Haydn, Joseph: Sinfonie Nr. 38 C-dur

  • Die von Hoboken als Nr. 38 gezählte Sinfonie gehört in die beginnende Sturm-und-Drang-Phase Haydns und ist wohl 1767/68 in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Sinfonien 35, 39 und 59 entstanden. Es ist durchaus eine „typische“ C-dur-Sinfonie, mit Pauken, Trompeten und dem dazugehörigen festlichen Charakter samt Dreiklangsmotivik (zumindest im Kopfsatz). Aber sie ist wesentlich interessanter als die meisten ihrer tonartgleichen Vorgängerwerke.



    Der Kopfsatz, Allegro di molto, steht im bei Haydn eher für Finali reservierten „leichtgewichtigen“ 2/4-Takt. Leichtgewichtig geht es aber nicht zu: Das Thema, obschon eigentlich aus den üblichen Dreiklangsbrechungen zusammengesetzt, strahlt Dynamik und Energie aus – durch die Synkopen in den Mittelstimmen und die unregelmäßige rhythmische Gestaltung sowie durch den Orgelpunkt der Pauken und Bässe auf C. Ein verbindlicheres Überleitungsmotiv führt zum scheinbar unauffälligen Seitenthema, das im Piano von den Violinen vorgetragen wird. Die wohl „fetzigste“ Passage der Sinfonie erscheint am Beginn der Durchführung: Das Hauptthema wird, wiederum unter ständiger Begleitung der synkopierten Mittelstimmen, imitatorisch auf Celli/Bässe und erste Geigen verteilt und durch mehrere Molltonarten getrieben – eine Stelle von dramatischer, ja elektrisierender Wirkung. Es folgt eine ebenfalls dramatisierte Variante des Überleitungsmotivs. Danach stoppt die Musik plötzlich ab, moduliert zweimal und beginnt mit einem scheinbar neuen, gesanglichen Thema, das sich aber schnell als Variante des Seitenthemas entpuppt. Nach einer Generalpause beginnt die Reprise, die vor allem auf Kosten des Überleitungsmotivs leicht gekürzt ist.


    Das folgende Andante molto (F-dur, 3/8-Takt) ist einer der m.E. sehr interessanten Sätze, in denen Haydn ein eigentlich seriöses Hauptthema durch komische Effekte geradezu zerstört, bis nichts mehr übrigbleibt. Die con sordino spielenden zweiten Violinen imitieren an allen möglichen und unmöglichen Stellen Phrasen der ungedämpften ersten Geigen – weshalb die Sinfonie übrigens auch den Beinamen „Echo“ erhielt (den ich aber erst durch die CD-Hülle der Fischer-Aufnahme kennengelernt habe). Ab und zu wirkt das noch wie ein normales imitatorisches Verfahren, aber sehr schnell wird die Übertreibung als komischer Effekt deutlich. Etwa in der Mitte des Satzes (T. 50-60) setzt Haydn ein Gegengewicht, indem er das Hauptthema einer geradezu schmerzlichen Durchführung mit reizvollen Sekundreibungen zwischen ersten und zweiten Geigen unterzieht. Aber das verflüchtigt sich wieder schnell und schließlich geht der Satz gar nicht richtig zu Ende, sondern verläppert sich irgendwie in belanglosen Achtel-Staccati.


    Das Menuett (Allegro) gehört abgesehen vom Tempo eher dem konventionellen Typus an. Im Trio dominiert teils melodiös, teils mit großen Intervallsprüngen die Solooboe, was schon auf das Finale vorausweist (überhaupt fallen mir bei Haydn nicht selten Vorwegnahmen bestimmter Merkmale des Finales im Menuett-Trio auf).


    Ausgesprochen interessant wieder das Finale, Allegro di molto im 4/4-Takt. Über orgelpunktartigen Halben der Unterstimmen entwickeln die Geigen im Piano ein von Pausen durchsetztes Thema, das von einer unwirschen Unisono-Passage abgelöst wird. Daraufhin geht das Hauptthema unmittelbar in eine sehr dicht gearbeitete kontrapunktische Verarbeitung über, die aber Episode bleibt – die Oboe übernimmt das Wort und intoniert als Seitenthema eine Variante des Hauptthemas. Auch in der Durchführung dominiert die Oboe, von einem kurzen Hereinplatzen der kontrapunktischen Passage abgesehen. Selbst in den Anfang der Reprise mischt sie sich außerplanmäßig ein, so dass man sich fast in einem Oboenkonzert wähnt – allerdings in einem ziemlich gelungenen. Zum Schluss erlaubt sich Haydn nochmal eine kleine Mollabweichung beim Seitenthema.


    Die Literatur bewertet die Sinfonie sehr unterschiedlich – so ist Lessing etwas enttäuscht, hebt besonders das Finale und die Durchführung des ersten Satzes hervor, erkennt aber auch viel Konventionelles und erwähnt die Mittelsätze nicht. James Webster auf der „Haydn 100&7“-Website zieht wegen der überraschenden und heterogenen Züge der Sinfonie wieder mal Inspiration durch die Oper in Erwägung. Ich halte die Sinfonie gerade deswegen für einen durchaus würdigen Vertreter der Sturm-und-Drang-Zeit Haydns.


    Demnächst schreibe ich auch noch kurz etwas zu verschiedenen Aufnahmen der Sinfonie (Fischer, Brüggen, Pinnock, sowie Dorati und Hogwood über die o.g. Website).



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd!


    Auf diese hier habe ich seit dem Kennenlernen häufig und gerne zurückgegriffen. Der knappe, extrovertierte Kopfsatz hat mir sofort gefallen, sehr schön der von Dir erwähnte Durchführungsbeginn; ebenso das Finale mit seinem Kontrast zwischen konzertanten und kontrapunktischen Passagen. Über den langsamen Satz habe ich aber bis auf die schmerzvolle Durchführung anscheinend bisher ganz schön hinweggehört, mir war bisher nicht einmal aufgefallen, dass die zweiten Violinen con sordino spielen. Nach dem Lesen Deiner Einführung finde ich auch ihn sehr interessant!


    Mit der Aufnahme aus der Pinnock-Box bin ich sehr zufrieden.




    Gruß,
    Frank.

  • Vorhin ist mir beim Hören der Hogwood-Einspielung das Fehlen von Pauken und Trompeten aufgefallen. Auf der Website http://www.haydn107.com sind sie bei den Angaben zur Instrumentation auch nicht aufgeführt, bei der dort verlinkten, von Robbins Landon herausgegebenen Partitur sind sie wiederum dabei. Es könnte sich also um einen der nicht seltenen Fälle handeln, bei denen Pauken und Trompeten erst später und von fremder Hand hinzugefügt worden sind. Da mir z.Zt. weder die kritische Gesamtausgabe noch andere Literatur zur Verfügung steht, kann ich das nicht verifizieren. Dass mir die klangprächtigere Version mit den genannten Instrumenten wesentlich besser gefällt, steht auf einem anderen Blatt.


    Zu den einzelnen Interpretationen, wobei ich Dorati und Hogwood - weil nur über o.g. Website gehört - vom Klang her nur eingeschränkt beurteilen kann:


    DORATI: Die Zeiten sind 3:54 (ohne Wdh. von DF und Repr.), 3:28 (ohne Wdh. des B-Teils), 3:09 und 3:31 (ohne Wdh. von DF und Repr.). Insgesamt eher unauffällig, etwas breit phrasiert, nicht sehr zugespitzt. Im langsamen Satz recht brav, im Menuett kein Allegro-Tempo. Auch im Finale ohne Pep.


    HOGWOOD: Die Zeiten: 5:07, 5:46, 3:39, 4:48 (sämtliche Wdh. werden gespielt). Etwas gewöhnungsbedürftig, weil (wahrscheinlich philologisch korrekt, s.o.) ohne Pauken und Trompeten. Der erste Satz klingt dadurch schlanker und wird von Hogwood auch etwas schneller genommen als gewöhnlich. Davon abgesehen aber eine eher biedere Interpretation, gerade auch im langsamen Satz („schmerzliche“ Durchführung durch Staccato-Artikulierung der Geigen-Achtel verschenkt) und im lahmen Menuett. Wenig Sinn für Kontraste.


    BRÜGGEN: 3:55 (ohne Wdh. von DF und Repr.), 3:56 (ohne Wdh. des B-Teils), 2:44, 3:16 (ohne Wdh. von DF und Repr.). Wie Hogwood etwas temperamentlos, sogar etwas verwaschen im ersten Satz. Langsamer Satz nur wenig besser als bei Hogwood. Im Menuett kommt Brüggen völlig unerwartet aus den Puschen und nimmt als einziger Dirigent ein wirkliches Allegro-Tempo (bremst im Trio dann aber stark ab). Im Finale Business as usual.


    PINNOCK: 5:25, 3:57 (ohne Wdh. des B-Teils), 3:28, 4:47. Die Pinnock-Einspielungen zeichnen sich durch ihre brillante, fast schon überpräsente Klangtechnik aus – man höre sich den Beginn des Kopfsatzes an, großartig! Das liegt natürlich auch an der Klangkultur des Ensembles. Zudem überzeugt mich hier ausnahmsweise auch mal die Mitwirkung des (natürlich von Pinnock selbst traktierten) Cembalos, das hörbar ist, aber nicht dominiert bzw. (wie gerne bei Goodman) aus der Rolle fällt. Sehr guter erster Satz, gutes Finale. Das Andante ist sehr auf säuselnden Schönklang abgestellt (@Frank: vielleicht hat Dein bisheriges „Überhören“ des Satzes auch damit zu tun?). Das Menuett tapst wieder als behäbiges Allegretto daher. Bei aller Klangschönheit ist bei Pinnock m.E. immer eine leichte Tendenz zur Sterilität hörbar.


    FISCHER: 5:27, 3:13 (ohne Wdh. des B-Teils), 2:41, 4:34. Klanglich, obwohl nicht schlecht (Aufnahme 2001), eine Klasse unter Pinnock. Auch sonst nicht ganz mit der Spielkultur der HIP-Ensembles. Aber: Mit Verve und Lust an der Zuspitzung im ersten Satz (Betonung der Synkopen zu Beginn der Durchführung!) und im Finale. Das Menuett-Tempo nicht ganz so schnell wie bei Brüggen, aber immerhin annähernd Allegro. Zudem das Trio im gleichen Tempo. Vor allem ist Fischer m.E. der einzige, der den spezifischen Witz des langsamen Satzes erfasst: eher schnelles Tempo, fast unwillig die Echoeefekte, sehr ausgeprägt der Kontrast in der "Durchführung" – und das „Verläppern“ der Achtel am Ende der Abschnitte wird durch col-legno-Spiel der Geigen (nicht in der Partitur vorgeschrieben) extra hervorgehoben.


    Summa summarum ergibt sich folgende Rangliste: 1. Fischer, 2. Pinnock, 3. Brüggen, 4. Hogwood, 5. Dorati.



    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd!


    Zitat


    Die Pinnock-Einspielungen zeichnen sich durch ihre brillante, fast schon überpräsente Klangtechnik aus – man höre sich den Beginn des Kopfsatzes an, großartig!


    Ja, in der Tat! Wenn ich Fischer höre, denke ich am Anfang "da fehlt doch was"; die Blechbläser sind deutlich zurückhaltender. Was dann bei Pinnock fehlt, sind die Vorschlagsechzehntel im Hauptthema in der Reprise (also noch eine weitere unterschiedliche Ausgabe des Notentextes?). In Summe finde ich im ersten Satz Pinnock aber besser als Fischer.



    Zitat

    Original von Zwielicht
    Vor allem ist Fischer m.E. der einzige, der den spezifischen Witz des langsamen Satzes erfasst: [...]


    Er ist ja auch der einzige, der "Echo" auf die CD-Hülle schreibt... ;)
    Die Kontraste sind in diesem Satz auf jeden Fall wesentlich stärker als bei Pinnock. Gut möglich, dass ich es auch deshalb bisher überhört habe. Nun, da ich darum weiß, höre ich die Echos natürlich auch bei Pinnock; aber auch die Durchführung wirkt bei Fischer eindrucksvoller. Zwischen den Menuetteinspielungen der beiden liegen aber tatsächlich Welten.
    Das Finale finde ich bei Fischer extrem gelungen. Wie die Anfangsfloskel der hohen Streicher unwirsch von den tiefen beantwortet wird, die krachenden Pauken; insgesamt deutlich kontrastreicher und dazu noch ein Stück schneller als Pinnock: Toll! Als einziges kleines Manko sind die Blechbläser hier auch wieder etwas weniger präsent.



    Zitat


    Zudem überzeugt mich hier ausnahmsweise auch mal die Mitwirkung des (natürlich von Pinnock selbst traktierten) Cembalos, das hörbar ist, aber nicht dominiert bzw. (wie gerne bei Goodman) aus der Rolle fällt.


    Das ist aber leider auch nicht bei allen Pinnock-Aufnahmen der Fall. Ich höre momentan alle im Auto durch, wo das Cembalo anlagenbedingt ein Stück besser hörbar ist als auf den Heimlautsprechern; da geht es mir teils doch auf die Nerven.



    Gruß,
    Frank.

  • Hallo Frank,


    Zitat

    Original von Spradow
    Ja, in der Tat! Wenn ich Fischer höre, denke ich am Anfang "da fehlt doch was"; die Blechbläser sind deutlich zurückhaltender. Was dann bei Pinnock fehlt, sind die Vorschlagsechzehntel im Hauptthema in der Reprise (also noch eine weitere unterschiedliche Ausgabe des Notentextes?). In Summe finde ich im ersten Satz Pinnock aber besser als Fischer.


    sehe ich auch so, wobei Fischer wegen der treibenden Synkopen bei meiner Lieblingspassage zu Anfang der Durchführung fast schon wieder gleichzieht. Ich bin mir relativ sicher, dass Fischer die Vorschläge in der Reprise selbst hinzugefügt hat - er hat ja eine Vorliebe für sowas, man denke auch an die von ihm gerne eingesetzten Pizzicato- und col-legno-Effekte. Das Variieren und Auszieren bei Wiederholungen hat ja Rattle in seiner Berliner Einspielung der Sinfonien 88-92 bis zum Exzess getrieben. Darüber kann man streiten, aber ich finde es wesentlich näher an Haydn als die staubtrockene philologische Korrektheit, die mir aus den (wenigen) bisher übers Netz gehörten Hogwood-Aufnahmen entgegenschlägt.



    Zitat

    Das ist aber leider auch nicht bei allen Pinnock-Aufnahmen der Fall. Ich höre momentan alle im Auto durch, wo das Cembalo anlagenbedingt ein Stück besser hörbar ist als auf den Heimlautsprechern; da geht es mir teils doch auf die Nerven.


    Hm, ich höre meistens über Kopfhörer und fand das Cembalo nicht überpräsent. Allerdings gefällt mir Pinnocks Instrument auch vom volleren Klang her besser als die nervig zirpigen Kisten seiner Konkurrenten ;). Ich habe die beiden Pinnock-Boxen allerdings immer noch nicht ganz durchgehört.



    Viele Grüße


    Bernd

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  • Hallo Bernd!


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Ich bin mir relativ sicher, dass Fischer die Vorschläge in der Reprise selbst hinzugefügt hat - er hat ja eine Vorliebe für sowas, man denke auch an die von ihm gerne eingesetzten Pizzicato- und col-legno-Effekte.


    In der Partitur auf haydn107.com sind die Vorschlagnoten allerdings enthalten (deswegen habe ich sie angesprochen), das pizzicato im Trio z.B. aber nicht.



    Zitat


    Hm, ich höre meistens über Kopfhörer und fand das Cembalo nicht überpräsent. Allerdings gefällt mir Pinnocks Instrument auch vom volleren Klang her besser als die nervig zirpigen Kisten seiner Konkurrenten ;). Ich habe die beiden Pinnock-Boxen allerdings immer noch nicht ganz durchgehört.


    Pinnock-Boxen? Ich kenne nur die mit den Sturm-und-Drang-Symphonien; gibt es noch eine weitere?



    Gruß,
    Frank.

  • Hallo Frank,


    Zitat

    Original von Spradow
    In der Partitur auf haydn107.com sind die Vorschlagnoten allerdings enthalten (deswegen habe ich sie angesprochen), das pizzicato im Trio z.B. aber nicht.


    in welchem Takt denn? Ich sehe beim Hauptthema in der Reprise eigentlich nur Vorschlagnoten, die schon in der Expo da sind, meine mich aber zu erinnern, dass Fischer beim hohen c der Geigen in Takt 133 einen Vorschlag anbringt (kann's jetzt aber nicht nachprüfen). Oder meinen wir jeder etwas ganz anderes? Ist aber auch nicht so wichtig. Der entsprechende Band der kritischen Kölner Ausgabe ist angekündigt, scheint aber noch nicht erschienen zu sein.



    Zitat


    Pinnock-Boxen? Ich kenne nur die mit den Sturm-und-Drang-Symphonien; gibt es noch eine weitere?


    Als sie zum erstenmal rauskamen, waren die Sinfonien mit Pinnock noch auf zwei Boxen mit jeweils drei CDs verteilt (ich habe die von meinem Vater geerbt). Die sehen so aus (wobei das auch schon wieder eine Zusammenfassung beider Boxen zu sein scheint):




    Du hast vermutlich die folgende?




    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd!


    Zitat

    Original von Zwielicht
    in welchem Takt denn? Ich sehe beim Hauptthema in der Reprise eigentlich nur Vorschlagnoten, die schon in der Expo da sind, meine mich aber zu erinnern, dass Fischer beim hohen c der Geigen in Takt 133 einen Vorschlag anbringt (kann's jetzt aber nicht nachprüfen). Oder meinen wir jeder etwas ganz anderes?


    Ne, Du hast schon Recht: Ich habe einfach nur einen Blick draufgeworfen, ob ein Vorschlag da ist und nicht mit der Exposition verglichen... :wacky:


    Zitat


    Als sie zum erstenmal rauskamen, waren die Sinfonien mit Pinnock noch auf zwei Boxen mit jeweils drei CDs verteilt (ich habe die von meinem Vater geerbt).


    Ach so! Ich dachte schon, da würde sich vielleicht eine Alternative für ein paar weitere Symphonien auftun...
    Das Cembalo ist mir gestern zum Beispiel im Kopfsatz von 50 stark aufgefallen, falls die Dir mal in den Player fallen sollte.



    Gruß,
    Frank.

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Vorhin ist mir beim Hören der Hogwood-Einspielung das Fehlen von Pauken und Trompeten aufgefallen. Auf der Website http://www.haydn107.com sind sie bei den Angaben zur Instrumentation auch nicht aufgeführt, bei der dort verlinkten, von Robbins Landon herausgegebenen Partitur sind sie wiederum dabei. Es könnte sich also um einen der nicht seltenen Fälle handeln, bei denen Pauken und Trompeten erst später und von fremder Hand hinzugefügt worden sind.


    Viele den Notentext betreffende Fragen sind noch längst nicht gelöst wie das Beispiel fehlender Trompeten- und Paukenstimmen bei einigen Sinfonien zeigt. In Haydns Orchester in Eisenstadt und Eszerháza waren Pauken und Trompeten nur selten verfügtbar, erst in den späten Sinfonien der 1780-ziger Jahre werden diese Instrumente zur Regel.
    Die frühen und mittleren Sinfonien sind nicht allzuoft mit Trompeten und Pauken besetzt und es ist keineswegs immer gesichert, ob die betreffenden Stimmen auch wirklich auf Haydn zurückgehen.
    Unecht sind mit Sicherheit diese überlieferten Stimmen in der Sinfonie No. 38.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard


  • Es ist hier m.E. aber nicht mit der Feststellung getan, ob die Stimmen später von Haydns oder anderer Hand ergänzt wurden. Ungeachtet der praktischen Einschränkungen, gehörten zu einem gewissen Typ von Sätzen oder Werken (meistens in C-Dur) Trompeten u. Pauken "eigentlich" dazu. Die Ergänzungen sind damit in gewisser Hinsicht authentisch, wenn auch nicht immer original. Diese Stimmen, wenn überliefert, wegzulassen, ist daher m.E. ein Fall von verfehlter Originalitis. (Noch schlimmer: wenn vorhandene Trompeten- oder hohe Hornstimmen dazugehörende Paukenstimmen implizieren, die aber nicht erhalten sind, so wenn ich recht erinnere in Nr. 48).


    Das Cembalo-Continuo (das, obwohl ebenfalls mit hoher Sicherheit am Hofe Eszterhazy nicht bei den Sinfonien eingesetzt) wird z.B. vom Trompetenweglasser Goodman überdeutlich eingesetzt. Auch hier könnte man natürlich argumentieren, daß bei anderen Aufführungen gewiß häufig eines mitgespielt hat. Der Unterschied: Cembalo nervt meistens, Trompeten und Pauken rocken! ;)
    (Konsequenter Verzicht aufs Cembalo bei Hogwood und, so weit ich sehe Solomons)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Zwielicht


    [Zudem überzeugt mich hier ausnahmsweise auch mal die Mitwirkung des (natürlich von Pinnock selbst traktierten) Cembalos, das hörbar ist, aber nicht dominiert bzw. (wie gerne bei Goodman) aus der Rolle fällt. Sehr guter erster Satz, gutes Finale. Viele Grüße


    Bernd


    Ein Continuocembalo bei Haydnsinfonien, so die Auffassung der Haydnforschung, sei in den Sinfonien am Esterházy´chen Hof nicht eingesetzt worden.
    Bei den späten Sinfonien wiederum soll ein Tasteninstrument mitgespielt haben;
    Haydn schrieb über eine Aufführung einer seiner Sinfonien in London z.B.:
    "Es wurde eine alte Synphonie gegeben, welche ich am Klavier accompagnierte"


    Interessant auch, dass in Norddeutschland vermutlich auch noch in der 2. Hälfte des 18. Jhd. Sinfonien mit Continuocembalo aufgeführt wurden.
    J.J. Quantz schrieb u.a. in seinem Werk "Versuch einer Anweisung, die Flöte travesiere zu spielen" 1752:
    "Das Clavicympal verstehe ich bey allen Musiken, sie seyn kleine oder große, mit dabei";
    und C.P.E. Bach schrieb 1762 im 2. Teil seiner Schrift"Versuch über die wahren Art das Clavier zu spielen":
    "Man kann also ohne Begleitung eines Clavierinstruments kein Stück spielen"
    Das Lager der HIP-Spezalististen jedenfalls spaltet die Frage "Cembalo -Ja oder Nein ?", wie man es wohl in den verschiedesten Einspielungen hören kann.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Wir haben ja bei den Sinfonien 41, 42 und 43 die Durchführungsvariante besprochen, wo nach einem kurzen, die Durchführung durch eine Tonika-fremde Tonart definierenden Abschnitt erst so richtig losgelegt wird, beginnend mit dem Hauptthema in der Grundtonart (so, wie ja dann auch die Reprise beginnen wird) - hier muss dann recht rasch ordentlich zur Sache gegangen werden, damit man sich nicht desorientiert in der Reprise wähnt.


    Eine ziemlich extreme Variante ist im Finale der 38. zu finden - die Form entgleist ein wenig.


    Das liegt daran, dass bereits Haupt- und Seitenthema gleich beginnen (Takt 1 C-Dur/Takt 42 natürlich G-Dur) und die Überleitung (Takt 21) dazwischen frühklassisch-kontrapunktisch gehalten ist. Der Seitensatz hebt sich vor allem durch die solistisch geführte Oboe sofort vom Hauptsatz ab.


    Die Durchführung beginnt (in Takt 63) nun mit dem Hauptthema in G-Dur allerdings mit solistischer Oboe und gleich wegmodulierend (wodurch es etwas an den Seitensatz erinnert). Nach einer Fermate geht es in Takt 75 abermals mit einer Kreuzung aus Haupt- und Seitensatz los, in C-Dur. Man muss wirklich aufpassen, dass einem auffällt, dass das nicht schon die Reprise ist, bei all der Verwandtschaft. Noch dazu ist der kontrapunktische Abschnitt ab Takt 83 ja auch der Überleitung (Takt 21) allzu ähnlich.


    Aber in Takt 95 beginnt nun wirklich die Reprise - ohne Oboe, zum Glück. Die kommt dann aber fieserweise in Takt 106 und zwar mit dem Lauf, der in der Exposition den Seitensatz einleitete! Das ist jetzt gar zu viel der Verwirrung - denn der kommt nun noch gar nicht, sondern eine Wiederholung des Hauptsatzes mit Oboen-Haltenote darüber, dann kommt (wie es sich gehört) die eingerichtete Überleitung (die ja in der Durchführung auch schon eine Variante erfahren hat) und in Takt 128 kommt nun der Seitensatz in C-Dur (das ist dann das 4. Mal, dass seit dem Doppelstrich der Themenkopf in C-Dur einen Abschnitt begonnen hat) - ohne den einleitenden Oboenlauf (der war ja schon einige Takte vorher in der Hauptsatzreprise vorweggenommen).


    Irgendwie bekommt der Satz dadurch fast etwas Rondo-Artiges.

  • Zum Glück muss man hier ja keine formvollendeten Analysen abliefern ...


    Mir sind noch ein paar Dinge aufgefallen:


    Entsprechend der Vorwegnahme des Oboen-Solos in der Wiederholung des Hauptsatzes in der Reprise ist auch der Orgelpunkt der übrigen Bläser (der ja dann quasi von der Oboe nachher imitiert wird) vorgezogen an den Beginn der Reprise.


    Der zentrale Durchführungsteil ist für jemanden, der sich nicht nur den Themenkopf, sondern die beiden Themen vollständig gemerkt hat, eigentlich schon sofort leicht zu erkennen: Es ist nämlich nur der Themenkopf und das aufsteigende Oboensolo da, und mit diesen "abgespaltenen" Motiven wird gearbeitet.


    Dennoch - auch aufgrund der Proportionen der Abschnittsdauern - eine recht eigenwillige Angelegenheit.

  • Ich bin bei meinem privaten Durchhörprjekt bei Nr 38 angelangt. Glücklicherweise wurde hier ja schon sehr viel Wissenswertes geschrieben, ich begnöge mich also mit ein paar subjektiven Zeilen.

    Es ist eine der ersten Sinfonien der Sogenannten "Sturm und Drang Sinfonien" in Haydns sinfonischem Schaffen.

    We aber - wie ich selber - den "Sturm und Drang" - als aggressive und unangenehme Musik empfindet, der braucht keine Angst zu haben.

    Es gibt weder Dissonanzen, übertriebene Dynamik- und Temposprünge etc., sondern wir hören farbenprächtige, kraftvolle Musik mit "Pauken und Trompeten" - und dies vor allem in der Box von Russel Davies, die eigenartigerweise scheinbar bei den Sammlern keinen Anklang fand (Ich gehe davon aus, daß man nicht mal hineingehört hat !!)weil man zusehen konnte wie sie von Monat zu Monat billiger angeboten wurde, bis man sie aus dem Programm nahm. Diese Interpretationen sind nicht immer perfekt, aber oft genug hinreissend. So auch in diesem Fall: Feurig, strahlend und ein wenig plakativ (was nur beschreibend - nicht aber abwertend gemeint ist) hat diese Sinfonie bei mir Wohlgefallen erregt. Auch das Publikum (Live-Aufnahme)hat sich zu Jubelrufen hinreissen lassen (denen ich mich stillschweigend anschliesse;))

    Dagegen wirkt die Müller-Brühl Aufnahme erstaunlich braf und sogar ein wenig dröge, was verwunderlich ist, denn dieses Orchester und sein Chefdirigent waren schon vor etlichen Jahren federführend in Sachen "Musik des 18. Jahrhunderrts" - damals für Schwann....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !