe Taminoianer, liebe Mitleser


    Auch Schubertlieder - oder vielleicht gerade sie - haben in den letztn Jahrzehnten eine äusserst auffallende Wandlung in Sachen Interpretation durchgemacht.
    Die alten Aufnahmen waren pathetischer, sprachlich ausgefeilter, individueller, gepflegter, - wobei letzteres kein Positivattribut sein soll, lediglich die Beschreibung einer Tatsache.
    Allerdings waren sie emotionell schaumgebremster, sprachlich behübschender, so habe jedenfalls ich den Eindruck.
    zwischen e und ä wurde noch wirklich unterschieden, eine Mädchen war ein Mädchen - und nicht - wie heute durchaus üblich - ein Mehdchen


    Heute setzt man jedoch auf andere Vorzüge.
    Aber das herauszuarbeiten - das sollte eigentlich Eure Aufgabe sein.
    Ich schalte mich dann im Verlauf des Threads wieder ein.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Heute setzt man jedoch auf andere Vorzüge.


    Ja, zum Beispiel auf die Begleitung: historische Instrumente sind auf dem Vormarsch - gefolgt von vibratolosen Stimmen!


    Like this one:



    Hans-Jörg Mammel & Arthur Schoonderwoerd


    oder diese:



    Johanette Zomer & Arthur Schoonderwoerd



    Christoph Pregardien & Andreas Staier


    Außerdem bescheinige ich derartigen Einspielungen mehr Rhythmus, mehr Gefühl, mehr Leben und mehr Echtheit - nicht weniger Präzision.


    Daneben gibt es auch (historisch belegte) Auszierungen der Liedstimme:




    Das Aberwitzige daran ist aber jener Booklettext, der sich auf die möglicher Weise ungewöhnlich erscheinenden HIPpen Auszierungen bezieht, welche hier eingespielt wurden:


    [...] Eine Aufführungspraxis aber, die "historisch" sein will, darf andererseits auf Verzierungen auch nicht verzichten [...]


    Ja, aber auf das Tasteninstrument offenbar leider schon... ohnehin gefiel mir der allseits geschätzte Prégardien hier nicht so besonders... daran ändert leider auch die ansich hübsche Verpackung nichts.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Ulli


    Ja, zum Beispiel auf die Begleitung: historische Instrumente sind auf dem Vormarsch - gefolgt von vibratolosen Stimmen!


    Vibrato hat es immer gegeben. Nur war man damit viel umsichtiger als heute.


    Und was Alfred sagte über Mèèdchen versus Méédchen. Darüber habe ich vor Jahren beim Goethe Institut nachgefragt. Da wurde mir geantwortet, daß in verschiedenen Teilen Deutschsprachigen Gebietes das nicht auf ähnliche Weise ausgesprochen wird.


    Ich habe einmal bereits gewiesen auf das Wort China. Man hört von Kina bis Schina. Alles gut !!!


    Aber an sich hat Alfred m.E. Recht, wenn er meint "Früher (vor 40-50 Jahre) wurde eine deutliche Aussprache mehr Aufmerksamkeit gewidmet".


    LG, Paul

  • Ich erwähne an dieser Stelle nur mal, daß ich mit Pregardien, so beliebt und berühmt er in Deutschland ist - relativ wenig anfangen kann.


    Aus meiner Sicht war Schubert bei Wunderlich - Prey und Fischer-Dieskau am besten aufgehoben, wenngleich es auch heute hervorragende Einspielungen gibt - vielleicht mehr denn je.


    Aber ich kann leider auch Mammesl Stimme nicht allzuviel abgewinnen, den ich - der Notgehorchend nicht dem eignen Triebe bereits auf einer Aufnahme habe - wo Goethe-Lieder von Zelter jenen von Schubert gegenübergestellt wurden. Ich werte hier nicht - stelle nur fest: Nicht mein Geschmack.


    Was ist nun wirklich der Unterschied zwischen "alten" Schubertliedinterpretationen und heutigen ?


    Ich glaube man legte früher mehr Schmelz in die Stimme, sang "schöner" und war vielleicht etwas weniger am Inhalt
    interessiert. Man schreckt früher auch durchaus nicht davor zurück "schöne" Schubertlieder aus Zyklen auszugliedern, der letzte Zyklus ist sowieso keiner, sondern nur eine Zusammenstellung von letzten Liedern ohne thematischen Bezug zueinander.
    Aber auch Lieder wie "Am Brunnen vor dem Tore" wurden -wirkungsvoll - aber sinnentfremdet inLiederabende eingebaut.


    Eine gewisse "Kammersängerattitüde" war bei ganz alten Aufnahmen (also noch in der Schllackära) durchzuhören - wahrscheinlich histiorisch nicht einmal anfechtbar. Leider können wir die Stimme von Hofkammersönder Vogel nicht hören, weil es ja damals noch keine Tonkonserven gab (nur der Baron Münchhausen hat sie vorausgeahnt ;) )
    Sieht man sich aber die erhaltenen Bilder an, dann hat man doch eine Vorstellung, wie er das dereinst interpretiert haben KÖNNTE.
    Interessanterweise deckt sich die Vorstellung mit den älteren erhaltenen Tonkonserven anderer Sänger.


    Ich hätte geren eine CD empfohlen, welche sich
    Lieder von Franz Schubert in historischen Aufnahmen
    nennt, aber leider ist sie nicht (mehr) verfügbar, Preiser liefert sie
    nur mehr als MP3 oder als Einzeltracks (auch mp3) zum download.


    Immerhin, man kann in die Tracks kurz hineinhören, eine riesigew Palette von Schubertsängern der Vergangenheit wird geboten, aber auch Interpreten, die keine Schubertsänger im eigentlichen Sinn waren, sondern die sich einmal an Schubert versuchten....


    http://www.preiserrecords.at/album.php?ean=717281892315


    Ich habe es jetzt nicht explizit überprüft - aber etliches dürfte es wohl in anderen Koppelungen geben, beispielsweisse auf den Preiser - Sängerportraits, wo ja oft ein Mix zwischen Oper, Oratorium und Lied geboten wird...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Ich erwähne an dieser Stelle nur mal, daß ich mit Pregardien, so beliebt und berühmt er in Deutschland ist - relativ wenig anfangen kann.


    Mir liegt er auch nicht so. Warum, kann ich nicht mal sagen.


    Zitat


    Aber ich kann leider auch Mammesl Stimme nicht allzuviel abgewinnen, den ich - der Notgehorchend nicht dem eignen Triebe bereits auf einer Aufnahme habe - wo Goethe-Lieder von Zelter jenen von Schubert gegenübergestellt wurden. Ich werte hier nicht - stelle nur fest: Nicht mein Geschmack.


    Schade. Denn der gefällt mir wirklich gut - ich habe selten eine so intensive Winterreise gehört:



    Das ist wirklich eine mitreißende durchlebte Reise, bei der man Mitreisender ist!


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Allerdings muß ich auch festhalten, daß Mammel in den Spitzentönen manches Mal (selten) nicht überzeugt... aber da kann ich in dem Fall drüber weghören.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Bezüglich der kritischen Betrachtungen zu Christoph Prégardien folgendes:
    In den letzten zehn Jahren habe ich diesen ausgezeichneten Sänger mehr als ein Dutzend Mal im Konzertsaal erlebt - immer ein Ereignis erster Güte!


    Von Hans Jörg Mammel habe ich verschiedene Aufnahmen, kenne aber seine WINTERREISE noch nicht.
    Ich habe jedoch Schumann-Liedaufnahmen von Anders und Mammel verglichen und dabei festgestellt, dass Peter Anders eindeutig differenzierter singt.

  • Wenn man sich erinnert, so habe ich etwas weiter bedauert, daß es die bekannte CD mit vielerlei Liedaufnahmen von Schubert aus der Vergangenheit nicht mehr gäbe - ein Irrtum meinerseits - allerdings ist es eien CD Sammlung von über 100 Einzelliedern auf 10 CDs und diveren Aufnahmen der wichtigen Schubert-Liederzyklen.
    Das alles zum Spottpreis von insgesamt Euro 12.90 !!!




    Hineingehört kan wie immer gratis werden - und ich glaube man versteht nun was ich meine, wenn ich von der Individualität vergangener Liedaufnahmen rede - wobei nicht immer alles erste Qualität war, manches reizt aus heutiger sicht zum Lachen, aber es sind dennoch genug Perlen dabei....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Siegfried fragte:


    Zitat

    kann ich irgendwo finden, wer welche Lieder singt?


    Leider nein, aber ich werde in ca 2 Monaten wiedere eine größere Bestellung machen, dann bestelle ich diese Box - dann wissen wir es...


    Mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,
    welche Lieder sind nach Deiner Ansicht aus heutiger Sicht zum Lachen? Mich würde das eine oder andere konkrete Beispiel schon interessieren. Bei solchen Betrachtungen müsste man immer eine Zäsur machen:
    Vor Fischer-Dieskau und nach Fischer-Dieskau...

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  • Das "Lachen" war nicht so gemeint, daß es nun gerechtfertigt wäre, sondern es sollte hiemit gesagt werden, daß gewisse, einst hochgeschätze Intetrpetationen zur heutigen Zeit nicht mehr kompatibel wären.


    Aber ich gebe gerne drei Beispiele aus der 1cCD - Schubert-Liederbox bekannt, die meiner Meinung nach doch zumindest antiquiert klingen.


    CD 2 Track 11 "Mein"
    CD 7 Track 20 "Liebesbotschaft"
    CD 10 Track 1 "Wanderer an den Mond"


    Da wären wir übrigens beim Thema Nr 2. Manche Leute behaupten, sie ertügen GENERELL keine Lieder, da deren Texte und deren Melodik Leute unserer Zeit eher abstieße als anzöge...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bislang war ich der festen Überzeugung, dass der Liedgesang mit Fischer-Dieskau eine qualitativ neue Stufe erreicht habe, die alles andere davor von nur noch relativer Bedeutung sein ließ. Wirklich überprüft habe ich das nie, wie mir bei der Lektüre der Beiträge hier bewusst wurde.
    Alfreds kleine Dreierliste "inkompatibler" Interpretationen aus der von ihm präsentierten 10 CD Set- Box hat mich zur Überprüfung ermuntert. Ich greife das letzte Lied heraus.


    Der Wanderer an den Mond
    Die innere Gliederung, die das Gedicht Johann Gabriel Seidls aufweist und die ganz wesentlich von dem Wechsel der Perspektive Ich - Du geprägt ist, hat Schubert bei seiner Komposition natürlich berücksichtigt. Das entscheidende musikalische Gestaltungsmittel ist dabei das Wechselspiel von Dur und Moll.
    Der zugrundliegende Rhythmus ist ein Wanderschritt im Zweivierteltakt. Es fällt aber auf, dass er - im Gegesnatz etwa zum ersten Lied der Schönen Müllerin - weniger pointiert, sondern eher gefügig fließend ist. Musikalisch ist so etwas wie ein zügiges Dahinschreiten gestaltet.
    Der Interpret muss diese strukturellen Merkmale des Liedes natürlich berücksichtigen. Insbesondere kommt es darauf, den besagten Perspektivwechsel "Ich - Du" hörbar zu machen. Er ist besonders deutlich ausgeprägt bei "Du aber wanderst...", - sprachlich durch das "aber", musikalisch durch die Hinwendung zu reinen Dur-Klängen.

    Für die Analyse der folgenden Interpretationen ist diese Berücksichtigung der strukturellen Merkmale des Liedes das entscheidende Kriterium.


    Gérard Souzay ( CD 10, Lied 1, Aufnahme 1947)
    Ich musste zwei Mal auf die Rückseite der Hülle blicken, um ganz sicher zu sein, dass hier wirklich Souzay singt. Ich kenne ihn als begnadeten Legato-Sänger, aber was er hier bietet, ist weit unter seinem sängerischen Niveau.
    Der Pianist (unbekannt) gibt gleich mit den Einleitungstakten eine Art forsche, regelrecht hackende Taktierung vor, die dem Lied völlig unangemessen ist. Sie wird in bedrückender Gleichförmigkeit bis zum Ende durchgehalten. Man hat das Gefühl, dass das Lied ohne große innere Beteiligung des Interpreten einfach so "heruntergesungen" wird. Sehr störend wirkt das Zungen-R, dass der Franzose sich hier abringen muss.
    Bei "Ich ernst und trüb ..." fällt dieses Beibehalten des gleichen Grundtones zum ersten Mal unangenehm auf. Das "nirgendwo zu Haus" klingt wie eine belanglose Feststellung.
    Lediglich an der Stelle "Du aber ..." nimmt Souzay eine leichte Änderung im stimmlichen Ansatz vor. Ansonsten wird einfach zu wenig differenziert gesungen.


    Karl Erb (CD 6, Lied 13, Aufnahme 1936)
    Er gestaltet seine Interpretation wesentlich stärker vom Text her, obwohl die Aufnahme ja 11 Jahre vor der mit Souzay entstand.
    Der Schreitrhythmus ist weniger pointiert angelegt. Wie sehr sich Erb vom Text leiten lässt, fällt schon bei "am Himmel du" auf: Es wird entschieden zu stark akzentuiert.
    Gut gelingt ihm aber die Gegenüberstellung "Ich - Du", und die aschließende Frage ist wirklich als Frage zu hören. Bei "ach! zu Haus" macht er eine winzige Pause nach dem "ach!" (das Ausrufezeichen berücksichtigend).
    Das "Du aber wanderst ..." wird deutlich hörbar als Einschnitt im musikalischen Kontext gesanglich gestaltet. Großen Nachdruck setzt er überall dort ein, wo es um Heimat und Heimatlosigkeit geht. Die Wiederholung am Schluss mit mit ausgeprägtem Pathos gesungen.


    Dietrich-Fischer-Dieskau / G. Moore (Aufnahme um 1967 bei DG)
    Die Einleitungstakte legen ein zügiges Schritttempo vor. Die Interpretation ist vom ersten Takt an von der Situation des "Ansprechens" geprägt, ohne dass dabei allerdings der stimmliche Anteil zu kurz käme.
    Knapp wird die "Ausgangssituation" umrissen: Das Wandern zusammen mit dem Mond. Der situative Unterschied Unterschied beim "Ich" und "Du" ist deutlich hörbar dadurch, dass die Stimme bei "mild und rein" einen lyyrischen Ton annimmt. Bei der Frage "was mag der Unterschied wohl sein?" kulminiert die Phrasierung auffällig. Das ist ein erster Einschnitt im Lied!
    Die Befindlichkeit des Wanderers wird markant herausgestellt. Bei "Berg auf, Berg ab" wird der Sington fast ein wenig trotzig, um dann in die Klage zu münden: "nirgend, ach! zu Haus."
    Mit einer kleinen Verzögerung in der Klavierbegleitung wird dann zu dem "Du aber wanderst ..." übergeleitet, bei dem der Sänger einen ausgeprägt lyrischen Tonfall wählt.


    Hermann Prey / L. Hokanson (Philips-Lp, Aufnahmedatum nicht ermittelbar)
    Die Interpretation erfolgt in einem ruhigen Schreittempo und ist von leichter Melancholie geprägt. Hervorragend der Pianist!
    Sofort hört man: Da spricht einer wirklich den Mond an, während der zügig Schritt vor Schritt setzt. Das "wir" in "wir wandern beide" wird fast unmerklich akzentuiert, was den Effekt des Ansprechens unterstreicht. "Am Himmel du" wird nicht besonders hervorgehoben, um die Einheit mit dem Mond zu betonen. Bei "nirgend, ach! zu Haus" hört man einen ganz leichten Klageton.
    Der Gegenstaz "Ich - Du" wird sängerisch sehr zart und behutsam hörbar gemacht. Prey hat allerdings hier leichte Probleme mit den Höhen. Bei "Du aber wanderst..." öffnet sich das Singen in einer sehr gelungenen Weise in die Weite der Mondnacht. Das Ende wird ohne großes Pathos gestaltet. Es ist eine von leichter Wehrmut geprägte Feststellung: "O glücklich ..."


    Christoph Prégardien / M. Gees (Aufnahme bei Virgin Classics, 1996)
    Die Interpretation ist deutlich weniger von der Haltung des "Ansprechens", sondern von der Orientierung an der melodischen Linie geprägt. Der Schreitrhythmus ist deutlich ausgeprägt und greift sogar als leichtes Stakkato ins Sprechen über.
    In Phrasierung und Dynamik wird auffällig Zurückhaltung geübt. Erst bei der Frage nach dem "Unterschied" ist eine deutliche Steigerung hörbar. Das fremde und heimatlose Wandern erfährt keine besondere Akzentuierung. Erst bei "nirgend, ach! zu Haus" wird wieder stärker betont.
    Mit dem "Du aber ..." erfolgt ein deutlicher interpretatorischer Neuansatz, ohne dass sich dabei aber die Klangfarbe der Stimme ändert. Auch das "glücklich" wird stark zurückgenommen.


    FAZIT: Bei Fischer-Dieskau / Prey / Prégardien ist unüberhörbar, dass der Schubert-Liedgesang eine ganz neue interpretatorische Qualität gewonnen hat: Die strukturellen Merkmale des Liedes kommen im Zusammenspiel von Gesang und Klavierbegleitung wesentlich deutlicher zum Ausdruck.

  • Zitat

    Original von Helmut Hofmann


    Der Wanderer an den Mond


    Hermann Prey / L. Hokanson (Philips-Lp, Aufnahmedatum nicht ermittelbar)


    Müßte entweder 1971 oder 1973 in München gewesen sein.

    Freundliche Grüße Siegfried

  • Zum "Thema 2"
    Dieses Argument lässt sich leicht umkehren, denn ich kann oft mit Musik und Texten unserer Tage nichts anfangen...
    In allen Bereichen der Kunst gibt es zeitlos Schönes, das Wert ist gepflegt und erhalten zu werden.

  • Vielleicht sollte man es sich mit der Reaktion auf Alfreds "Thema 2" nicht ganz so leicht machen. In dieser Bemerkung drückt sich eine Sorge um die Zukunft des Kunstliedes aus, die leider nicht ganz unberechtigt ist.
    Ich vermute, dass die Sorge in diesem Fall aus dem Erlebnis der Zeitgebundenheit der Liedinterpretation hervorgegangen ist. Sie fände sich ja sonst nicht gerade hier, in diesem Thread.


    Hierzu ist nun folgendes zu bedenken:
    Die Rezeptionsgeschichte der Musik zeigt, dass sowohl musikalische Epochen, als auch einzelne Werke und deren Interpretationstil "ihre Zeit" haben. Ich verweise in diesem Fall auf das Thema Bach.
    Diese "Zeitgebundenheit" sieht allerdings beim muikalischen Kunstwerk ein wenig anders aus als beim Stil seiner Interpretation. Interpretationsstile können tatsächlich "veralten". Es wird niemand mehr in Zukunft ein Schubertlied so singen, wie das in den Beispielen geschehen ist, die Alfred zu Recht als "inkompatibel" bezeichnet hat.
    Aber auch das ist von Fall zu Fall unterschiedlich. Man könnte sich zum Beispiel bei Bach durchaus vorstellen, dass man sich eines Tages interpretatorisch wieder dem Stil annähert, den ein Karl Richter praktiziert hat und der heute als "romantisierend" verworfen wird. Man wird diesen Stil nicht kopieren, aber man könnte ihn adaptieren.


    Die Rezeptiongeschichte zeigt noch etwas: Unbeschadet der jeweiligen Moden und "Trends" behält das musikalische Kunstwerk seine Dignität. Das belegen die vielen Fälle, in denen ein Werk oder gar eine ganze Epoche "wiederentdeckt" wird. Man könnte sich also in bezug auf die Zukunft des Kunstliedes getrost zurücklehnen und mit der Gelassenheit des historisch Erfahrenen feststellen: Es werden auch wieder bessere Zeiten kommen.


    Gäbe es da nicht ein ganz spezifisches Problem. Und das gründet in dem besonderen Anspruch, den das Kunstlied an seine Rezeption stellt. Es ist nun einmal eine Tatsache, dass dazu ganz bestimmte Bildungsvoraussetzungen erforderlich sind.
    Es ist durchaus möglich, eine Beethovensinfonie in irgendeinem Konzertsaal der Welt auf sich niedergehen zu lassen, ohne dass man dazu eine besonders ausgebildetes Sensorium braucht. Sie kann einem auch gefallen, wenn man kein "geschultes" Gehör hat. Bei der Leistung von Dirigent und Orchester ist das freilich schon anders.

    Beim Kunstlied sind die Chancen für eine solche "naive Rezeption" (leider!) relativ gering. Hier braucht man das entwickelte Sensorium für das komplexe Zusammenspiel von Text und Musik, und man braucht eine gewisse Liebe für die "kleine musikalische Form", bei der einem kein gewaltiger Klangteppich geboten wird.
    Ein Mensch, der - um auf mein oben besprochenes Lied zu kommen - mit dem Vers "Ich ernst und trüb, du mild und rein" nichts anzufangen weiß, ist für das Kunstlied verloren.


    So viel zu Alfreds "Thema 2" und der Sorge, die dahintersteht.

  • Zitat


    Original von Helmut Hofmann
    Ein Mensch, der - um auf mein oben besprochenes Lied zu kommen - mit dem Vers "Ich ernst und trüb, du mild und rein" nichts anzufangen weiß, ist für das Kunstlied verloren.


    Wahr gesprochen!
    Ich stelle fest, dass ich zum Glück mit diesen Worten noch etwas anfangen kann. Aus dem Gedicht höre ich eine unerfüllte Sehnsucht heraus, die auf romantische Art und Weise durch die persönliche Ansprache des Mondes ihren Ausdruck findet.
    Wer da naturwissenschaftlich nüchtern fragt: "Wieso, aber man kann doch nicht mit einem Mond reden"?, dem kann man da nur schwer helfen.


    Ich denke auch, dass diese Bildungsvoraussetzung, die Helmut ansprach, auch ein durchaus gehobenes Verständnis der deutschen Sprache voraussetzt. Normalerweise spricht man da gerne vom elaborierten Sprachcode, aber das alleine reicht noch nicht einmal, weil es hier um Poesie, um Lyrik geht, deren Schönheit sich einem nur erschliessen kann, wenn man sich auch mit vergangenen deutschen Sprachstilen auskennt und sich ihnen öffnet.
    Im normalen Fernsehprogramm (das ja heutzutage mitbestimmend für die sprachliche Entwicklung der Gesellschaft ist) hört eben man nur selten herrlich ausdrucksvolle Worte wie diese:


    Der du von dem Himmel bist,
    Alles Leid und Schmerzen stillest,
    Den, der doppelt elend ist,
    Doppelt mit Entzückung füllest,
    Ach! ich bin des Treibens müde!
    Was soll all der Schmerz und Lust?
    Süßer Friede,
    Komm, ach komm in meine Brust!


    (Goethe)



    Allein schon deshalb verlangt das Kunstlied nach einem dafür sehr interessiertem Publikum.
    Ich stelle es mir auch für musikbegeisterte und interessierte Ausländer nicht leicht vor, sich da hineinzufinden - unmöglich ist es aber nicht.


    Und Romantik scheint auch nicht gerade im Zeitgeist zu liegen - oder sehe ich das falsch?


    Ausdrücke etwa wie " romantische Verklärung" sind doch im allgemeinen Sprachgebrauch eher negativ belegt.


    Abschliessend möchte ich noch einmal wiederholen, was ich neulich in einem anderen Thread erwähnte:


    Christa Ludwig hat mit dieser Aufnahme



    von 1966 für mich jedenfalls eine Schubert-Interpretation vorgelegt, die
    den Wandel der Zeiten gut überdauert hat.
    Ich kann mir das noch heute anhören, und es kommt mir kein bisschen "alt" vor.
    Wer Lust hat, kann ja einmal bei jpc reinhören oder ggf. selbst zu Hause nachvollziehen, ob ich mit meiner Einschätzung richtig liege.


    :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat Glockenton: "Ich kann mir das (Schubert, von Chr. Ludwig gesungen) noch heute anhören, und es kommt mir kein bisschen alt vor."


    Kein Zweifel, Christa Ludwig ist eine der großen Liedsängerinnen, und ihre Schubert-Interpretationen sind aus heutiger Sicht in gar keiner Weise veraltet. Ganz im Gegenteil! Sie wirken jung und frisch.


    Ich muss allerdings gestehen, dass ich mit Christa Ludwig als Liedinterpretin immer schon ein kleines Problem gehabt habe. Es ist ein ganz subjektives und hat mit ihren sängerischen Fähigkeiten im Kern nichts zu tun.
    Auf einen einfachen Nenner gebracht: Ihre Interpretationen sind mir zuweilen etwas zu "kühl". Mir schien immer wieder einmal, dass sie ein wenig Scheu davor hat, allzuviel Gefühl in ihren Gesang einzubringen.


    Mag sein, dass dieser subjektive Eindruck bei mir davon herrührt, dass für mich die warme Stimme der Kathleen Ferrier das Maß aller Dinge im weiblichen Liedgesang ist. Ich bin wohl befangen in meinem Urteil. Zugegeben!


    Da ich nun allgemein gehaltene Pauschalurteile überhaupt nicht mag, habe ich mir einmal das Schubertlied "Mignon" in Ludwigs Interpretation ganz genau angehört (in der Aufnahme mit Irwin Gage, bei der DG 1975 als Lp erschienen).
    Der Grund für diese Wahl:
    Mignon ist ein geheimnisvolles und überaus zartes Wesen in Goethes Wilhelm Meister. Schubert wusste das natürlich und hat das bei seiner Komposition berücksichtigt. Eine Interpretin sollte das auch tun.


    Ergebnis in Kurzfassung:
    Christa Ludwig gelingt eine makellose Interpretation. Die Phrasierung folgt in einer Weise der musikalischen Struktur des Liedes, wie man sie sich besser gar nicht wünschen könnte.
    Die Frage : "Kennst du es wohl?" wird stimmlich überaus behutsam artikuliert, um dann bei dem "Dahin, dahin..." all die Sehnsucht, die in diesem Wunsch steckt, mit großer Emphase sich entfalten zu lassen.
    Und bei "Es stürzt der Fels..." zeigt sie, dass ihre Stimme auch Dramatik entfalten kann.


    Aus reiner Neugier hörte ich mir nun die Aufnahme dieses Liedes mit Janet Baker an ( EMI-Doppel-Lp, "Ausgewählte Schubertlieder", mit Gerald Moore am Flügel).
    Und da war es wieder: Janet Baker singt dieses Lied mit "mehr Seele". Das ist unüberhörbar.
    Bei "Ein sanfter Wind..." ist mehr Zärtlichkeit in der Stimme. Und "Kennst du es wohl?" wird deutlich leiser und mit ganz großer Behutsamkeit gesungen.
    Man nimmt dieser Sängerin das arme, zarte Kind Mignon ganz einfach eher ab!
    Bei der dritten Strophe ändert sich aber das interpretatorische Bild. Die dramatische Emphase, die Christa Ludwig aufbringt, ist von Janet Baker nicht zu hören. Hier liegen nun deren Grenzen!


    Zusammengefasst:
    Zwei Interpretationen auf höchstem Niveau. Die Unterschiede sind minimal und wohl auch eine Frage des persönlichen "Geschmacks". Man kann nicht behaupten, die eine sei objektiv deutlich besser als die andere.

  • Hallo Alfred,


    habe mir die 10CD-Box sofort bestellt, nach dem reinhören natürlich.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


    Einmal editiert, zuletzt von Bernward Gerlach ()

  • Ach, wer bringt die schönen Tage,
    Jene Tage der ersten Liebe,
    Ach, wer bringt nur eine Stunde
    Jener holden Zeit zurück!


    Einsam nähr ich meine Wunde,
    Und mit stets erneuter Klage
    Traur ich ums verlorne Glück.


    Ach, wer bringt die schönen Tage
    Jene holde Zeit zurück.


    Schuberts Lied auf ein Gedicht von Goethe ist – wie das so typisch für diesen Komponisten ist – von einer Schönheit, die ganz wesentlich in der Schlichtheit der melodischen Linie der Singstimme und der Einfachheit der musikalischen Faktur wurzelt. Dabei ist diese „Einfachheit“ nur eine scheinbare, denn das Lied lebt musikalisch von einem bis zum Schluss unentschiedenen Schwanken zwischen den Tonarten As-Dur und f-moll. Die melodische Linie ist von Bögen geprägt, die, wie das schon in den ersten drei Takten zu hören ist, schmerzliche Wehmut ausstrahlen. So lautet ja auch die Vortragsanweisung Schuberts: „Sehr langsam, wehmütig“.


    Alle Melodiezeilen weisen eine fallende Linie auf. Besonders eindrucksvoll ist diese bei der zweiten Strophe, weil sie sich zu großer Höhe erhebt (zum hohen „f“) und dann ohne Klavierbass-Begleitung in zögerlicher Abwärtsbewegung zum tiefen „c“ hinabsteigt. Bei den Worten „stets erneuter Klage“ und dem melodischen Bogen aus Achteln und Sechzehnteln, der über dem Wort „erneuter“ liegt, erklingen im Klavierdiskant arpeggierte Akkorde. Die Schmerzlichkeit der Trauer ist hier auf eine besonders eindringliche Weise zum Ausdruck gebracht.


    Tiana Lemnitz (1897-1994) wirkte als Sopranistin u.a. an der Berliner und der Wiener Staatsoper und gehört zu den bedeutenden Liedinterpretinnen ihrer Zeit. Gehört habe ich dieses Lied in der Aufnahme aus dem Jahr 1944 in der Edition Raucheisen. Zum Vergleich herangezogen habe ich eine Aufnahme mit Brigitte Fassbaender (Klavier: Erik Werba) aus dem Jahre 1967.


    TIANA LEMNITZ
    Schon die erste Melodiezeile lässt den Stil erkennen, in dem hier interpretiert wird. Über die Worte „die schönen Tage“ wird ein mit Portamento versehener expressiv gedehnter Bogen gelegt. So geschieht das auch bei „ersten Liebe“: Auch hier ein Portamento und eine leichte Dehnung. Bedeutung wird, mittels leichter Tempoverzögerung, den Worten „eine Stunde“ verliehen, damit dann eindrucksvoll, jedem Wort einen Akzent verleihend, der Vers „Jener holden Zeit zurück“ gesungen werden kann.


    In beschwörend eindringlichem Ton erklingt das „Einsam nähr ich meine Wunden“. Und ganz bewusst herausgearbeitet wird die fallende melodische Linie der Verse dieser Strophe mit ihrem jeweiligen Schwerpunkt auf dem letzten Wort: „Wunde“, „Klage“, Glück“.


    Die Wiederholung des Eingangsverses (von Goethe so gewollt!) wird im Ton und im interpretierenden Gestus nicht anders gesungen als der Liedanfang. Stark expressiv erklingt aber der Schlussvers. Alle stimmlichen Ausdrucksmittel werden eingesetzt: Das akzentuierte Deklamieren, die Tempoverzögerung, das Portamento und das Auskosten des melodischen Bogens. Das geschieht allerdings durchaus in Maßen und keineswegs in exzessiver Überzeichnung.


    BRIGITTE FASSBAENDER
    Es wird, auch das zeigt schon die erste Melodiezeile, stark vom lyrischen Text her interpretiert. Hörbar daran, dass dem „Ach“ ein Akzent verliehen und danach eine kurze Pause eingelegt wird, damit der Fragecharakter des Verses deutlich zum Ausdruck gebracht werden kann.


    Die melodischen Bögen werden zwar in schönem Legato gesungen, aber nicht mit Portamenti oder Dehnungen versehen. Vernehmbar wird das – im Vergleich zu Tiana Lemnitz – stärker ausgeprägte Singen vom lyrischen Text her auch im Schlussvers der ersten Strophe. Dem Wort „holden“ verleiht Fassbaender hörbare stimmliche Wärme. In gleicher Weise geschieht das bei den Worten „verlorne Glück“.


    Deutlich abgesetzt vom interpretatorischen Grundton des ersten Verses wird seine Wiederholung am Schluss des Liedes: Die Stimme wird ins äußerste Pianissimo zurückgenommen, und der Interpretation der beiden Verse wird ein wehmütig beschwörender Ton durch ein etwas stärker ausgeprägtes Vibrato beigegeben.


    BEURTEILUNG
    Beide Aufnahmen sind in dem jeweiligen interpretatorischen Stil, der ihnen zugrundliegt, überaus eindrucksvoll. Es ist wohl eine Frage des jeweiligen Verständnisses von Liedgesang, welcher man den Vorzug geben möchte. Der gleichsam situativ-emotionale Gehalt des Gedichts und des Liedes ist wohl durch den hohen Anteil an stimmlich affektiven Elementen in der Interpretation von Tiana Lemnitz auf überzeugende Weise wiedergegeben. Der von Schubert kompositorisch kongenial in Musik umgesetzten Schlichtheit der lyrischen Sprache Goethes scheint mir aber Brigitte Fassbaender eher gerecht zu werden.

  • Ich belebe mal diesen Thread, denn ich glaube das diese neue Aufnahme von Markus Schäfer hier gut reinpasst!



    Zur Begründung stelle ich den Link ein SINGEN WIE VOR 200 JAHREN von Rüdiger Winter

    Mir gefällt diese Einspielung sehr gut!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

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