Gerhard Stolze - ein Unvergessener!

  • Der am 1.10.1926 in Dessau geborene Gerhard Stolze, ist mir in den frühen 1960er Jahren, als Charaktertenor unvergessen.


    Neben der ersten "Carmina Burana", die ich meinem Bruder, Seinerzeit, kaufte, wo Gerhard Stolze den Tenor - Part sang, war er vor allem Wagner- und Richard Strauss Tenor.


    Sein Aegisth in der Richard Strauss Oper "Elektra" war eine stimmliche und schauspielerische Meisterleistung.



    Jedoch hatten wir in Wien, bei der ersten "Fledermaus" im Haus am Ring, nach der Wiedereröffnung einen blendendenen Orlofsky, eben Gerhard Stolze.



    Sein Tenor war enorm felixbel und hoch, wie ich ihn als "Oedipus der Tyrann" von Carl Orff, in Erinnerung habe.


    Sein Monostatos in der "Zauberflöte" war von einer Ausdruckskraft und er hatte hier nicht, wie viele anderen Sänger in dieser Partie, als Gegenpart zu Peter Klein gewirkt, der ja diese Partei, fast immer sang, wo ich Gerhard Stolze kennenlernnen durfte, es war ja die Zeit, wo ich den Ersten Knaben sang.


    Nicht, weil er als der beste Charaktertenor seiner Zeit galt, schätzte ich ihn, er war auch als Mensch bescheiden und zugänglich.


    Ich, der ich kein großer Wagnerianer bin liebte ihn als David in den "Meistersingern" und als Walther von der Vogelweide im "Tannhäuser", das soll, bei mir, was heißen.



    Gerhard Stolze kam aus Berlin zu uns nach Wien, an die Wiener Staatsoper, Herbert von Karajan schätzte ihn sehr, nicht zu Unrecht, denn sein Herodes in der "Salome" war eine solche Klasse, dass mir erst wieder Heinz Zednik imponierte.


    Seine Gastspielreisen führten ihn nach Bayreuth, nach Salzburg, an die Staatsoper Stuttgart dem Nationaltheater in München, an die MET und die Covent Garden.


    Neben seinen Ausflug in die moderne Oper, in der er äußerst geschätzt wurde, war er aber auch ein umworbener Lied-, Oratoriensänger.



    Gerhard Stolze verstarb am 11.3.1979, mit 52 Jahren, und liegt in Garmisch-Partenkirchen begraben.

  • Lieber Peter,


    danke für diesen längst überfälligen Thread!


    Unvergessen in der Tat, insbesondere als Mime im "Siegfried" unter Solti. Besser geht's kaum. :jubel:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Ich bin überzeugt, bereits der historische Herodes A. klang nicht nur wie Gerhard Stolze, er sah auch so aus.
    An der Stimme kann's nicht gelegen haben, dass das (allerdings eher mythologische) Frl. Salome sich mehr zum Täfer hingezogen fühlte.


    Eine, wenn nicht die Paraderolle für den Charaktersänger.



    audiamus

  • Zitat von audiamus

    Eine, wenn nicht die Paraderolle für den Charaktersänger.



    Die Paraderolle Stolzes für mich ist allerdings Loge.


    Besser gehts wirklich nicht, auch wenn ihm Zednik dicht folgt.


    Wie er den Göttern erklärt (sie anschreit), wie an das Rheingold zu kommen ist: "durch Raub!", das fasst in zwei Wörtern die gesamte Handlung des Rheingolds zusammen. Atemberaubend.

  • Interessant ist, dass es auch Gerhard Stolze, wie viele Charaktertenöre, zum heldischen Fach zog. Er hat diesen Schritt letztlich nicht gemacht, war aber 1962 als Partner von Anja Silja in Bayreuth als Tristan vorgesehen. Aneblich sei es der Mauerbau gewesen, der ihn aus der Ostberliner Staatsoper in den Westen übersiedeln ließ, was den Fachwechsel verhindert hat. Nun war er als Charaktertenor zweifellos bveeindruckend, dennoch wär's interessant gewesen, wie ein Tristan oder Tannhäuser von ihm geklungen hätte. Die Stimme soll ja ziemlich durchdringend gewesen sein. Mich erinnert sie übrigens am stärksten an Max Lorenz, der im Grunde ja auch ein "dramatischer Charaktertenor" war. Leider waren es auch gewisse Freiheiten mit dem Notentext,. die die beiden Sänger verband.


    Gruß
    Dieter

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  • Lieber Dieter,


    Was ist denn ein Charaktertenor? Sollte denn nicht jede Sängerin und jeder Sänger einen Charakter darstellen?
    G. Stolze war auf jeden Fall ein Tenor-Buffo, was nichts negatives ist. Er wurde oft kritisiert, weil er z.B. bei Wagner die musikalische Linie verließ und in eine Art Sprechgesang verfiel.
    Der Herodes ist übrigens, laut R. Strauss ein Heldentenor und von einem Heldentenor war G. Stolze weit entfernt.


    :hello: Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Zitat:
    Die Paraderolle Stolzes für mich ist allerdings Loge.
    Besser gehts wirklich nicht, auch wenn ihm Zednik dicht folgt.



    In der Tat - Heinz Zednik, der ja in der Zwischenzeit auch schon nicht mehr wirklich zur Gegenwart gehört, ist/war der würdige nachfolger von gerhard Stolze.


    Michael 2

  • Gerhard Stolze wird in seinen Wagnerpartien besonders als Loge und Mime in guter Erinnerung bleiben. Er war ein Typ. der vor allem singschauspielerisch in den Inszenierungen des Neubayreuth alle Erwartungen erfüllte. Rein stimmlöich teile ich die Auffassung von Herbert Henn. Stolze konnte die Gesangslinie nicht halten, Notenwerte waren in einigen Aufnahmen für ihn nur Annäherungswerte. Die Stimme war für mich eine extrem hohe, dünnn klingende Fistelstimme. Oft wurden ganze Passagen nur auf Tonhöhe gesprochen. Ich erlebte ihn als Schuiski in einer denkwürdigen Aufführung in der Staatsoper Stuttgart. Unvergesslich, weil an diesem Abend Martti Talvela als Boris und Gottlob Frick als Pimen aufeinandertrafen. Was diese beiden Bassisten leisteten bezeichnete Kurt Honolka als Sternstunde. Ich schrieb damals eine Rezension für die Heilbronner Stimme und einige Lokalzeitungen.
    Die sängerische Leistung von Stolze war derart katastrophal, dass ich trotz der Begeisterung über diesen Opernabend einen fürchterlichen Verriss über diesen Sänger schrieb.
    Danach erlebte ich Stolze als Herodes und vor allem als Nero. Aus dem Saulus wurde ein Paulus. Ich war hingerissen von psychologisch bin ins Letzte ausgefeilten beeindruckenden Charakterstudien.
    Also bei mir bleibt ein zwiespältiger Eindruck. Sängerisch problematisch, singschauspielerisch überragend.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Mime und Loge, die Paraderollen, zu denen der oft kritisierte Sprechgesang m. E. durchaus passt (komischerweise finde ich gerade den an Stolze gut). Bzgl. dessen ist er m. M. n. irgendwie durchaus mit Schreier vergleichbar, den ich auch sehr gern höre.


    Nicht vergessen sollte man seinen David. Daß er etwas "zwergisch" klingt, wie mal angemerkt wurde, liegt vielleicht daran, daß er eben "der" Mime war und Gefahr lief, darauf reduziert zu werden. Ich finde seine Art, den Nürnberger Lehrbuben zu geben, durchaus legitim und überaus gelungen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Gerhard Stolze erlebte ich 1957 erstmals anlässlich der Uraufführung der Oper DER REVISOR von Werner Egk im Rokokotheater Schwetzingen.


    Bei dieser Uraufführung stand er zusammen mit Fritz Wunderlich auf der Bühne.


    Eigentlich kenne ich ihn eher als einen Sänger zeitgenössischer Musik. Wenn ich es recht erinnere, sang er auch bei Uraufführungen von Klebe und Orff

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  • Hallo,


    Gerhard Stolze war auch als "Schwachsinniger" in Boris Godunow mehr als beeindruckend.
    In der denkwürdigen Münchner Aufführung unter Kubelik war er der adäquate Gegenpol zum monumentalen M.Talvela.


    Viele Grüße
    Santoliquido

    M.B.

  • Eigentlich habe ich diese vor ein paar Tagen neu erschienene Aufnahme schon im Fritz-Wunderlich-Thread vorgestellt (obwohl dieser nur eine Nebenrolle singt) - aber eigentlich gehört sie hierher, denn die Titelrolle singt Gerhard Stolze:


    Carl Orff (1895-1982)
    Oedipus der Tyrann


    Aufnahme: 11.12.1959, live, Stuttgart, UA
    Dirigent: Ferdinand Leitner
    Württembergisches Staatsorchester Stuttgart
    Chor der Württembergischen Staatsoper Stuttgart


    Bote aus Korinth: Hubert Buchta
    Corifeo I: Hans Günter Nöcker
    Hirte: Heinz Cramer
    Jokaste: Astrid Varnay
    Kreon: Hans Baur
    Oedipus: Gerhard Stolze
    Tiresias: Fritz Wunderlich


    LG


    :hello:

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Gerhard Stolze wird mir ewig als Robespierre in "Dantons Tod" von Einem in Erinnerung bleiben. Die Solo-Szene nach dem Duett mit Danton hat mir die Gänsehaut auf den Rücken gebracht.
    Vom Hörensagen weis ich, daß er auch einen tollen Belmonte gesungen haben soll.


    Mit lieben Grüßen -
    Operngernhörer :hello:

  • Ich kenne Gerhard Stolze als Herodes nur von der Platte, er ist für mich der Herodes aller Herodesse. Operus hat kurz seinen Nero erwähnt - als Nero in der "Krönung der Poppäa" von Monteverdi in Wien 1965 habe ich ihn bewundert(Karajaninszenierung, musikalische Fassung von Erich Kraack, die damals viel gespielt wurde, etwa auch in Düsseldorf; es war die Zeit vor der Oiginalklang - Bewegung).

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Zitat

    Original von Operngernhörer
    Gerhard Stolze...
    Vom Hörensagen weis ich, daß er auch einen tollen Belmonte gesungen haben soll.
    Mit lieben Grüßen -
    Operngernhörer :hello:


    Das war im Nov. 1961 an der WSO, vermutlich eine notgedrungene Umbesetzung, denn zu der Zeit gab es bessere Mozarttenöre in Wien.

    Freundliche Grüße Siegfried

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  • Interessant ist, dass es auch Gerhard Stolze, wie viele Charaktertenöre, zum heldischen Fach zog. Er hat diesen Schritt letztlich nicht gemacht, war aber 1962 als Partner von Anja Silja in Bayreuth als Tristan vorgesehen. Aneblich sei es der Mauerbau gewesen, der ihn aus der Ostberliner Staatsoper in den Westen übersiedeln ließ, was den Fachwechsel verhindert hat. Nun war er als Charaktertenor zweifellos bveeindruckend, dennoch wär's interessant gewesen, wie ein Tristan oder Tannhäuser von ihm geklungen hätte.


    Dass Anja Silja 1962 angeblich für die letzte Vorstellung als Isolde in Bayreuth vorgesehen war, hatte ich damals auch gehört, wurde allerdings von ihr auf Nachfragen nicht bestätigt (diese Aufführung sang dann Martha Mödl). Dass aber auch Gerhard Stolze als Tristan vorgesehen war, ist neu für mich. Kann das jemand bestätigen? Zwar sang er 1962 im Tristan (Junger Seemann, Hirt), aber nicht den Tristan. Ich bezweifle auch, dass Stolze die vokalen Möglichkeiten dafür gehabt hätte.


    Wie sein Kollege Gerhard Unger war auch Gerhard Stolze, als sie noch Ensemblemitglieder der Berliner Linden-Oper waren, nicht auf ein bestimmtes Stimmfach festgelegt. Zwar würde man Unger heute als Buffo und Stolze als Charaktertenor einordnen, doch beide traten durchaus auch in lyrischen Partien auf, Stolze sogar in denen des jugendlichen Heldentenors, wenn man einmal den Freischütz-Max als solchen bezeichnen kann. So hörte ich Stolze in Hamburg u.a. auch als Belmonte und Cassio, und Wieland Wagner setzte ihn sogar in einer Baritonpartie (Wozzeck) an.


    Stolzes Stimme an sich war nicht aussergewöhnlich. Was ihn trotzdem zu etwas Besonderem werden ließ, war seine Persönlichkeit, war seine Stimmdarstellung, obwohl die ihn in späteren Jahren immer freier mit dem Notentext umgehen ließ. Aber ich kenne keinen faszinierenderen Loge oder Herodes, als Mime würde ich ihn an die Seite von Erwin Wohlfahrt stellen, und sein Orff'scher Oedipus blieb bei einem Stuttgarter Gastspiel in Hamburg hauptsächlich seinetwegen in Erinnerung - ein beendruckender Charakterdarsteller, der u.a. auch Sänger war.


    In seiner Bayreuth-Biografie klafft eine Lücke : 1963 sollte er wieder den Loge im Wolfgang-Wagner-Ring singen, erkrankte aber an Kinderlähmung.

  • Ich behaupte, der beste je aufgenommene Mime und es gab ein paar großartige. Der Karajan-Ring gefällt mir noch besser, auch wegen der Besetzung (zb Jess Thomas als Siegfried).


    Ebenso gut gefällt er mir als David in den Meistersingern (Leinsdorf Bayreuth 1959) und als Hauptmann im Wozzeck unter Böhm.

    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

  • Zitat von Stolzing

    Ich behaupte, der beste je aufgenommene Mime

    Und ich behaupte, es ist Heinz Zednik! :)


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Und ich behaupte, es ist Heinz Zednik! :)

    Den mag ich auch sehr und trotzdem, die Stimme, die zynische Erscheinung... Stolze ist meine klare Nr. 1 gefolgt von Zednik.

    „Puccini ist der Verdi des kleinen Mannes, und Lehár ist dem kleinen Mann sein Puccini.“

  • Meine Lieben: Sowohl Stolze als auch Zednik waren Mimes der Luxusklasse, von denen wir heute träumen können. Ich hätte die beiden auch als meine Favoriten genannt, wobei es schwerfällt, einen auf den Thron zu setzen.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Meine Lieben: Sowohl Stolze als auch Zednik waren Mimes der Luxusklasse, von denen wir heute träumen können. Ich hätte die beiden auch als meine Favoriten genannt, wobei es schwerfällt, einen auf den Thron zu setzen.

    :thumbup:


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Mime und Loge, die Paraderollen, zu denen der oft kritisierte Sprechgesang m. E. durchaus passt (komischerweise finde ich gerade den an Stolze gut).

    Diese treffliche Bemerkung ist in die Jahre gekommen, hat aber nach meiner Beobachtung nichts von ihrer Gültigeit verloren. Mit dieser Fähigkeit erwarb sich Stolze auch maßstäbliche Verdienste mit seinen Rollen in Werken von Carl Orff. Den Oedipus sang er sogar in der Uraufführung 1959 in Stuttgart. Ein Mitschnitt - schon Harald wies darauf hin - hat sich erhalten und ist bei jpc auch noch greifbar:



    Eine zweite Aufnahme von "Oedipus der Tyrann" entstand beim Bayerischen Rundfunk. Deutsche Grammophon brachte sie zunächst in einer prachtvollen Plattenbox heraus. Auf CD erschien sie neuerdings in dieser Edition:



    Orffs "Antigonae" gibt es auch zweifach mit Solze als Wächter. Einmal aus Siuttgart von 1966 (Walhall) und abermals bei Deutsche Grammophon. Diese Produktion ist ebenfalls Berstandteul der neuen Orff-Edition.


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    Stolze ist in allen genannten Aufnahmen bestens disponiert. Es ist, als habe Orff ihm diese Werke in die Stimme geschrieben. Wer sich darauf einlässt, wird förmlich erschlagen von dieser konzentrierten und zugleich wandelbaren Gestaltungskraft. Ich weiß ihn als Mime auch mehr als zu schätzen. Bei Orff finde ich ihn in seinem eigentlichen Element.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Jens Malte Fischer spricht von einer der faszinierendsten Erscheinungen auf den deutschen Bühnen der1950er und sechziger Jahre und beschreibt den Sänger unter anderem so:


    »Der gebürtige Dessauer, der zunächst Schauspieler war, war ein Solitär als Buffo- und Charaktertenor, aber diese Fachbezeichnungen sagen wenig, denn Stolze war eben Stolze, eigenartig und unverwechselbar mit seinem fast krähenden, scharfen Ton und seiner äußerst eigenwilligen Technik, gewissermaßen die Kreuzung von Julius Patzak und einem Heldentenor, messerscharf über Orchesterfluten triumphierend, in einem seltsamen Niemandsland zwischen Singen und Sprechen sich bewegend, durch die Stimme allein alle Nuancen hervorbringend, die man dem bubenhaften runden Gesicht nicht zutraute.«


    Ganz anders sieht - besser gesagt hört - das Jürgen Kesting, der schreibt:


    »Noch weniger befreunden kann ich mich mit dem gestikulierend singenden Gerhard Stolze als Herodes - eine jener ›Charakterdarstellungen‹ mittels vokaler Denaturierung, denen ich am liebsten aus dem Wege gehe.«

  • Beide Einschätzungen beschreiben Gerhard Stolze sehr gut, wobei man nicht vergessen darf, dass Kesting zu seiner Meinung wie üblich auf Grund von Aufnahmen kam, in diesem Fall offensichtlich von Stolzes Herodes in der Solti-Einspielung.


    Ich finde jedoch, man wird Stolzes Künstlertum eher gerecht, wenn man alt genug ist, ihn live "erlebt" zu haben, denn er war eben kein Nur-Sänger, sondern ein trotz oder gerade wegen seiner Exaltiertheit ein faszinierender Menschendarsteller.


    Gerne erinnere ich mich auch an Stolzes Auftritte in (damals) zeitgenössischen Opern, so als Oberon in Brittens "Sommernachtstraum" oder als Oberst in Klebes "Jacubowsky und der Oberst".


    Beste Grüße aus Finnland


    Peter Schünemann

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    1967 wurde in Stuttgart eine neue Produktion der Oper "Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny" von Kurt Weill und Bertolt Brecht gefilmt und im Fernsehn gezeigt. Diese Aufnahme ist offiziell nie herausgegeben worden, machte aber in Sammlerkreisen die Runde. Die Besetzung ist sehr attraktiv. Martha Mödl gibt die Witwe Begbick, Anja Silja die Jenny - und Gerhard Stolze den Jim Mahoney. Am Pult steht Ferdinand Leitner. Es fällt mir schwer, jemandes Leistung ganz besonders hervorzuheben. Alle sind auf ihre Weise und in meiner Wahrnehmung hinreißend. Ich kann mich nicht stattsehen und dieser Darbietung. Und da es hier um Stolze geht, soll er in seiner Rolle auch abgebildet werde. Er gewinnt der Figur alle nur denkbaren Facetten ab. Er ist Draufgänger, Rüpel, Abenteurer und dann auch wieder der kleine Junge. Er bewegt sich lässig und sicher durch die Handlung, den Hut nach hinten geschoben, raucht Zigarre und trinkt Wkisky. Seine spezielle Stimme ist für mich insofern perfekt, weil er damit alle genannten Attribute ausdrücken kann. Nachdem ich diesen Film kennengelernt hatte, wurde ich mir bewusst, dass man Stolze auch sehen muss, um sein überragendes Talent vollumfänglich würdigen zu können. Mein Vorredner Peter kommt zu einem ähnlichen Schluss.


    Mit ist es nicht vergönnt gewesen, diesen Sänger noch live erlebt zu haben. Mit bleibt nichts anderes übrig, als mich an Tondokumente - und eben diesen Film zu halten. Und die so gewonnenen Eindrücke sind immer noch stark genug, um die Bedutung vin Gerhard Stolze zu erkennen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Ich finde jedoch, man wird Stolzes Künstlertum eher gerecht, wenn man alt genug ist, ihn live "erlebt" zu haben

    Nun, ich habe Gerhard Stolze am 9. Mai 1957 live in der Uraufführung von Egks »Revisor« in der Rolle des Hochstaplers Chlestakow erlebt, er stand mit 41 Jahren damals am Anfang seiner Karriere, wie sein Bühnenpartner Wunderlich auch. Großartige Gesangsstücke sind ja in dieser Oper nicht zu finden, also kamen Stolzes schauspielerische Fähigkeiten - wo er ja auch herkam, weil er in belgischer Gefangenschaft einen Regisseur kennengelernt hatte - voll zum Tragen.
    Vom Februar 1958 bis September des gleichen Jahres spielte er dann diese Rolle auch an der Wiener Staatsoper, beziehungsweise im Redoutensaal der Hofburg.


    Viel bekannter war Stolze allerdings als Herodes in der Strauss-Oper »Salome«, wo er viele mit seiner Rollengestaltung begeistern konnte - Karajan ließ den Erkrankten Stolze sogar auf die Bühne tragen, weil dieser des Gehens nicht fähig war.

  • Bekanntlicherweise komponierte Britten die Rolle des Oberon für Alfred Deller, einen Countertenor. In Hamburg entledigte Stolze sich dieser unbequem hohen Tessitura bis zum dreigestrichenen hohen d mit Fistelstimme durchaus eindrucksvoll. Ebenso sehr beeindruckend, aber ganz anders Gerhard Unger, der seinen Kollegen in der Zeit seiner Kinderlähmung ersetzte, indem er sich erlauben konnte, selbst diese Höhenlage mit voller Bruststimme zu singen.

  • Es ist schade, dass es von einem so hervorragenden Sänger-Schauspieler wie Gerhard Stolze nur wenige Dokumente in ‚bewegten Bildern‘ gibt. Vor allem sein Herodes in der „Salome“ wäre eine Fernseh-Aufzeichnug wert gewesen. Er spielte ihn in Wieland Wagners Regiekonzept nicht – wie damals oft zu sehen – als einen alternden ‚Lustgreis‘, sondern als einen noch jungen, durchaus attraktiven Mann (mit halbnackter dichtbehaarter Brust), der unter der Fuchtel seiner wesentlich älteren Gattin steht und den es nach der jungen Stieftochter giert.


    Folgende TV-Opernsendungen mit Gerhard Stolze sind mir bekannt:


    "Der Revisor" (Werner Egk): Chlestakow - Gerhard Stolze / Ossip, sein Diener - Heinz Cramer / Der Stadthauptmann - Fritz Ollendorff / Anna, seine Frau - Hetty Plümacher / Marja, seine Tochter - Friederike Sailer / Mischka, sein Diener - Hubert Buchta / Der Postmeister - Alfred Pfeifle / Der Kurator - Frithjof Sentpaul / Der Richter - Fritz Linke / Bobtschinskij - Fritz Wunderlich / Dobtschinskij - Gustav Grefe / Eine junge Witwe - Ellinor Junker-Giesen / Die Frau des Schlossers - Paula Kapper / Ein Kellner - Robert H. Pflanzl / Das Radio-Sinfonieorchester Stuttgart - Dirigent: Werner Egk / Bühnenbild und Kostüme: Leni Bauer-Ecsy / Regie: Günther Rennert / TV-Regie: Werner Völger / Es handelte sich um eine Aufführung der Württembergischen Staatsoper Stuttgart im Schlosstheater Schwetzingen, wo die Oper am 9. 5. 1957 uraufgeführt wurde. (Ein separater Rundfunk-Mitschnitt ist im Archiv des Süddeutschen Rundfunks vorhanden.)

    TV-Sendung am 28. 5. 1957 (ARD/Süddeutscher Rundfunk) - siehe Beitrag Nr. 14 vom 9. 6. 2018 im Thread "Fritz Ollendorff".

    "Siebzehn Tage und vier Minuten" (Werner Egk): Circe - Ruth-Margret Pütz / Lybia - Sieglinde Kahmann / Asträa - Franziska Wachmann / Babe - Hetty Plümacher / Ulyss - Gerhard Stolze / Klarin - Alfred Pfeifle / Leporell - Fritz Linke / Ein Zwerg - Salvatore Poddine / Ein Löwe - Franz Steinmüller u.a. / Das Württembergische Staatsorchester Stuttgart - Dirigent: Ferdinand Leitner / Bühnenbild und Kostüme - Ita Maximowna / Inszenierung: Günther Rennert / Aufzeichnung einer Aufführung vom Juni 1966 / Uraufführung der zweiten Fassung von Werner Egks Oper "Circe" (1948) in der Württembergischen Staatsoper Stuttgart am 2. Juni 1966. / Eine Sendung der ARD, 1. Programm (Süddeutscher Rundfunks Stuttgart).

    TV-Sendung am 22. 8. 1966 (ARD/Süddeutscher Rundfunk) - siehe Beitrag Nr. 51 vom 26. 5. 2018 im Thread "Ruth-Margret Pütz".

    „Dantons Tod“ (Gottfried von Einem): mit Sonja Schöner (Lucile), Helly Spittler (Julie), Elisabeth Höngen (Simons Frau), Edith Vonkilch (Eine Dame), Eberhard Waechter (Danton), Donald Grobe (Desmoulins), Paul Späni (de Séchelles), Gerhard Stolze (Robespierre), Hans Christian (St. Just), Hans Braun (Herrmann), Karl Schmitt-Walter (Simon), Kurt Equiluz (Ein junger Mensch), Karl Terkal und Josef Knapp (Zwei Henker) / Der Chor der Wiener Staatsoper / Chorltg.: Wilhelm Pitz / Die Wiener Symphoniker / Dirigent: Ferdinand Leitner / Bühnenbild: Walter Dörfler / Kostüme: Hill Reihs-Gromes / Inszenierung und TV-Regie: Otto Schenk (Wien, Theater an der Wien, 15. 6. 1963). Eine Live-Fernsehübertragung des ORF von den Wiener Festwochen 1963; eine DVD ist bei 'House of Opera' erhältlich. (In der TV-Sendung führte der Produktionsleiter Wilfried Scheib ein Pausengespräch mit dem Komponisten der Oper, Gottfried von Einem, und mit dem damaligen Leiter der Wiener Festwochen und späteren Intendanten der Wiener Staatsoper, Egon Hilbert.)

    Siehe Beitrag Nr. 45 vom 10. 10. 2020 im Thread "Karl Terkal".

    "Die Entführung aus dem Serail" (Wolfgang Amadé Mozart): Bassa Selim - Peter Pasetti / Konstanze - Anneliese Rothenberger / Blondchen - Judith Blegen / Belmonte - Werner Krenn / Pedrillo - Gerhard Stolze / Osmin - Oskar Czerwenka / Der RIAS-Kammerchor / Chorltg.: Günther Arndt / Das Radio-Symphonie-Orchester Berlin / Dirigent: Georg Solti / Choreographie: Heinz Schmiedel / Szenenbild: Jean-Pierre Ponnelle / Kostüme: Charlotte Flemming / Dramaturgie: Gerhard Reutter / Regie: Heinz Liesendahl / Eine Co-Produktion der Bavaria-Filmgesellschaft mit dem WDR Köln und dem ORTF Paris, gedreht im Münchner Bavaria-Studio / Erstsendung - in Farbe - am 27. 4. 1969 (ARD). (Eine Woche vor Ausstrahlung dieses Opernfilms zeigte der WDR in der ARD eine einstündige Dokumentation über die Dreharbeiten unter dem Titel "Konstanze gibt Auskunft".)

    Siehe Beitrag Nr. 40 vom 4. 8. 2018 im Thread "Oskar Czerwenka". Gerhard Stolze war zwar ein spielfreudiger Pedrillo, aber sein Gesang war - zumindest in dieser Rolle - etwas gewöhnungsbedürftig. (Ich habe die Tonspur dieser Fernsehsendung.)

    „Das Rheingold“ (Richard Wagner): Wotan – Thomas Stewart / Donner – Leif Roar (Vladimir de Kanel) / Froh – Hermin Esser / Loge – Peter Schreier / Alberich – Zoltán Kélémen / Mime – Gerhard Stolze / Fasolt – Karl Ridderbusch (Gerd Nienstedt) / Fafner – Louis Hendrikx / Fricka – Brigitte Fassbaender / Freia – Jeannine Altmeyer / Erda – Birgit Finnilä (Martha Mödl) / Woglinde – Liselotte Rebmann / Wellgunde – Edda Moser / Flosshilde – Eva Randová / Die Berliner Philharmoniker / Dirigent und Regisseur: Herbert von Karajan / Szenenbild: Georges Wakhevitch und Jean Forestier (nach Entwürfen von Günther Schneider-Siemssen) / Kostüme: Georges Wakhevitch. In Klammern die Namen der Darsteller; die Rheintöchter wurden von Komparsinnen gedoubelt. (Ton: Salzburg, Großes Festspielhaus, April 1973 / Film: München, Bavaria-Filmatelier, November 1978). Erschienen auf VHS (1981) und DVD (2008) bei der 'DGG'.

    Siehe Beitrag Nr. 40 vom 12. 8. 2020 im Thread "Hermin Esser".



    „Aufstieg und Fall der Stadt Mahagonny“ (Kurt Weill): Leokadja Begbick – Martha Mödl / Fatty, der ‚Prokurist‘ – Alfred Pfeifle / Dreieinigkeitsmoses – Klaus Bertram / Jenny – Anja Silja / Jim Mahoney – Gerhard Stolze / Jack – Hermann Winkler / Bill, genannt ‚Sparbüchsenbill‘ – Fritz Linke / Joe, genannt ‚Alaskawolfjoe‘ – Klaus Hirte / Der Schiedsrichter und Tobby Higgins – Gustav Grefe / Sechs Mädchen – Jutta Blumenthal-Munz, Elfriede Dobbertin, Renate Gutmann, Sieglinde Kahmann, Ingeborg Kollesch und Franziska Wachmann / Der Chor und das Orchester der Württembergischen Staatsoper Stuttgart / Chorltg.: Heinz Mende / Dirigent: Ferdinand Leitner / Musikalische Assistenz: Harry Pleva / Bühnenbild und Kostüme: Teo Otto / Inszenierung: Günther Rennert / TV-Regie: Herbert Junkers. Eine Aufzeichnung von 1969 aus dem Großen Haus der Württembergischen Staatstheater Stuttgart, gesendet (in Farbe) vom ZDF am 19. 4. 1970. Die Tonspur der Fernsehsendung ist vom ‚Opera Depot‘ in den USA veröffentlicht worden. Dort wird das Jahr 1967 als Datum genannt, aber damals (Premiere am 24. 5. 1967) waren einige Rollen anders besetzt, z. B. mit Sigurd Björnsson als Jack, Willy Ferenz als Joe, Günther Klaus als Schiedsrichter und Klaus Hirte als Tobby Higgins.


    Kurt Honolka schrieb in der "Opernwelt 7/1967": 'Es ist immer wieder faszinierend, wie Rennert Opernstars in singende Schauspieler zu verwandeln versteht. Beim Protagonisten des Abends, dem Jim Mahoney Gerhard Stolzes, hatte er es am leichtesten. Die Intensität dieses hochbegabten Mimen, in Rollen hineinzukriechen, ist dutzendfach erprobt. Ganz gewiss ist er von der Erscheinung her nicht der Prototyp eines simplen Alaska-Holzfällers, eines Triebmenschen. Desto bewundernswerter, wie er Primitivität illusionierte, freilich mit Resten der Glaubhaftigkeit.'


    Carlo