"Aber viel hängengeblieben ist davon nicht......."

  • "Aber viel hängengeblieben ist davon nicht......."


    Genau dieser Satz - gefallen ist er im Kammermusikforum in Bezug auf Werke von Schobert - hat mich zu diesem Thread inspiriert.


    Auch mir geht es oft so:


    Man versucht einen neuen Komponisten kennenzuleren und hört erst mal ein wenig in die CD hinenin...
    Oder aber man hört die Aufnahme "nebenbei"
    Aber selbst bei konzentriertem Hören ist es sehr oft so, daß man eventuell beifällig nicht (oder oft nicht mal das) - und dann verschwindet die Ausgrabung im Archiv - sprich im Nirwana....


    Die Gründe - warum das so ist - hiefür sind vielfältig - und ich habe hiezu einige Theorien, möchte aber zuerst hören, ob es Euch gelgentlich (oder sogar oft) ebenso geht - und was ihr dahinter vermutet.


    An die wahrscheinlichste Erklärung - es handle sich um schwache Stücke - glaube ich nämlich deshalb nicht, weil oft nach Monaten oder sogar Jahren, die gleiche Aufnahme mich regelrecht zu begeistern vermag... Seltsam....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,


    Ein Phänomen, welches mir auch häufiger auffällt!


    Ich denke auch nicht, dass das Scheitern eines erfolgreichen Ersthörens auf eine niedrige Qualität verweist. Wie du schon sagst, benötigen grade wertvolle und komplexe Werke ein häufigeres Hören. Man entdeckt erst nach und nach Details und lernt ein Werk sprichwörtlich zu schätzen.


    Persönlich bin ich immer etwas "kennenlernfaul" - obwohl ich gerne neue Entdeckungen mache. Neuzugänge lasse ich meistens einfach permanent im Hintergrund laufen. Durch dieses "beplätschern" prägt sich das Werk aber erstaunlicherweise oft extrem gut ein! Wenn ich es dann zum ersten Mal z.B. im Konzert oder der Oper höre, habe ich meist einen sehr guten Zugang.
    In der Regel höre ich nach dem Live-Erlebnis dann nochmals intensiv und konzentriert.


    LG
    Raphael

  • Hallo,


    wie einige Wissen, komme ich von der vokalen Klassik. In der Oper, Operette und Lied habe ich keine Schwierigkeiten, tagelang mit Ohrwürmern durch die Gegend zu laufen.


    In der Sinfonik und Kammermusik tue ich mich dagegen sehr schwer. Die wollen nicht in mein Gehör.


    Natürlich gibt es da auch Ausnahmen. So habe ich erst im letzten Jahr Zugang zu den Tschaikowsky-Sinfonien gefunden. Da war ich dann mit Leib und Seele dabei.

  • Eine der Möglichkeiten wäre, daß man unbekannte Komponisten stets mit bereits bekannten vergleicht. In der Regel wird man stets dem bereits Vertrauten den Vorzug geben, somit ist das Urteil für den "Neuling" meist ungünstig.
    Wir können dies sehr gut am Fall Rott versus Mahler überprüfen.
    Ein flüchtiger Beobachter könnte Rott für einen Epigonen Gustav Mahlers halten - indes enstand Rotts Sinfonie 9 Jahre vor jener Gustav Mahlers - und Mahler bezeichnet Rott in einem Brief, der oft hier im Forum zitiert wurde, als "Begründer der Neuen Sinfonie, wie er sie verstehe" adelt also Rott und sein Werk nicht nur durch seine Anerkennung, sondern bezeichnet sie gewissermaßen als sein Vorbild.
    Obwohl das auch ganz eindeutig zu erkennen ist, windet sich die Musikkritik gern um diese Tatsache herum, und deutet Rott als "mahlerähnlich" - aber natürlich von minderer Qualität.


    Solch Werke von Komponisten mit niedrigerem Bekanntheitsgrad haben wenig Chancen "hängenzubleiben - weil man sie zu selten - und mit falscher Erwartungshaltung hört.


    Bocherini, Viotti sogar Pleyel sind hier noch eher prominentere "Opfer", auf Raff, Rubinstein wären hier zu nennen, von den unbekannteren ganz zu schweigen...


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Man muss nicht unbedingt konkret vergleichen. Man hat ja immer eine Art Erfahrungsschatz als Hintergrund.
    (Im Falle von Rotts Sinfonie habe ich schon den sehr deutlichen Eindruck, dass die Motive als solche weniger prägnant sind als bei Mahler oder Bruckner, aber ich müsste das Stück auch noch einmal hören. Nun sind aber auch Bruckners Motive, verglichen mit Beethovens, oft nicht so leicht greifbar (und untereinander sehr ähnlich).
    Vielleicht kann man Faßbarkeit oder Prägnanz irgendwie wahrnehmungspsychologisch charakterisieren.

    Sehr viel ist jedenfalls pure Gewohnheit und Erfahrung. Ich weiß noch, wie ein Freund und ich als Anfänger mit ca. 15 mal den Anfang von Bruckners 4. mit dem der Tannhäuser-Ouverture verwechselt haben! :O :untertauch:


    Nicht nur Debussy, sondern auch etliches von Wagner war für mich noch einige Jahre später eine diffuse "Klangwolke" ohne erkennbare Melodien oder merkbare Motive. Bachs Klaviermusik waren ununterbrochen fließende (meist schnelle) Noten "ohne Melodie" oder gut erkennbare Struktur. Mit den Konzerten tat ich mich leichter, vermutlich wegen der wechselnden Instrumente usw.
    Es klingt eben nicht alles wie Mozart, Beethoven, Schubert oder Tschaikowsky. Das sind stilistische Unterschiede, die erstmal mit Qualität gar nichts zu tun haben. Und bei allen genannten Beispielen, die mich vor 20 Jahren oft ratlos ließen, bin ich inzwischen selbstverständlich in der Lage, Motive, Melodien, Strukturen zu hören und wiederzuerkennen. Aber auch eine Musik, die auf den Klangwolkeneindruck abzielt, wäre nicht per se schwächer.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Aus eigener Erfahrung nenne ich hier meinen Zugang zu Mahler. Noch als Jugendlicher hörte ich eine Sinfonie in einem Radiokonzert. Ich weiß natürlich heute nicht mehr, welche das war, aber ich weiß, daß mich das Stück emotional erfaßt hatte.


    Ich versuchte seinerzeit, in Mahlers Werke einzusteigen und erhielt "bevormundende Ablehnung" - durch den Vater, der Mahlers Musik unmöglich fand ("Es fehlt ja jegliche Melodie!!!") und der mir empfahl, von Taschengeld lieber "gute" Musik zu kaufen. Das alleine hätte mich dann immer noch nicht überzeugt, meine Finger von Mahler zu lassen - schließlich sind Söhne ja gerne kontra Vater.


    Es war ein Aufsatz in einer Zeitung oder Zeitschrift - auch der Name ist mir nicht mehr erinnerlich - der mich "überzeugte", Mahler hätte keine Musik geschrieben, sondern nur "Blähungen" von sich gegeben, hieß es da. Alles sei "aufgebläht, sowohl vom Umfang der Werke her, als auch von der Zahl der Mitwirkenden her, aber es ist eben keine musikalische Substanz vorhanden. Mahler erregt uns mit seinen Klängen, kann aber niemals ein Musikerlebnis hervorrufen. Mahler wollte uns Wahrheit predigen, sagte uns aber vorher nicht, daß ihm die Mittel zu dieser Predigt nicht zu Gebote stehen.


    Das sind meine Worte - aus der Erinnerung zitiert. Und ich muß gestehen, das damals Gelesene hielt einige Jahrzehnte. Von der Musik war nichts "hängen geblieben". Erst als Vorruheständler stieg ich bei Mahler ein und muß feststellen, daß ein Teil der Musikgeschichte Jahrzehnte an mir vorbei ging. Ich wollte gerade schließen, als mir der Gedanke, besser die Frage!, in den Kopf schoß, ob der Schreiber jenes Artikels einer ganz bestimmten politischen Überzeugung nachhing? Wäre zumindest erklärbar, denn Ende der fünfziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war noch manches fest im Kopf verankert, was in Tausend Jahren Gültigkeit besaß...

    .


    MUSIKWANDERER

  • Es gibt da so eine Klasse von französischen Barockouvertüren, die ich scheußlich finde und auch nicht ernstlich auseinanderhalten könnte (ich werde hier sicherheitshalber keine Namen nennen :untertauch:).


    Die Maria Malibran gewidmete CD von Cecilia Bartoli machte mich umgekehrt mit einer Fülle mir gänzlich unbekannter Federn und Werke bekannt, die ich allesamt auf Anhieb liebgewann.


    Boccherini wäre, ich gestehe es, auch für mich ein irgendwie mozartnaher Verfasser eines etwas abgedroschenen Menuetts, hätte nicht der Zufall mir eine Aufnahme seines Stabat mater in die Hände gespielt. Ein himmlisches Stück! :angel:


    :hello:

    Zerging in Dunst das heilge römsche Reich


    - uns bliebe gleich die heilge deutsche Kunst!

  • Ist es schlimm, wenn nichts oder wenig hängen bleibt?
    Wirkt es nicht vielmehr so, dass Hängenbleiben auch mal Routine bedeuten kann?
    Jeder kennt den Anfang von LvBs 5. Ist das nun gut oder schlecht? Denkt man sich nicht vielleicht auch: Kenn ich schon, muss ich jetzt nicht hören?
    Und kann man denn überhaupt erwarten, dass die Streiquartette Zemlinskys im Ohr bleiben oder Moses und Aron oder die gesamten 16 oder was Stunden des Rings?
    Neulich hörte ich im Radio einen wunderschönen Satz eines Violinkonzerts. Er kam mir bekannt vor und ich rätselte, was es war. Ich kam partout nicht drauf war mir aber sicher, dass ich ihn schon oft gehört hatte und sicher auch Einspielungen habe. Letztlich lag ich nicht ganz falsch, weil ich immerhin wusste, auf welcher CD sich das Konzert fand (Heifetz, Great Recordings). Es war der 3. Satz des Sibelius-Konzerts. Ich habe mich so gefreut, weil ich dieses Konzert wirklich gern habe und ich so festellen konnte, dass ich mich an ihm noch nicht abgehört habe, dass ich es immer noch neu entdecken kann.
    Klar, jetzt kann jemand argumentieren, dass ich wohl nie richtig zugehört habe, aber Musik soll doch irgendwie lebendig und spannend bleiben und es ist doch traurig, wenn man sich denkt: "Ach nee, das geht doch so und so, das muss ich jetzt nicht hören."
    Eine Anmerkung möchte ich noch machen: Natürlich ist es leichter, Lieder oder Arien zu memorieren. Das meine ich jetzt nicht unter dem professionellen Aspekt. Für den stinknormalen Hörer ist es aber leichter, sich eine Melodie über die zusätzliche Hilfe der Sprache zu merken, als nur Instrumentalmusik. Jeder weiß zwar, wie der Liederkreis beginnt ("Im wunderschönen Monat Mai...") und viele können spontan mitsingen. Aber wer weiß denn, wie der Klavierpart ohne Stimme klingt, mal abgesehen von den Pianisten unter uns, die das schon gespielt haben? Und das ist natürlich bei Orchesterwerken mit Gesang noch schwieriger, weil das ja polyphon ist. Und wenn man nun die Singstimme wegnimmt, ist es schon schwierig, sich auf einen bestimmten Melodiebogen zu konzentrieren.

  • Du hast den Satz ja erkannt und gemerkt, dass Du ihn kennst, Du hattest nur vergessen, zu welchem Konzert er gehört... ;)


    Es ist auch noch etwas anderes, ob man was vorsummen kann (das könnte ich z.B. mit dem Anfang des Sibelius-Finales) oder ob man was erkennt. So ginge es mir mit einigen Sinfoniesätzen von Sibelius, die sind eher unsanglich, aber doch gut erkennbar.


    Schnellschüsse im Urteil sind jedenfalls selten sinnvoll, zumal als relativer Anfänger (überhaupt oder auf einem bestimmten Gebiet.)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
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    (Bob Dylan)



  • Diesen Satz und diese Einstellung kann ich voll und ganz unterschreiben.


    Moses

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  • Zitat

    Und kann man denn überhaupt erwarten, dass die Streiquartette Zemlinskys im Ohr bleiben oder Moses und Aron oder die gesamten 16 oder was Stunden des Rings?


    Nein - das kann man wirklich nicht erwarten - und ich habe es auch nicht vor auszuprobieren. :P


    Ich habe lange darüber nachgesacht ob es erstrebenswert ist, eine Sinfonie so im Kopfe zu haben, daß man sie jederzeit wiedererkennen kann. Für mich persönlich möchte ich die Frage mit JA benatworten, denn was habe ich davon, wenn der Eindruck derart flüchtig ist, daß ich das Stück bei wiederholtem Hören nicht wiedererkennen kann ?
    Das wäre dann ja so, als hätte ich es nie gehört.
    Ich gebe zu, daß ich dieses Ideal kaum erreiche, weil ich leider zu viel höre. Als ich 15 und ein wenig darüber war, da lernte ich ein gewisses Grundrepertoire auswendig, einfach weil ich mir nuir jedes Monat ein bis 2 Langspielplatten kaufen konnte. Als ich 60 Platten besass, da war ich ungemein stolz auf meine Sammlung, die ich wieder und wieder durchhörte - und die nur langsam ergänzt wurde.
    Heute ist es leider so, daß ich 30 und mehr CDS pro Monat kaufe - aus Angst ich könnte eines Tages nicht mehr erweitern und müsse dan für mein Leben lang mit dem Vorhandenen auskommen. In meuiner Sammlung liegen derzeit etwa 400 ungespielete CDs -Wenn es gut geht werden die 2-3 mal gespielt - wenn überhaupt.


    Aber darunter findesn sich natürlich auch viele Werke die ich x-mal bereits gehört habe, und von denen mich ledigklich die Interpretation interessiert....



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !