Kleine Stücke für Orchester – Geniestreiche oder Anbiedern an Zeitströmungen ?

  • Hallo, liebe Musikfreunde,


    neben den großen Werken gibt es auch Stücke wie die „Moldau“ von Smetana, die ihren eigenen Reiz haben. Dies Genre scheint von Beethoven aus Ouvertüren entwickelt worden zu sein - vielleicht waren auch Fantasien für Klavier ein Vorbild -, wurde in der Romantik ziemlich beliebt (Stichwort: Programmmusik) und am Ende des 19. Jahrhunderts in Frankreich fast zu einer eigenständigen Gattung gegenüber den Großformen wie Sinfonie und Oper. Hatten Debussy, Ravel, Dukas oder Honegger recht und liegt hier die Zukunft?


    Manche Interpreten haben gerade dafür ein Faible. Auf Fricsay und die „Moldau“ wurde in anderen Beiträgen bereits hingewiesen. Ein anderes Beispiel ist Celibidache, der vor seiner Hinwendung zu den großen Sinfonien Bruckners häufig Ravel gespielt hat, auch seltener gespielte Werke wie „Alborada del Gracioso“, für mich echte Meisterleistungen. Auch von Heifetz gefallen mir Einspielungen wie „Introduktion und Rondo Capriccioso“ von Saint-Saens besser als die großen Violinkonzerte, hier ist er einfach einmalig.


    In diesen Stücken scheint ein ganz anderes Lebensgefühl ausgesprochen zu sein als in den großen Werken, siehe als weiteres Beispiel von Tschaikowsky „Capriccio Italien“ (nach langer Suche meine Empfehlung: Kondraschin).


    Das reicht bis in die Kurkonzerte und Gala-Abende im Fernsehen, mit einer nur der Volksmusik vergleichbaren Popularität. Haben die Komponisten hier Kompromisse eingehen müssen und einen falschen schönen Schein gesucht?


    Was ist zum Beispiel mit dem Radetzky-Marsch von Strauß? Schlägt hier das österreichische Herz, oder kann sich so etwas nur ein Norddeutscher wie ich vorstellen? Hat Musik hier eine verführerische Kraft, die den Blick trüben kann, vor der es sich also zu schützen gilt? Ich glaube, es gehört zu den schwierigsten Aufgaben eines Dirigenten, hier den richtigen Ton zu treffen. Wenn das gelingt, entstehen Aufnahmen ganz im Geist von Beethovens Ode an die Freude, die Grenzen zu überschreiten vermögen. Und ist nicht die Chorphantasie op. 80 ihrerseits ein Kleinod für Orchester, das Beethoven so ans Herz gewachsen ist, dass er später daraus eine ganze Sinfonie machte?


    Wenn irgendwo die klassische Musik gegenüber äußeren Einflüssen offen ist, dann hier. Im frühen 20. Jahrhundert konnten auf diesem Weg Elemente des Jazz Eingang finden, und in dieser Form scheint auch am ehesten denkbar, dass das Auseinanderdriften einer immer stärker auf der Bewahrung vergangener Größe bedachter Klassik und die neuen Ideen im Bereich der Pop-Musik zueinander finden.


    Können also auch Stücke wie Jimi Hendrix und Frank Zappa, Björk „Human Behaviour“, die Lounge Lizards oder die Komponisten im Umfeld von „Bang on a Can“ (Julia Wolfe, Michael Gordon, etc.) hierzu gezählt werden? Schnittke und Pärt haben sicherlich mit solch kleinen Stücken ihren Stil gefunden. Das wäre für mich eine große Hoffnung, dass die „ernste Musik“ ohne ihren Ernst zu verlieren aus der Erstarrung herausfindet, in die sie für mich trotz einiger Ausnahmen seit 50 Jahren geraten ist.


    Viele Grüße von einem herrlichen 1. Mai an der Bergstraße,


    Walter

  • Hallo Walter,


    nur zwei kleine Anmerkungen. Die Moldau ist kein einzelnes Stück, sondern Bestandteil des großen sinfonischen Zykluses "Ma Vlast" (Mein Vaterland), der es ungefähr auf eine Länge von 1:10h bringt. Und Alborada del Gracioso ist ursprünglich ein Klavierstück aus dem fünfteiligen Zyklus "Miroirs" und wurde von Ravel einfach nur für Orchester umgeschrieben. Mir persönlich gefällt die Klavierfassung besser, deren beste existierende Aufnahme 1948 von Dinu Lipatti eingespielt wurde.


    Grüße
    nubar

  • Hallo Nubar,


    da hast Du recht. Die kleinen Stücke wurden oft in Zyklen zusammengestellt, und ich habe einen Moment gezögert, auch die "Bilder einer Ausstellung" dazu zu zählen und möglicherweise mit den "Jahreszeiten" von Vivaldi zu beginnen. Der Zyklus unterstützt das Vorläufige und Offene dieser eigenen Gattung.


    Bei Ravel kann ich mich nicht entscheiden, welche Variante - Klavier oder Orchester - schöner ist. Sicherlich hat er sie am Klavier konzipiert. Im Grunde finde ich schade, dass er nicht auch "Gaspard de la nuit" vertont hat.


    Die Klavierwerke von Ravel habe ich mit Entremont, eine Aufnahme, deren Wert sich mir nach jedem Konzert wieder bestätigt hat. Auf die Aufnahme mit Lipati werde ich in Zukunft mal achten.


    Viele Grüße,


    Walter

  • Als ich so kurz überlegt habe, welche kleine Stücke für Orchester mir so in den Sinn kommen, sind mir als Erstes die Miniaturen von Leroy Anderson eingefallen.


    Zum Beispiel vereinigt auf dieser CD:



    The Typewriter - Leroy Anderson Favorites
    St.Louis SO, Leonard Slatkin
    RCA



    Das sind wirklich kleine Geniestreiche, die Stimmung machen.


    Moldau o.ä. sind für mich keine kleinen Stücke, die haben ja eine richtige Aussage oder einen programmatischen Inhalt, wobei ich jetzt nicht sagen möchte, dass Andersons Stücke nichtssagend sind.
    Aber so etwas stelle ich mir unter kleinen Orchesterstücken vor.



    Gruß, Peter.

  • Ich möchte heir keine Wertung vornehmen. Orchesterwerke sind häufig Charakterstücke, aber ich kann nicht finden, dass hier durchweg ein geringerer Massstab angelegt würde als bei den sogenannten 'großen Werken'. Findest Du das Capriccio Italienne denn so banal? Ist es nicht einfach ein sehr gelungenes musikalisches Charakterstück - von einem für Tschaikowski unglaublich freundlichen Charakter?


    Ich liebe Orchesterstücke schon deshalb, weil man da auch mal ein einzelnes Stück hören kann, das nicht gleich stundenlang dauert.


    Gerade von russischen Komponisten gibt es hinreichende Orchesterstücke ('Der Fels' oder 'Die Toteninsel' von Rachmaninow fielen mir hier ein, die 'Tragische Ouvertüre' von Brahms oder die Konzertouvertüren von Berlioz, um nicht auf Russland beschränkt zu bleiben).

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Zitat

    Original von Travinius
    Ich möchte heir keine Wertung vornehmen. Orchesterwerke sind häufig Charakterstücke, aber ich kann nicht finden, dass hier durchweg ein geringerer Massstab angelegt würde als bei den sogenannten 'großen Werken'. Findest Du das Capriccio Italienne denn so banal?


    Ja!


    Zitat


    Ist es nicht einfach ein sehr gelungenes musikalisches Charakterstück - von einem für Tschaikowski unglaublich freundlichen Charakter?


    es ist gewiß hübsch, aber Charakter? (man kann nicht immer beides haben :stumm: )
    Verglichen mit Francesca da Rimini oder Romeo&Julia?
    (Finde ich beide auch etwas zu lang und etwas zu schmalzig, aber doch packende sinfonische Dichtungen)


    Zitat


    Gerade von russischen Komponisten gibt es hinreichende Orchesterstücke ('Der Fels' oder 'Die Toteninsel' von Rachmaninow fielen mir hier ein, die 'Tragische Ouvertüre' von Brahms oder die Konzertouvertüren von Berlioz, um nicht auf Russland beschränkt zu bleiben).


    verglichen mit all diesen ist das Capriccio italienne außerordentlich banal. Es ist schlicht ein Potpourri und die Melodien sind vermutlich aus der Volksmusik geklaut.
    Es gibt massenhaft relativ wenig bekannte Musik von Tschaikowsky, z.B. in den Balletten jenseits der Suiten, die wesentlich besser ist. Oder auch die Orchestersuiten.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Zitat

    Original von Walter.T
    ich habe einen Moment gezögert, auch die "Bilder einer Ausstellung" dazu zu zählen und möglicherweise mit den "Jahreszeiten" von Vivaldi zu beginnen.


    Die "Bilder einer Ausstellung" sind ein Klavierzyklus von Mussorgsky, somit keine "kleinen Stücke für Orchester" (auch wenn es zahlreiche - nicht von Mussorgsky stammende - Bearbeitungen für Orchester z.B. von Maurice Ravel oder Vladimir Ashkenazy gibt wie auch weitere Bearbeitungen und Arrangements, z.B. für Klaviertrio, für Gitarre, für Blechbläserensemble oder für die Rockband Emerson, Lake & Palmer). Die "Vier Jahreszeiten" von Vivaldi sind vier jeweils dreisätzige Violinkonzerte und somit nun beim besten Willen keine "kleinen Stücke für Orchester".


    Zitat

    Original von Walter.T
    Und ist nicht die Chorphantasie op. 80 ihrerseits ein Kleinod für Orchester, das Beethoven so ans Herz gewachsen ist, dass er später daraus eine ganze Sinfonie machte?


    Beethovens op. 80 ist eine Fantasie für Klavier, Chor und Orchester. Man kann dieses Werk, wie bei Wikipedia geschehen
    http://de.wikipedia.org/wiki/F…avier,_Chor_und_Orchester
    "Klavierfantasie, Klavierkonzert und Kantate zugleich" nennen, aber bestimmt ist das kein "kleines Stück für Orchester".


    Da es offenbar Definitionsschwierigkeiten in diesem Thread gibt, was ein "Orchesterstück" ist, schlage ich vor, zunächst mal diejenigen Werke in die Betrachtung einzubeziehen, die von ihren Komponisten ausdrücklich so genannt wurden. Die "Drei Orchesterstücke op. 6" von Alban Berg, die "Vier Stücke für Orchester op. 12" von Béla Bartók, die "Fünf Orchesterstücke op. 16" von Arnold Schönberg sowie die "Sechs Stücke für großes Orchester op. 6" und die "Fünf Stücke für Orchester op. 10" von Anton Webern fallen mir da als erstes ein. Und dann kann man die Definition gern erweitern und sagen: auch der "Boléro" von Ravel ist letztlich ein Orchesterstück (wenngleich Ravel das Werk als Ballettmusik bezeichnet hat, ebenso wie er "La Valse" nicht Orchesterstück, sondern "choreografisches Gedicht für Orchester" nannte). Gleiches gilt von mir aus für "Pacific 231" von Arthur Honegger (wenngleich dieser sein Werk "mouvement symphonique", also sinfonischer Satz nannte). Aber nun Vivaldis Violinkonzerte, nur weil sie kurz sind, als "kleine Orchesterstücke" zu bezeichnen, halte ich für nicht angebracht.

  • Volle Zustimmung für Swjatoslaw, daß wir in dieser Diskussion ein Definitionsproblem haben.
    Aber nicht nur der Begriff "Orchesterstück" bedarf einer Klärung. Es ist ja im Thema eindeutig von "kleinen Orchesterstücken" die Rede.
    Was ist aber klein - wenn ich jetzt mal unterstelle das die Zeitdauer und nicht die Besetzung gemeint ist?
    Rachmaninoffs "Toteninsel" wurde hier genannt. Ist sie mit ihrer fast halbstündigen Aufführungsdauer wirklich klein?
    Dann würden z.B. auch Dvoraks sinfonische Dichtungen (Spinnrad, Waldtaube,...) in diese Kategorie fallen. Wäre es hier sinnvoll, einfach mal nur das zu betrachten, was in der Aufführungsdauer unter 15 Minuten (oder noch kürzer?) liegt?
    Was meint Ihr?


    :hello:
    Reinhard

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Bei Geniestreichen fallen mir spontan ein:


    Beethoven - Wellington
    Brahms - Ungarische Tänze und Ak. Festouvertüre
    Rossini - Ouvertürem
    Weber - Aufforderung zum Tanz


    und der schon genannte Tschaikovsky !


    Nicht zu vergessen die Streicherserenaden Dvorak, Elgar, Sibelius, Roussel, Tschaikovsky.


    LG, Bernward


    "Nicht weinen, dass es vorüber ist
    sondern lächeln, dass es gewesen ist"


    Waldemar Kmentt (1929-2015)


  • Zitat

    Original von Reinhard
    Rachmaninoffs "Toteninsel" wurde hier genannt. Ist sie mit ihrer fast halbstündigen Aufführungsdauer wirklich klein?


    Sicherlich nicht.

    Zitat

    Original von Reinhard
    Dann würden z.B. auch Dvoraks sinfonische Dichtungen (Spinnrad, Waldtaube,...) in diese Kategorie fallen. Wäre es hier sinnvoll, einfach mal nur das zu betrachten, was in der Aufführungsdauer unter 15 Minuten (oder noch kürzer?) liegt?
    Was meint Ihr?


    Eher noch kürzer. Ein "Stück" ist einsätzig, so dass alle mehrsätzigen Werke herausfallen (mehrere Stücke können aber natürlich zu einem Zyklus zusammengefasst sein, wie in den von mir genannten Werken Bartóks, Bergs, Weberns und Schönbergs durchweg geschehen), und kurz. Bei Webern sind die Stücke teilweise sogar nur einige Augenblicke (d.h. unter einer Minute) lang.

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Für meine Begriffe zielt doch die Eingangsfrage auch in die RIchtung: Was hat den Komponisten dazu veranlaßt, dieses eine kurze Stück zu schreiben, was ist das Motiv dahinter?
    Ist der Vergleich zu einem Aphorismus sinnvoll und erlaubt? Kann ich aber einen "Sinnspruch" musikalisch in wenigen Noten adäquat umsetzen?


    Das Zusammenfassen mehrerer Stücke zu einem Zyklus - wenn denn dies inhaltliche Gründe hat (z. B. Dvorak - Slawische Tänze) - unterläuft doch die kleine Form und fällt damit eigentlich aus unserem Thema heraus, entspräche beispielsweise in der Schriftsprache der Zusammenfassung einzelner Aussagen in einem "Programm"

    Einer acht´s - der andere betracht´s - der dritte verlacht´s - was macht´s ?
    (Spruch über der Eingangstür des Rathauses zu Wernigerode)

  • Webers Walzerrondo ist ebenso wie die Tänze von Brahms und Dvorak eigentlich für Klavier, erst nachträglich für Orchester eingerichtet. Im Falle von Weber von Berlioz ganz konkret als Balletteinlage für seine französische Bearbeitung des "Freischütz", in den anderen Fällen wohl aus kommerziellen Gründen (wobei Brahms nur einige der Tänze selbst instrumentiert hat).


    Ich bin auch nicht sicher, ob man diese Tänze als "Zyklus" betrachten sollte, so wie z.B. die genannten Stücke von Berg.


    Zu sinfonischen Dichtungen gibt es schon eigene Threads, ebenso zu Strauß-Walzern und vermutlich auch irgendwo schon zu Ouverturen. Konzertouverturen, die nicht fürs Theater geschrieben wurden, sind ja oft eine Nebenform der Sinfonischen Dichtung, z.B. "Die Hebriden" oder "Die Schöne Melusine" von Mendelssohn.


    Insofern bin ich mir auch nicht so ganz sicher, auf welche Werke hier abgezielt wird. Die wohl bewußt nüchtern als "Stücke" bezeichneten vom Anfang des 20. Jhds. bilden ja nicht unbedingt eine Gattung.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Taminos,


    klar gibt es viele kleine Nette Stückchen.
    Meine Liebsten sind hier
    Alfven- Festspel
    Strawinsky- Zirkus Polka
    Shostakowitsch - festliche Ouvertüre.


    Diese 3 ( Strawinsky bin ich nicht sicher )Stücke haben was gemeinsam. Sie sind alle auf die schnelle Entstanden , Alfven fü ne Theatereröffnung, Shostakowitsch für irgendeinen Feiertag, und sind doch recht pompös.


    Einen weiteren Punkt sind für mich die kleinen Romazen ( teils auch für Violine ), die ich bei Nielsen und Svendsen zweifellos zu den Meisterwerken zählen würde, wegen ihrer wunderschönen Melodik und auch Verträumtheit, sowie der unverwechselbare skandinavische Klang.


    Svendson - Romanze für Violine
    L.Nielsen - Romanze für Violine
    Armas Järnefelt- Berceuse


    Tschaikovskys Capriccio, würde meiner Meinung nach hier nicht reingehören. Es ist nicht klein und auch eher eine Sinfonische Dichtung, oder?


    LG
    Chrissi

  • Ich glaube, um auf das Thema dieses Threads einzugehen, dass man das nicht so pauschal feststellen kann.


    Sicher gibt es Bravourstückchen, die heute meistens ein Dasein als Zugabe fristen, oder die einfach Werbung für den Komponisten machen.


    Aber wenn man sich gerade die französischen Stücke, beispielsweise von Saint-Saens anschaut, finde ich da schon ein paar interessante Werke, die meines Erachtens von ihren Komponisten durchaus ernstgemeint waren - ich denke an den Danse Macabre, an Le Rouet d'Omphale (Das Spinnrad der Omphale) u.ä.

  • Ich denke, es ist hier wirklich die Frage, was man unter dem Begriff „klein“ verstehen will: Meint man damit nur die zeitliche Ausdehnung, oder soll damit auch der Stellenwert des betreffenden Stücks im Oeuvre des Komponisten und/oder für die Musik ganz allgemein zum Ausdruck gebracht werden? Um zu verdeutlichen, was ich meine: Nehmen wir als Beispiel die Sinfonischen Dichtungen von Franz Liszt (und in deren Nachfolge einige von Richard Strauss), die trotz ihrer (relativen) Kürze den zentralen Schwerpunkt im kompositorischen Schaffen dieser Komponisten – bei Liszt neben den Klavierwerken, bei Strauss neben den Opern – darstellen. Bei Liszt sind sie der Ausdruck einer lebenslangen Beschäftigung, ja geradezu eines Ringens mit der traditionellen Form und Harmonik. Denken wir an die schon genannten Orchesterstücke von Anton Webern, die trotz ihrer extremen Kürze von ungeheurer Bedeutung für die gesamte Musik nach 1945 sind. Es sträubt sich alles in mir, solche Werke als „klein“ zu bezeichnen.


    Ich möchte aber noch auf eine weitere „Unschärfe“ in der Unterscheidung zwischen einzelnen Werken bzw. Werkgruppen in diesem Thread hinweisen. Es ist hier verschiedentlich von den „Ungarischen Tänzen“ von Brahms oder den „Slawischen Tänzen“ von Dvorak die Rede gewesen. Man könnte die „Ungarischen Rhapsodien“ von Liszt oder auch die „Menuette“, „Kontretänze“, „Deutschen Tänze“ usw. von Mozart, Beethoven, Schubert hinzufügen. Bei diesen Stücken halte ich es für angebracht, von „kleinen“ Werken zu sprechen, u.z. zum einen, weil es sich hier in vielen Fällen wirklich nur um „Gelegenheits-Arbeiten“ der Komponisten handelt (was nichts über die kompositorische Qualität aussagt, und es ist auch bekannt, dass solche Stücke für die Komponisten durchaus nicht „belanglos“ waren!), zum anderen, weil diese Stücke nicht als in sich geschlossene „Zyklen“ konzipiert, sondern häufig erst später zu Werkgruppen zusammengestellt wurden. Eines der Mozart-Menuette oder ein Brahms’scher Ungarischer Tanz kann also ohne Not auch einzeln und für sich aufgeführt werden. Ganz anders sieht das aber bei den „echten“ Zyklen aus, wie z.B. „Aus Holbergs Zeit“ von Grieg oder „Jeux d’Enfants“ von Bizet, oder die ebenfalls schon genannten Streicherserenaden, die allesamt mehrsätzig sind, oder auch die Suiten von Bach und Händel. Einzelsätze aus den genannten Werken kann man sehr wohl als „kleine“ Werke bezeichnen, aber den gesamten Zyklus doch i.d.R. nicht. Ich finde, der Thread sollte sich konzentrieren auf Stücke, die als Einzelwerke gedacht sind (z.B. die genannten Sinfonischen Dichtungen von Saint-Saens, Dvorak usw., die Konzertouvertüren z.B. von Mendelssohn, „freie“ Stücke wie z.B. „Pacific 231“ oder „Rugby“ von Honegger, oder die genannten von Strawinsky u.a.). und eine relativ kurze zeitliche Ausdehnung (max. 15 min) besitzen. Letzte Bemerkung: Ich halte es für Kompositionen des 20. Jh., egal wie kurz sie auch sind, generell für problematisch, von „kleinen“ Stücken zu sprechen, weil dadurch der meistens vorhandene Anspruch der Werke verniedlicht wird.


    Viele Grüße, harry

  • Banner Trailer Gelbe Rose