Die von Hoboken als Nr. 38 gezählte Sinfonie gehört in die beginnende Sturm-und-Drang-Phase Haydns und ist wohl 1767/68 in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Sinfonien 35, 39 und 59 entstanden. Es ist durchaus eine „typische“ C-dur-Sinfonie, mit Pauken, Trompeten und dem dazugehörigen festlichen Charakter samt Dreiklangsmotivik (zumindest im Kopfsatz). Aber sie ist wesentlich interessanter als die meisten ihrer tonartgleichen Vorgängerwerke.
Der Kopfsatz, Allegro di molto, steht im bei Haydn eher für Finali reservierten „leichtgewichtigen“ 2/4-Takt. Leichtgewichtig geht es aber nicht zu: Das Thema, obschon eigentlich aus den üblichen Dreiklangsbrechungen zusammengesetzt, strahlt Dynamik und Energie aus – durch die Synkopen in den Mittelstimmen und die unregelmäßige rhythmische Gestaltung sowie durch den Orgelpunkt der Pauken und Bässe auf C. Ein verbindlicheres Überleitungsmotiv führt zum scheinbar unauffälligen Seitenthema, das im Piano von den Violinen vorgetragen wird. Die wohl „fetzigste“ Passage der Sinfonie erscheint am Beginn der Durchführung: Das Hauptthema wird, wiederum unter ständiger Begleitung der synkopierten Mittelstimmen, imitatorisch auf Celli/Bässe und erste Geigen verteilt und durch mehrere Molltonarten getrieben – eine Stelle von dramatischer, ja elektrisierender Wirkung. Es folgt eine ebenfalls dramatisierte Variante des Überleitungsmotivs. Danach stoppt die Musik plötzlich ab, moduliert zweimal und beginnt mit einem scheinbar neuen, gesanglichen Thema, das sich aber schnell als Variante des Seitenthemas entpuppt. Nach einer Generalpause beginnt die Reprise, die vor allem auf Kosten des Überleitungsmotivs leicht gekürzt ist.
Das folgende Andante molto (F-dur, 3/8-Takt) ist einer der m.E. sehr interessanten Sätze, in denen Haydn ein eigentlich seriöses Hauptthema durch komische Effekte geradezu zerstört, bis nichts mehr übrigbleibt. Die con sordino spielenden zweiten Violinen imitieren an allen möglichen und unmöglichen Stellen Phrasen der ungedämpften ersten Geigen – weshalb die Sinfonie übrigens auch den Beinamen „Echo“ erhielt (den ich aber erst durch die CD-Hülle der Fischer-Aufnahme kennengelernt habe). Ab und zu wirkt das noch wie ein normales imitatorisches Verfahren, aber sehr schnell wird die Übertreibung als komischer Effekt deutlich. Etwa in der Mitte des Satzes (T. 50-60) setzt Haydn ein Gegengewicht, indem er das Hauptthema einer geradezu schmerzlichen Durchführung mit reizvollen Sekundreibungen zwischen ersten und zweiten Geigen unterzieht. Aber das verflüchtigt sich wieder schnell und schließlich geht der Satz gar nicht richtig zu Ende, sondern verläppert sich irgendwie in belanglosen Achtel-Staccati.
Das Menuett (Allegro) gehört abgesehen vom Tempo eher dem konventionellen Typus an. Im Trio dominiert teils melodiös, teils mit großen Intervallsprüngen die Solooboe, was schon auf das Finale vorausweist (überhaupt fallen mir bei Haydn nicht selten Vorwegnahmen bestimmter Merkmale des Finales im Menuett-Trio auf).
Ausgesprochen interessant wieder das Finale, Allegro di molto im 4/4-Takt. Über orgelpunktartigen Halben der Unterstimmen entwickeln die Geigen im Piano ein von Pausen durchsetztes Thema, das von einer unwirschen Unisono-Passage abgelöst wird. Daraufhin geht das Hauptthema unmittelbar in eine sehr dicht gearbeitete kontrapunktische Verarbeitung über, die aber Episode bleibt – die Oboe übernimmt das Wort und intoniert als Seitenthema eine Variante des Hauptthemas. Auch in der Durchführung dominiert die Oboe, von einem kurzen Hereinplatzen der kontrapunktischen Passage abgesehen. Selbst in den Anfang der Reprise mischt sie sich außerplanmäßig ein, so dass man sich fast in einem Oboenkonzert wähnt – allerdings in einem ziemlich gelungenen. Zum Schluss erlaubt sich Haydn nochmal eine kleine Mollabweichung beim Seitenthema.
Die Literatur bewertet die Sinfonie sehr unterschiedlich – so ist Lessing etwas enttäuscht, hebt besonders das Finale und die Durchführung des ersten Satzes hervor, erkennt aber auch viel Konventionelles und erwähnt die Mittelsätze nicht. James Webster auf der „Haydn 100&7“-Website zieht wegen der überraschenden und heterogenen Züge der Sinfonie wieder mal Inspiration durch die Oper in Erwägung. Ich halte die Sinfonie gerade deswegen für einen durchaus würdigen Vertreter der Sturm-und-Drang-Zeit Haydns.
Demnächst schreibe ich auch noch kurz etwas zu verschiedenen Aufnahmen der Sinfonie (Fischer, Brüggen, Pinnock, sowie Dorati und Hogwood über die o.g. Website).
Viele Grüße
Bernd